Der rechte Rand

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5. Oktober 2017 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Wahlergebnisse in Hamburg

Bei der Bundestagswahl 2017 haben die Regierungsparteien der großen Koalition, CDU/CSU und SPD, auf Bundesebene deutlich (-13,7 %) verloren. Die Abwahl von Schwarz-Rot drückt eine massive Verschiebung in der politischen Tektonik der Republik aus. (1)

Die SPD muss das schlechteste Ergebnis seit der Gründung der Bundesrepublik verbuchen. Nach 2009 (23%) und 2013 (25,7%) erhielt sie jetzt nur noch 20,5% der Stimmen. Ein weiterer Niedergang der Sozialdemokratie zeichnete sich zwar seit Monaten ab. Das Ausmaß der Niederlage veranlasste aber die Parteiführung, eine Fortführung der großen Koalition auszuschlagen. Sie will in der Opposition eine umfassende Neuorientierung auf den Weg bringen. Insgesamt schwächelt die europäische Sozialdemokratie extrem und steckt in einer tiefen programmatisch-organisatorischen Krise. Allein der Wechsel der SPD in die Oppositionsrolle schafft bestenfalls bessere Bedingungen für eine Neuerfindung.

Ergebnisse in Hamburg

Das politische Erdbeben bei der Bundestagswahl zeigt sich auch in den Ergebnissen auf der Hamburger Landesebene. SPD und CDU verloren zusammen 13,3% an Zustimmung. Beide Parteien erreichten mit 23,5% (SPD) bzw. 27,2% (CDU) historisch schlechte Wahlergebnisse. Die hanseatische Sozialdemokratie verlor 8,9% und lag damit beim Verlust an Zustimmung deutlich über dem Durchschnitt der Partei auf Bundesebene. Das war die schwächste WählerInnenzustimmung in der Nachkriegszeit und führt dazu, dass die CDU trotz Verlusten nunmehr bei der Bundestagswahl in Hamburg zur stärksten Partei geworden ist. Zwar kann die SPD traditionell bei Bundestagswahlen höhere Stimmergebnisse als im Bundesgebiet erzielen, aber der Erdrutsch bei dieser Wahl von -8,9%, hat dazu geführt, dass der Vorsprung vor dem Bundesergebnis nur noch 3,0% betrug. 2013 waren das noch 6,7%.

Die drastischen Verluste der hanseatischen Sozialdemokratie bei Bundestagswahlen zeigt auch der Vergleich der Stimmergebnisse in den letzten 15 Jahren. Stimmten 2002 noch 404.738 (42,0%) Hamburger BürgerInnen für die SPD, gaben ihr 2017 gaben nur noch 229.935 (23,5%) ihre Stimme – fast eine Halbierung.

 

Aber auch die CDU kann aus dem Umstand, dass sie bei der Bundestagswahl in Hamburg stärkste Partei geworden ist, keinen Honig saugen. Denn sie verliert zwar im Vergleich zu 2013 weniger Stimmen als die Bundespartei, erreicht damit gleichwohl den schlechtesten Zustimmungswert seit 1949.

 

Gewinner der Bundestagswahl in Hamburg waren die kleinen Parteien. DIE LINKE und die GRÜNEN konnten mit einem Plus von 3,4% bzw. 1,2% deutlich stärker abschneiden als ihre jeweilige Bundespartei. DIE LINKE in Hamburg übertrifft mit 12,2% das Bundesergebnis um 3,0%, die GRÜNEN schneiden mit einem Stimmenanteil von 13,9% um 5,0% besser ab. Der Stimmenanteil der FDP in Hamburg von 10,8% entspricht fast dem Bundesergebnis.

Die AfD konnte dagegen in Hamburg erfreulicherweise nicht so deutlich zulegen wie auf Bundesebene. Sie erzielte in der Hansestadt ein Ergebnis von 7,8% und liegt um 4,8% unter dem Bundesergebnis. Das war der geringste Stimmenanteil im Bundesvergleich. In Sachsen hingegen wurde die AfD mit 27,0% stärkste Partei, noch vor der CDU mit 26,9%.

