Der rechte Rand

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15. Januar 2016 Jürgen Klute

Strukturwandel und Industriepolitik im Ruhrgebiet - Teil II: Der geordnete Rückbau der Montanindustrie [1]

Vorbemerkung: In den Online-Archiven der Wochenzeitschriften Der Spiegel und Die Zeit finden sich einige lesenswerte Artikel aus den 1950er, 1960er und 1970er Jahren über die historischen Konflikte im Ruhrbergbau, die sich u.a. daraus ergeben haben, dass die Steinkohle noch einer staatlich kontrollieren Preisbindung unterlag, während diese für die anderen Wirtschaftsbereiche bereits aufgehoben war.

 

1. Die Abwicklung des Ruhrbergbaus


In den frühen Nachkriegsjahren
war die Steinkohle der Hauptenergielieferant. Preiserhöhungen der Steinkohle hätten direkt zu Preissteigerungen für Produkte und Dienstleistungen in allen Wirtschaftsbereichen geführt und die Inflationsrate nach oben geschoben. Das hatte allerdings zur Folge, dass der Ruhrbergbau die Löhne nicht an die allgemeine Lohnentwicklung anpassen konnte. Da die Lohnbedingungen in anderen Branchen sich zunehmend verbesserten, sind in den 1950er Jahren viele Bergleute in andere Produktionsbereiche abgewandert. Außerdem haben offenbar die europäischen Nachbarstaaten in der Zeit Steinkohle von der Ruhr aufgekauft, da deren Preis aufgrund der staatlichen Kohlepreiskontrollen unterhalb des damaligen Weltpreises lag, und haben sie zu Weltmarktpreisen weiterveräußert. Wer sich also mit diesen Konfliktlagen etwas vertrauter machen möchte, dem sei empfohlen, etwas in den Online-Archiven der genannten Zeitung zu stöbern.

1.1. Die Anfänge der Kohlekrise

In den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg und der Gründung der Bundesrepublik war Steinkohle der wichtigste Energielieferant. Die deutsche Kohleförderung stieg zwar Dank technischer Modernisierung von 1945 an von 33 Mio. Tonnen [2] auf einen Förderhöhepunkt von 123 Mio. Tonnen in 1957. Da der Ruhrbergbau den vorhandene Energiebedarf bis in die erste Hälfte der 1950er Jahre dennoch nicht abdecken konnte, wurde zusätzlich Kohle vor allem aus den USA importiert, und zunehmend auch Erdöl und Erdgas.

Ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre überstieg das Angebot von Energieträgern deren Nachfrage auf dem bundesdeutschen Energiemarkt. Diese Entwicklung führte zu einer verschärften Konkurrenz zwischen den billigeren Energieimporten und der teureren Ruhrkohle mit der Folge, dass der Absatz der im Ruhrgebiet geförderten Steinkohle dramatisch zurückging – bei gleichzeitig weiter steigender Produktivität im Ruhrbergbau aufgrund verbesserter Gewinnungstechnik.

Anfangs wurde in der Hoffnung auf eine schnelle Normalisierung der Absatzlage auf Halde gefördert. Ende 1958 türmten sich im Ruhrgebiet Kohlenhalden mit einem Gesamtvolumen  von über 13 Mio. Tonnen auf (vgl.: Lohn der Angst, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42621099.html ). Die Menge der auf Halden gelagerten Kohle übertraf damit ein Zehntel der 122 Mio. Tonnen Kohle, die im selben Jahr insgesamt gefördert wurde.

Die Hoffnung auf eine baldige Überwindung des Absatzeinbruchs erwies sich als Trugschluss. In der Folge verschärfte sich die Lage weiter. Es kam zu einem ersten groß angelegten Stellenabbau im Ruhrbergbau. Einerseits wurden durch einen Einstellungsstopp 1958/59 mehr als 16.000 Arbeitsplätze im Ruhrbergbau abgebaut (vgl. Lohn der Angst; http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42621099.html ). Gleichzeitig wurden ab Februar 1958 so genannte Feierschichten, also Kurzarbeit, eingeführt. Die Feierschichten waren zwar mit spürbaren Lohneinbußen verbunden, aber den Bergleuten blieb immerhin ihr Arbeitsplatz erhalten. Bis Mitte des Jahres 1959 wurden rund fünf Mio. Feierschichten (Mann-Schichten) gefahren.

Die Krise erlebte einen weiteren Höhepunkt, als es im September 1958 in Hattingen zur ersten Stilllegung einer Schachtanlage kam. Ende Juni 1959 wurde eine weitere Schachtanlage in Duisburg-Hamborn geschlossen (vgl. Abschnitt »Kohlenkrise« in http://de.wikipedia.org/wiki/Ruhrbergbau ). Der Druck auf die Bergarbeiter und auf die IG-Bergbau erhöhte sich zusätzlich durch den Umstand, dass die Kohlenflötze im südlichen Ruhrgebiet zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend erschöpft waren. Ein zusätzlicher dramatischer Arbeitsplatzabbau aus geologischen Gründen war zu dieser Zeit also schon absehbar.

