Der rechte Rand

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12. März 2015 Peter Stahn: Eine Buchbesprechung

Thorsten Schäfer-Gümbel stellt die Verteilungsfrage neu!

Der Marktradikalismus hat im reichen Deutschland zu immer mehr Reichtum auf der einen und einer kontinuierlichen Armutsentwicklung auf der anderen Seite geführt. Gerade 10% der Deutschen verfügen mit 58% über mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens. Um Armut und öffentliche Verschuldung zu verhindern gebe es in Deutschland genügend Vermögen und Finanzkraft – so Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Landesvorsitzender in Hessen und stellvertretender Bundesvorsitzender, in dem von ihm herausgegebenen Band »Eigentum verpflichtet«.

Doch die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums laut Artikel 14 (2) einzufordern sei unpopulärer denn je. Grund genug für Schäfer-Gümbel neben seiner eigenen Auffassung weitere kurz gefasste unterschiedliche Sichtweisen auf »Eigentum verpflichtet« von Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, Unternehmern und anderen Repräsentanten des öffentlichen Lebens dem neoliberalen Zeitgeist entgegenzusetzen.[1]

Mit der Aufkündigung des Modells des Rheinischen Kapitalismus und der sozialen Marktwirtschaft durch die Marktradikalen und Neoliberalen – so Schäfer-Gümbel – stünden sich seither Eigentum und gesellschaftliche Verantwortung in den vergangenen beiden Jahrzehnten mehr oder weniger unversöhnlich gegenüber: »Die öffentlich bestimmten ökonomischen und politischen Protagonisten forcierten die Auflösung der Eigentumsverpflichtung, wie wir sie aus (...) dem Verfassungsgebot des Artikel 14 Absatz 2 Grundgesetz kennen. Die Gemeinwohlorientierung trat hinter das individuelle Streben nach Gewinn und Reichtum zurück«, beschreibt der Herausgeber die Freisetzung marktradikaler Kräfte (S. 157).

Es sei ein kurzer Moment der Hoffnung auf Rückgewinnung des Vorrangs politischer vor wirtschaftlichen Entscheidungen und Entscheidungsträger, auf einen »Kulturwandel« gewesen, nachdem die Habgier einiger Finanzjongleure den medialen Siegeszug des Marktradikalismus scheinbar gestoppt hat. Doch sei die Umsetzung der beim G20-Treffen in London 2008 kurz nach Ausbruch der Finanzkrise beschlossenen Aufsicht und Regulierung der Finanzmärkte bis heute nicht verwirklicht: »Im Gegenteil, man gewinnt zunehmend den Eindruck, dass das Casino der Finanzjongleure wieder geöffnet wurde. Eigentum verpflichtet? Je nach Mentalität dürften wir es nach den Erfahrungen mit der Finanz- und Wirtschaftskrise einen schlechten Witz oder einen frommen Wunsch nennen« so Schäfer-Gümbel (S. 160).

Auch der These Thomas Pikettys entsprechend, dass sich – wenn auf entsprechende steuerliche Regulierungen verzichtet wird – Kapital schneller vermehrt als das Einkommen aus Arbeit, es so zu einer Vermögenskonzentration kommt, die das Wirtschaftswachstum deutlich bremsen kann und damit eine Gefahr für das gesellschaftliche Gefüge darstelle, bedeute es für Schäfer-Gümbel, dass die Frage »Eigentum verpflichtet –zu wirtschaftlicher Verantwortung?« vorrangig beantwortet werden müsse.

Eine Renaissance der Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums könne nur dann erfolgreich sein, wenn sich sowohl die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen als auch die Einstellung und persönliche Haltung dazu ändern. Die Lösung sei, so Schäfer-Gümbel, dass die Politik wieder mehr Mut fasse, den Gesetzesrahmen an dieser Stelle auszuschöpfen und ihren demokratisch legitimierten Auftrag zur Gestaltung ernst nehme. Das hieße – mit anderen Worten – »die Verteilungsfrage neu zu stellen« (S. 163). Es gelte, die Reichtums- und Armutsentwicklung ehrlich und schonungslos zu analysieren und offen zu diskutieren mit »welchen Instrumenten dies effektiv erreicht werden kann« (S. 163).

