22. Februar 2019 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Vorsorgende Haushaltspolitik?
Von Hamburgs Finanzsenator Dressel kommt die Botschaft, die rot-grüne Koalition verfolge erfolgreich eine »vorsorgende Haushaltspolitik«. In Anspielung auf den früheren Bürgermeister Scholz, der gerade das Ende der fetten Jahre verkündet, kann Dressel beruhigen: Die vorsorgende Haushaltpolitik ermögliche es außerdem, »weiter Vorsorge für Zeiten zu treffen, in denen es vielleicht einmal nicht mehr so gut läuft«.
Nach vorläufigen Zahlen hat die Stadt das Jahr 2018 mit einem Rekordüberschuss von 1,070 Mrd. Euro abgeschlossen. »Auch dank guter Steuereinnahmen war 2018 ein für Hamburg starkes und sehr erfolgreiches Haushaltsjahr«, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). Logischerweise ist ihm dies »Ansporn, unseren finanzpolitischen Kurs des Investierens und Konsolidierens weiter fortzusetzen«. Gleichzeitig zeigt er sich auch ganz selbstzufrieden mit der Entscheidung des rot-grünen Senats angesichts der deutlichen Zunahme der Hamburg Bevölkerung endlich mehr Geld auszugeben, um die massiven strukturellen und sozialen Defizite der Stadt anzugehen. Deswegen hatte der Senat die Ausgaben im vergangenen Sommer noch für 2018 um rund eine Mrd. Euro erhöht, ein Kurs der auch mit dem Doppelhaushalt 2019/2020 fortgesetzt wird. »Es war richtig, den Wachstumsfaktor bereits für das Jahr 2018 im Haushaltsnachtrag abzubilden.«
Rekord bei Steuereinnahmen
Das Wunder der versorgenden Haushaltspolitik beruht auf zwei Faktoren: wachsenden Steuereinnahmen und niedrige Zinsen. Die Steuereinnahmen der Stadt haben der Politik den Handlungsspielraum zurückgegeben. Sie lagen 2018 mit 12,86 Milliarden Euro noch einmal knapp eine Milliarde über dem bisherigen Rekordjahr 2017. Im Vergleich zu 2006 flossen 2018 beeindruckende fünf Mrd. Euro (+63%) mehr in die Staatskasse, im Vergleich zu 2011, dem Jahr, in dem die Folgen der großen Krise auch in Hamburg langsam nachließen, sind es immer noch drei Mrd. Euro.
Außer bei der Abgeltungssteuer (etwa auf Kapitalerträge) lagen die Einnahmen 2018 in allen Steuerarten deutlich über denen des Vorjahres. So legten die Gewerbesteuer (stieg um 225 Mio. auf 2,38 Mrd. Euro), die Lohnsteuer (plus 180 Mio. auf 3,83 Mrd. Euro), die Grunderwerbssteuer (plus 130 auf 562 Mio. Euro) und die Umsatzsteuer (plus 130 Mio. auf 2,06 Mrd.) kräftig zu. Umgekehrt sank die Zinsbelastung von 475 auf 454 Mio. Euro. »Das gute Ergebnis ermöglicht uns außerdem, weiter Vorsorge für Zeiten zu treffen, in denen es vielleicht einmal nicht mehr so gut läuft«, so Dressel in seinem Selbstlob auf die »vorsorgende Haushaltspolitik«.