Am 26. September 1959 reagierte die IG-Bergbau auf diese Entwicklungen mit einer Demonstration in Bonn. An dieser Demonstration in der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik beteiligten sich rund 60 Tausend der gut 428 Tausend Belegschaftsmitglieder, die der Ruhrbergbau 1959 zählte. Die damalige Regierung reagierte zunächst ablehnend auf die Forderung der IG-Bergbau nach protektionistischen Maßnahmen zum Schutz der Ruhrkohle-Förderung. Trotzdem begrenzte die Bundesregierung von 1959 an den Import von Kohle und führte Zölle auf Kohlenimporte ein. Auf kommunaler Ebene begann man im Ruhrgebiet, sich um Neuansiedlungen von Unternehmen zu bemühen. Darauf wird in Kapitel »IV Neuansiedlungen« genauer einzugehen sein.

1.2. Die Gründung der Ruhrkohle AG (RAG)

Das wichtigste und bis heute zentrale Instrument zur Organisation eines geordneten Rückbaus des Steinkohlenbergbaus, das die IG-Bergbau durchsetzen konnte, war die Gründung der Ruhrkohle AG (RAG). Dies gelang allerdings nicht im ersten Anlauf, sondern erst nach mehrjähriger Vorbereitungszeit. Im ersten Schritt hatten die Zechenbetreiber 1963 einen Rationalisierungsverband [3] gegründet. Dann verabschiedete der Bundestag 1964 das Gesetz zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau. Mit diesen Maßnahmen wurde die Kohlengewinnung rationalisiert und verbilligt.
Beide Maßnahmen zielten ausschließlich auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Dem gewerkschaftlichen Interesse an der Sicherung von Arbeitsplätzen entsprachen diese Maßnahmen jedoch nicht. Die IG-Bergbau drängte daher auf weitergehende Maßnahmen.

Am 27. November 1968 wurde dann die RAG [4] als Konsolidierungsunternehmen für den deutschen Steinkohlenbergbau gegründet. Vertragspartner für die der RAG beitretenden Bergbauunternehmen waren die RAG und die Bundesrepublik Deutschland, die die Bürgschaft für die Altschulden der alten Unternehmen übernommen hat. Die Gründungsunternehmen repräsentierten 85% der damaligen jährlichen Kohleförderung von 91 Mio. Tonnen. Da nicht alle Unternehmen mit der Mitbestimmungsstruktur der neuen Gesellschaft einverstanden waren, und es auch Unstimmigkeiten bezüglich der Beteiligungsquoten am Kapital der Gesamtgesellschaft gab, blieben zunächst einige Unternehmen außen vor. Im Oktober 1969 traten jedoch sechs weitere Bergbauunternehmen der RAG bei. Damit erhöhte sich der Förderanteil der RAG auf 94% der Gesamtkohleförderung im Ruhrbergbau. 1971 wurde die RAG in sechs Betriebsgesellschaften gegliedert [5]. Zum Vergleich: Die Gesamtkohleförderung in der Bundesrepublik betrug im gleichen Jahr 112 Mio. Tonnen. Weitere Steinkohlenförderung gab es noch im Saarland, in Aachen und in Ibbenbüren.

Die Arbeitnehmerseite und die IG-Bergbau haben sich in der RAG einen sehr hohen Einfluss gesichert. Einerseits unterliegt die RAG der Montanmitbestimmung. Darüber hinaus wurde im Gesamtunternehmen und auf jeder einzelnen Schachtanlage die Stelle eines Personal- und Sozialdirektors installiert. Das Recht zur Besetzung dieser Leitungsposition liegt uneingeschränkt bei der IG-Bergbau bzw. heute bei der IGBCE.

Die Mitarbeitenden der einzelnen Schachtanlagen wurden mit Gründung der Ruhrkohle AG Mitarbeiter der Ruhrkohle AG. Damit war die Voraussetzung geschaffen, dass im Falle weiterer Zechenschließungen, die dann auch folgten, die Belegschaften nicht mehr in die Arbeitslosigkeit entlassen werden mussten. Da die Ruhrkohle AG als Eigentümerin der geschlossenen Anlage weiterhin bestand, wurde die Belegschaft einer geschlossenen Schachtanlage auf die anderen Zechen der Ruhrkohle AG verteilt. Das geschah jeweils unter Beibehaltung der bisherigen Arbeitsbedingungen.

1.3. Hüttenvertrag und nationale Kohlereserve

Im Jahr nach ihrer Gründung schloss die Ruhrkohle AG mit den deutschen Hüttenbetrieben den so genannten Hüttenvertrag [6] ab. Dieser galt zunächst bis 1985 und wurde dann bis zum Jahre 2000 verlängert. Nach seinem Auslaufen schloss die RAG nur mehr Einzelverträge mit Stahlunternehmen ab. Im Hüttenvertrag verpflichteten sich die deutschen Hüttenbetriebe, ihren Bedarf an Steinkohle bzw. Kokskohle bei der Ruhrkohle AG einzukaufen.

Nachdem die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) ab 1956 die Preisbindung für Kohle aufhob, überstieg der Preis der Ruhrkohle deutlich die Preise, zu denen Importkohle aus außereuropäischen Ländern weiterhin angeboten wurde.

