30. Oktober 2013 Knut Persson
Ruby: der geplatzte Deal zwischen der HSH Nordbank und Lehman Brothers
Der Prozess gegen die sechs Angeklagten der HSH Nordbank läuft weiter. Ein Ende wird für Anfang 2014 angedacht. Es kann auch länger dauern. Im Zentrum der Betrachtung während des Prozesses steht ein unergründliches Geschäft namens »Omega 55«. Die Richter versuchen selbstquälerisch die Strukturen des Geschäfts zu analysieren und unter dem Anklagepunkt der »Untreue in einem besonders schweren Falle« – es geht um 158 Mio. Euro, sagt der Staatsanwalt – juristisch darzustellen. Angeklagt ist der Vorstand der HSH Nordbank zum Zeitpunkt nach Oktober 2007.
Symptomatisch für den Prozess ist »Ruby«. Mit »Ruby« ist weder der Mörder von Lee Harvey Oswald, dem Kennedy-Mörder, gemeint, noch die Programmiersprache »Ruby«, sondern ein dubioser Deal, der dem Folge-Deal »Omega 55« im Jahre 2007 vorausging. (Zu »Omega 55«: Knut Persson, Inside HSH Nordbank AG – Prozessbericht;
Zur Orientierung: Wir befinden uns mit dem Jahr 2007 im Jahre Eins nach der geplatzten Immobilienblase in den USA und ein Jahr bevor die HSH Nordbank und Lehman Brothers im September/Oktober 2008 zusammenbrechen. In der HSH Nordbank brannte es 2007 bereits lichterloh. Zeugen sprachen offen von »Chaos« und »Zusammenbruch« nicht nur in der Bank, sondern auch am Finanzmarkt.
Ruby
Am 23.8.2010 erscheint vor dem Untersuchungsausschuss zur HSH Nordbank in Kiel der Zeuge Luis Marti-Sanchez. Er hat damals viel zu erzählen – es geht um seinen Ruf und um seine Reinwaschung. Heute suchen die Richter verzweifelt seine Anschrift, um ihn als Zeuge vorzuladen. Er wird in London vermutet. London aber ist weit, sehr weit. 2007 ist Sanchez »Global Head London« der FIG (Financial Institutions Group) der HSH Nordbank AG, etwas weniger prosaisch: Sanchez ist Niederlassungsleiter der »London Branch«. In dieser Funktion hat er die »Credit Application« (Projektpapier) von »Omega 55« zu verantworten und leitet das Papier im Dezember 2007 an den Vorstand in Hamburg/Kiel weiter.
In Kiel schimpft Sanchez 2010 über die Zustände in der Bank im Jahr 2007 und die unhaltbaren Zustände im Risikomanagement. Die Wirtschaftprüfer von BDO hatten ähnliches angemahnt und auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat eine Prüfung durchgeführt: »Die BaFin hatte bereits in 2007 eine Sonderprüfung veranlasst, die von der Bundesbank im Zeitraum Mai bis Juni 2007 durchgeführt wurde, und bei der 28 Punkte der Geschäftspraxis moniert und insgesamt ein unbefriedigender Zustand konstatiert wurden.« (Joachim Bischoff/Knut Persson/Norbert Weber, Tatort HSH Nordbank. Über »Bankenrettungen«, Landesbanken und Schlammschlachten, Hamburg 2010, S. 99). Es drohte die Schließung der Bank. Sanchez muss davon gewusst haben.
In der Niederlassung London ist in der Mitte des Jahres 2007 die Losung aus Kiel/Hamburg angekommen: Risiko-Wertpapiere auslagern, um die aufsichtsrechtlichen Kennziffern – »Kernkapitalquote« – einhalten zu können. »Um aus dem Druck herauszukommen, hat die Bank unter fragwürdigen Bedingungen Papiere und Kredite in einer Größenordnung von 17,3 Mrd. Euro auf Offshore-Gesellschaften ausgelagert.« (ebd., S. 10). Sanchez berichtet von sechs ähnlichen Geschäften (NDR, Archiv vom 19.10.2010), die das Auslagern von Risikopapieren der HSH Nordbank bewerkstelligten sollten. London hatte also Ende 2007 gut zu tun und war in Zeitnot. Eines dieser Geschäfte sollte mit Lehman Brothers abgeschlossen werden. Lehman ging zwar erst im September 2008 pleite, galt 2007 aber bereits als angeschlagen. Hank Paulsen – Finanzminister in den USA seit 2006 – hat in seinem Buch »On the Brink« (»Am Abgrund«) 2010 dieses ausführlich geschildert. Das Geschäft sollte über die RUBY FINANCE PUBLIC LIMITED COMPANY in Irland abgewickelt werden. Hierbei handelt es sich um eine Firma, die auf »Auslagerungen« in SPVs (Zweckgesellschaften) spezialisiert ist.
