30. Januar 2013 von Joachim Bischoff und Bernhard Müller
Sozialdemokratische Errungenschaft: höhere Preise für den ÖPNV
Hamburgs Sozialdemokratie ist stolz: Die Hansestadt hat seit Januar 2013 die Zuschüsse für ermäßigte Fahrkarten des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) von 18 auf 19 Euro im Monat erhöht. Alle Menschen, die staatliche Leistungen für ihren Lebensunterhalt bekommen, können diesen monatlichen Zuschuss in Anspruch nehmen, jubelt der Sozialsenator. »Angesichts der steigenden HVV-Preise freue ich mich, dass wir die ermäßigte Sozialkarte auch im kommenden Jahr weiter anbieten und subventionieren können.« Schauen wir genauer hin.
Der Öffentliche Nahverkehr wird zu einem immer gewichtigeren Faktor bei der Sicherung der Mobilität in der Metropolregion Hamburg. So konnte der HVV sein Fahrgastvolumen im Zeitraum von 2008 bis 2011 um 12,2% steigern. 2011 nutzten 996,7 Mio. Fahrgäste die verschiedenen Angebote des HVV, das waren knapp 50 Mio. mehr als 2008.
Noch stärker als das Fahrgastvolumen stiegen die Einnahmen des HVV, nämlich um 21,3% im Zeitraum von 2008-2011. So nahm der HVV 2011 mit 652,2 Mio. Euro 2011 knapp 100 Mio. Euro mehr ein als noch 2008. Einen nicht unerheblichen Anteil daran hatten Preiserhöhungen, deren Volumen sich in diesem Zeitraum auf 41,5 Mio. Euro summiert.
Auch für 2013 sind die Preise angehoben worden. Es gilt die Logik der Preise für Mietwohnungen – die normale Preissteigerungsrate findet hier nicht statt. Um die Steigerungsraten transparent zu gestalten und die Belastungen der Fahrgäste im Rahmen zu halten, war in der Vergangenheit ein Tarifindex etabliert worden. Zudem gab es die Vereinbarung, dass die Kosten des HVV aus zwei Dritteln durch die Fahrpreise und zu einem Drittel aus einem Zuschuss der Stadt gedeckt werden.
Bei der Tarifsteigerung für 2013 weichen HVV und Senat nun von dieser Regelung ab. Laut Tarifindex käme eine Fahrkartenerhöhung von 2,5% auf die Fahrgäste zu, beschlossen wurde aber eine Erhöhung der Preise um durchschnittlich 3,5%. Es wurde von der Drittelregelung abgewichen, da der Senat den Zuschuss an die HGV zum Verlustausgleich eingefroren hat. Die Fahrgäste werden verstärkt zur Schließung der Defizite herangezogen. Damit setzt sich – durch die »Schuldenbremse verstärkt – die Tendenz fort, dass sich die Stadt mehr und mehr aus der Finanzierung des ÖPNV zurückzieht. Wurden 2007 noch 165,9 Mio. Euro Zuschüsse an die beteiligten Verkehrsunternehmen ausgezahlt, waren es 2011 nur mehr 149,8 Mio. Euro. Man kann es auch drastisch sagen: Die NutzerInnen des ÖPNV werden für die ökonomisch-finanziellen Fehlschläge der öffentlichen Unternehmen zur Kasse gebeten.[1]
Besonders betroffen von der erneuten Preisanhebung sind die BezieherInnen von Sozialleistungen. 2009 wurde für sie noch vom schwarz-grünen Senat ein Sozialticket eingeführt, durch das sie einen Nachlass von 19 Euro auf Zeitkarten des HVV erhalten (ausgenommen sind Wochenkarte, FlexiCard und das Semesterticket für Studierende). Von 2010-2012 sind die Fahrpreise um insgesamt 7,8% erhöht worden, ohne dass dies durch eine entsprechende Erhöhung des Nachlasses kompensiert worden wäre. Durch die erneute Preisanhebung um 3,5% kostet jetzt eine Monatskarte (im Abo) für drei Zonen mit 69,20 Euro 2,50 Euro mehr als noch im letzten Jahr. Da der SPD-Senat den Preisnachlass für SozialkartenInhaberinnen nur um einen Euro erhöht, müssen sie für diese Monatskarte jetzt 50,20 Euro zahlen.