Der Preisunterschied zwischen dem Weltmarktpreis für Kohle – d.h. dem Preis, zu dem Steinkohle im Rotterdammer Hafen verkauft wird – und der Ruhrkohle wurde durch die staatlich finanzierte Kokskohlenbeihilfe ausgeglichen. Da es trotz des Hüttenvertrages immer wieder zu Absatzkrisen im Ruhrbergbau kam, hat die Bundesregierung 1976 eine Regelung getroffen, um diese abzufedern: die nationale Kohlereserve [7]. Es wurden rund 1,5 Mrd. DM (0,77 Mrd. Euro) zur Verfügung gestellt, um eine Reserve in Form von Kohlenhalden in einem Gesamtvolumen von bis zu 10 Mio. Tonnen aufzubauen. Das Argument, eine eigene Kohlenproduktion sei nötig, um auch in Zeiten politischer Krisen eine Energieversorgung sicherstellen zu können, wurde von den Protagonisten der Ruhrkohle AG immer wieder als Begründung für die Legitimität der staatlichen Subventionen für den Bergbau vorgetragen.

1.4. Jahrhundertvertrag, Kohlepfennig, EU Wettbewerbsrecht

Die zweite tragende Säule für die Ruhrkohle AG war und ist der Absatz von Kraftwerkskohle. Die vertragliche Grundlage für diese zweite Säule war der 1977 abgeschlossene so genannte Jahrhundertvertrag [8] , in dem die Ruhrkohle AG und die Betreiber von Kohlekraftwerken vereinbarten, dass die Kraftwerksbetreiber vorrangig heimische Steinkohle zur Stromproduktion einsetzen. Der Vertrag war zunächst für eine Laufzeit von 10 Jahren abgeschlossen worden, 1980 wurde seine Gültigkeit bis zum Jahre 1995 ausgeweitet. Die Stromproduzenten verpflichteten sich im Jahrhundertvertrag, jährlich mindestens 40,9 Mio. Tonnen Steinkohle von der Ruhrkohle AG abzunehmen. In der Kohlerunde von 1991 wurde die Abnahmeverpflichtung auf 35 Mio. Tonnen Steinkohle pro Jahr reduziert.

Beim Jahrhundertvertrag bestand das gleiche Problem wie beim Hüttenvertrag: die Differenz zwischen dem Kohlepreis im Hafen von Rotterdam und dem Preis der Ruhrkohle. Zum Ausgleich dieses Preisunterschiedes wurde ab 1975, also noch vor Abschluss des Jahrhundertvertrages, von allen privaten Kunden der »Kohlepfennig« [9] erhoben (nach der Vereinigung allerdings nur in den alten Bundesländern). Die Rechtsgrundlage für den Kohlepfennig, der offiziell »Ausgleichsabgabe zur Sicherung der Elektrizitätsversorgung« hieß, bildete das Dritte Verstromungsgesetz. In 1975 belief sich diese Ausgleichsabgabe auf 780 Mio. DM (398,8 Mio. Euro). Bis 1992 stieg sie auf 5,5 Mrd. DM (2,81 Mrd. Euro) an.

Ein Gerichtsverfahren [10] stellte diese Verfahren später in Frage: 1982 verweigerte ein Stromkunde aus Moers (Ruhrgebiet) die Zahlung des Kohlepfennigs an seinen Stromlieferanten RWE. Dieser Rechtskonflikt gelangte schließlich vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). In seinem Beschluss [11] vom 11. Oktober 1994 stellte der 2. Senat des BVerfG fest, dass der Kohlepfennig verfassungswidrig und seine Erhebung spätestens zum 31. Dezember 1995 einzustellen ist.

Es gab immer Kritik an der Kohlepolitik in NRW. Von liberaler Seite wurde diese Politik als Verstoß gegen die Marktwirtschaft gewertet. Zudem, so argumentierten liberale Politiker, fehle das Geld, das für die Kohlepolitik ausgegeben wird, für zukunftsfähige Projekte. Dennoch fand die Kohlepolitik einschließlich des Kohlepfennigs über einen langen Zeitraum eine breite gesellschaftliche und institutionelle Zustimmung. Es war weitgehend Konsens, dass es eine gesellschaftliche Verantwortung gibt für die vom Strukturwandel betroffenen ArbeitnehmerInnen. Sogar in einer Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von 1973, »Soziale Sicherung im Industriezeitalter«, wurde dieses Thema aus einer sozialethischen Perspektive intensiv beleuchtet und eine gesellschaftliche Verantwortung für die Folgen des Strukturwandels eingefordert, da ein Strukturwandel ein Prozess ist, der sich aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ableitet. Eine Forderung, die sich an politische wirtschaftliche Entscheidungsträger richtete. Das Urteil des BVerfG markiert einen Bruch dieses gesellschaftlichen Konsenses in der Kohle- und Industrie-Politik, der mit diesem Urteil öffentlich wurde und der weit über die Frage nach der Legitimität des Kohlepfennigs hinausreichte. Vollends sichtbar wurde dieser Bruch mit den rot-grünen Arbeitsmarktreformen, die nur wenige Jahre später durchgesetzt wurden und den Schwerpunkt auf die Eigenverantwortung der vom Strukturwandel Betroffenen verschob.

Doch zurück ins Jahr 1994. Durch das Urteil des BVerfG wurden Folgeregelungen für den Kohlepfennig erforderlich, um einen sofortigen Zusammenbruch des Bergbaus im Ruhrgebiet zu verhindern. Diese Folgeregelungen mussten nun auch in Einklang mit weiteren neuen Rahmenbedingungen gebracht werden. 1993 wurde mit dem Europäischen Binnenmarkt ein EU-weites Wettbewerbsecht geschaffen. Dieses sah auch Gemeinschaftsregelungen für staatliche Beihilfen für den Steinkohlenbergbau vor.

