30. September 2014 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Sättigungsbeilage für die Sozialdemokratie

Die FDP ist nach einer Reihe von Wahlniederlagen bundesweit in einer schwierigen Lage. Im September 2013 war die Partei aus dem Bundestag geflogen. Bei den nachfolgenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg verpasste sie den Wiedereinzug in die Landtage deutlich.

Trotzdem behauptet der verbliebene Hoffnungsträger, der FDP-Parteichef Christian Lindner: »Die FDP ist nicht aus dem politischen Geschäft raus.« Seine Aktiva: . 57.000 Mitglieder habe die Partei, 67 Mandatsträger in den Landtagen und im Europaparlament, zwei Millionen hätten bei der Bundestagswahl für seine Partei gestimmt. Die politische Erneuerung soll jetzt von den Bürgerschaftswahlen in Hamburg Mitte Februar 2015 ausgehen.An der Elbe regiert derzeit die SPD allein. Manche in der FDP träumen insgeheim von einer sozialliberalen Koalition, also von der Rückkehr zur klassischen Funktionspartei.Doch nach der Spaltung der Partei und der Gründung eines Bundesverbandes der neuen Liberalen dürfte der Niedergang der FDP besiegelt sein.

Die neue Partei (bundesweit 250 Mitglieder , in Hamburg 150) fühlt sich sozialliberalen Traditionen verbunden. Ob sie 2015 bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg und Bremen in Konkurrenz zur FDP antritt, steht noch nicht fest. Das Umfeld von Parteichef Christian Lindner spricht vom »Auszug der Enttäuschten«, und FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki glaubt an eine »rein regionale Erscheinung«. Dagegen argumentiert Najib Karim, der Vorsitzende der Neuen Liberalen: »Es gibt keine Vernunft in der FDP. Man reißt sich nicht zusammen, sondern bekämpft sich nur.« Weder auf Bundes- noch auf Landesebene habe es einen wirklichen Neuanfang bei der FDP gegeben. »Wir sind eine Reaktion darauf, dass die FDP den Liberalismus nicht mehr so repräsentiert.«

Aber der Bruch mit der politischen Gestalt des  Marktradikalismus dürfte zu spät kommen. Die Neuen Liberalen wollen nichts mehr zu tun haben mit der »Partei der Besserverdiener«, aus deren Überresten sie sich zu befreien versuchen: »Ich habe den Eindruck, Hartz-IV-Empfänger sind das neue Feindbild der FDP«, so die Neuliberale Canel.

Die Neuen Liberalen sehen sich nicht als Abspaltung der FDP, sondern ein Sammelbecken für alle, die sozialliberale Politik machen wollen. Dass die Berliner Republik eine weitere politische Formation braucht, ist angesichts der rückläufigen Wahlbeteiligung und des schlechten Ansehens der politischen Klasse wenig wahrscheinlich. Die Neuen Liberalen werden die Hürden für einen Einzug in die Parlamente vermutlich nicht überspringen können. Allerdings wird der Abgang von politischen Kadern aus der FDP den Niedergang der Liberalen beschleunigen.

Wenn sie sich nicht noch selbst zerlegt, wird dagegen die rechtspopulistische »Alternative für Deutschland« (AfD) sicher in der neuen Bürgerschaft vertreten sein und so auch in der Hansestadt die politische Landschaft nachhaltig verändern. Der Rückhalt, den sie bei den WählerInnen findet, wird dabei sicherlich nicht zuletzt davon abhängen, mit welchem Personal sie antritt.(1)

Der Niedergang der Hamburger FDP erweitert den politischen Handlungsraum für die grüne Partei. Zwar würde die konservative Hamburger SPD lieber mit einer marktradikalen FDP das Regierungsgeschäft in der nächsten Wahlperiode bestreiten, aber da die CDU und die AfD als Koalitionspartner nicht in Frage kommen, läuft in Hamburg alles auf eine weitere rot-grüne Regierungsbildung zu. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat in den letzten Positionsbezügen stets hervorgehoben, dass er, sollte es nicht erneut für eine absolute Mehrheit seiner Partei reichen, als Erstes mit den Grünen sprechen wolle.

Die Spitzenkandidatin und Landesvorsitzende Fegebank bringt das innergrüne Unbehagen auf den Punkt: »Als reine Sättigungsbeilage der SPD will ich jedenfalls nicht auf dem Koalitionsteller landen.« Und doch werden die Grünen bei dem künftigen Koalitionsvertrag für mehr grüne Dekoration sorgen: mehr Öko, mehr Bürgerentscheide, weniger Großprojekte. »Wir kümmern uns auch um die Eichhörnchen im Park.«, heißt es da beispielsweise im Wahlprogramm. Und weiter: »Wir sind die Öko-Partei, und wir besinnen uns auf unsere Wurzeln.«Auch »Generationengerechtigkeit« ist den Grünen ein Thema: »Wir haben Hamburg von unseren Kindern nur geborgt.« Die Grünen fordern einen »Masterplan Klimaschutz«, wollen den Anteil des Radverkehrs bis 2025 auf 25 Prozent steigern. In der grünen Stadt muss natürlich auch die Lebensqualität stimmen, deshalb: »Wir kümmern uns um den Platz zwischen den Häusern.«

Die Grünen haben sich als einstiger linker Landesverband in den letzten drei Jahren konsequent von ihrem linksliberalen Programmbausteinen getrennt. Der Spitzenkandidat Kerstan bringt es auf den Punkt: »Wir Grüne müssen vor allem die Themen Umwelt und Energiepolitik verkörpern.«

Immerhin: Hamburg ist auch die deutsche Hauptstadt der sozialen Spaltung. Hier lebt laut aktuellem Sozialbericht jedes vierte Kind in Armut, rund 46.000 Kinder sind von Armut bedroht. Die Quote der unter 15-Jährigen, die von Hartz-IV-Bezügen leben, liegt in Rothenburgsort bei 49,4%, in Nienstedten dagegen bei nur bei 0,2%.

Die grüne Spitzenkandidatin vertritt neben der Rückkehr zu den grünen Wurzeln auch die nicht unwichtige Seite des Kampfes gegen die soziale Spaltung. Es ginge auch darum, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht größer werde. »42.000 Millionäre und 18 Milliardäre leben in Hamburg«, sagt Katharina Fegebank auf der Nationalen Armutskonferenz. Während 9,3% der Hamburger im Reichtum leben, seien 17,7% von Armut bedroht. »Um die soziale Spaltung endlich zu verringern, fordern wir eine Enquete-Kommission zu diesem Problem in der nächsten Legislaturperiode, um nach Lösungen zu suchen.«

Wenn bei der Sättigungsbeilage auch noch eine andere Armuts- und Mietenpolitik herauskommt, dann kann die grüne Partei in Hamburg für sich in Anspruch nehmen, der Sozialdemokratie doch auch eine reformpolitische Perspektive abgerungen zu haben.

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