10. November 2014 Joachim Bischoff / Bernhard Müller: Im Februar wählt Hamburg
Wahlkampf wirft Schatten voraus
In drei Monaten, am 15. Februar 2015, wählen die HamburgerInnen ihr Landesparlament, die Hamburgische Bürgerschaft. Es zeichnet sich ab, dass die Hamburger SPD um Bürgermeister Olaf Scholz ihre absolute Mehrheit bei den Mandaten verlieren wird. Dies ist wenig überraschend, weil in einem Landesparlament mittlerweile absolute Mehrheiten Seltenheitswert haben.
Die Hamburger CDU tritt mit dem Fraktionsvorsitzenden Dietrich Wersich als Spitzenkandidat zur Bürgerschaftswahl an. Inhaltlich will man die Zukunft der Hansestadt nach vorne schieben: Mit der Parole »Hafen, Handel, Hightech« soll durch die Ansiedlung neuer Branchen die Wirtschaft dynamisiert werden. Der Hafen soll zur Modernisierung mit 50 Mio. Euro zusätzlich zu den geplanten 100 Mio. Euro gestärkt werden.
Ferner will die CDU die industrielle Wertschöpfung ausbauen. Außerdem soll Hamburg zur Wissensmetropole aufrücken: Durch ein Zukunftspaket will man die Grundfinanzierung der Hochschulen sichern, die Sanierung des Campus der Uni vorantreiben und die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft stärken. Die zentralen Themen sind also: Wirtschaft und Wissenschaft, Verkehr und städtische Infrastruktur.
Die aktuellen Umfragewerte für die CDU schwanken zwischen 22-27%. Selbst den höheren Wert unterstellt kann die Partei damit trotz großem materiellen Wahlkampfeinsatz nur erneut eine Niederlage einfahren. Jeder Punkt über 25% würde innerparteilich als Erfolg gefeiert, denn die CDU hätte sich von ihrem Ausgangswert von 21,9% verbessert und die Partei könnte sich für 2020 durch eine verbesserte Oppositionsarbeit auf einen Regierungswechsel vorbereiten.
Dietrich Wersich gilt daher als der richtige Kandidat, weil er das konservative und das liberale Bürgertum anspreche, gute Reden halte, sympathisch sei und Regierungserfahrung habe. Der Kandidat habe mit seiner kontinuierlichen Arbeit in den vergangenen vier Jahren großen Anteil am Wiederaufbau der CDU.
Für die seit 2011 mit absoluter Stimmenmehrheit regierende Sozialdemokratie steht umgekehrt fest, dass sie sicherlich weiter an den städtischen Machthebeln bleiben wird. Allerdings halten auch die Parteioptimisten das Ergebnis von 48,4% nicht für wiederholbar. Landeschef Olaf Scholz selbst will zwar erneut um eine absolute Mehrheit bei den Mandaten kämpfen, geht aber auch davon aus, dass Koalitionsverhandlungen mit den Grünen unvermeidlich sind. »König Olaf« wird Hamburger Bürgermeister bleiben. Die spannende Frage ist nur: Welche Zugeständnis werden die Grünen für einen Koalitionspakt verlangen?
In den Wahlumfragen liegt die Hamburger SPD zwischen 45 und 38%. 70% der Befragten sind mit der Arbeit des Senats insgesamt zufrieden. Und diese Zustimmung reicht auch weit in das Lager der CDU-WählerInnen hinein, von denen immerhin 63% mit der Arbeit des Senats zufrieden sind.
Die SPD wird auf ihren Slogan »Vernünftig Regieren« zurückkommen. In der Tat haben sich Streitpunkte wie Studiengebühren, KITA-Ausbau, Wohnungsmangel und marode öffentliche Finanzen ohne sonderliche Kraftanstrengungen gleichsam leise und geräuscharm bewegt. Seit 2011 wurden über 25.000 Baugenehmigungen erteilt und mehr als 6.000 neue Wohnungen gefördert. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA GWG baut endlich wieder.
Der soziale Wohnungsbau liegt zwar weiterhin darnieder, die Gentrifizierung ist nicht gestoppt und bei der Umsetzung von Erhaltenssatzungen und Mietpreisbremse gibt es sichtlich Widerstand. Die Ausgabensteigerung wurde auf unter 1% gesenkt, die Sparpolitik läuft über geringere Investitionen und Personalabbau im öffentlichen Dienst. Der Doppelhaushalt 2015/2016 bleibt auf das Konzept der Haushaltssanierung und der Einhaltung der Schuldenbremse ausgerichtet.
Die fehlende Wechselstimmung in der Hansestadt trifft auch die Grünen: Sie verharren bei 11%, was ziemlich genau dem Ergebnis von 2011 (11,2%) entspricht und parteiintern als Niederlage empfunden wird. Die SPD bietet zwar mit ihrer verschlafenen, zögerlichen Umweltpolitik reichlich Angriffsfläche. Mit umweltpolitischen Themen können die Grünen derzeit aber nur ihre Stammwählerschaft mobilisieren. Um andere Wählerschichten zu erreichen, brauchen sie andere Themen.
Das typische rot-grüne Spektrum hat derzeit offensichtlich nicht ausreichend Gründe, nicht SPD zu wählen. Ein wichtiger Aspekt ist die Rückwendung der Grünen seit der verlorenen Bundestagswahl zu ihren ökologischen Kernthemen und der Verzicht auf verteilungspolitische Interventionen bei der Zukunftsgestaltung der Republik. Das Thema Wirtschaftspolitik prägt den innerparteilichen Streit. Die neuerdings vom grünen Regierungschef in Baden-Württemberg Winfried Kretschmann vorgetragene Forderung, die Grünen müssten endlich zu einer klassischen Wirtschaftspartei werden, hört sich eher kühn als realistisch an.