Der Bundestag reagierte 1994 mit dem Gesetze zur Sicherung des Einsatzes von Steinkohle, dem Stromeinspeisegesetz (das sogenannte Artikelgesetz) und einer Änderung des Atomgesetzes und schuf damit die Rechtsgrundlage für eine weitere Subventionierung des Steinkohlenbergbaus ab 1996. Für einen Zeitraum von 10 Jahren wurde eine jährliche Obergrenze für Subventionen in Höhe von 7,5 Mrd. DM (3,83 Mrd. Euro) festgelegt. 2006 wurde eine Anschlussregelung für Kohlesubventionen verabschiedet. Sie sieht ein Auslaufen des subventionierten Steinkohlenbergbaus in Deutschland bis Ende 2018 vor. Die Subventionen werden jährlich reduziert und dienen vor allem der Finanzierung der Zechenschließungen. Am 10. Dezember 2010 hat der EU-Rat [12] die wettbewerbsrechtlichen Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Kohlesubventionen bis 2018 geschaffen.

Die geordnete Abwicklung des Ruhrbergbaus, die mit der Gründung der Ruhrkohle AG (1998 wurde der Kohlebereich aus der mittlerweile stark diversifizierten Ruhrkohle AG in die Deutsche Steinkohle AG [DSK] ausgegründet) begann, hat sich damit über einen Zeitraum von fast exakt 50 Jahren erstreckt. Mit dem Ende des Ruhrbergbaus endet allerdings nicht die Geschichte der DSK. Da noch über einen nicht absehbaren Zeitraum Kosten für die Behebung von Bergschäden infolge des Bergbaus anfallen werden, die so genannten Ewigkeitskosten [13], wurde die DSK – mittlerweile heißt sie RAG Deutsche Steinkohle AG – in die am 26. Juni 2007 gegründete RAG-Stiftung [14] überführt, der u.a. die Aufgabe übertragen wurde, den Steinkohlenbergbau bis 2018 abzuwickeln und danach für die Ewigkeitskosten aufzukommen aus dem bis 2018 aufgebautem Kapital.

1.5. Innerbetriebliche Maßnahmen der RAG

Trotz aller staatlichen Maßnahmen zur Stabilisierung und Förderung des Absatzes der Ruhrkohle war der jahrzehntelange Abwicklungszeitraum von einem ständigen Personalabbau begleitet. 1968 zählte der Ruhrbergbau noch 210 Tausend Beschäftigte und erzielte eine Jahresförderung von 91 Mio. Tonnen verwertbarer Steinkohle. 2014 war die Zahl der Beschäftigten auf 9.500 gesunken bei einer Jahresförderung von knapp 5,7 Mio. Tonnen.

Im Durchschnitt sind damit von 1968 bis 2014 jährlich 4.300 Arbeitsplätze im Ruhrbergbau abgebaut worden. Dieser Abbau erfolgte im Wesentlichen ohne Entlassungen in die Arbeitslosigkeit. Das erforderte und erfordert noch bis 2018 eine ganze Reihe betriebsinterner Maßnahmen. Es würde den Rahmen dieser Studie übersteigen, diese Maßnahmen im Detail darzustellen. Ausführlich dargestellt wurden sie von Walter Wendt-Kleinberg in dem Band »Zwischen Engagement und innere Kündigung«. [15]

Wie angedeutet, hat sich die RAG zu einem transnationalen Konzern entwickelt mit mehreren hundert Unternehmensbeteiligungen, darunter eine Reihe von Unternehmen mit Sitz im Ruhrgebiet. Zum einen nutzte die RAG/DSK diese Konzernstruktur, um Bergarbeitern konzernintern andere Arbeitsplätze anzubieten. Zum anderen wurden verschiedenen Formen der Arbeitszeitverkürzung entwickelt. Eine Form war die Kurzarbeit (Feierschichten), einer wöchentlichen oder monatlichen Form der Arbeitszeitverkürzung kombiniert mit einer Einkommenskürzung.

Die zweite Form der Arbeitszeitverkürzung stellt die Frühverrentung dar. Für untertägig Beschäftigte besteht die Möglichkeit nach 20-jähriger Betriebszugehörigkeit mit 50 Jahren (zeitweilig sogar mit 48 Jahren) in Rente zugehen. In den ersten fünf Jahren erhielten diejenigen, die diese Möglichkeit genutzt haben, eine aus Mitteln des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle gezahlte Leistung an Stelle ihres Lohnes. Danach erhielten sie von der Bundesknappschaft für weitere fünf Jahre eine so genannte Knappschaftsausgleichleistung. Mit 60 Jahren erhielten sie ihre reguläre Knappschaftsrente. Für Übertage-Beschäftigte gab es eine ähnliche Regelung, die allerdings erst ab einem Alter von 55 Jahren in Anspruch genommen werden konnte. Außerdem war sie mit einer Rentenminderung verbunden.