Schäfer-Gümbel ist zuzustimmen, dass durch die neoliberale Entfesselung des Kapitalismus das erkämpfte Netz der sozialen Sicherung erheblich beschädigt worden ist. Die am weitest reichenden Folgen sind ein gespaltener Arbeitsmarkt von geschützten und ungeschützten Arbeitsverhältnissen sowie ein deformiertes System der sozialen Sicherung das Armut im Alter vorprogrammiert.[2]

Die tiefe Spaltung zwischen Arm und Reich geht auch aus dem gerade vorgestellten Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hervor. Die Armutsquote stieg im Jahr 2013 auf einen neuen Höchststand; sie beträgt 15,5%, das entspricht etwa 12,5 Millionen Menschen. Im Jahr zuvor lag der Wert noch bei exakt 15%, folglich wären in der Zwischenzeit weitere 400.000 Personen zusätzlich in die Armut abgerutscht – in etwa so viele, wie in einer Stadt von der Größe Bochums leben.[3] Immer Mehr Menschen leben mit geringer Rente, Hartz IV oder im Niedriglohnsektor in Armut trotz relativ guter wirtschaftlicher Entwicklung und sinkender Arbeitslosigkeit.

Die SPD hat in der Schwarz-Roten Koalition u.a. mit der Rente mit 63, dem Mindestlohn und der Erhöhung des Wohngeldes Schritte in die richtige Richtung veranlasst, um einige Härten des neoliberal deformierten Rheinischen Kapitalismus abzumildern. Doch das ist Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in seinem Beitrag in diesem Band zu wenig. Er sieht ein zentrales Versagen der SPD in der Schwarz-Roten Koalition, in die Verteilungsfrage wieder Bewegung hineinzubringen. War doch die Vermögenssteuer beispielsweise noch Teil des SPD-Wahlprogramms 2013.

Ulrich Schneider kommt nach einer schonungslosen Bestandsaufnahme der Armutsentwicklung in Deutschland recht illusionslos zu der nüchternen Aussage: »Eigentum verpflichtet zu so gut wie nichts, vor allem dann, wenn man es einmal hat (...) Die große Koalition hat als eine ihrer ersten Vereinbarungen Steuererhöhungen zum Tabu erklärt und damit gesorgt, dass sich an dieser Situation auch erst einmal nichts ändern wird. Die Reichen werden es danken« (S. 136).

Im SPD-Labor »Neues Wachstum und Innovation«, in dem unter dem hessischen SPD-Vorsitzenden und der SPD-Generalsekretärin Jasmin Fahimi Grundlagenarbeit für die künftigen Wahlkämpfe geleistet werden soll, steht bereits fest, dass die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen immer mehr zu »Bremsklötzen für ein innovatives Wachstum« würden.[4] Diese Beschreibung steht auch nicht im Gegensatz zu Sigmar Gabriels Ziel, dass sich die SPD mehr dem Mittelstand und den Familienunternehmen öffnen solle. Denn mehrheitsfähig, so die Idee, könne die Partei nur werden, wenn sie auch Wählerklientel jenseits der Bezieher von Mindestlohn und Rente mit 63 anspreche.[5]

Angesichts dieser künftigen Zielsetzung der SPD steht für den DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann die Rückbesinnung der Gewerkschaften auf ihre eigene Kampfkraft im Vordergrund. Artikel 14 schütze das private Eigentum – auch die Arbeitskraft des Arbeitnehmers
– als Voraussetzung einer individuellen und selbstbestimmten Lebensgestaltung. Diesen Zweck könne es aber nur erfüllen, wenn ein Einkommen zum Leben reicht. Mit dem Entstehen eines Niedriglohnsektors in den vergangenen zehn Jahren wird diese Funktion aus dem Verkauf der Arbeitskraft nicht mehr erfüllt schreibt Hoffmann in seinem Beitrag in diesem Band. »Es wurde systematisch die unternehmerische Freiheit missbraucht, um auf Kosten und zu Lasten von Millionen Frauen und Männern das unternehmerische Eigentum im Selbstzweck zu mehren« (S. 76).

Der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ohne Schutz von Tarifverträgen und Betriebsräten in der Arbeitswelt zurechtkommen müssen, ist seit Jahren durch die systematische Tarifflucht der Arbeitgeber gestiegen. Die unternehmerische Freiheit könne nur gezähmt und unternehmerisches Eigentum in die Pflicht genommen werden, wenn das Verhandlungsgleichgewicht stimme.

Der Staat müsse die Rahmenbedingungen für ein »Gleichgewicht der Kräfte« schaffen und die Bürgerinnen und Bürger müssten sich für ihre eigenen Interessen stark machen. Hoffmann weist darauf hin, dass der Konflikt zwischen unternehmerischer Freiheit und Schutz des Privateigentums von unterbezahlten Arbeitnehmern mit der Sozialbindung im Grundgesetz entschärft werden sollte. »Der Staat ist gefordert, Rechte zu schützen und Grenzen zu ziehen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns als Ausdruck der staatlichen Schutzpflicht zu sehen« (S. 76).

Für Hoffmann geht die Begrenzung des Unternehmertums durch die Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 zwar in die richtige Richtung einer Begrenzung der unternehmerischen Verfügungsgewalt. Doch mit der grundlegenden Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit durch den neoliberalen Marktradikalismus gibt es immer weniger Haltegriffen für die Arbeit.

