31. Januar 2012 Joachim Bischoff und Bernhard Müller
Vom klammheimlichen zum radikalen Sparkurs
In einem bemerkenswerten Interview hat der oberste Hüter über den Haushalt der Stadt, Finanzsenator Tschentscher, die BürgerInnen Hamburgs auf sehr magere Zeiten eingeschworen. »Wenn die Behörden ihre Haushalte im Juni präsentieren, dann wird es das eine oder andere lange Gesicht geben, also auch eine gewisse Enttäuschung. Viele versprechen sich am Ende doch immer mehr, als wir bezahlen können. Deshalb befürchte ich, dass im Juni eine Enttäuschung darüber eintritt, was Haushaltssanierung tatsächlich bedeutet.«
Der Finanzsenator verteidigt den vom SPD-Senat eingeschlagenen rigiden Sparkurs, der darauf hinausläuft, bis 2020 den Zuwachs bei den Ausgaben auf unter 1% zu begrenzen, um gemäß den Anforderungen der »Schuldenbremse« zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen.
Aus diesem Grund hat sich der SPD-Senat auch geweigert, die Steuermehreinnahmen in 2011 für Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit und Investitionen in die Zukunft der Stadt zu verwenden. »Wir haben dann alle Mehreinnahmen, die durch die gute Konjunktur hineinkamen, nicht wieder in Mehrausgaben umgesetzt – wie es die Vorgängersenate oft getan haben – sondern gesagt: Wir haben trotzdem kein Geld.«
Dabei sind die Steuereinnehmen 2011 wegen der günstigen Konjunktur außerordentlich gestiegen und haben selbst die positiven Schätzungen aus dem November 2011 übertroffen. Gegenüber der Ursprungsplanung noch des schwarz-grünen Senats addieren sie sich auf über eine Mrd. Euro (gegenüber der Mai-Steuerschätzung auf etwa 350 Mio. Euro). Durch diese Mehreinnahmen und eine klammheimliche Sparpolitik, die auch vor dem Zusammenstreichen öffentlicher Investitionen nicht halt gemacht hat, konnte das ursprünglich eingeplante Defizit von 1,4 Mrd. Euro auf unter 700 Mio. Euro gedrückt werden. Ist das nun eine »politische Leistung, die bislang nicht hinreichend gewürdigt wurde«? (Tschentscher)
Dazu sagt der Landesrechnungshof: im Grundsatz ja. In seinem »Jahresbericht 2012« begrüßt er den eingeschlagenen Konsolidierungskurs. Es sei einiges mit gutem Willen auf den Weg gebracht worden. »Insbesondere sind die Wegweiser richtig aufgestellt: Haushaltsausgleich spätestens 2020, Konjunkturbereinigung von Einnahmen, jährliche Steigerungsraten unter 1%.« Allerdings geht dem Rechnungshof der eingeschlagene Kurs noch nicht weit genug: »Die Umsetzung aber lässt noch zu wünschen übrig (...) Wesentliche, von Hamburg gestaltbare Aufgabenfelder, werden zu Schonbereichen erklärt. Wo wirklich gespart werden soll, bleibt offen. Ein Konsolidierungserfolg ist nur bei – bisher fehlenden – aufgabenkritischen Eingriffen in die überproportional steigenden Ausgaben für Personal und gesetzliche Leistungen realistisch.« Im Kern läuft das auf eine sehr viel rigideren Personalabbau im öffentlichen Dienst hinaus, als ihn der SPD-Senat mit 250 Stellen pro Jahr eh schon plant. Der Rechnungshof argumentiert in Richtung FDP und CDU und fordert einen weiteren Stellenverzicht von 700 Arbeitsplätzen pro Jahr.
Nun steht diese Forderung nach einer rigorosen Sanierung des Hamburger Haushalts zulasten der Beschäftigten, eines vernünftigen Angebots öffentlicher Dienstleistungen und der benachteiligten BürgerInnen der Stadt in einem merkwürdigen Kontrast zu der Feststellungen des Rechnungshofs über die marode städtische Infrastruktur. »Nicht nur bei Schulen, Hochschulen, Theatern und Parks, auch bei anderen Gebäuden der Stadt – von Musen über Vollzugsanstalten bis hin zu Brücken und Tunneln – wurde und wird zu wenig für Erhaltung und Modernisierung getan. Die von uns ermittelten bzw. geschätzten Zahlen sind dramatisch: Die langjährige, gegen Nachhaltigkeit verstoßende Vernachlässigung, hat allein im Hochbau und im Tiefbau zu 4,7 Mrd. Euro aufgestauten Sanierungsbedarfen geführt. Die Stadt hat offenbar die alte Mahnung Herbert Weichmanns vergessen, dass die Investitionsausgaben der Gegenwart die Betriebskosten der Zukunft sind. Die Folgen für den Betriebshaushalt sind dramatisch: Allein für die Unterhaltung ihrer Bauten muss die Stadt jährlich über 300 Mio. Euro zusätzlich und dauerhaft aufbringen.«
Nachhaltigkeit sieht anders aus: »Das im Haushalt ausgewiesene Defizit zeigt dabei nur einen Teil des Haushaltsproblems. Viele Belastungen, denen die Stadt nicht mehr ausweichen kann, bildet es nicht ab: Neben der zu erhöhenden Bau- und Straßenunterhaltung (einschließlich Grünanlagen und Ingenieurbauten fehlen hier rund 100 Mio. Euro jährlich) sind dies beispielsweise die künftige Finanzierung des Hafens nach dem Verbrauch der HHLA-Milliarde mit jährlich weiteren 100 Mio. Euro, die Ausfinanzierung des ›Sondervermögens Schule – Bau und Betrieb‹ durch kostendeckende Mieten aus dem Haushalt (100 Mio. Euro) oder die Finanzierung eines ebensolchen Mietmodells für die Gebäude der Hochschulen.«
Für diese Konstellation von Überschuldung, Haushaltskonsolidierung und notwendigen Zukunftsinvestitionen haben der Rechnungshof wie auch der SPD-Senat keine Idee. Das Primat der Ausgabenkürzungen treibt die Stadt vielmehr immer tiefer in die Schuldenfalle. Wegen der Reduktion des staatlichen und privaten Konsums werden die regionalen Wirtschaftskreisläufe beschädigt, was zwangsläufig die Staatseinnahmen mindert etc.. Dies produziert erneut Anpassungszwänge bei den Ausgaben.
