Der rechte Rand

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11. Januar 2021 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

»Trend zur Mitte«? - Die Verteilung von Reichtum und Armut in Hamburg

Die Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) sieht einen neuen, »leichten« Trend zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Hamburg. Der jetzt vorgelegte »Sozialmonitoring-Bericht 2020« zeige, dass die sozialen Unterschiede im Vergleich der Stadtteile und Quartiere leicht abnehmen, sagte Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) zur Präsentation des Berichts. »Das ist ein erfreuliches Ergebnis«, sagte Stapelfeldt, »es zeigt, dass unsere Politik des sozialen Ausgleichs in den Quartieren ankommt.«

Beim Sozialmonitoring wird die Stadt und ihre gut 100 Stadtteile in 850 Quartiere aufgeteilt, sogenannte Sozialräume, auf und erfasst ihren sozialen Status anhand von Eckdaten.

 

Ziel sei es, eine mögliche Häufung sozialer Herausforderungen in einzelnen Quartieren frühzeitig zu erkennen, so die Grundintention der Behörde. Für den Bericht wurden jeweils sieben Faktoren beziehungsweise deren Anteil an der Bevölkerung erfasst: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, Kinder von Alleinerziehenden, Empfänger*innen von Hartz IV und Leistungen für Asylbewerber*innen, Arbeitslose, Kinder in Mindestsicherung, Empfänger*innen von Grundsicherung im Alter sowie der Anteil von Schüler*innen ohne und mit erstem oder mittlerem Schulabschluss. Die so gewonnenen sozialen Indikatoren sollen helfen, Förderbedarfe zu ermitteln. Die Erhebung mit 850 Einzelbereichen bezieht sich dabei auf Daten von Ende 2019, also noch vor den auch im sozialen Bereich spürbaren Auswirkungen von Corona. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die sozialen Unterschiede in der längerfristigen Betrachtung leicht abnehmen. Diese Angleichung der Lebensverhältnisse wird als »Trend zur Mitte« verstanden.

Mehrheit der Hamburger*innen lebt in Gebieten mit gutem Sozialstatus

Wenig überraschend die These: Mit knapp 82% lebt die große Mehrheit der Hamburger*innen in Gebieten mit hohem oder durchschnittlichem sozialen Status. Dieser Anteil sei nicht nur stabil, sondern wachse leicht, teilte der Senat mit. 2017 betrug er noch 80,3%. In der längerfristigen Betrachtung der Gebiete würden die sozialen Unterschiede leicht abnehmen.
Jeweils 72 statistischen Gebieten (je 8,5%) ordnet das Monitoring einen niedrigen oder sehr niedrigen Status zu. Hier leben etwa 343.100 Personen, das entspricht 18,2% der Einwohner*innen Hamburgs. Im aktuellen Bericht vom Sozialstatus »niedrig« auf »sehr niedrig« gefallen sind Quartiere in Borgfelde, Osdorf, Eidelstedt, Steilshoop, Neuland und Eißendorf. Aufsteiger aus dem Segment »sehr niedrig« auf »niedrig« sind gleich vier Sozialräume aus Horn, jeweils einer aus Altona-Nord, Lurup, Schnelsen, Bramfeld und zwei aus Harburg. Aufsteiger ins Top-Segment »hoch« gab es nicht.

Begrenzter Aussagewert

Die These soll beruhigen, dass die sozialen Unterschiede in der längerfristigen Betrachtung leicht abnehmen. Allerdings hängt die Behauptung einer Angleichung der Lebensverhältnisse, »der Trend zur Mitte«, vor allem damit zusammen, dass die ausgewählten Indikatoren das Ausmaß an sozialer Ungleichheit in der Stadt, und damit auch die Armut nur unzureichend erfassen. So weist die Professorin für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Anne Vogelpohl, darauf hin, dass der »Beschäftigungszuwachs … in den vergangenen Jahren vor allem in den Bereich der prekären Arbeit und in den Niedriglohnsektor gegangen (ist)«.

Auch der DGB wies in einer Studie aus dem Herbst 2019 darauf hin, dass in der Hansestadt im Jahr 2017 im Jahresdurchschnitt 90.734 Menschen in Vollzeit beschäftigt gewesen sind, die weniger als 10,80 Euro pro Stunde brutto erhielten. Das waren 14% aller Vollzeitbeschäftigten. Besonders hoch sei der Anteil bei Arbeitnehmer*innen ohne Berufsabschluss (39%), mit Migrationshintergrund (38%) und Frauen (17%). Hinzugenommen werden muss die große Zahl von Teilzeitbeschäftigten mit Niedriglöhnen. Der DGB fordert deshalb, den gesetzlichen Mindestlohn auf ein existenzsicherndes Niveau anzuheben und die Tarifbindung zu stärken. Schließlich liege das Einkommen mit Tarifvertrag um 500 bis 800 Euro pro Monat höher. In Hamburg würden aber nur 45% der Beschäftigten tariflich bezahlt.