Ein Mehr an Demokratie in der Wirtschaft abzutrotzen und für ein Kräftegleichgewicht bei der Aushandlung von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu streiten und zu kämpfen könne auch aufgrund der nach Artikel 9 (3) garantierten Koalitionsfreiheit nur durch eine größere Solidarität im Kollektiv gelingen. Hoffmann »arbeite dafür, dass die am besten ausgebildete Generation an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den Lohn und die Bedingungen ihrer Arbeit als Eigentum erkennt und wieder zusammenfindet« (S. 78).

Auch nach Ansicht von Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, fordern zu wenige den starken Staat, wenn es darum geht, menschenwürdige Mindestlöhne durchzusetzen. Um soziale Ungleichheit zu beheben und etwas gegen Langzeitarbeitslosigkeit zu tun, müsse eine verantwortungsvolle Sozial- und Gesellschaftspolitik den überquellenden Reichtum in dieser Gesellschaft abschöpfen.

»Nicht die freie Entfaltung des Kapitals ist das Anliegen der bürgerlichen Freiheitsrechte, sondern die freie Entfaltung der Persönlichkeit jedes einzelnen. Eine Umverteilung von oben nach unten zum Zweck der sozialen Grundsicherung aller Bürgerinnen und Bürger und zur Herstellung annähernd gleicher Lebenschancen ist kein sozialistischer Restposten, kein Sozialklimbim, kein Gedöns, sondern demokratisches Gebot. Es geht darum, die Menschen in die Lage zu versetzen, Bürgerin und Bürger zu sein. Der demokratische Sozialstaat befreit den Menschen nicht nur von seinem Status negativus, also vom Leben in Not sondern ermöglicht ihm den Status positivus« (S. 20).

Es ist ein Dilemma für die SPD: Thorsten Schäfer-Gümbel ist zwar der Meinung, Umverteilung sei »kein Thema von gestern, sondern aktueller denn je« (S. 163), doch Umverteilungskonzepte haben in den anvisierten Wählerschaften, die über die schrumpfende Kernwählerschaft hinausgehen wenig Zugkraft. Parteien die auf Wiedereinführung der Vermögenssteuer, höhere Erbschaftssteuern oder die Erhöhung des Spitzensteuersatzes setzen, schnitten schwach ab, so Renate Köcher, Allensbach. Die Bürger setzen mehr auf die Stärkung der Mittel- und Unterschicht, als auf Maßnahmen, die die Oberschicht treffen. Allerdings entspreche ein leistungsfähiges soziales Netz - auch um den Preis hoher Steuern und Abgaben – dem Leitbild der Mehrheit der Bürger.[6]

Eine klare Position zur Steuerung der gesellschaftlichen Problemzonen des Sozialen, der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und der Kontrolle der Finanzmärkte zu beziehen, könnte für die SPD also ein Ausweg aus dem Dilemma einer schrumpfenden Wählerschaft führen. Es wäre (auch ganz im Sinne von Heribert Prantls Beitrag in diesem Buch) an der Zeit einerseits eine Debatte über eine umfassende reformpolitische Konzeption anzustoßen für ein Projekt der Demokratisierung der Wirtschaft angefangen im Betrieb und in der Mitbestimmung sowie die Rekonstruktion des Systems der sozialen Sicherung.

Andererseits müsste die SPD auch eine Aussage darüber treffen, mit welchen Koalitionspartnern sie diese Reformpläne umsetzen will. Sie hat schließlich im Bund und in Hessen mit Thorsten Schäfer-Gümbel selbst an der Spitze vor nicht allzu langer Zeit die Chance, die Verteilungsfrage in einem linken Reformprojekt neu zu stellen, nicht genutzt.

Die in einigen Beiträgen des Bandes recht deutlichen Worte eignen sich nicht nur dazu, ins Stammbuch von Politikern der SPD geschrieben zu werden, sondern verdienen Beachtung und Gehör in der Debatte um eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. In weiteren Beiträgen kommen Gerhard Baum, Ilse Bosch, Malu Dreyer, Franziska Leupelt, Axel Nawrath, Christine Hohmann-Dennhardt, Gesine Schwan, Jochen Brühl, Imre Torok und eine Schulklasse zu Wort.

[1] Thorsten Schäfer-Gümbel (Hrsg.): Eigentum verpflichtet.164 Seiten, axel dielmann verlag, Frankfurt am Main 2015. Der Band versammelt 14 Beiträge unterschiedlicher »Personen des öffentlichen Lebens«.
[2] Siehe hierzu aktuell und ausführlich J. Bischoff/B. Müller: Mindestsicherung in Deutschland, in: Sozialismus 1/15, S. 13-21
[3] Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 20.2.2015
[4] FAZ vom 3.3.2015
[5] Vgl. ebd.
[6] FAZ vom 19.2.2015

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