Der Schuldenberg wächst und wächst
Zur »vorsorgenden Haushaltspolitik« gehört allerdings auch, dass die Schulden der Stadt weiter stark angestiegen sind, allerdings ist dieser Anstieg nicht quälend, weil die Zinsbelastung tief bleibt. Durch den Verkauf der HSH Nordbank, in dessen Zuge Hamburg und Schleswig-Holstein alte Garantien einlösen mussten, wurde der öffentliche Haushalt erneut mit 2,4 Mrd. Euro belastet, und noch immer liegt die Endabrechnung nicht vor. Insgesamt summieren sich die Belastungen durch die Landesbank seit 2007 auf mindestens jeweils 15 Mrd. Euro für Hamburg und Schleswig Holstein. (1)
Der rot-grüne Senat hat nun entschieden, wie im Vorjahr den Haushaltsüberschuss für die Tilgung von gut 900 Mio. Euro zu verwenden, wodurch sich die Kreditaufnahme auf 1,5 Mrd. reduziert, was aber immer noch ein Negativ-Rekord war. Anders formuliert: Statt für das HSH-Drama fast 2,5 Mrd. Euro neue Kredite aufnehmen zu müssen, konnte der rot-grüne Senat diese Belastung durch hohe Überschüsse im Haushalt auf 1,5 Mrd. Euro drücken. Der Schuldenstand im Kernhaushalt (also ohne öffentliche Unternehmen) stieg dadurch auf 23,9 Mrd. Euro. Unterm Strich stieg der Schuldenstand Hamburgs dadurch von 22,4 auf 23,9 Mrd. Euro. Nimmt man noch die Schulden der Sondervermögen Schulimmobilien Hamburg und Stadt und Hafen dazu, hat der Schuldenstand Ende 2018 bei knapp 26,0 Mrd. Euro gelegen.
Aber selbst diese Zahlen sind nur die halbe Wahrheit. Denn trotz des Jubels über die Haushaltskonsolidierung, der inzwischen etwas verhaltener klingt, rutscht Hamburg immer tiefer in die roten Zahlen. Beachtet man die kaufmännische Bilanz des »Konzerns Hamburg«, sind die Schulden der Stadt 2016 um knapp 2,3 Mrd. Euro gestiegen. Das war ein Plus von 7,8%. Der Hintergrund auch hier: Hamburg und Schleswig-Holstein mussten faule Altkredite der HSH-Nordbank übernehmen.
Quelle: Statistisches Bundesamt
Hamburg und Schleswig Holstein waren damit die einzigen Länder in Deutschland, deren Verschuldung 2016, 2017 und auch 2018 nennenswert anstieg. 2017 hatte die Hansestadt 32,6 Mrd. Euro Schulden. Sie setzen sich zusammen aus den 22,3 Mrd. Euro Schulden des Kernhaushalts und den 10,8 Mrd. Euro Schulden der Extrahaushalte. Nimmt man noch die Schulden von dem öffentlichen Bereich zuzurechnenden Sonstigen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen in Höhe von 4,9 Mrd. Euro hinzu kommt man auf eine Gesamtverschuldung von 37,5 Mrd. Euro in 2017. Die Pro-Kopf-Verschuldung betrug (ohne Sonstige Fonds etc.) 17.885 Euro. Und: Die Schulden der Stadt sind seit 2010 um 12,4 Mrd. Euro gestiegen, die Pro-Kopf-Verschuldung um 3.750 Euro. Ein wirklich überzeugendes Ergebnis der vorsorgenden Haushaltspolitik.
Was Dressel als politische Gestaltungsleistung anpreist, ist in Wirklichkeit die Kombination von wachsenden Steuereinnahmen (angesichts der fortbestehenden Defizite im Steuervollzug kein politischer Erfolg) und sinkenden Zinsen. Die Zinsen für den Schuldendienst Hamburgs sind in den letzten Jahren rückläufig. Dies ist den historisch niedrigen Zinsen und entsprechenden Umschuldungen zu verdanken. Gleichzeitig hat keine nennenswerte Schuldentilgung stattgefunden. Aktuell ist mit einer signifikanten Erhöhung des Zinssatzes nicht zur rechnen. Für 2017 wurde mit einem Zinssatz für neue Kreditaufnahmen in Höhe von 2,5 % und ab 2018 in Höhe von 3,5 % geplant.