In der Hansestadt bewegen sich die Grünen eher im Schlepptau jener Kreise, die sich von einer massiven Stärkung des Wissenschafts-Cluster einen politisch-wirtschaftlichen Aufstieg der Hansestadt versprechen. Themen wie Wohnungsmangel, Gentrifizierung und soziale Spaltung (Armutsquartiere) sind in den letzten Monaten eher an den Rand gedrängt worden.
Die SPD will weiterhin »vernünftig regieren« und setzt auf das »Weiter so«. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen der sozialen Spaltung ist von der einstigen Partei der sozialen Gerechtigkeit nicht zu erwarten. Hamburg ist die »Hauptstadt der Altersarmut« in Deutschland, ein anhaltend hoher Sockel von Arbeitslosigkeit und die massive Verbreitung von atypischen, prekären Beschäftigungsverhältnissen machen sich im Verbund mit einem drastisch ansteigenden Mietpreisniveau in einer Verfestigung von Armut bemerkbar.
Die deutlich angestiegene Zahl obdachloser BürgerInnen, die Ausbreitung von »Tafeln« und die Sparpolitik in den Armutsquartieren sprechen eine deutliche Sprache. Die ebenfalls massiv ansteigenden Flüchtlingszahlen stellen Hamburg wie die meisten Kommunen in Deutschland vor große Probleme bei der Unterbringung, der Finanzierung des Unterhalts und der Organisation eines Bildungs- und Integrationsangebotes. Noch nicht einmal einen Zukunftsdiskurs über die Stadtentwicklung vermag die sozialdemokratische Partei zu präsentieren.
Nach der Abspaltung der »Neuen Liberalen« von der FDP dürfte eine Erneuerung des politischen Auftritts der Freidemokraten unwahrscheinlich sein. Die FDP ist in der auslaufenden Legislaturperiode mehr durch personelle Querelen aufgefallen, der Mangel an politischen Zielsetzungen und Initiativen wurde dadurch noch auffälliger. Bürgermeister Scholz hat zwar an diesem politischen Wurmfortsatz des Neoliberalismus einen Narren gefressen, aber die Stimmergebnisse dürften eine sozial-liberale Koalition nicht hergeben.
Mit ihrer »mittigen« Politik lässt die SPD reichlich Platz für einen politischen Konkurrenten auf dem linken Spektrum. Daher hat die Linkspartei im Februar gute Chancen, den Sprung über die 5%-Hürde erneut zu schaffen. In den Umfragen liegt DIE LINKE zwischen 7 und 8%, was den vorschnellen Schluss auf eine stabile Stammwählerschaft nahelegt, die von den Krisen der Linkspartei unbeeindruckt bleibt. So jedenfalls sieht es die Fraktionsvorsitzende Dora Heyenn: »Wir freuen uns aus zwei Gründen über diese Umfrageergebnisse: Offenkundig haben wir uns in den sechseinhalb Jahren in der Bürgerschaft und auf der Straße eine Stammwählerschaft erarbeitet. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns jetzt zurücklehnen, sondern wir werden einen intensiven und leidenschaftlichen Wahlkampf führen. Außerdem scheitert die neue Schill-Partei entgegen den bisherigen Erwartungen und wird laut Umfrage nicht in die Bürgerschaft einziehen. Das begrüßen wir sehr.«
Beide Thesen werden allerdings durch die Ergebnisse einer aktuellen Meinungsumfrage nur unzureichend gestützt. Ein intensiver Wahlkampf steht an und wird die Kräfteverhältnisse verändern. Freilich hat sich DIE LINKE in Hamburg nur mit großen Widersprüchen auf eine Liste von KandidatInnen »verständigen« können. Und das Ergebnis für die Spitzenkandidatin Dora Heyenn ist mit 54% sicherlich kein Empfehlungsschreiben. Heyenn spricht selbst einer »gespaltenen Partei« in Hamburg, was sicherlich übertrieben ist. Aber das linke Wahlprogramm ist eher von Grundsatzpositionen und den damit verbundenen Debatten geprägt. Eine konkrete, realistische Alternative zur Sozialdemokratie ist jedenfalls nicht beabsichtigt und die Präsentation einer progressiven, rot-rot-grünen Koalition für die Hansestadt auch für die Bürgerschaftswahlen 2020 noch kein Thema. Ob das die »Stammwähler« wirklich mobilisieren wird, bleibt abzuwarten.
Die rechtspopulistische »Alternative für Deutschland« (AfD), deren aktuelle Umfragewerte zwischen 4 und 6% schwanken, wird vermutlich in die Bürgerschaft einziehen. Die AfD wird die Kritik an den unübersehbaren Problemen der Flüchtlings- und Asylpolitik in das Zentrum ihres Wahlangebotes rücken und damit ein Alleinstellungsmerkmal haben. Die größte Gefahr für die Partei sind die internen Macht- und Richtungskämpfe und der Einfluss rechtsextremistischer Kräfte. Allein die Linkspartei könnte im Wahlkampf die rechtspopulistische Partei in die Schranken weisen und in einer kritischen Auseinandersetzung die Fremdenfeindlichkeit und den Rassismus dieser neuen Formation zum Thema machen. Dazu allerdings müsste sie diese Herausforderung annehmen.