22. August 2013 Björn Radke
Schleswig-Holstein: verkehrspolitischer GAU
Die marode Verkehrsinfrastruktur in Schleswig-Holstein wird zum wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Problem. Seit Ende Juli 2013 ist die für den Verkehr nach Dänemark führende Autobahn A7 bei der den Nord-Ostsee-Kanal querende Rader Hochbrücke für Fahrzeuge über 7,5 Tonnen gesperrt. Die Brücke wurde 1970 gebaut und auf eine Verkehrsbelastung ausgelegt, die bis heute um das Dreifache überschritten worden ist.
Jetzt wurden bei regulären Sanierungsarbeiten an Verschleißelementen massive Schäden an den Betonpfeilern festgestellt. Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) sieht einen Mehrbedarf von einer Million Euro. Gearbeitet wird rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche. Die Reparaturen sollen bis Ende November abgeschlossen sein. Da aber während der Reparaturarbeiten das wahre Ausmaß der Schäden erst sichtbar wird, darf dieser Termin bezweifelt werden.
Die Rader Hochbrücke ist nicht der einzige Engpass im Land. Auch viele Landesstraßen sind in einem schlechten Zustand und in der kommunalen Infrastruktur sind enorme Sanierungsrückstände aufgelaufen.
Die Teilsperrung der maroden Rader Hochbrücke ist verkehrs- und wirtschaftspolitisch für Schleswig-Holstein ein Desaster. Für die Handelskammer Schleswig-Holstein ist die A7 »die zentrale Nord-Süd-Achse« in Schleswig-Holstein. Sie zählt zu den meist befahrenen Autobahnen und hat einen hohen Anteil an internationalem Lkw-Verkehr.
Der Investitions- und Sanierungsrückstau in der öffentlichen Infrastruktur hat einen Grund: die strukturelle Unterfinanzierung des Landes und der Kommunen. Deshalb hat die schwarz-gelbe Vorgängerregierung den Ausbau zwischen dem Autobahndreieck Bordesholm und dem Elbtunnel in Hamburg von vier auf sechs bzw. acht Fahrstreifen beschlossen. Die Realisierung des in Schleswig-Holstein rund 65 Kilometer langen Autobahnabschnittes soll als ÖPP-Projekt (Öffentliche Private Partnerschaft) erfolgen.
„Um die zeitnahe Realisierung der Maßnahme sicherzustellen haben der Bund, die Freie und Hansestadt Hamburg und das Land Schleswig-Holstein beschlossen, die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES) mit der Planung und dem Vergabeverfahren des Autobahnausbaus zu beauftragen.« So der Plan der Landesregierung, die aufgrund ihrer Haushaltssituation die veranschlagten 340 Mio. Euro nicht allein stemmen kann. Die Gesamtkosten des Ausbauprojektes veranschlagt der Bund mit rund 1,3 Mrd. Euro (für Bau, Betrieb, Erhaltung über 30 Jahre und anteilige Finanzierung).
Hart betroffen von der Teilsperrung sind Spediteure und Großtransporte. Durch die notwendigen Umwege steigen die Transportkosten. Nach einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer Flensburg »rechnet deutlich mehr als ein Viertel (29 Prozent) der Speditionsbetriebe nördlich des Kanals durch die Brückensperrung mit Mehrkosten von 10.000 Euro und mehr pro Woche. Weitere 29 Prozent geben zusätzliche Kosten von 1000 bis 2000 Euro an« (shz.10.8.2013).