Im Hamburger Parlament verfügen Sozialdemokraten und Grüne noch über eine deutliche Mehrheit – aber in den wichtigen Fragen der nationalen Politik haben sich jetzt 46% für CDU, FDP und AfD entschieden – drei Parteien, die deutlich rechts vom Hamburger Regierungsbündnis stehen. Von dem bundesweiten Niedergang der Sozialdemokratie wird auch die Hamburger SPD nicht unberührt bleiben. König Olaf, der die Landespartei und die Bürgerschaftsfraktion »strikt führt«, lässt erwartungsgemäß keine Selbstkritik aufkommen. »Die SPD hat fünf der sechs Direktmandate in Hamburg geholt, das ist eine sehr gute Leistung. Aber kein Vertun: Mit dem Zweitstimmen-Ergebnis bin ich nicht zufrieden, obwohl es über dem Bundesschnitt liegt.« Sein Mantra: »Viele Hamburger wissen, was sie an der SPD haben.« Ob sich die frühere Wahlkampfformel des »ordentlichen Regierens«nach der gescheiterten Olympia-Bewerbung, der Preisexplosion auf dem Mietwohnungsmarkt und dem Finanzfiasko bei der HSH-Nordbank immer noch als zug- und entscheidungsträchtig erweisen wird, soll hier doch bezweifelt werden.

Hamburg hat zunehmend wirtschaftliche Strukturprobleme und der Anstieg der Bevölkerung wird vom Wohnungsmarkt bis zum öffentlichen Personennahverkehr und der sonstigen sozialen Infrastruktur immer weniger bewältigt. Die Hamburger SPD unterstützte in der jüngeren bundesdeutschen Geschichte nicht den linke Flügel der SPD, sondern war, wie das System Johannes Kahrs in Mitte verdeutlicht, immer eine Stütze des rechten Seeheimer Kreises. Das ist auch das Profil von Scholz. Die anstehende programmatische Erneuerung der SPD nach links wird der Landesorganisation noch reichlich Probleme bescheren.

Armut in Wohlstand (2)

In keinem anderen Bundesland sind die sozialen Unterschiede so groß wie in Hamburg, das wird durch viele Statistiken belegt. Und diese Unterschiede spiegeln sich eben auch im Wahlergebnis der Stadtteile wider. Hamburg ist auch eine politisch gespaltene Stadt. Dies zeigt sich schon bei der Wahlbeteiligung.

Insgesamt ist die Wahlbeteiligung auf Bundesebene wie in Hamburg erfreulicherweise deutlich gestiegen. So nahmen an der Bundestagswahl 2017 in Hamburg 76,0% der Wahlberechtigten teil, das sind 5,7% mehr als 2013. Hamburg folgte damit dem Bundestrend, bzw. lag sogar leicht darüber. Die Wahlbeteiligung in Deutschland insgesamt ist um 4,6% auf 76,2% gestiegen. Damit liegt Hamburgs Wahlbeteiligung jetzt annähernd an dem Ergebnis des Bundesgebietes.
 

Seit den 1980er Jahren waren rückläufige Wahlbeteiligungsquoten, also zunehmende Nicht- Wähleranteile, bei Europa-, Bundestags- und Bürgerschaftswahlen zu verzeichnen. Bis Anfang der 1980er Jahre pendelte die Beteiligung an Bundestagswahlen um 90%, ging dann zurück und bewegte sich zwischen 1990 und 2002 nahezu unverändert um die 80-Prozent-Marke. Bei den Wahlen 2009 und 2013 war ein deutlicher Rückgang zu beobachten. Dieser Trend hat sich nun nicht fortgesetzt. Auf Bundesebene hat davon sehr stark die AfD profitiert. Vermutlich hat auch in Hamburg das hier allerdings relativ bescheidene Plus bei der AfD aus der Aktivierung bisheriger NichtwählerInnen resultiert.

Die Beteiligung an Bürgerschaftswahlen hat sich in den 1990er Jahren auf einem Niveau um die 70% stabilisiert und nimmt seither weiter ab. Europawahlen werden von den WählerInnen offenbar als weniger wichtig erachtet und haben ein deutlich niedrigeres Beteiligungsniveau, seit den 1990er Jahren unter 40%. Gerade dies macht deutlich, dass die WählerInnen von der Wichtigkeit einer Wahl überzeugt sein müssen. Und das war offensichtlich bei der Bundestagswahl wieder öfter der Fall.