Ein weiteres Instrument des Personalabbaus war und ist der gezielte Transfer in andere Unternehmen. Dazu gab es unterschiedliche Programme. Zeitweilig hatten Mitarbeitende die Möglichkeit eine zusätzliche Ausbildung in einem Beruf zu machen, der außerhalb des Bergbaus nachgefragt war. Das war einerseits mit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei der RAG verbunden. Andererseits wurde das Einkommen, das die RAG gezahlt hatte, für fünf Jahre durch die RAG garantiert und es gab für diese Zeit eine intensive Unterstützung bei der Suche nach einem neuen Job.

Ein anderes Modell bot die Möglichkeit, für bis zu sechs Monate bei Weiterzahlung des alten Gehalts eine Schnupperphase in einem Betrieb außerhalb des Bergbaus zu machen. Für Betriebe, die eine solche Schnupperphase ermöglichten, waren damit nur geringe Kosten verbunden. Nach Ablauf der Phase konnte der RAG-Mitarbeitende entscheiden, ob er geht oder ob er zur RAG zurückkehren wollte. In den letzten Jahren wurden weiter Modelle zur Qualifikation für andere Berufe entwickelt, die mit Abfindungen kombiniert sind.

Um der Jugendarbeitslosigkeit zumindest punktuell entgegenzuwirken hat die RAG seit den 1990er Jahren in den nicht bergbaulichen Berufsgruppen (Schlosser, Elektriker, etc.) weit über den eigenen Bedarf hinaus ausgebildet.

Die vorgenannten Maßnahmen sind mit öffentlichen Geldern aus der Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung sowie Landes- und EU-Förderprogrammen (Ziel-2-Mittel) ko-finanziert worden.

1.6. Von der Kohle zur Sonne

Erwähnenswert an dieser Stelle ist noch die Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Sie wurde von den Evangelischen Kirchenkreisen in Auftrag gegeben und finanziert und 1995 veröffentlicht. Die IGBE und die RAG wurden im Rahmen eines Steuerungskreises in die Begleitung der Studie eingebunden. Ziel dieses Projektes war es, den zunehmenden Konflikt zwischen der sozial-, regional und industriepolitischen Sicht auf den Bergbau einerseits und der umweltpolitischen Sicht auf den Bergbau auf der anderen Seite zu entschärfen. Die Positionen entweder Arbeitsplätze oder Umweltschutz standen sich zu dem Zeitpunkt immer unvermittelbarer gegenüber. Die Schärfe dieses Konfliktes erschließt sich an dem öffentlichem Schlagabtausch zwischen RAG, IGBE und SPD auf der einen und den kirchlichen Auftraggebern der Studie auf der anderen Seite: Die Bergbau-Seite warf den Kirchen vor, sie hätten sich von ihrer Rolle als Freund der Kohle verabschiedet und die Kohle verraten und sich in eine Linie mit Grünen und Mullahs gestellt (Der Autor dieses Artikel war an diesen Debatten beteiligt).

Dabei hat die Studie die Interessen der Bergarbeiter deutlich im Blick gehabt und ihnen auch Rechnung getragen. Im Schlussteil der Studie »7. Zusammenfassung und Ausblick« sind ihre Ziele wie folgt zusammengefasst:
»Hauptziele der Vor- – und wesentlich vertiefter – der Hauptstudie [zu der es nie gekommen ist, Anm. d. A.] sind:

  • durch detaillierte Szenarienanalysen und ein umfassendes Zukunfts- und Alternativkonzept mehr Transparenz und Perspektiven in die gegenwärtige, von taktischen oder zu einseitig interessengebundenen Erwägungen geprägte Debatte über die Kohlepolitik zu bringen,
  • die Konsequenzen aus dem mittel- und vor allem langfristigen Zielkonflikt zwischen der Klimaschutz- und der Kohlepolitik präzise herauszuarbeiten,
  • die Chancen zu analysieren und zu vermitteln, die sich für die Kohleregionen und die Betroffenen im Rahmen einer nachhaltigen, integrierten Regional- und Strukturpolitik ergeben,
  • und vor allem Handlungs- und Entscheidungsspielräume aufzuzeigen sowie mögliche konkrete, akteursbezogene Umsetzungsstrategien für eine vorsorgende Energie-, Struktur- und Arbeitsmarktpolitik zu entwickeln.«

In diesem Sinne hat bereits die Vorstudie Vorschläge gemacht. Einerseits hat sie empfohlen, die heimische Kohleförderung, die im Ruhrgebiet 1995 noch 41,6 Mio. Tonnen betrug für einen mittelfristigen Zeitraum auf 35 Mio. Tonnen pro Jahr und dann bis 2050 die auf 20 Mio. Tonnen pro Jahr zurückzufahren. Die Studie geht davon aus, dass bei einem Atomausstieg noch für eine längere Übergangszeit Steinkohle zur Verstromung erforderlich ist. Um aber dennoch dem Klimaschutz Rechnung zu tragen, sollte die erforderliche Reduktion der Kohleverstromung durch eine entsprechende Verringerung der Kohleimporte erreicht werden.