In keinem anderen Bundesland haben sich die öffentlichen Finanzen im letzten Jahr so schlecht entwickelt wie in Hamburg. Immerhin 13 Länder konnten sogar Schulden abbauen. Hamburg hat dagegen die größte Neuverschuldung zu verzeichnen. Die Hansestadt hat ihre Verbindlichkeiten 2017 um 4,7% ausgeweitet und damit so stark wie kein anderes Bundesland. Diese Tendenz hat sich auch 2018 fortgesetzt. Das gilt auch für die nächsten Jahren, wenn weitere Belastungen aus dem Verkauf der HSH Nordbank den öffentlichen Haushalt belasten werden. Immerhin wissen wir seit der Vorlage des Doppelhaushalts 2019/2020, dass der Schuldendienst für die Kredite in Sachen HSH Nordbank den Haushalt schon jetzt mit jährlich 50 Mio. Euro an Zinsen belastet.
Nachhaltige Finanzpolitik?
Finanzsenator Dressel sieht in der Altschuldentilgung einen Beweis der nachhaltigen Finanzpolitik. »Erfreulich ist auch, dass wir die Auswirkungen der HSH Nordbank auf den Schuldenstand der Stadt begrenzen konnten – das minimiert Belastungen in der Zukunft. Unsere konkret am Wachstum der Stadt ausgerichtete, stringente Ausgabenpolitik sowie sehr hohe Steuereinnahmen und ein niedriges Zinsniveau haben zu diesem gegenüber dem ursprünglichen Plan erfolgreichen Ergebnis beigetragen. Wir gehen den erfolgreichen Pfad von Investieren und Konsolidieren für den Hamburger Haushalt konsequent weiter. Das nächste Ziel ist der doppische Budgetausgleich im Jahre 2024.«
Das »Minimieren von Belastungen« in der Zukunft wird angesichts weiter steigender Schuldenstände ebenso ein frommer Wunsch bleiben wie der doppische Budgetausgleich 2024. Zudem stellt sich die Frage, ob die Altschuldentilgung angesichts der großen Herausforderungen, vor der die Stadt steht, eine kluge politische Entscheidung ist. Dazu gehört auch die deutliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums – auf Bundesebene gab es im IV. Quartal 2018 nur mehr ein Nullwachstum ¬, mit den entsprechenden Folgen für die Steuereinnahmen.
Der rot-grüne Senat hat im letzten Jahr löblicherweise seinen in der Vergangenheit begangenen »Pfad von Investieren und Konsolidieren« modifiziert, weil die Politik der strengen Haushaltskonsolidierung die städtischen Defizite immer deutlicher hat zutage treten lassen. Begründet wurde das mit dem Wachstum der Stadt und den sich daraus ergebenden größeren Anforderungen an die öffentliche Infrastruktur. Und in der Tat: Allein der Bevölkerungszuwachs hat anfangen vom Wohnen, über die Bildung bis hin zu Gesundheit und Alter die bisherige Konzeption der Politik der Haushaltskonsolidierung durchlöchert und deren negativen Folgen für die Entwicklung der Stadt noch deutlicher zutage treten lassen: Verfall der öffentlichen Infrastruktur, dramatischer Mangel an preiswertem Wohnraum, Verfestigung der sozialen Spaltung und wachsender Schuldenberg. Vorsorgende Haushaltspolitik hätte darin bestehen müssen, die öffentliche Infrastruktur (d.h. auch die personelle Ausstattung) kontinuierlich an das Bevölkerungswachstum anzupassen. Faktisch hat die Hansestadt ihren Bürger*innen eine zu kleine öffentliche Infrastruktur zugemutet, hat ein Jahrzehnt den hohe Überschuss bei den Steuern in die Konkursvermeidung und letztlich die Privatisierung der HSH Nordbank gesteckt, und versucht jetzt im Übergang zu den >mageren Jahren< eine Modernisierung der Infrastruktur zu organisieren – und auch dies ohne Zukunftskonzeption.