Bezirke und Stadtteile

Allerdings zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf die Bezirke, dass die Wahlbeteiligung im Stadtgebiet ganz unterschiedlich ausgeprägt ist. Gingen etwa im Bezirk Eimsbüttel 81,1% der berechtigten BürgerInnen zur Wahl, waren es im Bezirk Mitte nur 67,4%.

Auf der Ebene der Bezirke zeigt sich zudem, dass die SPD mit allerdings bescheidenen 25,5% nur noch im Bezirk Mitte eine relative Mehrheit bei den Zweitstimmen hat. In allen anderen Bezirken hat die CDU, wenn auch mit Verlusten, die Nase vorn. Die SPD verliert in allen Stadtteilen, in 29 Stadtteilen sogar zweistellig. Die höchsten Verluste von Stimmanteilen hat die SPD in Billwerder (minus 15,7%), Veddel (minus 14,4%) und Altona-Nord (minus 13,0%). Nur noch in 34 Stadtteilen ist die SPD stärkste Partei geworden.

Auch die CDU verliert – bis auf Hammerbrook und Sternschanze – in allen Stadtteilen, in 13 Stadtteilen sogar zweistellig. Die höchsten Verluste von Stimmanteilen hat die CDU in Tatenberg (minus 12,3%), Blankenese (minus 11,6%), Neuland/Gut Moor (minus 11,3%) sowie Othmarschen und Neuallermöhe (jeweils minus 11,2%). In 56 Stadtteilen ist die CDU stärkste Partei.
Vergleicht man die Stadtteile, zeigen sich also deutliche Unterschiede: In den links dominierten Vierteln verdienen die Bürger schlechter, es gibt tendenziell mehr Arbeitslose und mehr Migranten. In den konservativ wählenden Stadtteilen leben die BürgerInnen mit den deutlich über dem Durchschnitt liegenden Einkommen, es gibt hier verhältnismäßig wenig Arbeitslose und EmpfängerInnen von Sozialleistungen.

 

Die GRÜNEN erreichen mit 17,9% im Bezirk Altona ihre höchsten Stimmenanteile. Sie gewinnen in fast allen Stadtteilen dazu. In drei Stadtteilen sind die GRÜNEN stärkste Partei mit Spitzenwerten von 26,1% in Eimsbüttel, 26,2% in Ottensen und 24,7% in Hoheluft-West.

DIE LINKE kann in Mitte mit 16,2% und Altona mit 15,7% ihre bemerkenswert höchste Zustimmung erreichen. Sie gewinnt in fast allen Stadtteilen dazu, in vier Stadtteilen sogar zweistellig. In neun Stadtteilen ist DIE LINKE stärkste Partei mit Spitzenwerten von 42,0% in Grasbrook/Steinwerder, 34,9% in der Sternschanze und 33,8% in St. Pauli.

Die FDP gewinnt – vor allem zulasten der CDU – gegenüber der Bundestagswahl 2013 in allen Stadtteilen dazu. Die höchsten Zuwächse gibt es in Wellingsbüttel (plus 11,1%), Nienstedten (plus 10,5%), Wohldorf-Ohlstedt (plus 10,2%) und Lemsahl-Mellingstedt (plus 10,0). In drei Stadtteilen liegt die FDP über 20% (Nienstedten und Wellingsbüttel).

Die rechtspopulistische AfD erzielt mit 11,9% ihr bestes Ergebnis im Bezirk Harburg. Die deutlich meisten Stimmen hat sie allerdings im einwohnerstarken Bezirk Wandsbek, wo sie mit einem Stimmenanteil von 8,9% und 21.095 WählerInnen knapp 1/3 ihrer Gesamtstimmen erhalten hat. Sie gewinnt gegenüber der Bundestagswahl 2013 bis auf Harvestehude in allen Stadtteilen dazu. Den absoluten Spitzenwert erzielt die AfD sie 27,6% in Billbrook, danach folgen Neuallermöhe (18,7 %), Billwerder (17,5%) und Neugraben-Fischbek (16,1%).

Sozial gespaltene Demokratie

Gegenüber der Bundestagswahl 2013 hat die Wahlbeteiligung bis auf Cranz in allen Stadtteilen teilweise deutlich zugenommen. Die Spannbreite reicht von minus 1,8% (Cranz) bis plus 11,5% in Kleiner Grasbrook / Steinwerder. In 19 Stadtteilen lag die Wahlbeteiligung über 85%. Die höchsten Wahlbeteiligungen weisen Wohldorf-Ohlstedt (89,5%), Nienstedten (89,4%) und Groß Flottbek (89,0%) auf. Eine Wahlbeteiligung von unter 60% weisen insgesamt vier Stadtteile auf (Billbrook, Jenfeld, Rothenburgsort, Billstedt).