Der Regelsatz für SGB-II-EmpfängerInnen sieht 24,07 Euro pro Monat für den ÖPNV vor und liegt damit deutlich unter den 50,20 Euro. In Hamburg erhält man für den vorgesehenen Regelsatz plus den 19 Euro, die vom Preis durch die Sozialkarte abgezogen werden, nur eine Monatskarte für eine Tarifzone außerhalb des Großbereichs, eine CC-Karte für eine Tarifzone außerhalb des Großbereichs, eine CC-Karte für drei Tarifzonen und eine Seniorenkarte für eine Tarifzone außerhalb des Großbereichs. Die Mobilität für SozialleistungsempfängerInnen ist durch die Tarife des HVV also massiv eingeengt.
Schon bisher überfordern die Fahrpreise die finanziellen Möglichkeiten der Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, ganz offensichtlich. Denn von den etwa 230.000 BürgerInnen, die etwa ALG II, Sozialgeld oder Grundsicherung im Alter beziehen, haben nur ca. 25% eine Sozialkarte in Anspruch genommen. Nimmt man noch hinzu, dass es weitere Personen gibt, zwar die selbst keine der vorgenannten Leistungen erhalten, aber einen Anspruch auf die Sozialkarte haben, weil sie Haushaltsangehörige der vorgenannten Personengruppen sind, liegt die tatsächliche Inanspruchnahme des Sozialtickets durch die auf Sozialleistungen Angewiesenen noch niedriger. Der Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe wird von den Verantwortlichen nicht sehr hoch geschätzt; das war schon immer so und wird unter dem Druck der »Schuldenbremse« immer deutlicher.[2]
Ähnlich verhält es sich beim »AGH mobil«-Ticket (gültig für die Ringe A, B, C). Dieses Ticket erhalten die TeilnehmerInnen einer AGH-Maßnahme (Ein-Euro-Job). für 43 Euro im Monat. Dies entspricht bei einem Stundenlohn von einem Euro einer Arbeitszeit von 43 Stunden, rund 5,3 Tagen. Auch hier wird das Angebot nur von einer Minderheit der Ein-Euro-Jobber angenommen.
Grüne und LINKE fordern deshalb eine deutliche Entlastung der SozialleistungsbezieherInnen bei der Inanspruchnahme des HVV. So haben die Grünen einen Antrag in der Bürgerschaft eingebracht, der die Heraufsetzung der Ermäßigung beim Sozialticket von 18 Euro auf 22 Euro gefordert hat. Er wurde mit den Stimmen der SPD, CDU und FDP abgelehnt.
Für den SPD-Senat ist das Thema soziale Spaltung keine besondere Herausforderung. Wie etwa bei der integrierten Stadteilentwicklung, wo er eine Kürzung der Mittel als »Inklusionspolitik« zu verkaufen versucht, sieht er sich auch in Sachen Sozialticket zynisch auf der Seite der Verlierer: »Obwohl der Regelsatz für die Leistungsberechtigten bereits Anteile für Fahrtkosten enthält und ein Anspruch auf eine zusätzliche Unterstützung nicht besteht, hat Hamburg als zusätzliche freiwillige Leistung die Sozialkarte Hamburg eingeführt und zum 1. Januar 2013 die finanzielle Unterstützung der Stadt pro HVV-Zeitfahrkarte von 18 Euro monatlich auf 19 Euro monatlich erhöht.« Das durch die Erhöhung des Nachlasses um 700.000 Euro aufgestockte Budget (insgesamt 12,9 Mio. Euro) fürs Sozialticket ist der sozialdemokratische Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit. Die erhöhten Baukosten für die Elbphilharmonie um knapp 200 Mio. Euro oder die Ankündigung einer neuen Eventhalle in der HafenCity zielen eben auf ein Klientel, das soziale Gerechtigkeit nicht nötig hat.
[1] Dazu gehört weiter eine verschärfte Repression gegen Schwarzfahrer. Geschätzter Einnahmeausfall für den HVV ca. 24 Mio. Euro jährlich. Für den Fahrkartenprüfdienst wenden die im HVV organisierten Verkehrsunternehmen pro Jahr etwa 6,5 Mio. Euro auf. Das wird aber nicht durch die Einnahmen gedeckt, die durch erwischte Schwarzfahrer erzielt werden. Es geht um ca. rund 250.000 Fahrgäste ohne gültige Fahrkarte jährlich.
[2] In anderen Städten wie Berlin zeigt sich der Zusammenhang von Preiserhöhung und Mobilität für »Prekarisierten« deutlich. Die Zahl der verkauften Sozialtickets ist in Berlin nach der Preiserhöhung zu Jahresbeginn zurückgegangen. Insgesamt bezogen im Januar knapp 130.300 Fahrgäste derartige Monatskarten, rund 3.300 weniger als im entsprechenden Monat des Vorjahres, wie die Umfrage einer Nachrichtenagentur ergab.