Unter dem Druck der Verhältnisse hat der rot-grüne Senat deshalb seine bisherige Politik der Haushaltskonsolidierung (teilweise) korrigiert und nutzt die relativ guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die damit einhergehenden Steuermehreinnahmen, um mit dem Nachtragshaushalt 2018 und dem Doppelhaushalt 2019/2020 mit einer deutlichen Steigerung der Ausgaben einige Fehlentwicklungen in der Stadt zu korrigieren. Dies ist gut so, reicht aber nicht aus. Vor allem fehlt dahinter ein Plan für Hamburgs Zukunft. Das bloße Reagieren auf sich auf städtische Notlagen führt nur zu einer Mangelwirtschaft in Permanenz. Zudem muss bezweifelt, ob schon allein die aus den jährlich 20.000 neuen Bewohner*innen sich zusätzlich ergebenden Anforderungen an die öffentliche Infrastruktur (vor allem Verkehr, Wohnen) und die staatlichen Dienstleistungen mit diesen Ausgabesteigerungen bewältigt werden können – geschweige denn die Beseitigung der sich über lange Jahre aufgebauten strukturellen Defizite. Beispiel Wohnungsbau. Wenn jedes Jahr 20.000 Menschen zusätzlich in die Stadt kommen, reichen die projektierten 3.000 neuen preiswerten Wohnungen nicht einmal aus, um diese Neuankömmlinge unterzubringen. Am Fehlbestand von 80.000 preiswerten Wohnungen ändert sich nichts, im Gegenteil wird er durch Wohnungen, die aus der Preisbindung fallen, nur noch größer.
Die über den Wachstumsfaktor mobilisierten Finanzmittel reichen deshalb nicht aus, um auch nur die Folgen des Bevölkerungszuwachses aufzufangen. Die städtischen Defizite werden vielmehr trotz Mehrausgaben größer. Beispiel Wohnungspolitik: Wenn im Doppelhaushalt 2019/2020 an der Linie festgehalten wird, 3.000 preiswerte Wohnungen im Jahr zu bauen, reicht das nicht einmal, um die Neuankömmlinge unterzubringen, geschweige denn das Problem der strukturell fehlenden 80.000 preiswerten Wohnungen in der Stadt (und jährlich kommen die aus der Sozialbindung fallenden Wohnungen hinzu) anzugehen. Das Gleiche ließe sich für die Bereiche Schulen, Kindergärten oder öffentlicher Nahverkehr sagen. Die hierfür trotz deutlicher Ausgabensteigerung vorgesehenen Mittel sind alles andere als »auskömmlich«. Hinzu kommen die großen Probleme in der Wirtschaftsstruktur Hamburgs. Denn trotz aller Positivmeldungen über Wirtschaftswachstum, hohen Beschäftigungsstand und Rekordeinnahmen bei den Steuern, darf nicht vergessen werden, dass vor allem die Hamburger Hafenwirtschaft immense Probleme hat.
Der rot-grüne Senat hätte deshalb sehr viel besser daran getan, angesichts des immer noch niedrigen Zinsniveaus die zur Schuldentilgung genutzten Mittel mindestens teilweise für die Investitionen in die großen städtischen Defizite zu nutzen und auch mehr gegen die soziale Spaltung in der Stadt, etwa zur Bekämpfung von Obdach- und Wohnungslosigkeit, zu tun. Das wäre auch angesichts der sich abschwächenden Konjunktur ein eigentlich unverzichtbarer Beitrag zur Stützung der regionalen Wirtschaftskreisläufe. Man müsste eigentlich erwarten können, dass die Warnung des früheren ersten Bürgermeisters der Stadt, Scholz, »Die fetten Jahre sind vorbei«, auch in der Landespolitik seinen Widerhall findet.
1) Vgl dazu die weit höheren Schätzungen in den Analysen zum HSH-Bank-Desaster in diesem Blog.