Entscheidender Faktor für diese unterschiedliche Beteiligung an der politischen Willensbildung ist vor allem die weit auseinanderlaufende ökonomisch-soziale Lage, die soziale Schere, in den Stadtteilen und Bezirken. »Hinter der zunehmenden Ungleichheit der Wahlbeteiligung verbirgt sich eine soziale Spaltung der Wählerschaft. Deutschland ist längst zu einer sozial gespaltenen Demokratie der oberen zwei Drittel unserer Gesellschaft geworden. Die Demokratie wird zu einer exklusive Veranstaltung für Menschen aus den mittleren und oberen Sozialmilieus der Gesellschaft, während die sozial prekären Milieus deutlich unterrepräsentiert bleiben.«(3)

Wer ein gutes Einkommen und oder Vermögen hat, geht zumeist zur Wahl, während derjenige, der eine prekäre Arbeit mit geringen Einkommen oder auf sozialstaatliche Leistungen angewiesen ist, sich so wenig von der Wahl verspricht, dass sie/er auf die Wahrnehmung seiner staatsbürgerlichen Rechte verzichtet. In den Altonaer Stadteilen Nienstedten und Blankenese, wo Durchschnittseinkommen je Steuerpflichtigem von deutlich über 100.000 Euro erreicht werden und kaum Menschen leben, die auf Sozialleistungen angewiesen sind (Quote: 1,2%) liegt die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen bei 86-90%. Dagegen nehmen im Mitte-Stadtteil Billstedt, wo das Durchschnittseinkommen nur knapp 22.000 Euro beträgt und 26,4% der BürgerInnen auf Sozialleistungen angewiesen sind, nur rund 60% der Wahlberechtigten ihr Stimmrecht auch wahr.

Diese Tendenz zur sozialen Spaltung der Wählerschaft hat sich offensichtlich bei der Bundestagswahl nicht weiter verstärkt. Während die Wahlbeteiligung in den Quartieren der Besserverdienenden und Vermögenden leicht zunahm, ist sie in den Stadtteilen, wo viele Menschen mit prekären Lebensverhältnissen leben, z.T. sogar etwas stärker gestiegen.
Gleichwohl weisen immer noch jene Stadtteile eine vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung auf, in denen die Bevölkerung selten SGB II-Leistungen bezieht und/oder das durchschnittliche Einkommen hoch ist. Statusniedrige Wohngebiete mit relativ häufigem Hilfebezug und niedrigem Durchschnittseinkommen sind dagegen durch eine geringe Wahlbeteiligung gekennzeichnet. Bei hohem Hilfeempfängeranteil beträgt die Wahlbeteiligung 65,0%, bei niedriger Hilfequote dagegen 85,4%. In Stadtteilen mit hohem Durchschnittseinkommen gaben 86,1% der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, gegenüber nur 66,1% in Gegenden mit geringem Einkommen. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 gab es in den einkommensschwachen Stadtteilen mit 6,0% den höchsten Anstieg der Wahlbeteiligung. Ob damit die massive Tendenz zu einer sozial gespaltenen Demokratie ein wenig abgebremst wurde, und wem diese Erhöhung der Wahlbeteiligung in Hamburg zugutegekommen ist, bleibt weiter zu untersuchen.

 

Dass die CDU in »statushohen Stadtteilen« überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt, ist wenig überraschend, steht sie doch mit ihrer Politik und Programmatik für die Verteidigung bestehender Einkommens- und Vermögenspositionen. Allerdings hat sie bei der Bundestagswahl bei ihrer bisherigen, eher gutsituierten Wählerklientel deutlich an Unterstützung verloren. »Im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 verliert die CDU in allen untersuchten Stadtgebieten, besonders stark in gutsituierten Wohnlagen. Beispielsweise verschlechtern sich die Christdemokraten in Stadtteilen mit wenigen SGB II-Empfänger/innen um 9,4%, während der Verlust in Vierteln mit hoher Hilfequote lediglich minus 3,4% beträgt.«(4)

