Der rechte Rand

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Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
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16. Juli 2014 Knut Persson

Ponzi-System: Blaupause für die Finanzkrise

Boston Library (NYT); en.wikipedia.org

Charles Ponzi (geboren in Italien 1882, gestorben 1949 in Brasilien) war ein italienischer Immigrant in den USA und einer der größten Betrüger der us-amerikanischen Geschichte. In angelsächsischen Ländern ist seine Betrugsmasche unter dem Begriff »Ponzi Scheme« berühmt und berüchtigt. Sein letzter Plagiator war Bernie Madoff, dessen Masche 2008 aufflog und Madoff eine Strafe von 150 Jahren Gefängnis einbrachte.

In Deutschland gilt der aktuelle (2014) Prokon-Fall als Ponzi-Trick. Auch der gerichtsanhängige Fall »Wölbern Group KG sowie Professor Heinrich Maria Schulte« fällt unter Ponzi-Systeme. In diesem Beitrag geht es schwerpunktmäßig um Ponzi-Systeme in Zusammenhang mit Staatsfinanzierung.

Als Ponzi mit seinen Betrugssystem anfing, hatte er bereits eine steile Karriere hinter sich: Er hatte es bis zum Assistent der Geschäftsleitung gebracht. Die Geschäftsleitung war allerdings der Gefängnisdirektor und Ponzi, äußerst bewandert in finanziellen Dingen, die er sich in einer Bank erarbeitet hatte – u.a. mit Betrügereien, war seine rechte Hand als Gefängnisinsasse.

Kaum entlassen (1920) holte er zu seinem entscheidenden Coup aus. Einen betrügerischen Coup, der – man höre und staune – später wissenschaftliche Zeitschriften und Bücher hervorrief. »Ponzi« wird diskutiert in Zusammenhang mit »public finance«, »public debt« und »Dynamic Approach«, aber auch mit Unternehmensfinanzierung. Aber das erlebte Ponzi nicht mehr. Er starb 1949 arm und einsam in Brasilien. Kein geringerer als Mussolini hatte ihn 1939 dorthin geschickt als Leiter einer Filiale der staatlichen italienischen Fluggesellschaft.

Das Ponzi-Betrugssystem

Es begann mit den Antwortscheinen. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es diese Scheine, um Briefe und dergleichen von den USA nach Europa und umgekehrt zu schicken. Ponzi hatte herausgefunden, dass aufgrund von Währungsturbulenzen, die Scheine in Europa einen Pence kosteten, in den USA jedoch sechs. Also kaufte Ponzi die Scheine in Europa, um sie in Boston teurer zu verkaufen. Damit konnte man nicht reich werden, denn die Transport- und Betriebskostenkosten fraßen einen großen Teil des Gewinnes wieder auf –  ernährte jedoch seinen Mann.

Der Ponzi-Trick ist simpel. Ponzi lockte Investoren mit überdurchschnittlich hohen Renditen in eine vorgeblich risikolose Investition. Das waren bei Ponzi die Antwortscheine. Eine tatsächlich risikolose Investition, die aber hinsichtlich Umfang und Rendite belanglos waren. Als Ponzi mit seinem Trick anfing, waren das allerdings versprochene exorbitante Renditen: 50% innerhalb von nur 90 Tagen. Das verursachte keineswegs Misstrauen. Die Kunden kamen in Scharen. Zwischenzeitlich stapelte er die Geldscheine bei sich im Büro, mitunter in seinem Papierkorb. Wenige Kunde waren misstrauisch und verlangten ihr Geld zurück. Sie wurden zunächst anstandslos ausgezahlt und mehrten so den Ruhm und das Ansehen Ponzis.

Ponzi benutzte ganz geschickt die Differenz von »Ausgaben« und »Auszahlungen«. Er schrieb seinen Kunden die Gewinne, die er vorgab gemacht zu haben, auf ihren Konten gut – und damit waren es für Ponzi Ausgaben, aber eben nicht Auszahlungen. Seine Verbindlichkeiten gegenüber seinen Kunden waren Guthaben für diese. Er veranlasste sie, mit dem Argument, ihr Kapital würde sich dann weiter verzinsen, sich nicht auszahlen zu lassen. Der Kunde sah auf seinem Konto sein sich stetig verzinsendes Guthaben. Dass den Verbindlichkeiten Ponzis gar keine liquiden Mittel oder andere assets gegenüberstanden, um ihn, den Kunden auszahlen zu können, war den Kunden verborgen. Und das war der simple Trick. Immer wieder kopiert. Madoff gab unumwunden zu, dass sein System ein Ponzi-System war.