Die teurere Ruhrkohle ist zwar auf Subventionen angewiesen, so die Studie weiter. Aber bei einem Stopp des Ruhrbergbaus stünden den eingesparten Subventionen steigende Sozialausgaben gegenüber. Stattdessen empfiehlt die Studie eine Transformierung der Ruhrindustrie hin zu einer modernen, umweltfreundlichen Energie-, Güter- und Dienstleistungsproduktion einschließlich umweltfreundlicher Verkehrskonzepte. Die zentrale Stromversorgung, so die Studie, könnte einerseits durch sparsamere dezentrale Energieversorgungssysteme (Strom- und Wärmekopplung) ersetzt werden. Ergänzt werden sollte dieser Schritt durch eine energetische Altbausanierung im Ruhrgebiet. Auf diese Weise könnten neue sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden, die die im Bergbau wegbrechenden Arbeitsplätze ersetzen.

Obgleich es sich hierbei lediglich um eine Vorstudie handelt (die beabsichtigte Hauptstudie wurde aufgrund der oben skizzierten Konflikte um die Vorstudie nicht mehr realisiert), gehört diese Ausarbeitung des Wuppertal Instituts zu den ausgefeiltesten Transformationsstrategien, die bisher für das Ruhrgebiet ausgearbeitet wurden. Gleichwohl wurde sie auf politischer Ebene nicht ernsthaft verfolgt – abgesehen von punktuellen Förderkonzepten zur Altbausanierung und zum Bau von Windkrafträdern oder Blockheizkraftwerken. Der Grund dafür liegt darin, dass die Bergbauseite sich nie zu einer offensiven Strategie für einen Strukturwandel durchringen konnte, sondern stets nur defensive Strategien für akzeptabel hielt.

Dabei hat die Studie einen Weg aufgezeigt, einer alten Forderung der IGBE zu entsprechen: der Forderung nach dem Erhalt eines Sockelbergbaus. Ein Sockelbergbau hätte Bedeutung gehabt für die Bergbauzulieferer, die ihre Bergbautechnologie zwar mittlerweile weltweit vermarkten, die aber in enger Kooperation mit dem Ruhrbergbau ihre Technologie weiterentwickelt haben. Ein Ende des Bergbaus, so die IGBE, könnte auch das Aus der letzten Zulieferer bedeuten.

Ein Sockelbergbau wäre noch aus einem anderen Grund wichtig. Kohle ist nicht nur ein Brennstoff, sondern auch ein chemischer Rohstoff und insofern ein denkbarer Ersatz für das allmählich knapper werdende Erdöl. Will man die Ruhrkohle zu einem späteren Zeitpunkt als chemischen Grundstoff nutzen, dann muss man heute den Zugang zu den Lagerstätten offenhalten. Denn einmal geschlossene Schachtanlagen kann man nicht erneut in Betrieb nehmen. Zudem gingen technisches Wissen und Technik in der Region verloren und müssten zu einem späteren Zeitpunkt mit Mehraufwand zurückgeholt werden.

1.7. Interventionen der Linksfraktion im Bundestag

In der politischen Debatte im Bundestag um die Zukunft und den Umbau der RAG in 2007 hat die Linksfraktion im Bundestag einen Antrag [16] eingebracht, der einen Sockelbergbau forderte, der ein Fördervolumen in Höhe von 5 bis 7 Mio. Tonnen Steinkohle pro Jahr produzieren sollte. In diesem Antrag hatte sich die Linksfraktion weiterhin dafür eingesetzt, den Steinkohlenbereich nicht in eine private Stiftung zu überführen, die nach Abwicklung des Kohlebereichs für die so genannten Ewigkeitskosten zuständig sein soll. Stattdessen schlug sie vor, den gesamten Konzern in eine staatliche Bundesstiftung zu überführen, um den Haftungsverbund des Gesamtkonzerns zu erhalten. In dem Erhalt des Gesamtkonzerns als staatliche Bundesstiftung sah die Linksfraktion eine nachhaltigere und demokratischere Lösung, um die so genannten Ewigkeitskosten sowie die sozialen und kulturellen Folgekosten des Auslaufens des Bergbaus zu finanzieren. Die Programme für ein sozialverträgliches Auslaufen des Bergbaus, so eine weitere Forderung der Linksfraktion, sollten auch auf die Bergbauzulieferer ausgeweitet werden.

Wörtlich heißt es in dem Antrag: »Weitere Ziele der Stiftung sind, die Aus- und Weiterbildung und die öffentlich geförderte Beschäftigung zu organisieren, sowie den Umbau der Energiewirtschaft zugunsten von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien voran zu treiben. Die Gewinne der wirtschaftlichen Tätigkeit werden ausschließlich für diese Zwecke verwendet. Die Stiftungsgremien werden mehrheitlich mit Vertreterinnen und Vertretern aus Organisationen besetzt, die das öffentliche Interesse repräsentieren. Das sind: Betriebsräte, Gewerkschaften, Umweltverbände, Zusammenschlüsse der Bergbaugeschädigten, Bundestagsfraktionen, Bundesregierung, sowie die Länder Nordrhein-Westfalen (NRW) und Saarland;
3. die Ausbildungskapazitäten der RAG zu erhalten, zukunftsgerecht aus- zubauen und gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen ein Konzept für eine Verbundausbildung aufzustellen. Dabei sind Unternehmen, Gewerkschaften, Handwerkskammern, regionale Industrie- und Handelskammern, die Agentur für Arbeit und die Kommunen zu beteiligen;
4. die frei werdenden Mittel aus der Reduzierung der vorgesehenen Steinkohlesubventionen so lange für die Bewältigung des Strukturwandels zur Verfügung zu stellen bis ausreichend Ersatzarbeitsplätze geschaffen sind. Für die betroffenen Regionen im nördlichen Ruhrgebiet und dem Saarland ist eine Strukturpolitik zu entwickeln. Schwerpunkt soll eine gezielte Ansiedlungsstrategie für Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau, und im Bereich der erneuerbaren Energien sein. Dabei muss auch die Situation der Zulieferindustrie berücksichtigt werden, die allein rund 70.000 Arbeitsplätze umfasst. Die Bundesregierung wird aufgefordert darauf hinzuwirken, dass das Land NRW ebenso verfährt. Mit der RAG, dem Land NRW und den betroffenen Standortgemeinden ist sicherzustellen, dass die vom Bergbau künftig nicht mehr benötigten Flächen in diese Ansiedelungs- und Strukturpolitik miteinbezogen und nicht kurzfristig abgestoßen werden.«

