Der rechte Rand

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Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
Das IfS. Faschist*innen
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Reiner Rhefus
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Lebenswertes Hamburg
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Karl Marx war fünf mal in Hamburg?

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Linke Kommunalpolitik –
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ISBN 978-3-89965-578-0

12. Januar 2015 Björn Radke

Reicher Speckgürtel – armes Schleswig-Holstein

Hamburgs Bevölkerung soll bis 2020 – wenn es nach den Zielen der Sozialdemokratie geht – auf zwei Mio. EinwohnerInnen anwachsen. Der Zuzug in die Großstadt verstärkt die vorhandenen Probleme: Mangel an bezahlbaren Wohnungen, Defizite beim öffentlichen Personennahverkehr, marode öffentliche Infrastruktur. Auch der »Speckgürtel« ,d.h. die an Hamburg grenzenden Kreise Pinneberg, Stormarn und Herzogtum Lauenburg in Schleswig-Holstein, werden als Metropolregion von dieser Aufwertung partizipieren. Anfang dieses Jahres verkünden die Medien die frohe Kunde, dem Speckgürtel gehe es gut und es werde so weitergehen.

Schauen wir uns die Verhältnisse des Speckgürtels genauer an. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 20101. Aktuellere gibt es nicht. Demnach verzeichnet der Kreis Stormarn die höchsten Durchschnittseinkünfte pro Steuerpflichtigen (39.343 Euro). Danach folgen die Kreise Pinneberg (36.623) und Herzogtum Lauenburg (35.258). In den vier kreisfreien Städten des Landes sind die durchschnittlichen Einkünfte am niedrigsten. Schlusslicht ist Neumünster (26.196).

Nun ist das mit den Durchschnittswerten die eine Sache, eine andere die der genaueren Betrachtung: Blickt man aber auf die aktuellste verfügbare Statistik (2010), ergeben sich 1,344 Mio. schleswig-holsteinische Lohn- und Einkommensteuerpflichtige, die einen Gesamtbetrag der Einkünfte (im Folgenden »Einkommen«) in Höhe von 43,34 Mrd. Euro erzielten. Das entspricht einem durchschnittlichen Einkommen von 32.248 Euro je Steuerpflichtigen, so das Statistikamt Nord.

Einige Steuerpflichtige hatten sehr hohe Einkommen – so gab es 2010 beispielsweise 515 schleswig-holsteinische »Einkommensmillionäre«. Daher lag bei knapp zwei Drittel der Steuerpflichtigen (65 Prozent) das Einkommen unter dem Durchschnitt. Der gegenüber Extremwerten robustere Median zeigt, dass die Hälfte aller Steuerpflichtigen ein Einkommen von höchstens 23.178 Euro aufwies. Das hängt auch damit zusammen, dass Schleswig Holstein einen relativ großen Niedriglohnsektor hat.

Auch innerhalb der Kreise selbst gibt es erhebliche Unterschiede: Im Kreis Steinburg liegt das Durchschnitts-Pro-Kopf-Einkommen der Gemeinde Breitenberg bei 50.718 Euro im Jahr. Die fünf Steinburger Städte Itzehoe (27.972), Glückstadt (28.246), Kellinghusen (27.869), Krempe (29.986) und Wilster (27.592) liegen knapp unter dem Kreisdurchschnitt (30.574 Euro). Bei den vier kreisfreien Städten liegt das durchschnittliche Einkommen zwischen 27. 592 Euro je Steuerpflichtigen in der Hansestadt Lübeck und 26.196 Euro in Neumünster (siehe Karte).

 

Die Werte der Kreise spiegeln die Nähe zu Hamburg und Kiel wider. So haben drei der vier an Hamburg angrenzenden Kreise die höchsten durchschnittlichen Einkommen je Steuerpflichtigen, wobei der Kreis Stormarn mit 39. 343 Euro je Steuerpflichtigen an der Spitze liegt. Für den Kreis Dithmarschen ergibt sich dagegen der geringste Durchschnittswert aller Kreise mit 29. 662 Euro je Steuerpflichtigen.

Auf ganz Schleswig-Holstein bezogen, ergibt sich eine deutliche Spaltung der Einkommen zwischen den Bewohnern des »Speckgürtels« und den nördlichen Kreisen und kreisfreien Städten, die auch mit den größten sozialen Transfers zu tun haben. Die Arbeitslosenrate beträgt in den kreisfreien Städten Neumünster 10,4% und Kiel 9,1%. Aber auch innerhalb der Kreise sind dieses Spreizungen unübersehbar.

