10. Mai 2015 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Scholz(SPD): »Zusammen schaffen wir das moderne Hamburg«
Bürgermeister Scholz hat Wochen nach den Wahlen das Regierungsprogramm des Stadtsenates für die nächsten fünf Jahre vorgestellt. Die Aufgabe oder auch tägliche Chance bestehe darin, Hamburg noch besser, noch schöner, noch lebenswerter zu machen. Der Regierungschef präsentierte also die Vorhaben, an denen die Regierung gemessen werden will.
Bei der entideologisierten SPD unter Scholz steht der alltagstaugliche Pragmatismus mit Plan im Zentrum. Leidenschaften oder wenigstens ein wenig politisches Feuer ist bei diesen »Vorhaben« schon lange nicht mehr zu erwarten. Die Präsentation hat formal und inhaltlich den Charme einer mittelmäßigen Vorlesung. Die Aufzählung des Üblichen hat allerdings auch den Vorzug, dass es keinen entschiedenen oder heftigen Widerspruch hervorruft.
Das staatstreue Hamburger Abendblatt trifft das Bild: »Den wenig mitreißenden Ton gab Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) mit der ersten Regierungserklärung dieser Wahlperiode vor. Gut 50 Minuten lang pries der Senatschef die Vorzüge Hamburgs und des Koalitionsvertrags, wobei er sich – für Scholz ungewöhnlich – eins zu eins an sein Redemanuskript hielt. Seine Regierung setze vier Schwerpunkte: Hamburg ›als Laboratorium der Moderne‹ sei wirtschaftlich stark, lebenswert, digital und international.« Ausführlich deklinierte Scholz diese vier Bereiche durch, wobei er mehrfach betonte, keine »abstrakten Ideen« zu verfolgen, »keine Luftschlösser« zu bauen und »niemals ideologisch« zu denken.
Wenn das politische Feuer der Zukunftsgestaltung schon nicht die Bürgerschaftsabgeordneten und die medialen Vermittler erfasst, dann muss die manchmal ans Peinliche grenzende Selbstbelobigung der entfremdeten politischen Akteure aushelfen. Der Sozialdemokrat Scholz beherrscht diese Eigenschaft. Das zeigt sich in Sätzen wie: »Selten war so viel Aufbruch in Hamburg«, oder »Selten wurden so viele so konkrete Pläne für die Zukunft der Stadt nicht nur geschrieben, sondern auch ins Werk gesetzt.« Daraus entstehe das »Bild einer weltläufigen modernen Metropole«, sagt und glaubt der Bürgermeister. »Wir versprechen, dass wir Hamburg weiterhin ordentlich regieren werden und dass man sich auf unsere Zusagen verlassen kann. Wir bauen keine Luftschlösser, sondern wir bauen das moderne Hamburg. Und wir laden alle ein, sich daran zu beteiligen. Zusammen schaffen wir das moderne Hamburg.«
Die im wenig mitreißenden Ton vorgetragenen Vorhaben sind auch inhaltlich wenig überzeugend. Immerhin rangiert unter den großen Vorhaben der endliche Übergang der Elbphilharmonie in den Spielbetrieb. »Im Januar 2017 werden wir die Elbphilharmonie eröffnen. Wir werden damit nicht nur eines der bedeutendsten Konzerthäuser der Welt geschaffen haben, sondern auch ein global wahrgenommenes Wahrzeichen der offenen Gesellschaft der Bundesrepublik.« Konkretere Ansagen, wie man sich die Finanzierung des neuen Hauses vorstellen kann, und was das für den Kulturetat und die anderen Spielstätten bedeutet, sucht man vergebens.
Neben das Wahrzeichen für eine offene Gesellschaft tritt die Olympia-Bewerbung als Vorschlag für eine lohnenswerte Zielsetzung der Stadtgesellschaft. Scholz: »Im Sommer 2017 entscheidet das IOC über die Vergabe der olympischen und paralympischen Spiele 2024. Eine erfolgreiche Hamburger Bewerbung gäbe unserer Stadt einen Entwicklungsschub, der Stadtentwicklung, Wirtschaftskraft und Internationalität entscheidend treiben würde.« Entwicklungsschub für Stadtentwicklung und Wirtschaftspotenzial – das hört sich vielversprechend an. Aber das war es auch schon. Alle weitergehenden Überlegungen sind offensichtlich nicht spruchreif für eine Regierungserklärung. »Wir flankieren den Hafen mit einem weltbedeutenden Konzerthaus und mit einem global bedeutsamen Sportgelände. Wir zeigen der Welt, wie vielfältig unsere Stadt ist, wie attraktiv, wie lebenswert. Und wir gewinnen neue Dynamik für unsere eigene innerstädtische Entwicklung.« Der Hafen ist global, das Konzerthaus soll im Übergang vom teuren Baukörper zum Konzertangebot auch endlich Kontur gewinnen. Und dazu soll ein globalbedeutsames Sportgelände treten – und auch hier wüsste die/der Bürger/in gerne, wie dies bei klammen Haushaltskassen und einem beträchtlichen Schuldenberg zu wuppen ist.