Die Linksfraktion im Bundestag hat mit ihrem Antrag zwar Forderungen der IGBCE aufgenommen, gleichzeitig ist sie aber auch ein ganzes Stück über die Vorstellungen der IGBCE hinausgegangen. So etwa mit der Forderung, den Gesamtkonzern zu erhalten und in eine staatliche Stiftung zu überführen. Auch das von der Linksfraktion formulierte Transformationskonzept ist bei der IGBCE kaum anschlussfähig gewesen. Mit dem Vorschlag, die Stiftungsgremien mit VertreterInnen aus Organisationen zu besetzen, die ein öffentliches Interesse repräsentieren, nimmt der Antrag der Linksfraktion Ideen des Konzepts der Wirtschaftsdemokratie von Fritz Naphtali von 1928 [17] auf und entwickelt sie weiter. Gegen den neoliberalen Mainstream konnte die Linksfraktion diese wirtschaftsdemokratischen Forderungen im Bundestag jedoch nicht durchsetzen.

1.8. Fazit zur Ruhrkohle

Trotz des politisch entschiedenen Endes des Ruhrbergbaus kann man nicht sagen, dass die 1968 gegründete Ruhrkohle AG nur ein Abwicklungsunternehmen geblieben wäre. Ganz im Gegenteil. Die RAG – heute: Evonik – hat sich zu einem international tätigen Konzern mit  unterschiedlichen Sparten entwickelt, der seinen Hauptsitz nach wie vor im Ruhrgebiet hat, in Essen. Ein Teil der früheren Bergbauzulieferer ist von der RAG aufgekauft und somit vor dem Untergang bewahrt worden. Andere Bergbauzulieferer haben die lange Phase der Abwicklung des Bergbaus genutzt, um sich umzubauen und andere Marktsegmente zu erschließen. Bei einem abrupten Aus für den Ruhrbergbau wären diese Unternehmen mit untergegangen. Die Kohlepolitik in NRW ist zwar politisch umstritten.

Von liberaler Seite wurde immer wieder kritisiert, dass die Subventionen besser in die Entwicklung von neuen Wirtschaftszweigen investiert worden wären. Und von grüner Seite wurde kritisiert, es wäre sinnvoller gewesen, man hätte die Subventionen für eine forciertere Entwicklung umweltfreundlicher Energieproduktion genutzt. Dennoch muss man festhalten, dass es gelungen ist, durch die Gründung der RAG einen Transformationsprozess in Gang zu setzen, an dessen Ende eben nicht schlicht das Ende des Bergbaus steht, sondern ein neues Unternehmen. Der Industriestandort ist damit zumindest stabilisiert worden und ein Teil der verloren gegangenen Arbeitsplätze im Bergbau konnte ersetzt werden. Und schließlich sollte auch nicht unterschätzt werden, welchen Anteil des erwirtschafteten Mehrwertes von Gewerkschaften und Belegschaften der Schachtanlagen für die Finanzierung eines sozial abgefederten Strukturwandels erstritten wurde.

2. Das Abschmelzen der Eisen- und Stahlindustrie


Die zweite Säule
der klassischen Industrie im Ruhrgebiet stellt die Eisen- und Stahlindustrie mit ihren Hochöfen und Stahlwerken dar. Anders als der Bergbau stand sie nie gänzlich zur Disposition. Dennoch ist sie auf einen Bruchteil dessen geschrumpft, was sie einmal im Ruhrgebiet war. Der Grund dafür ist einerseits eine enorme Produktivitätssteigerung: Hat ein Hochofen 1861 25 Tonnen Roheisen in 24 Stunden produziert, hat er 1993 12.000 Tonnen Roheisen im gleichen Zeitraum produziert. [18]

Zum anderen ist der Großteil der weltweiten Eisen- und Stahlproduktion nach Asien, in den mittleren Osten und nach Lateinamerika verlagert worden. [19] In der EU ist vor allem die Produktion von sehr hochwertigen Stahlsorten verblieben.

Und schließlich wurde Eisen und Stahl zum Teil durch alternative Werkstoffe ersetzt. Gleichwohl ist die Bundesrepublik innerhalb der EU der bedeutendste Standort für Rohstahlproduktion. Für 2011 betrug die Jahresproduktion in der Bundesrepublik 44,3 Mio. Tonnen. [20]

Der letzte verbliebene Hüttenstandort im Ruhrgebiet ist Duisburg. 1896 gab es in fast allen Städten zwischen der Ruhr und der heutigen BAB 40 Hochöfen. Die Stahlstandorte sind ähnlich dramatisch geschrumpft.