Es wohnt sich gut im Hamburger Umland – die Lebensqualität ist hoch, obgleich auch in SH die öffentliche Infrastruktur verfällt und die Verkehrsanbindungen zu wünschen übrig lassen. Aus Schleswig-Holstein gehen 155.000 Menschen einer Arbeit in Hamburg nach. Die enge Verzahnung zwischen Stadt und Umland führt aber auch dazu, dass sich Probleme wie die angespannte Wohnungssituation weit über Hamburg hinaus auswirken. So liegt zum Beispiel der Mietpreis für kleinere Wohnungen in Stade, 45 Kilometer südwestlich von Hamburg, aktuell bei 15,75 Euro pro Quadratmeter. Damit hat er sich innerhalb eines Jahres verdoppelt und übersteigt jetzt bei weitem den niedersächsischen Durchschnittspreis von 6,76 Euro.

Im Landkreis Lüneburg, etwa 50 Kilometer südöstlich von Hamburg, stiegen die Preise für unbebautes Wohnland innerhalb eines Jahres um 9%. Eigentumswohnungen wurden um fast 6% teurer. In Mecklenburg und Schleswig-Holstein sieht es ähnlich aus. Allein in Pinneberg, knapp 18 Kilometer von Hamburg entfernt, verteuerten sich Immobilien in den vergangenen drei Jahren um 14%.Eine »Offensive für bezahlbares Wohnen« soll in Schleswig-Holstein Abhilfe schaffen. Das Land stellte bis Ende 2014 180 Mio. Euro an Darlehen für Bauprojekte zur Verfügung. Es soll neben Kiel und Lübeck vor allem den Städten und Gemeinden der Metropolregion zu Gute kommen. Allein 50 Mio. Euro sind für die Förderung von rund 450 preiswerten Mietwohnungen im unmittelbaren Hamburger Umland reserviert. Auch in Niedersachsen gibt es ähnliche Förderprogramme. Dort werden zum Beispiel kinderreiche Familien mit zinsgünstigen Darlehen bis zu 45.000 Euro beim Neubau von Einfamilienhäusern unterstützt.

Ob Neubau, Hauskauf oder Mietwohnung – ist die Entscheidung für einen Wohnsitz im Hamburger Umland gefallen, bleibt die Frage, wo es sich denn am schönsten und erschwinglichsten rund um die Hansestadt wohnen lässt. Generell funktionieren die Immobilienpreise und Mieten im Speckgürtel nach einem einfachen Prinzip: Je weiter eine Region von Hamburg entfernt liegt, je schlechter die Anbindung durch Straße und Schiene, desto günstiger sind die Angebote. Für Immobiliensuchende lohnt es dabei durchaus, sich mit zukünftigen Infrastrukturmaßnahmen zu befassen.

Erfreulich ist, dass der Hamburger Arbeitsmarkt nach SH ausstrahlt und im nördlichsten Bundesland die Arbeitslosigkeit weiter abgenommen hat. In Schleswig-Holstein waren im Dezember 97.200 Menschen ohne festen Job – das sind 2.700 mehr als im November, aber 5.700 weniger als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote im Land beträgt derzeit 6,5%, nach 6,9% vor einem Jahr. Nach Angaben von Margit Haupt-Koopmann, Leiterin der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit, verbessern sich die Chancen für Jugendliche: Die Arbeitslosigkeit bei den Unter-25-Jährigen sei überproportional zurückgegangen – im Jahresvergleich um 13,2% auf 9.000. Damit habe sich die jahresdurchschnittliche Jugendarbeitslosigkeit seit 2005 halbiert.

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sei nach den aktuellsten Daten vom Oktober im Jahresvergleich um 13.900 (1,5%) auf 913.300 gestiegen. Besonders kräftige Zuwächse verbuchten einmal mehr der Handel (plus 4.600) sowie das Gesundheits- und Sozialwesen (3.900). Einbußen hatten die Finanz- und Versicherungswirtschaft (minus 1.300), der Energiesektor (970) und der Bereich Öffentliche Verwaltung/Sozialversicherungen (800). Dynamisch entwickelte sich im vergangenen Jahr auch das Stellenangebot: Seit Jahresbeginn wurden 64.700 sozialversicherungspflichtige Stellen gemeldet, ein Plus von 4.400 oder 7,2%.