Von dieser Umgruppierung im bürgerlichen Lager hat zum einen die FDP profitiert, weil sich ein Teil der bürgerlichen WählerInnen von neoliberaler Politik eine bessere Sicherung ihrer Interessen verspricht. »Sie erzielt Ihre besten Ergebnisse wie schon bei der letzten Bundestagswahl in den Wohngebieten mit hohem Status, hier liegt sie nach CDU und SPD auf Rang drei. Ihr Stimmenanteil in Gegenden mit hohem Einkommen beläuft sich auf 17,0%. In Stadtteilen mit niedrigem Einkommen ist er dagegen weniger als halb so hoch (7,0%). Im Vergleich zur Wahl 2013 hat die FDP in allen untersuchten Stadträumen deutlich gewonnen. Besonders groß sind die Zuwächse in ihren statushohen Hochburgen, wo die Freidemokraten 8,9% (Stadtteile mit hohem Einkommen) bzw. 8,0% (Stadtteile mit wenigen Empfänger/innen von SGB II-Leistungen) hinzugewinnen. « (5)  In wohlhabenden Gegenden wie der HafenCity, Blankenese, Wellingsbüttel oder Nienstedten hat die FDP massiv Stimmen gewonnen und teilweise Ergebnisse über 20 Prozent geholt, gleichzeitig hat die CDU in diesen Stadtteilen teils mehr als zehn Zähler verloren. Hier dürften viele enttäuschte CDU-Wähler zur FDP zurückgekehrt sein.

Die GRÜNEN erzielen die besten Ergebnisse in Gebieten mit hohem Einkommen: 16,4%. Gleichzeitig erringt die Partei in Quartieren mit niedrigem Bezug von SGB II-Leistungen mit 14,5% mehr Stimmenanteile als in den Stadtteilen mit hohem Hilfeempfängeranteil (10,7%). Bei der Bundestagswahl 2013 hatten die GRÜNEN in den Stadtteilen mit vielen SGB II-Empfänger/ innen noch eine größere Wählerschaft als in den Stadtteilen mit wenigen Leistungsempfänger/innen. Die Zuwächse sind demzufolge in den gut situierten Gebieten höher.

Der neben der FDP andere Profiteur der Zersplitterung des bürgerlichen Lagers ist die rechtspopulistische »Alternative für Deutschland« (AfD), die einem starken Zustrom ehemaliger CDU-WählerInnen verzeichnen konnte und 7,8% der Stimmen erreichte. Allerdings hat die AfD als für den Rechtspopulismus charakteristische Sammlungsbewegung auch Resonanz in z.T. prekären Milieus der unteren gesellschaftlichen Mitte erfahren. »Der Stimmenanteil der AfD ist dagegen in statusniedrigen Gebieten sehr hoch. So erzielt die Partei etwa in Stadtteilen mit hohem Anteil von Leistungsbezieher/innen nach SGB II
12,2% der Stimmen, in den Gegenden mit wenigen Hilfebezieher/innen ist die Zustimmung mit 6,9% deutlich geringer. Die Zuwächse seit der letzten Bundestagswahl sind in den Stadtteilen mit hohem SGB II-Bezug am höchsten (7,5 Prozentpunkte). In gut situierten Wohnlagen konnte die AfD dagegen nur 2,7 bzw. 1,3 Prozentpunkte hinzugewinnen.« (6)
 


Bei durchgängigen
, teils dramatischen Verlusten, schneidet die SPD »auch diesmal in Stadtteilen mit geringem sozialen Status deutlich besser ab, als in sozialstrukturell privilegierteren Gegenden. In Gebieten mit hohem Bezug von SGB II-Leistungen erzielt sie 26,3%, in solchen mit geringem Hilfeempfängeranteil dagegen nur 18,2%. In Wohnlagen mit niedrigem Durchschnittseinkommen stimmten 25,9%, in Gebieten mit hohem Einkommen dagegen nur 17,7% für die SPD. Die Sozialdemokraten verlieren im Vergleich zur Vorwahl in allen betrachteten Gebieten stark. Dabei sind die Verluste in ihren traditionellen Hochburgen mit sozial eher benachteiligter Bevölkerung etwas höher. Beispielsweise liegt der Verlust in den einkommensschwächsten Stadtteilen bei minus 9,6%, in den einkommensstärksten Wohnlagen aber auch bei minus 8,3%.«(7)

Diese Stimmenverluste der Sozialdemokratie vor allem in einkommensschwächeren Stadtteilen hängen mit der hartnäckigen Ignoranz gegenüber der sozialen Spaltung in Bund und Stadt zusammen, die bei vielen WählerInnen dazu geführt hat, dass die Partei nicht mehr als Vertreterin von sozialer Gerechtigkeit wahrgenommen wird.