Aus diesem Teufelskreis kommt man nur heraus, wenn man die »Schuldenbremse« nicht einseitig im Sinne von Verminderung öffentlicher Aufgaben und Ausgabenkürzungen auslegt. Durch die rigorosen Steuersenkungen zugunsten der Unternehmen und Vermögensbesitzer in den letzten 20 Jahren wurde die Einnahmebasis des Staates systematisch ausgehöhlt. Die Krise der Staatsfinanzen ist deshalb nicht in erster Linie eine Ausgaben-, sondern ein Einnahmeproblem. Nur mit einer deutlichen Verbesserung der Einnahmen lässt sich ein qualitativ hochwertiger öffentlicher Dienst und eine den Anforderungen der Zukunft entsprechende staatliche Infrastruktur sicherstellen.
Die Stellschrauben für eine solche Einnahmepolitik, die es dann auch erlaubt, die Schulden zurückzuführen, liegen auf der Hand. Auf Landesebene gehört dazu eine angemessene personelle Ausstattung des Steuervollzugs. Auf die Missstände im Hamburger Steuervollzug weist der Landesrechnungshof eindrücklich hin: »Bei der Berechnung des Personalbedarfs der Steuerfahndung ist 2008 ein Abschlag von 15% vorgenommen worden, ohne den angeblichen Minderbedarf schlüssig zu begründen. Mehr als 100 der Betriebsprüfung zugeordnete Stellen werden im Veranlagungsbereich der Finanzämter genutzt.«
Für ein Gemeinwesen, das dem Grundsatz der Gleichheit aller BürgerInnen vor dem Steuergesetz verpflichtet ist, gilt der schöne Satz aus dem jüngsten Rechnungshofbericht: »Aus einnahme- und insofern qualitätsorientierter Sicht muss es darum gehen, den Personalbedarf der Finanzämter möglichst realitätsgerecht zu ermitteln…Eine realitätsgerechte Ermittlung des Personalbedarfs ist auch in Zukunft von erheblicher Bedeutung für die Einwerbung von Haushaltsmitteln. Nur wenn etwaige Diskrepanzen zwischen Personalbedarf und Stellenausstattung ermittelt worden sind und nachvollziehbar dargestellt werden kann, in welchem Umfang Stellen nötig wären, ist es möglich, bei den Budgetverhandlungen eine Diskussion über Handlungsoptionen unter der Bedingung begrenzter finanzieller Mittel zu führen und für die Bürgerschaft transparente Entscheidungsgrundlagen zu schaffen.«
Praktisch heißt »moderne Verwaltungspraxis« im Steuervollzug: »Die in den Verwaltungsgliederungsplänen der Finanzämter ausgewiesenen Prüferstellen, die das Ergebnis der jeweils letzten Personalbedarfsberechnung widerspiegeln, werden seit mehreren Jahren durchschnittlich zu mehr als 16 % nicht für die Betriebsprüfung, sondern im Innendienst der Finanzämter genutzt. Nach der letzten Personalbedarfsberechnung 2008 wurden 690 Stellen der Betriebsprüfung zugeordnet. Tatsächlich wurden jedoch nur 578 Stellen mit Betriebsprüfern besetzt.«
Hier besteht also dringender Handlungsbedarf. Aber der Kollege Tschentscher wird wenig verändern und umso mehr über die »langen Gesichter« bei BürgerInnen über schlechte und gekürzte Leistungen philosophieren.
Weitere Stellschrauben auf der Einnahmenseite sind: die Erhöhung der Einkommenssteuer für Besserverdienende, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Erhebung des Grundsteuer auf Basis von Verkehrswerten wie auch die Einführung einer Gemeindewirtschaftssteuer.
Das Alles will der Landesrechnungshof ganz sicher nicht, der sich mit seiner Forderung nach »Steuervereinfachung« noch ganz im Fahrwasser des alten neoliberalen Denkens (die Kirchhofsche Bierdeckel-Steuer) bewegt. Aber auch der SPD-Senat ist weit entfernt von einer Umorientierung auf eine Einnahmepolitik, die Unternehmen und Vermögensbesitzer wieder stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzieht. Das »Die-Stadt-in-Ordnung bringen«, für das sich Finanzsenator Tschentscher stark macht, wird daher auch weiter darauf hinauslaufen, Beschäftigung abzubauen, die öffentlichen Dienstleistungen herunterzufahren und die öffentliche Infrastruktur sehenden Auges verrotten zu lassen. Keine schönen Aussichten für Hamburg!