Werfen wir daher noch einen weniger visionären Blick auf die Wirtschaftskraft. Selbst auf dieser irdischen Basis kann der Bürgermeister keine nachvollziehbaren Projekte oder Zielsetzungen definieren. Originalton Scholz »Der Kurs der Haushaltskonsolidierung wird konsequent fortgesetzt. Wir sagen zu, dass wir wie geplant bereits im Jahr 2017 keine neuen Schulden mehr im Kernhaushalt machen werden. Und wir garantieren, dass wir in Hamburg keine Steuern erhöhen werden. Wir werden uns außerdem gemeinsam mit Schleswig-Holstein darum kümmern, dass die HSH Nordbank auf Kurs bleibt …Trotz der Fortschritte beim Abbau von Altlasten in den letzten Jahren bestehen immer noch hohe Risiken aus alten Krediten, für die Hamburg und Schleswig-Holstein über die Ländergarantie haften ... Wenn alles gut geht, werden wir das gesamte Ausmaß der Folgen dieses unverantwortlichen Abenteuers für unsere Länder Anfang der zwanziger Jahre beziffern können.
Wir werden uns dafür einsetzen, in 2015 eine Vereinbarung über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu erreichen, in der auch die besondere Rolle der Stadtstaaten gewürdigt wird. Wir wollen damit den solidarischen Finanzausgleich zwischen den Ländern auf eine sichere Grundlage stellen.
Mit einer ordentlichen und soliden Haushaltspolitik schaffen wir die Grundlage für eine gute wirtschaftliche Entwicklung … Das, was die Stadt in ihrer Verantwortung tun kann, wird sie machen:… Wir werden die Fördermöglichkeiten der Investitions- und Förderbank noch passgenauer gestalten.«
Diese Aneinanderreihung von nichtsagenden Formeln und Plattitüden ist eine Zumutung für die kritische Stadtgesellschaft. Ja, die Haushaltskonsolidierung wird fortgesetzt. Aber die neuen Aufgaben – massive Ausweitung der Flüchtlingsbewegung, Spielbetrieb der Elbphilharmonie, Verbesserung der Qualität in den Bereichen frühkindlicher Erziehung etc – müssten wenigstens in ihren Größenordnungen benannt werden, wenn die demokratischen Werte von Aufklärung, Bürgerbeteiligung und vernünftigem Regieren ernst gemeint wären. Über die Zukunft des Solis diskutiert selbst die Boulevardpresse. In einer Regierungserklärung hätte umrissen werden müssen, was die Kernforderungen von Hamburg für den Länderfinanzausgleich sind.
Ja, das Fiasko der HSH Nordbank ist in seinen Auswirkungen für die städtischen Finanzen nicht bekannt. Ja, die Hoffnung, es möge weiterhin alles gut gehen, ist verständlich. Aber zur Unterrichtung der Öffentlichkeit gehört, den Umfang der angefallenen Verluste für die Stadt zu benennen und das nicht auf das nächste Jahrzehnt zu vertagen.
Allein der Wert der Aktien der HSH Nordbank ist seit 2007 auf Talfahrt. Die Abschreibungen auf den Wert der von der Hamburgischen Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement mbH (HGV), dem HVF – Hamburgischer Versorgungsfonds (HVF) – AöR und der hsh finanzfonds AöR gehaltenen Anteile an der HSH addieren sich inzwischen auf mehrere Mrd. Euro.
Im Klartext: Auch ein Aktienwert von unter 4,88 Euro dürfte bei einem Börsenhandel nicht in Ansätzen realisiert werden. Ausbleibende Dividendenbezahlungen und Wertverluste summieren sich allein für Hamburg auf einen Betrag von ca. 3,5 Mrd. Euro.
Bürgermeister Scholz hält es mit Bill Clinton: Wir machen Politik für diejenigen, die hart arbeiten und sich an die Regeln halten. Eigene Anstrengung und das Bewusstsein für die Regeln des Gemeinwesens sind wichtig. Niemand kann im Ernst die Bedeutung einer eigenen Anstrengung für die persönliche und familiale Existenz in Abrede stellen. Fakt ist aber auch, dass in Hamburg Bereiche der Armut existieren. Es gibt eine Zunahme von Armut trotz des wachsenden Reichtums. Es bilden sich seit längerem benachteiligte Standquartiere oder Armutsinseln aus. Lohndumping, prekäre Arbeit und Sozialabbau sind keine Merkmale einer fernen Gesellschaft, sondern Realität auch in Hamburg.
Solidarität muss auch für BürgerInnen gelten, die Ihren Job verloren haben, denn sie haben zwar ihre Arbeit verloren, aber nicht ihre sozialen Bürgerrechte! Deshalb: Die Politik müsste sich auch um Zumutbarkeitsregeln und Sanktionen gegen Arbeitslose kümmern Auch sie haben ein Recht auf Gute Arbeit und Respekt ihrer Bürgerrechte. Aber die Schattenseiten der von Scholz gerühmten lebenswerten Stadt kommen in Koalitionsvertrag und Regierungsprogramm kaum vor. Leitbild des »vernünftigen Regierens« sind die Chancen auf gute Arbeit, die ordentlich bezahlt ist und sich mit dem Familienleben gut vereinbaren lässt. Über die anderen heißt es lapidar: »Mit 1.000 zusätzlichen öffentlich geförderten Beschäftigungsmöglichkeiten wollen wir Langzeitarbeitslose wieder näher an den ersten Arbeitsmarkt heranführen.«
Scholz lobt sich selbst bis zur Arroganz: Hamburg sei eine sehr optimistische, der Zukunft zugewandte Stadt. Das zeige sich in allem – etwa der Wirtschaftskraft oder der wachsenden Bevölkerung. »Wir wollen gemeinsam diese optimistische Grundeinstellung aufgreifen und dafür sorgen, dass sich Hamburg gut fortentwickeln kann.« »Vernünftiges Regieren« sieht anders aus.