Der rechte Rand

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5. Mai 2013 von Joachim Bischoff und Bernhard Müller

SPD-Senat: Gut Regieren = schlanker Staat

Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Hamburg müssen sich auf harte Zeiten einstellen. Stellenkürzungen und höhere Leistungen prägen mehr und mehr den Alltag. Da soll ein Löschboot der Hamburger Feuerwehr zum 1. Juni stillgelegt werden, in einem anderen Stadtteil wird das Kundenzentrum Ende 2013 geschlossen. Der »Konzern Hamburg« dünnt sein öffentliches Dienstleistungsangebot immer mehr aus und fordert seinen Beschäftigten eine immer intensivere Arbeitsleistung ab. Der Grund: Die Freie und Hansestadt Hamburg leidet unter einer sich verstärkenden Finanznot. Verschärft wird die Situation durch die zusätzlich von einer Allparteienkoalition in der Hamburger Bürgerschaft (außer der Linksfraktion) auch noch in der Hamburger Verfassung verankerte »Schuldenbremse«.

Der Hamburger SPD-Senat hat den BürgerInnen der Stadt versprochen, durch eine »sparsame Haushaltsführung« bis 2020 einen ausgeglichen Haushalt vorzulegen und damit die »Schuldenbremse« einzuhalten. Um das mehrfach beschworene Ziel zu erreichen, dürfen die jährlichen Ausgabensteigerungen 0,88% nicht übersteigen. Dies bedeutet schon angesichts der Preissteigerungsrate praktisch, dass in vielen Bereichen jährlich Ausgabenkürzungen stattfinden müssen. So sollen pro Jahr 250 Stellen (Vollzeitäquivalente) gestrichen werden. Eine solche Politik hat natürlich gravierende Folgen für das städtische Personal und Quantität und Qualität der von der Stadt angebotenen Dienstleistungen.

Diese Methode der sanften oder schleichenden Haushaltskonsolidierung, die auf brachiale Eingriffe in die Ausgabenstruktur und »Giftlisten« verzichtet und stattdessen über die Jahre verteilt in den verschiedenen Ausgabenbereichen vordergründig moderat erscheinende Ausgabenreduktionen vornimmt, stößt mehr und mehr an ihre Grenzen. Die in Hamburg regierende SPD kommt immer weniger mit dem vorhandenen Finanzmitteln zurecht; dazu kommt das die Wirtschaftskonjunktur sich auch hier eintrübt und die Steuereinnahmen stagnieren. Die Logik in der Haushaltsplanung, mit unrealistischen Annahmen zu operieren, kann nicht aufgehen.

Dies hat jetzt auch der gute Tarifabschluss für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von insgesamt 5,6% in 2013/2014, der auch für die Beamten übernommen werden soll, deutlich gemacht. Der Senat hatte in seinen Planungen für den Haushalt 2013/2014 nur 1,5% für Tariferhöhungen eingestellt – wissend nach dem Abschluss für die Kommunen im letzten Jahr, dass das die tatsächliche Tarifsteigerung nicht abdecken wird. Die Folge: Gegenüber dem Haushaltsplan fehlen 2013 rund 45 Mio. Euro, im kommenden Jahr werden es beinahe 104 Mio. Euro sein.

Der SPD-Senat hatte im Vorfeld des Tarifabschlusses immer wieder betont, dass Mehrkosten durch weiteren Personalabbau kompensiert werden müssten. So hatte Bürgermeister Scholz bei der Vorstellung des Haushalts 2011 vorgerechnet, dass 50 Mio. Euro Mehrkosten jeweils 1.000 Stellen Abbau bedeuteten – über die bereits vorgesehenen 250 Stellen pro Jahr hinaus. Nach dieser Logik würde der Tarifabschluss einen Abbau von beinahe 3.000 Stellen nach sich ziehen.
Nach dem Tarifabschluss gab sich der SPD-Senat dann vordergründig versöhnlicher: Die Mehrausgaben seien nicht »automatisch« durch Personalabbau gegen zu finanzieren. Aber das ist blanke Rhetorik, den faktisch hält der Senat daran fest, dass die Behörden ihre Mehrkosten beim Personal selbst auffangen müssen. Der Senat sei »bei seinem Beschluss über den Haushaltsentwurf 2013/2014 davon ausgegangen, dass im Haushaltsvollzug auftretende Mehrbedarfe der Behörden grundsätzlich im Rahmen der Bedarfe, die sich aus Tarif- und Besoldungsanpassungen ergeben.«