Ende November 2007 lässt Lehman den Deal platzen. Lehman wusste, dass Immo-Papiere der USA ausgelagert werden sollten. Lehman sagte dankend ab. Das Pikante daran: wegen »Reputationsrisiken« der HSH Nordbank. Lehman hatte erfahren, dass die HSH Schwierigkeiten hatte mit der BaFin/Bundesbank. Weiter pikant an der Geschichte ist, dass die Zeugen im Prozess sich partout an nichts mehr erinnern können, was Ruby betrifft. Bankdemenz in fortgeschrittenem Stadium. Die Richter sind frustriert.
Wenn nicht Lehman dann eben BNP Paribas ...
Die Zeit drängte. Ende 2007 muss klar Schiff gemacht werden in der Bilanz. Aus »Ruby« wird jetzt »Omega 55«. Aus Lehman wird BNP. Es ist zu vermuten, dass das hochkomplexe Projektpapier für »Omega 55« nicht in wenigen Tagen geschrieben werden konnte, sondern bereits geschrieben aus Ruby (teilweise) übernommen werden konnte. Anders wäre der Deal wegen der Zeitnot kaum möglich gewesen. Vorstand Rieck (Immo) und Friedrich (Kapitalmarkt) drängen.
BNP Paribas ist vorgewarnt. Der Deal ist heiß. Um nicht in den Geruch zu kommen, etwas Unrechtmäßiges zu tun, lässt man sich in einem »Side Letter« bestätigen: »... wir bestätigen, gem. den Vorschriften für redliche Geschäftszwecke und nicht für unangemessene Bilanzierungszwecke diese Transaktion eingegangen zu sein ...« (Bischoff u.a., S. 93). Die rechtlichen Risiken liegen jetzt bei der HSH Nordbank. Die ökonomischen Risiken liegen wg. der Risikorückübernahme beim Omega 55–Deal ebenfalls bei der HSH Nordbank. Die regulatorischen Risiken sind ausgelagert: nach London, nach Jersey und sonst wohin. Die Rechtsabteilung der HSH Nordbank gibt den Segen dazu. Die BaFin muss es zufrieden sein. Ihr bleibt auch nichts anderes übrig.
... und dann wird aufgeräumt
Die gereinigte Bilanz wird zum 31.12.2007 erstellt: IFRS (Internationales Reporting) lässt da eine Menge Gestaltungsspielraum und man hat mit Nonnenmacher (Finanzvorstand seit 01.10.2007) einen versierten Mathematiker, der die Bilanz von Handelsgesetzbuch (HGB) auf IFRS umstellen muss. Die aufsichtsrechtlich wichtige Kernkapitalquote wird eingehalten. Im Geschäftsbericht 2007 wird auf Seite 50 darauf hingewiesen. Für 2007 weist die Bank noch einen Gewinn nach Steuern aus von plus 285 Mio. Euro (minus 65,7% zum Vorjahr). 2008 ist es dann ein Minus von 2.704 Mio. Euro. In den Folgejahren werden die faulen Wertpapiere geschickt dargestellt und nur wenig abgeschrieben. Die roten Zahlen bleiben.Weiter galt es unliebsame Mitwisser mundtot zu machen: Luis Marti-Sanchez und Paul Duffy (beide London) erhalten eine Strafanzeige: Verdacht der Untreue. (Bischoff u.a., S. 93). Beide werden als Buhmänner aufgebaut, die alleinverantwortlich für dubiose Auslagerungen sein sollen. In Kiel (2010) kann sich Sanchez im Untersuchungsausschuss wehren. Jetzt (2013) ist er allerdings abgetaucht in den Tiefen Londons. Ob er im Prozess erscheint, ist höchst ungewiss.
Recht und Gerechtigkeit
Inwieweit rechtliche Belange davon im Sinne von »Untreue in einem besonders schweren Falle« tangiert sind, bleibt durch die obige Darstellung unberührt, und ob alle Vorstände davon betroffen sind, ebenfalls. Darüber müssen die Richter urteilen. Der Vorsitzende Richter äußert mitunter seine Frustration. Obwohl Zeugen sich mitunter detailliert an Einzelheiten erinnern können, versagt bei gewissen Fragen die Erinnerung. Ein Zeuge: »Ich habe die Credit Application zu Omega 55 am 14.12.2007, das war ein Freitag, um 14.30 h bekommen und musste das Votum für die Marktfolge am Montag um Mittag abgeben.« Es folgen etliche präzise Einzelheiten. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters, ob er sich an ein Geschäft mit den Namen »Ruby« erinnern könne, erfolgt nach längeren Nachdenken des Zeugen: »Nein«. Anderen Zeugen geht es ähnlich. Auch schwächen Zeugen ihre Aussagen gegenüber der staatsanwaltschaftlichen Befragung ab.
Zur Erinnerung: Die Bank gehört den BürgerInnen der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg. Die HSH Nordbank AG ist eine »Länderbank«. Um ihre – der BürgerInnen – Milliarden geht es letztendlich. Aber darum geht es in diesem Prozess nicht.