Zusammenfassend: Hamburgs SPD-Spitzenkandidatin Aydan Özoguz sprach zu Recht von einem »katastrophalen Ergebnis für die Sozialdemokraten«. Ihre Partei müsse nun in die Opposition gehen und sich erneuern. Dass die SPD in Hamburg noch größere Verluste eingefahren hat als im Bund begründete Özoguz damit, dass die Sozialdemokraten von einem sehr hohen Niveau kämen. »Da kann man dann auch leichter verlieren.« Obwohl Hamburg in der Führung der Bundespartei gut vertreten ist, sind von diesen PolitikerInnen wie von der Landesorganisation kaum inhaltliche Impulse für die anstehende Erneuerung zu erwarten. Unter Führung von Scholz dominiert das Weiter so: Scholz ist sich sicher, »dass die Arbeit des Senats in der Stadt viel Zustimmung findet. Wir schaffen jährlich mehr neue Sozialwohnungen als alle westdeutschen Flächenländer zusammengezählt. Wir haben die Kita-Beitragsfreiheit eingeführt, und in Hamburg sind nahezu alle Schulen Ganztagsschulen. Das ist etwas ganz Besonderes. Hamburg hat ein robustes Wirtschaftswachstum, und bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen gelten wir bundesweit als vorbildlich.« Soziale Spaltung ist für ihn kein Thema. Die gigantische Verschwendung von Steuergeldern in der Affäre HSH- Nordbank keine Erwähnung wert. Die Defizite in der kommunalen, öffentlichen Infrastruktur werden beiseite gewischt. Und die Wohnungsprobleme werden mit Blick auf den Bau neuer, zumeist teurer Wohnung weg geredet. Fakt ist aber: Die BürgerInnen in Hamburg beschäftigen dieselben vier Probleme, wie in anderen bundesdeutschen Metropolen:
•    bezahlbarer Wohnraum,
•    fairer Lohn,
•    soziale Gerechtigkeit,
•    Kampf gegen Armut.

Die Fraktionschefin der LINKEN, Sabine Boeddinghaus, bringt die Arroganz des Hamburger König Olaf zu Recht auf den Punkt: »Ihre Botschaft an die Hamburger Wählerinnen und Wähler ist, ihr habt mich nur nicht verstanden, ihr seid zu dämlich.« Die Art wie der Bürgermeister sich von den BürgerInnen seiner Stadt distanziere, »geht für einen Sozialdemokraten nicht. Sie verstehen die Realitäten der Menschen nicht.«

Auch der Co-Partner der Hamburgischen Sozialdemokratie zeigt wenig Neigung, die Themen soziale Spaltung und Deformation der öffentlichen Infrastruktur stärker in den Vordergrund ihres landespolitischen Agierens zu rücken. Ihr verbessertes Wahlergebnis in Hamburg basiert ja vor allem auf dem Zuwachs an Stimmen in den Quartieren der Besserverdienenden.

Die bürgerlichen Oppositionsparteien sind auf Landesebene keine wirkliche Bedrohung für Rot-Grün, da die CDU seit den Zeiten von Ole von Beust (und Ahlhaus) so weit nach rechts gerückt ist, dass sie in absehbarer Zeit keine mehrheitsfähige politische Option für die Zukunftsentwicklung der Stadt auf die Beine stellen wird. Und die FDP wird mit ihrer Art eines modernisierten Neoliberalismus a la Lindner und Suding sehr schnell an die Grenzen ihres Wirkungseinflusses stoßen. Dagegen sollte man sich nach dem relativ schlechte Abschneiden der AfD in Hamburg nicht der Hoffnung hingeben, dass sie in der Stadt auf diesem Niveau auch tatsächlich stehen bleiben wird.