Die logische Folge: Personalbabbau, Intensivierung der Arbeit der Beschäftigten und verschlechterte öffentliche Dienstleistungen. Dies trifft besonders die Bezirke. Sie unterliegen schon seit Jahren einem starken Konsolidierungszwang. Nimmt man die Daten aus dem Doppelhaushalt 2011/2012, sollten die Bezirke allein in den Jahren 2011 und 2012 durch Einnahmeerhöhungen, Personalabbau und Leistungskürzungen Konsolidierungsleistungen in Höhe von 56,1 Mio. Euro erbracht haben, bzw. noch erbringen. Das sind etwa 6% ihres Etats.
Auch in 2013/2014 gibt es für die Bezirke weitere drastische Einsparungen. Allein 2013 sollen sie mehr als 23 Mio. Euro einsparen, und von 2014 bis 2017 weitere 62 Mio. Euro. Um diesen »Konsolidierungsbeitrag« zu leisten, müssen die Bezirksämter vor allem ihre Personalkosten massiv senken. Das vom Senat vorgegebene Sparziel für 2013 entspricht einem Abbau von 468 Stellen. Im Bezirk Mitte zum Beispiel fallen 2013/2014 insgesamt 75 Stellen weg, Altona muss ein Minus von 64 Stellen verkraften, »und je nach Höhe des Tarifabschlusses und der Inflationsrate aufwachsend bis 2014 bis zu 95 Stellen«, hieß es beim Bezirksamt Mitte. Durch über dem Planansatz von 1,5% liegenden Tarifabschlüsse fallen jetzt noch mehr Stellen hintenüber.

Um den vom Senat entfesselten Konsolidierungsdruck zu bewältigen, haben die Bezirksamtsleiter eine Arbeitsgruppe »Bezirksverwaltung 2020« gebildet, die nach Einsparmöglichkeiten sucht, die jetzt in einem der Öffentlichkeit zugespielten Arbeitspapier zusammengefasst sind. Ihre Ausgangslage: Jährlich steigen die Ausgaben der Bezirksämter um durchschnittlich 1,19%. Im Rahmen der Schuldenbremse dürfen die Ausgaben aber nur um 0,88% steigen. Da die Bezirke fast nur an Personal sparen können, müssen bis zum Jahr 2019 bis zu 600 Stellen wegfallen, um das Sparziel zu erreichen. Hochgerechnet würde die Schließung von zehn Kundenzentren etwa 30 Stellen einsparen.

In dem Papier wird unter anderem vorgeschlagen, die Bezirksämter Nord und Eimsbüttel zusammenzulegen. Harald Rösler (SPD), Bezirksamtsleiter in Nord, leitet die sogenannte Lenkungsgruppe, in der alle sieben Bezirksamtsleiter die Sparvorschläge einstimmig beschließen müssen. Nach Rösler handelt es »sich bislang nur um Überlegungen. Es ist noch nichts beschlossen.« Anfang 2014 sollten danach die Entscheidungen fallen. Diese Aussage hatte allerdings nur eine äußerst geringe Halbwertzeit. Denn kaum hatte das Arbeitspapier das Licht der Öffentlichkeit erreicht, gab der Bezirk Wandsbek – ohne vorherige Information der Bezirksversammlung – bekannt, das Kundenzentrum Walddörfer zum Jahresende schließen zu wollen. Bekannt wurde außerdem, dass der Bezirk Harburg die Öffnungszeiten seiner Dienststelle Grundsicherung in Neugraben Harburg halbiert.

Weiteres Einsparpotenzial sehen die Bezirke bei ihrem Ordnungsdienst (BOD). Den jährlichen Einnahmen von 1,1 Mio. Euro (etwa durch das Knöllchenschreiben) stehen Ausgaben von fünf Mio. Euro für 89 Vollzeitstellen gegenüber. Es ist angedacht, einen Großteil der Sicherheitsaufgaben wieder in die Hände der Polizei zu legen. Soweit diese mit den zusätzlichen Aufgaben überfordert ist, sollen das die BürgerInnen gefälligst wieder selbst übernehmen. Statt selbst Grünanlagen etwa auf Sauberkeit zu überprüfen, sollen die BOD-Mitarbeiter künftig Beschwerden der Bürger über ein Internetportal entgegennehmen.