Solange die Einzahlungen größer sind als die Auszahlungen, gibt es für Ponzi-Systeme keine natürlichen Grenzen. Genau das ist wichtig und wird uns weiter beschäftigen. Im Gegensatz zu Schneeballsystemen, die, weil sie exponentiell wachsen, auch nach relativ kurzer Zeit zusammenbrechen müssen, weil die Anzahl der Teilnehmer  am Schneeballsystem gegenüber  den potentiellen Kunden zu groß wird, gibt es beim Ponzi-System keine (!) irgendwie geartete natürliche finanzielle Grenze. Beim ihm gibt es nur einen Akteur – beim Schneeballsystem muss die Anzahl der Akteure exponentiell wachsen. Geld – und sei es in Form von Guthaben – ist beliebig vermehrbar, ob dem – in welcher Form auch immer – reale Werte gegenüberstehen, ist fraglich. Beim Schneeballsystem dagegen ist die Anzahl der Akteure begrenzt.

Ponzis Geschäftsmodell brach dann Anfang der 1920er Jahre zusammen, als Kunden und die US-Post herausfanden, dass Ponzi unmöglich so viele Antwortscheine gekauft haben konnte wie Kundengelder angelegt waren. Auch fand man sein Vorstrafenregister bemerkenswert – es gab da diverse Betrügereien in seinem Vorleben. Die Kunden forderten ihr Geld zurück – und Ponzi musste auszahlen, was er nicht konnte. So wanderte er wieder einmal für sieben Jahre ins Gefängnis. Danach setzte man ihn – den italienischen Auswanderer – auf ein Schiff nach Italien. Aber erst, als er ein weiteres Mal im Knast saß: diesmal wegen betrügerischen Immobilien Deals. Der Mann war dynamisch.

Ponzi scheiterte mit seinem System an einen entscheidenden Punkt: Vertrauen. Der Ponzi-Akteur muss lediglich dafür sorgen, dass die Einzahlungen grundsätzlich größer sind als die Auszahlungen, und dass kein Misstrauen entsteht. Für einen Privatmann eine Herkulesarbeit – auch Madoff scheiterte daran –nicht jedoch für gewichtigere Akteure.

Die Warnung: Die »US Securities and Exchange Commission« sieht sich auf ihren Internetseiten genötigt einen Link zu schalten (https://www.sec.gov/answers/ponzi.htm), um vor den Gefahren von Ponzi-Systemen zu warnen. Das Madoff-System (2008) war nur einer von etlichen Versuchen, durch betrügerische Systeme Geld zu akquirieren. Die US Ausgabe der Google News verzeichnet etliche aktuelle Beispiele für Ponzi-Systeme. Nicht nur Madoff versprach dauerhaft und risikolos überdurchschnittliche Gewinne (10% bis 15%). Das Beispiel macht Schule in den USA. Ponzi kam noch mit sieben Jahre Gefängnis durch – für Berni Madoff waren es schon 150 Jahre.

Ponzi-Systeme, »Public Finance« und »Public Debt«

In den USA gibt es inzwischen eine erkleckliche Anzahl von wissenschaftlichen Büchern, die sich mit Ponzi-Finanzierung befassen. Eine Recherche-Anfrage im World-Catalogue ergab für »Ponzi and ›Public Finance‹« eine Trefferzahl von 30, für »Ponzi and ›Public Debt‹« sogar 36 Treffer. Dabei muss klar sein, dass öffentliche Anleihen lediglich ein Zahlungsversprechen beinhalten. Anders als Pfandbriefe oder Unternehmensanleihen, denen entweder Immobilienwerte bzw. Assets  als »underlying« zugrunde liegen, bauen die öffentlichen Anleihen lediglich auf der Ressource »Vertrauen« auf. Staaten können Bankrott gehen. Die 1990er Jahre waren eine Folge von Staatspleiten: Argentinien, Brasilien, Mexiko, Russland, Südostasien. Zurzeit (2014) ist einmal mehr Argentinien an der Reihe.

Einer der ersten Wissenschaftler, der das Ponzi-System näher darstellte, war Hyman Minsky (»Instabilität und Kapitalismus«, 1970, 1982, S. 38ff). Minsky sieht einen Zusammenhang zwischen Finanzkrise und Ponzi-Finanzierung. Sieht dieses aber eher darin begründet, dass die regelmäßigen Einnahmen aus einer Investition aufgrund von Zinsänderungen nicht mehr ausreichen, die Schulden zu bedienen. Die Einnahmen aus den Investitionen sind kleiner als Ausgaben für die Schulden. Minsky sieht in der spekulativen, nicht abgesicherten Form der Finanzierung das Ponzi-System realisiert. »Ungenutzte Gelder oder Überschussreserven in den Portfolios sind ein potentielles Rohmaterial für die Kreditgewährung. ... Deshalb haben Banken und andere Finanzinstitute den Antrieb, zu spekulativer oder Ponzi-Finanzierung zu verleiten.« (ebd., S.46). Ponzi war in der wissenschaftlichen Literatur angekommen.