Die soziale Spaltung ist dagegen das Thema der Linkspartei. Sie hatte im Wahlkampf dazu ein klares Profil. »DIE LINKE findet auch diesmal in statusniedrigen Wohngebieten vergleichsweise viel Zustimmung, hier nimmt sie nach SPD und CDU Rang drei ein. Beispielsweise liegt ihr Stimmenanteil in Wohnvierteln mit überdurchschnittlich vielen SGB II-Leistungsbezieher/ innen bei 16,7%, gegenüber 8,3% in Gebieten mit geringer Hilfequote. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 hat die Partei insbesondere in einkommensschwachen Gegenden an Zustimmung gewonnen (plus 4,5%). Auch bei dieser Wahl ist der Zusammenhang zwischen der Sozialstruktur der Stadtteile und dem Wahlergebnis bei DIE LINKE besonders deutlich ausgeprägt.«(8)

Schließlich zeigen die Ergebnisse der Bundestagswahl auch, dass die AfD, wie andere rechtspopulistische Parteien, vor dem Hintergrund weiterer sozialer Polarisierung und wachsender Enttäuschung über das politische System als Sammlungsbewegung unterschiedlicher sozialer Interessen erhebliches Entwicklungspotential hat. Ihr Wahlerfolg bei der Bundestagswahl ,markiert eine dramatischen Verschiebung des politischen Tektonik der Berliner Republik. Auch BürgerInnen in den prekären und benachteiligten Stadtquartieren sind für die Wut- und Protesthaltung seitens der AfD empfänglich. Gleichwohl dominiert hier eher die Tendenz der Wahlabstinenz.

Schlussfolgerung: Eine mögliche Jamaika-Koalition wird die ökonomisch-sozialen Spaltungstendenzen in der Berliner Republik eher verstärken und damit den Nährboden für den Rechtspopulismus erweitern. Wird weiterhin zu wenig gegen die ökonomisch-sozialen Zersetzungsprozesse (Prekarisierung der Lohnarbeit, wachsende Armut) auf Landes- wie Bundesebene getan, wird die Diskreditierung des politischen Systems weiter voranschreiten. Ob die Sozialdemokratie in der Opposition eine selbstkritische Korrektur ihrer bisherigen Politik gelingt, bleibt abzuwarten. Auch auf Hamburger Landesebene ist dringend ein Politikwechsel erforderlich.  Allerdings sind hier bisher keine Ansätze dafür erkennbar, da die Sozialdemokratie das Thema der sozialen Spaltung für zweitrangig erklärt und ihr grüner Koalitionspartner auch für nicht mehr als ein paar kosmetischen Korrekturen steht.

Der massive Verlust an Zustimmung der SPD in Hamburg sollte auch für die Landespartei wie ihren Vorsitzenden, Scholz, ein Warnsignal sein. Versuche, mit dem Hinweis auf das unterschiedliche Wahlverhalten bei Bundes- und Bürgerschaftswahlen, auf der Landesebene am »Weiter so« festzuhalten, wäre für die Sozialdemokratie (wie auch für die Demokratie) gefährlich.

1)  Vgl. Redaktion Sozialismus, Die Berliner Republik rückt nach rechts, in: Sozialismus Heft 10/2017; www.sozialismus.de/detail/artikel/die-berliner-republik-rueckt-nach-rechts-1/
2)  vgl. dazu Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Soziale Ungleichheit im Wohlstand. Reichtum und Armut in Hamburg, Studie im Auftrag der Fraktion DIE LINKE in der Hamburg Bürgerschaft, September 2017. Die Studie versucht auf Basis der verfügbaren sozialstatistischen Daten ein möglichst umfassendes Bild der ökonomisch-sozialen Situation in der Stadt zu zeichnen, und Elemente einer alternativen Reformpolitik zu skizzieren. Sie kann auf der Fraktionsseite der Bürgerschaftsfraktion und auf nordLINKS heruntergeladen werden. Gedruckte Exemplare gibt es bei der Bürgerschaftsfraktion der LINKEN.
3)  Armin Schäfer, Robert Vehrkamp, Jérémie Felix Gagné, Prekäre Wahlen. Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013, Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung; www.wahlbeteiligung2013.de/fileadmin/Inhalte/Studien/Wahlbeteiligung-2013-Studie.pdf.
4)  Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig Holstein, Analyse der Bundestagswahl am 24. September 2017 in Hamburg, Vorläufige Ergebnisse , S. 11
5)  ebd., S. 12
6)  ebd.
7)  ebd.
8)  ebd.

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