Vergleichbare politische Interventionen wie im Rahmen des geordneten Rückbaus des Ruhrbergbaus hat es für die Eisen- und Stahlindustrie nicht gegeben. Die Bundespolitik hat sich allerdings, wo möglich, um die Erschließung neuer Märkte bemüht, wie z.B. das Ost-West-Geschäft mit Gas und Röhren mit der früheren UDSSR. Daran waren die Ruhrgas AG, Mannesmann und die Deutsche Bank auf deutscher Seite als Vertragspartner beteiligt und auf sowjetischer Seite zwei Staatsbetriebe und die sowjetische Außenhandelsbank. Dieses Geschäft war unter Beteiligung der jeweils zuständigen Minister auf deutscher und sowjetischer Seite zustande gekommen. [21]

Ein der RAG vergleichbares Konsolidierungsunternehmen gab es in der Hütten- und Stahlindustrie nicht. Auf dieser Seite der Montanindustrie ging es vor allem um eine innerbetriebliche, sozialpolitische Flankierung des Rückbauprozesses. Die zentralen Instrumente zur Organisation eines sozialverträglichen Personalabbaus in der Eisen- und Stahlindustrie waren Frühverrentung und Abfindungen. Allerdings nicht so komfortabel wie im Bergbau. Die Altersgrenze für die Frühverrentung lag im Regelfall bei 56 Jahren.
Auf langen und massiven Druck der Gewerkschaften, insbesondere der IG Metall, gelang es in den 1980er Jahren eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden durchzusetzen. Da dieser Erfolg in den 1990er Jahren aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in der seit 1990 vergrößerten Bundesrepublik wieder zunichte gemacht wurde, entfaltete die Arbeitszeitverkürzung nur eine zeitlich befristete Wirkung.

Die politische Antwort auf die Standort- und Arbeitsplatzverluste in der Eisen- und Stahlindustrie lagen und liegen vor allem in dem Bemühen um die Neuansiedlung neuer Unternehmen und Wirtschaftszweige. Darum geht es im folgenden Abschnitt.

[1] Teil I »Historische und politische Rahmenbedingungen des Strukturwandels im Ruhrgebiet« ist am 8.10.2015 auf westLINKS erschienen unter:  www.vorort-links.de/nc/archiv/analysen_ansichten/detail/artikel/strukturwandel-und-industriepolitik-im-ruhrgebiet/
[2] Alle Tonnage-Angaben als tvk = Tonnen verwertbarer Kohle.
[3] Siehe: Rationalisierungsverband des Steinkohlenbergbaus: de.wikipedia.org/wiki/Rationalisierungsverband_des_Steinkohlenbergbaus
[4] Siehe: RAG Aktiengesellschaft: de.wikipedia.org/wiki/RAG_Aktiengesellschaft.
[5] Chronik des Ruhrgebiets, 1987, S. 549.
[6] Vgl. Hüttenvertrag: de.wikipedia.org/wiki/Hüttenvertrag.
[7] Vgl. Kohlehalden. Zaster für Zechen. Wie aus der Überproduktion eine nationale Kohlereserve geschaffen werden soll. In: Die Zeit Nr. 43 / 15.10.1976 www.zeit.de/1976/43/zaster-fuer-zechen.
[8] Vgl. Jahrhundertvertrag: de.wikipedia.org/wiki/Jahrhundertvertrag.
[9] Vgl. Kohlepfennig: Wirtschaftslexikon 24, www.wirtschaftslexikon24.com/d/kohlepfennig/kohlepfennig.htm.
[10] Vgl. Energiepolitik: Gegen den Rest der Welt. Ein Rentner vom Niederrhein ist schuld am Problem der Regierung mit dem Kohlepfennig. Der Spiegel 13 / 27.03.1995 www.spiegel.de/spiegel/print/d-9176268.html.
[11] BVerfG, 11.10.1994 - 2 BvR 633/86.
[12] Vgl. Anm. 2.
[13] Vgl. u.a. Ewigkeitskosten – Ewigkeitsgewinne: www.neueenergie.net/ewigkeitskosten-ewigkeitsgewinne. Weitere Literaturverweise zu diesem brisanten Thema im Literaturverzeichnis.
[14] Vgl. Stahlmann / Wendt-Kleinberg, S. 165.
[15] Stahlmann / Wendt-Kleinberg, S. 169 ff.
[16] Bundestagsdrucksache 16/6392 vom 19. 09. 2007 dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/063/1606392.pdf.
[17] Fritz Perez Naphtali: Wirtschaftsdemokratie: Ihr Wesen, Weg und Ziel. Hrsg. im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes von Fritz Naphtali. Verlagsgesellschaft des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, Berlin 1928. Neu aufgelegt 1966 durch die Europäische Verlagsanstalt EVA, Hamburg.
[18] Vgl. Jahrbuch Stahl 2013, Bd 3, S. 285.
[19] Vgl. Jahrbuch Stahl 2013, Bd 3, S. 294.
[20] Vgl. Jahrbuch Stahl 2013, Bd 3, S. 277.
[21] Vgl. Chronik des Ruhrgebiets, 1987, S. 549







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