Die Windkraftunternehmen müssen ihre schweren Großtransporter vorerst stehen lassen, da sie für die Umgehungsstrassen zu groß und zu schwer sind. Das Hamburger Unternehmen Repower wollte bis Ende des Jahres 400 Schwertransporte mit Windrädern über die Rader Hochbrücke schicken. Rechnerisch entsprächen allein die Ausfälle bei Repower der Hälfte aller Windkraftanlagen, die vergangenes Jahr in Norddeutschland errichtet wurden. Das dänische Unternehmen Vestas, das unter anderem auch in Husum produzieren lässt, will künftig verstärkt auf eine eigene Ro-Ro-Fähre zwischen Apenrade und Rostock setzen, um Schleswig-Holstein umfahren zu können. Auch Repower prüft angesichts von Baustellen auf anderen Straßen im Land Ausweichrouten für seine bis zu 150 Tonnen schweren Gespanne über den Seeweg. Die Transportkosten würden sich dadurch aber mindestens im Millionenbereich verdoppeln.
Ein Ausweichen auf die Umgehungsstraßen verschärft die Situation nicht nur für die Spediteure und die anliegenden Ortschaften und deren Bewohner, sondern auch die des eh schon maroden Straßennetzes in Schleswig-Holstein. Auf weiten Teilen des älteren Landesstraßennetzes reichen die Fahrbahnbreiten nicht mehr für eine unproblematische Begegnung zweier Lkw oder Busse aus. Vom knapp 3.600 Kilometer langen Netz von Landesstraßen ist nach Auskunft des Verkehrsminister Reinhard Meyer inzwischen mehr als ein Drittel dringend sanierungsbedürftig. Der Landesrechnungshof hatte den Sanierungsstau für das Landesstraßennetz vor Monaten auf über 100 Mio. Euro beziffert. »Verkehrsentwicklung und Finanzierung sind in den letzten Jahrzehnten immer weiter auseinander gelaufen und haben den Substanzverfall beschleunigt. Das bewirkt inzwischen auch erhebliche volkswirtschaftliche Nachteile«, erklärt Meyer die Situation.
So kann man beschönigend umschreiben, dass der Sanierungstau in der Infrastruktur vor allem auf politische Fehlentscheidungen zurückzuführen ist und mit dem Diktat der Schuldenbremse sogar noch verschärft wurde. Der Direktor des Landesbetriebs Straßenbau und Verkehr (LBV), Torsten Conradt, bleibt dem alten Kurs treu. Er stellt richtig fest, dass das Landesstraßennetz und die kommunalen Straßen in einer »kritischen Situation« seien. Die Mittel des Landes für eine Durchsanierung des Landesstraßenetzes habe die rot-grün-blaue Landesregierung im Koalitionsvertrag sogar zurückgenommen. Rund 14,5 Mio. Euro sind für den Erhalt der Landesstraßen pro Jahr vorgesehen. Nach Schätzung des LBV-Direktors wären aber 20 Mio. Euro pro Jahr nötig – und das Geld reichte auch erst dann, wenn die Straßen einmal wieder in Ordnung gebracht worden wären. Denn eine Straßenbefestigung halte im Schnitt 10 bis 15 Jahre. Mehr Mittel vom Land werde es künftig nicht geben, daher wäre »denkbar (…) etwa die Absenkung von Standards, indem etwa weniger Aufwand bei den Markierungen betrieben werde. Oder auch, dass künftig nicht mehr alle Straßenschäden ausgebessert werden, auch abhängig von der Bedeutung der Straße.« (Radio Hamburg, 11.2.2013)
Angesichts knapper Kassen fällt den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung nur ein, die Qualität der Straßennetze herabzusetzen, auf umstrittene ÖPP-Projekte zu setzen und zu hoffen, dass der Zahn der Zeit einfach nicht weiter an 30 bis 40 Jahre alten Straßen und Brückenprojekten nagt. Verkehrsminister Meyer jedenfalls will nicht ausschließen, dass es auch zukünftig an einigen Landesstraßen und Brücken zu Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen kommen wird.
Wenn die Landesregierung das Problem angehen will unter dem Ansatz »Erhalt muss vor Neubau gehen«, klingt das wie im Märchen vom Hase und Igel. Ohne eine Neukonzeption der Infrastruktur und der dafür notwendigen Finanzierungsmöglichkeiten droht der vollzogenen Instandsetzung die nächste marode Baustelle und ruft: »Ick bün al dor!«