Die Zunahme der Jobs ist aber verknüpft mit den niedrigen Löhnen, vor allem im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens. Beim landeseigenen Universitätsklinikum UKSH, dem größten Arbeitgeber des Landes, wird gerade ein Sanierungsprogramm zu Lasten der Beschäftigten durchgezogen. Nicht nur Mehrbelastung, sondern auch Einkommenseinbußen sind die Folge. Die Verbindlichkeiten des Großunternehmens mit rund 12.000 Mitarbeitern und 2.500 Betten belaufen sich auf etwa 250 Mio. Euro. Die Landesregierung hat ihre Bereitschaft zu Hilfen erklärt. Die Voraussetzung: Das UKSH muss wirtschaftlich arbeiten und darf keine neuen Schulden machen. »Wenn wir tatsächlich eine hohe Effizienzrendite wollen, dann werden wir hoch investieren müssen«, sagte Finanzminsterin Monika Heinold (GRÜNE). Bislang waren für die Sanierungen 540 Mio. Euro vorgesehen. Daraus könnte eine Summe nahe einer Milliarde werden.

Die Sanierung soll das Konsortium BAM/Vamed – ausgerechnet – in öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP) mit dem UKSH umsetzen. Der Vertrag mit den beiden Unternehmen läuft über 30 Jahre. BAM und Vamed werden Neubauten und Sanierungen planen und durchführen – allein hierfür sind 520 Mio. Euro veranschlagt. Im Anschluss bleiben sie bis zum Vertragsende für Betrieb und Instandhaltung verantwortlich. Das UKSH hofft, durch die Sanierungen jährlich Betriebskosten in Millionenhöhe einsparen zu können. Dieses Geld soll dann als sogenannte Effizienzrendite an die beiden privaten Investoren fließen und so das Projekt zum Teil finanzieren.

BAM ist einer der größten Baukonzerne Europas. Der Mutterkonzern hat seinen Sitz in den Niederlanden, die Deutschland-Zentrale liegt in Stuttgart. Der Konzern hat nach eigenen Angaben weitreichende Erfahrung mit ÖPP-Projekten.

Vamed wiederum ist eine Tochter des Fresenius-Konzerns. Fresenius ist ein weltweit tätiger Gesundheitskonzern, zu dem unter anderem mehr als 100 Kliniken der Helios-Gruppe gehören. Vamed ist bereits jetzt ein wichtiger Partner des Klinikums. Zwei gemeinsame Gesellschaften, an denen Vamed 49% hält, kümmern sich um den IT-Bereich am UKSH. Zusätzlich wird das Konsortium nun auch den Bereich »Facility Management« am Klinikum mit verantworten. Unter diesem Begriff werden in Kliniken vielfältige Dienstleistungen zusammengefasst, von der Versorgung und Wartung von komplexem OP-Zubehör bis hin zu Hausmeisterarbeiten.

Teil des Sanierungskonzeptes ist es, das Klinikum in den Flächentarifvertrag der Länder zurück zu holen. Damit soll der geltende Haustarifvertrag abgelöst werden. Der Ländertarifvertrag liegt jedoch immer noch unter dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) von Bund und Kommunen, den ver.di für die UKSH-Mitarbeiter fordert.

Zusammengefasst: Bei einer stark ausgeprägten Einkommensspaltung nicht nur zwischen den Kreisen, sondern auch innerhalb der unterschiedlichen Branchen, trägt die Landesregierung bei ihrem größten Landesbetrieb durch das ÖPP-Projekt selbst zur weiteren Herabsenkung des Einkommensniveaus bei.

Dabei hat der Bundesrechnungshof in einem Gutachten nachgewiesen, dass diese Methode die SteuerzahlerInnen oft teurer kommt als eine konventionelle Finanzierung durch den Staat. Der Rechnungshof hatte sieben ÖPP-Projekte überprüft. Bei fünf Projekten zeigte sich, dass sie um insgesamt fast zwei Mrd. Euro teurer waren, als sie es bei einer konventionellen Realisierung gewesen wären.

Es ist leider bei der Landesregierung keinerlei Kursänderung zu erkennen, obwohl dies dringlich angesagt wäre. Das BIP pro Kopf lag 2013 mit 27.684 Euro auf dem elften Rang der sechzehn Bundesländer. An der Spitze lag Hamburg als die Dienstleistungsmetropole Norddeutschlands. Hier wurde 2013 ein BIP von gut 53.610 Euro je Einwohner erwirtschaftet, immerhin fast 20.260 Euro mehr als im Bundesdurchschnitt.

Es bedarf eines Maßnahmen-Kataloges, der durch Schaffung eigener Wirtschaftscluster in Zukunftsbereichen wie Gesundheit, Soziales, Wissenschaft- und Bildung neue, gut bezahlte Arbeitsplätze schafft, und den öffentlichen Bereich nicht weiter ausdünnt, sondern stärkt. Dies ist sicher nicht auf einen Schlag realisierbar, aber letztlich nur auf bessere Zeiten zu hoffen, reicht nicht.

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1 Siehe Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Statistik informiert ... Nr. XII/2014, Lohn- und Einkommensteuerstatistik Schleswig-Holstein 2010. Große regionale Unterschiede.

 

 

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