Zurecht kritisiert die Gewerkschaft Ver.di diese Sparpläne. »Die Bezirke sind ein wichtiges Gut für den Stadtstaat Hamburg. Sie sind zuständig für Bürgernähe, Sicherung sozialer Angebote, Demokratie vor Ort und Parteilichkeit für Stadtteilentwicklung«, sagt Fachbereichsleiterin Sieglinde Friess. Die Beschäftigten in den Bezirken leisteten dafür hervorragende Arbeit und seien ein wichtiges Bindeglied zwischen Staat und Bürgern. Immer wieder hätten Politiker in den vergangenen Jahrzehnten von der Stärkung der Bezirke gesprochen, aber sie tatsächlich geschwächt. Friess: »Strukturell wurden Aufgaben entzogen und Kollegen durch permanenten Personalabbau in Belastungssituationen gehetzt, die ihnen keine Luft für vernünftige Umsetzung lässt.«

Aus ihrer Sicht sind die Bezirke an den Rand der Arbeitsfähigkeit angelangt. Friess wirft den Bezirksamtsleitern vor, »Gehorsam zu üben«. Stattdessen fordert sie alle politisch Handelnden auf, diese Politik zu beenden. »Wir erwarten, dass Bürgernähe und Demokratie vor Ort keine Schlagwörter bleiben, sondern mit starken, gut ausgebauten Bezirken beantwortet wird.«
Nicht nur die Beschäftigten in den Bezirken sind an den Rand der Arbeitsfähigkeit gelangt – dies lässt sich vielmehr verallgemeinern. Denn soll die Vorgabe des Senats in allen Behörden eingehalten werden, wird das nicht ohne weiteren Personalabbau vor sich gehen. Da aber in vielen »Amtsstuben« die Personaldecke schon so stark ausgedünnt ist, dass die Dienstleistungen mindestens nicht mehr in der gewünschten Qualität erbracht werden können, muss der SPD-Senat entweder die selbstgesetzte Grenze von 0,88% jährlichen Aufgabensteigerung aufgeben und das durch entsprechende Einnahmeverbesserungen (Steuerprüfungen, Initiativen für Steuererhöhungen auf Bundesebene) absichern oder aber die Politik der Haushaltskonsolidierung schlägt in eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen um.

Doch in Sachen Einnahmeverbesserungen zeigt sich der Senat mehr als träge. Beispiel Steuervollzug: In Hamburg müsste es laut Personalbedarfsrechnung eigentlich 686 Betriebsprüfer geben. Doch seit Jahren wird diese Zahl unterschritten. Nur 583 sind wirklich im Einsatz, 103 weniger als vorgesehen. Zu wenig Betriebsprüfer bedeutet auch wenig Prüfungen. So werden Großbetriebe in Hamburg alle fünf Jahre geprüft, mittlere Betriebe nur alle 14 Jahre und Kleinstbetriebe sogar nur alle 81,7 Jahre. Und: Nur fünf Prozent aller Einkommensmillionäre wurden im vergangenen Jahr in Hamburg geprüft. Das nichterschlossene Potential liegt auf der Hand: So hat es in Hamburg allein 2012 nach dem Bekanntwerden von Steuer-CD's mit den Daten auch vieler Hamburger Steuerhinterzieher 669 Selbstanzeigen gegeben.
Durch den Attentismus des SPD-Senats in Sachen Steuervollzug kommt logischerweise auch weniger Geld in die Kassen. Über den Daumen gepeilt treibt jeder Prüfer eine Mio. Euro jährlich ein. So gehen der Stadt 103 Mio. Euro flöten. Aus der Behörde von Finanzsenator Tschentscher heißt es dazu lapidar: »Das Personal in der Steuerverwaltung ist von 2000 bis 2011 um rund 400 Vollzeitkräfte reduziert worden.« Man sei nun dabei die Lücke langsam zu schließen. Das »langsam« muss allerdings auch und gerade vor dem Hintergrund des strikten Sparkurses sehr wörtlich genommen werden. Es ist daher nicht absehbar, dass der SPD-Senat eine entschlossene Politik der Einnahmeverbesserung betreiben wird.

Angesichts dieser Prioritätensetzung auf Ausgabenkürzungen braucht man nicht viel Phantasie, um sich ein über die Jahre »gesundgespartes« Hamburg 2019, wenn der Haushalt schließlich ausgeglichen sein soll, vorzustellen: ausgemagerte oder abgeschaffte öffentliche Dienstleistungen, völlig überlastetes Personal, noch marodere Infrastruktur (Schulen, Universitäten, Grünanlagen, Strassen), Bezirke zusammengeschrumpft oder abgeschafft. Und dies alles mit dem Argument, zukünftige Generationen nicht mit den Schulden von heute zu belasten – deshalb »Schuldenbremse«. Auf diese »Erbschaft« des »guten Regierens« können sich die »zukünftigen Generationen« wirklich freuen.

Das gesellschaftspolitische Latein war noch nie die Stärke der SPD. Viel gravierender ist die Logik mit Verweis auf die knappen Kassen den Beschäftigten eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aufzubürden. Bislang hat sich das versprochene »gute Regieren« eben nicht durch Offenheit, breite Beteiligung und gerechte Lastenverteilung ausgezeichnet.

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