Diese große Zahl der prekär und im Niedriglohnsektor Beschäftigten wird mit dem Sozialmonotoring-Bericht nicht erfasst. Hinzu kommt, dass viele Menschen mit niedrigem Einkommen die ihnen zustehenden Sozialleistungen, etwa die Grundsicherung im Alter, aus Scham oder Unwissen nicht in Anspruch nehmen oder wegen der hohen Zugangshürden kein Recht auf Inanspruchnahme haben. All das hätte in der Berichterstattung wenigstens Erwähnung finden müssen, statt eine »Tendenz zur Mitte« zu behaupten. Der  Bericht zeigt die Lebensverhältnisse durch eine  beschönigende Brille.

Die Differenz zwischen den in den Grundsicherungsstatistiken erfassten Bürger*innen und der tatsächlichen Zahl der von Armut betroffenen Menschen, macht die amtliche Sozialstatistik, die im Sozialmonotoring-Bericht keine Berücksichtigung findet, deutlich. Sie weist aus, wer über weniger als 60% des durchschnittlichen äquivalenzgewichteten Haushaltseinkommens verfügt.



Danach waren 2019 gemessen am Landesmedian, der die landesspezifischen Einkommensverhältnisse besser erfasst als der Bundesmedian, etwa 18% der Bürger*innen arm. Das waren, wenn man das auf etwa 1,8 Mio. Einwohner*innen bezieht, 324.000 Hamburger*innen. Besonders von Armut betroffen sind dabei die 18-25 Jährigen, die Alleinerziehenden, Arbeitslose und Menschen mit Migrationshintergrund. Hinzugenommen werden müssen für die Bestimmung des Ausmaßes der sozialen Spaltung z.B. all diejenigen, die von ihrer Arbeit gerade so leben können, und all die, die zwar noch nicht als arm gelten, aber durch die rasant steigenden Mieten in ihrer Lebensqualität deutlich Einschränkungen hinnehmen müssen.
Besonders unangenehm am Sozialmonotoring-Bericht zu Beginn des neuen Jahres fällt auf, dass die Corona-Krise und ihre Folgen für die die soziale Spaltung nicht einmal Erwähnung finden. So hat die Ungleichheit in Folge der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Konsequenzen deutlich zugenommen, weil viele Bürger*innen z.B. arbeitslos geworden sind oder durch Kurzarbeit z.T. erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Ganz zu schweigen von den vielen Soloselbständigen, die in ihrer Existenz bedroht sind.

Das Beispiel Altersarmut

Einen besonders rasanten Anstieg der Armut weist die Statistik bei den Ruheständler*innen aus. Hier wuchs die Altersarmut in Hamburg von 8,9% in 2005 auf nunmehr 19,6% in 2019. Das heißt heute ist jede/r fünfte Rentern*in arm, soweit er/sie nicht über sonstiges Vermögen verfügt.
Die Statistik der Grundsicherung im Alter, die in den Sozialmontoring-Bericht eingeht und die nur die erfasst, die diese Grundsicherungsleistung tatsächlich in Anspruch nehmen, weist für Hamburg deutlich niedrigere Werte aus, was zu einer Unterschätzung des Ausmaßes der Altersarmut führt. Aber auch hier liegt Hamburg mit einem Anteil von 8,5% im Ranking der Bundesländer mit Abstand an der Spitze.

Einkommensarmut aber geht mit einer geringeren Teilhabe am privaten und öffentlichen Leben einher und ist mit weniger nach außen gerichteten sozialen Kontakten und weniger informellen Hilfen durch Dritte verbunden. Zusammenhänge zwischen (Alters-) Einkommensarmut und schlechterer Gesundheit, einer insgesamt geringeren wie auch einer kürzeren gesunden Lebenserwartung, schlechteren Wohnverhältnissen oder einem geringeren Versorgungsgrad mit einem Zugang zu hochwertigen gesundheitlichen und anderen sozialen Diensten sind empirisch belegt.

Fazit

Der Sozialmontoring-Bericht ist ein treffender Beleg für die Ignoranz des rot-grünen Senats gegenüber der verfestigten sozialen Spaltung in der Stadt, die durch die Corona-Krise noch einmal deutlich verschärft worden ist. Diese Ignoranz findet ihren Niederschlag auch in der jetzt vorliegenden Haushaltsplanung für 2021/2022. So sind für die Integrierte Stadteilentwicklung, für die sich der Senat ausweislich des Monotoring-Berichts selbst auf die Schulter klopft, gerade einmal jährlich 10 Mio. Euro pro Jahr vorgesehen.



Das sind keine guten Zukunftsaussichten
gerade für die Bürger*innen der Stadt, die in prekären Lebensverhältnissen feststecken. Und: Ein Armuts-und Reichtumsbericht, der die tatsächlichen Verteilungsstrukturen erfasst, wie ihn z.B. die Sozialverbände der Stadt seit langem fordern, wird wohl auch in der aktuellen Legislaturperiode nicht realisiert werden.

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