Der rechte Rand

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Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
Das IfS. Faschist*innen
des 21. Jahrhunderts

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»Institut für Staatspolitik«
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Reiner Rhefus
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184 Seiten | in Farbe | Hardcover | zahlreiche Fotos | EUR 16.80
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Lebenswertes Hamburg
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Karl Marx war fünf mal in Hamburg?

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184 Seiten | durchgängig farbig | Festeinband | viele bislang unveröffentlichte Fotos und historische Abbildungen | EUR 19.80
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Linke Kommunalpolitik –
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Crashkurs Kommune 12
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DenkMal Friedhof Ohlsdorf
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6. November 2013 Joachim Bischoff und Bernhard Müller

Soziale Spaltung und Wahlen

Mit spürbarer Erleichterung ist die Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen registriert worden. Nach dem Negativrekord bei der Bundestagwahl 2009 (70,8%) ist sie leicht auf 71,5% angestiegen. Allerdings – genauer betrachtet – kann diese Entwicklung nicht zufrieden stellen. Die soziale Schieflage bei der Wahlabstinenz hat sich offenbar noch verschärft: Betrug die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2009 beispielsweise in Köln-Chorweiler, einer Hochhaussiedlung mit ganz wenigen Einfamilienhäusern, noch 43%, wurden dort jetzt nicht einmal mehr 42,5% erreicht. Dagegen stieg die Wahlbeteiligung in Köln-Hahnwald, einem noblen Villenviertel, sogar von immerhin schon 87% (2009) auf fast 89%.

Dass die Wahlbeteiligung in einzelnen Stadtteilen unterschiedlich ausfällt, gilt auch für Hamburg.  Da sich die deutsche Gesellschaft sozialstrukturell tiefer (in Arm und Reich) spaltet und auch sozialräumlich immer mehr (in abgehängte und Wohlstandsquartiere) zerfällt, nehmen auch politische Erosions-, Polarisierungs- und Fragmentierungstendenzen zu. Bildungsferne Arbeitslose und Arme nehmen ihre politischen Rechte nur eingeschränkt war. Die Wahlbeteiligung ist in den sozial und wirtschaftlich schwachen Schichten deutlich geringer als bei den Bessergestellten. Da diese Gruppen auch eher linke Parteien präferieren und stärker an einer umverteilenden Sozial- und Wirtschaftspolitik interessiert sind, bedeutet eine niedrige Wahlbeteiligung in diesen Gruppen, dass ihre Interessen im politischen Prozess weniger Beachtung finden.

Bei der Bundestagswahl in Hamburg ist die SPD mit einer WählerInnenzustimmung von 32,4% wieder, wenn auch nur knapp, zur stärksten politische Kraft geworden. Die Hamburger Sozialdemokratie hat dabei gegenüber 2009 sehr viel stärker (+5,0%) zulegen können als die Bundespartei. Gleichwohl ist die Selbstzufriedenheit des SPD-Vorsitzenden Scholz über das Hamburger Ergebnis, in dem er auch eine Anerkennung für das »Ordentlich Regieren« in Hamburg ausmacht, kaum gerechtfertigt, hat die hanseatische SPD doch nur das zweitschlechteste Wahlergebnis bei Bundestagswahlen seit 1949 erreicht. Der Hamburger SPD-Chef hatte das Ziel ausgegeben: »Alle Wahlkreise für die SPD«. Die CDU hat dann doch ein Direktmandat geholt und der Vorsprung der SPD bei den Zweitstimmen ist nur minimal. Schließlich ist ihm als Bürgermeister ist auch noch der Volksentscheid zur Rekommunalisierung der Energienetze um die Ohren geflogen.

Gleichwohl: Die Hamburger SPD ist mit einem blauen Auge davon gekommen. Schon die Gleichzeitigkeit der Bundestagswahl mit der für die SPD verloren gegangenen Volksabstimmung macht deutlich, dass die SPD hat mit dem Kurs des »vernünftigen Regierens« wachsende Schwierigkeiten hat, ihre politische Verankerung aufrecht zu erhalten. In vielen Politikfeldern wird die Zukunftslosigkeit für Teile der Bevölkerung offenkundig.

Neben dem knappen Scheitern der Alternative für Deutschland (1) (4,2%) müsste dem ersten Bürgermeister der Stadt mindestens noch der Umstand zu denken geben, dass die Wahlbeteiligung in Hamburg gegen den Bundestrend weiter gesunken ist.

So beteiligten sich an der Bundestagswahl in Hamburg nur 70,3% Prozent der Wahlberechtigten, das sind 1,0% weniger als 2009 und damit so wenig wie bei keiner Bundestagswahl zuvor. Knapp 30% bzw. 380.000 BürgerInnen sind in Hamburg nicht (mehr) zur Wahl gegangen. Damit ist Hamburgs Wahlbeteiligung im Gegensatz zu den vorangegangenen Bundestagswahlen niedriger als im Bundesgebiet.

Seit den 1980er Jahren sind (nicht nur in Hamburg) rückläufige Wahlbeteiligungsquoten, also zunehmende Nicht-Wähleranteile, bei Europa-, Bundestags- und Bürgerschaftswahlen zu verzeichnen. Bis Anfang der 1980er Jahre pendelte die Beteiligung an Bundestagswahlen um 90%, ging dann zurück und bewegte sich zwischen 1990 und 2002 nahezu unverändert um die 80-Prozent-Marke. Seit den letzten beiden Wahlen ist wieder ein weiterer Rückgang zu beobachten. Auch die Beteiligung an Bürgerschaftswahlen hat sich in den 1990er Jahren auf einem Niveau um die 70% stabilisiert und nimmt seither weiter ab. Europawahlen werden von den Wählern offenbar als weniger wichtig erachtet und haben ein deutlich niedrigeres Beteiligungsniveau, seit den 1990er Jahren unter 40%.

Allerdings zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf die Bezirke, dass die Wahlbeteiligung im Stadtgebiet ganz unterschiedlich ausgeprägt ist. Gingen etwa im Bezirk Eimsbüttel 75,4% der berechtigten BürgerInnen zur Wahl, waren es im Bezirk Mitte nur 61,4%. Und geht man auf die bezirkliche Ebene gibt es auch hier eine enorme Schwankungsbreite. So lag die Wahlbeteiligung im Bezirk Mitte im neuen Stadtteil Hafencity bei 83,8% und in Billbrook bei nur bei nur 43,2%. Ähnliche Spannbreiten lassen sich auch in den anderen Bezirken nachweisen.

Entscheidender Faktor für diese unterschiedliche Beteiligung an der politischen Willensbildung ist vor allem die weit auseinanderlaufende ökonomisch-soziale Lage, die soziale Schere, in den Stadtteilen und Bezirken. Wer ein gutes Einkommen und oder Vermögen hat, geht zumeist zur Wahl, während derjenige, der eine prekäre Arbeit mit geringen Einkommen oder auf sozialstaatliche Leistungen angewiesen ist, sich so wenig von der Wahl verspricht, dass sie/er auf die Wahrnehmung seiner staatsbürgerlichen Rechte verzichtet. In den Altonaer Stadteilen Nienstedten und Blankenese, wo Durchschnittseinkommen je Steuerpflichtigem von deutlich über 100.000 Euro erreicht werden und kaum Menschen leben, die auf Sozialleistungen angewiesen sind (Quote: 1,2%) liegt die Wahlbeteiligung bei 86-87%. Dagegen gehen im Mitte-Stadtteil Billstedt, wo das Durchschnittseinkommen nur 22.000 Euro beträgt und 27,1% der BürgerInnen auf Sozialleistungen angewiesen sind, nur 55,7% der Wahlberechtigten ihr Stimmrecht auch wahr.

»Eine vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung weisen jene Stadtteile auf, in denen die Bevölkerung selten SGB II-Leistungen (›Hartz IV‹) bezieht und/oder das durchschnittliche Einkommen hoch ist. Statusniedrige Wohngebiete mit relativ häufigem Hilfebezug und niedrigem Durchschnittseinkommen sind dagegen durch eine geringe Wahlbeteiligung gekennzeichnet. Bei hohem Hilfeempfängeranteil beträgt die Wahlbeteiligung 59,7 Prozent, bei niedriger Hilfequote dagegen 82,2 Prozent. In Stadtteilen mit hohem Durchschnittseinkommen gaben 83,0 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, gegenüber nur 61,6 Prozent in Gegenden mit geringem Einkommen.«(2)

Dass die CDU in »statushohen Stadtteilen« überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt, ist wenig überraschend, steht sie doch mit ihrer Politik und Programmatik für die Verteidigung bestehender Einkommens- und Vermögenspositionen. Erwartbar war auch, dass die Sozialdemokratie in Stadtteilen »mit geringem sozialem Status« deutlich besser abschneidet als in sozialstrukturell privilegierten Gegenden. »In Gebieten mit hohem Bezug von SGB II-Leistungen erzielt sie 35,0 Prozent, in solchen mit geringem Hilfeempfängeranteil dagegen nur 25,6 Prozent. In Wohnlagen mit niedrigem Durchschnittseinkommen stimmten 35,2 Prozent, in Gebieten mit hohem Einkommen dagegen nur 26,0 Prozent für die SPD.« Hinter diesem (relativ) hohen Wählerzuspruch in den Stadtteilen mit vielen sozialen Problemlagen steht sicherlich die Hoffnung, dass die Sozialdemokratie ihr Versprechen auf Eindämmung der sozialen Spaltung auch einlöst, was allerdings im Rahmen einer großen Koalition, aber auch bei Fortsetzung ihrer bisherigen Politik auf Landesebene fraglich ist. Für viele frühere SPD-WählerInnen hat sie gerade deswegen bis heute ein großes Glaubwürdigkeitsproblem.

Wenig überraschend ist schließlich auch, dass DIE LINKE, in »statusniedrigen Wohngebieten« vergleichsweise viel und in statushohen Lagen nur relativ Zustimmung findet. »So liegt beispielsweise ihr Stimmenanteil in Wohnvierteln mit überdurchschnittlich vielen ›Hartz IV‹-Leistungsbezieher/innen bei 13,7 Prozent, gegenüber nur 5,1 Prozent in Gebieten mit geringer Hilfequote.« Zu denken geben muss ihr allerdings, dass ihr Stimmenrückgang auch darauf zurückzuführen ist, dass sie »in statusniedrigen Gegenden an Zustimmung verloren (hat). In Stadtteilen mit hohem Anteil von ›Hartz IV‹-Empfänger/innen betrug der Rückgang 4,0 Prozentpunkte.«

Schließlich zeigen die Wahlergebnisse, dass die AfD, wie andere rechtspopulistische Parteien, vor dem Hintergrund weiterer sozialer Polarisierung und wachsender Enttäuschung über das politische System als Sammlungsbewegung unterschiedlicher sozialer Interessen durchaus Entwicklungspotential hat. »Der Stimmenanteil der AfD ist in statushohen als auch in statusniedrigen Gebieten fast gleich groß. So erzielt die Partei etwa in Stadtteilen mit hohem Anteil von Leistungsbezieher/innen nach SGB II 4,7 Prozent der Stimmen, in den Gegenden mit wenigen Hilfebezieher/innen ist die Zustimmung mit 4,3 Prozent nur unwesentlich geringer.«

Schlussfolgerung: Wird weiterhin zu wenig gegen die ökonomisch-sozialen Zersetzungsprozesse (Prekarisierung der Lohnarbeit, wachsende Armut ) auf Landes- wie Bundesebene getan, wird die Diskreditierung des politischen Systems weiter voranschreiten. Auch auf der Ebene der Hamburger Landespolitik sind hier keine Ansätze erkennbar, da die Sozialdemokratie das Thema der sozialen Spaltung für zweitrangig erklärt. Die Quittung für diese Ignoranz könnte schon bei den Bezirks- und Europawahlen im nächsten Jahr ausgestellt werden. 


1) Anteil Menschen mit Migrationshintergrund; 2) Durchschnittseinkommen je Steuerpflichtigem 20073) Anteil an der gleichaltrigen Bevölkerung; 4) Anteil der BezieherInnen von Sozialleistungen Ende 2011

Datenquelle: Statistisches Landesamt für Hamburg und Schleswig Holstein

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(1)  Die AfD hat Stimmenanteilen bis zu 7,3% und in 34 Stadtteilen über 5% erreicht. In den Stadtteilen erreicht die AfD aus dem Stand bis zu 7,3 Prozent der Stimmenanteile (in Billbrook, gefolgt von Rönneburg mit 6,5%). In 34 Stadtteilen erreicht die AfD mindestens 5,0%. Den geringsten Stimmenanteil holt die AfD mit 1,8% in der Sternschanze.

(2) Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig Holstein, Analyse der Bundestagswahl in Hamburg. Vorläufige Ergebnisse, S. 11

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