Kindleberger (»Manias, Panics, and Crashes. A History of Financial Crisis«, 1978, 2005, Vorworte von Samuelson und Solow, beides Nobelpreisträger) bezieht sich ebenfalls auf Ponzi: »The term Ponzi finance is now a generic term for a nonsustainable Pattern of finance.« (S. 28) Übersetzt heißt das: Der Ausdruck der Ponzi-Finanzierung ist jetzt ein Ausdruck einer nicht nachhaltigen Finanzierung. Man beachte die Jahreszahlen der Erst-Veröffentlichung.

Tatsächlich hat dieses in den USA ab 2006 so stattgefunden: Die Häuslebauer in den USA erfreuten sich zunächst bei sehr niedrigen Zinssätzen an der günstigen Finanzierung. Sobald bei den spekulativ aufgenommenen Krediten die Zinsen stiegen, kippte für sie das System.

Das Beispiel Hamburg

Man muss der Freien und Hansestadt zu Gute halten, dass sie als einziges Bundesland bilanziert und eine GuV (Gewinn- und Verlustrechnung) darstellt. Seit 2007 wird in den Geschäftsberichten (http://www.hamburg.de/fb/geschaeftsberichte/) die Lage der Hansestadt im Kernhaushalt (die Stadt Hamburg) und ihre Besitzungen in der Konzernbilanz veröffentlicht. Weitestgehend unbemerkt von der örtlichen und überregionalen Presse. Ansonsten würde ein Aufschrei erfolgen – der bleibt aus. Der Rest der Bundesländer und der Bund selber »vertrauen« immer noch der Milchmädchenrechnung der Kameralistik. (Eine gute Gegenüberstellung von Kameralistik und kaufmännischer Doppik (also Bilanzierung) findet sich im »Geschäftsbericht 2008« der FHH.)

Die Kameralistik ist durch ihre Fokussierung auf kassenmäßige »Ein- und Auszahlung«, die fälschlicherweise als »Ein- und Ausgaben« (s.o.) deklariert werden, anfällig für Ponzi-Systeme. Dadurch, dass in der Kameralistik auf Bestandserfassung des Vermögens und der Schulden (Bilanzpositionen) weitestgehend verzichtet wird, wird das Ausmaß der Ponzi-Finanzierung nicht deutlich. Das »Vorbild« ist hier Ponzi.

Ponzi-Finanzierung liegt immer dann vor, wenn kein Vermögen vorhanden ist, um die fälligen Schulden (Tilgung und Zinszahlungen) zu bedienen und weitere Schulden gemacht werden müssen, um Tilgung und Zinszahlungen zu realisieren. Dieses liegt eindeutig im Kernhaushalt der FHH vor.

Bei der Doppik wird die Ponzi-Finanzierung allerdings deutlich. Das Ergebnis der handelsrechtlichen  Bilanzierung im Hamburger Kernhaushalt ist schockierend. Das Eigenkapital ist seit Jahren schon aufgezehrt. Der Fehlbetrag (negatives Eigenkapital) wächst von Jahr zu Jahr. Die Zahlungsversprechen, wie sie im Fremdkapital (Passiva) abgebildet werden, wachsen beständig an über die Jahre und werden vom Vermögen (Aktiva, eng. assets) nicht mehr beglichen werden können. (siehe Anhang)

Der Fehlbetrag in der GuV wächst beständig und beängstigend an. Es ist das Anwachsen des Verlustes – von Politikern unbeobachtet und nicht groß diskutiert, was schockierend ist. Und nicht zuletzt: Die Liquidität im Kernhaushalt nimmt beängstigend ab. Dieses ist ein Alarmsignal.
Bemerkenswert ist, dass dieses in Hamburg konstatiert werden muss, in einer historischen einmaligen Phase extrem niedriger Zinsen. Die Situation für Hamburg würde sich in absehbarer Zeit verschärfen, wenn die Zinsen anziehen. Die Vermutung liegt nahe, dass Hamburg nur ein Beispiel ist für andere Bundesländer und dem Bund. In Hamburg fällt es auf wegen der angewandten Doppik – die Kameralistik anderer Bundesländer und des Bundes verbirgt das Problem.

Alles kein Problem stellen Buiter und Kletzer (»Government Solvency, Ponzi Finance and the Redundancy  and Usefulness of Public Debt«, 1992) fest. Die Yale Professoren konstatieren, dass es nur dann ein Problem gibt, wenn die Steuern oder Transfereinkommen des Staates begrenzt sind: »Ponzi finance can be ›essential‹ when taxes and transfers are restricted.« (übersetzt: Ponzi-Finanzierung ist »wesentlich«, wenn Steuern und Abgaben begrenzt sind, also nicht erhöht werden). Das ist richtig. Das stellte schon Ponzi Anfang der 1920er Jahre fest, als keine Einzahlungen in sein System mehr erfolgten und ging ins Gefängnis. In letzter Konsequenz stellen Buiter/Kletzer fest, dass es ausreicht, die Steuern zu erhöhen, um aus dem Ponzi-System auszusteigen.

Auch in der Bundesrepublik wurde schon 1988 Ponzi wissenschaftlich diskutiert: »On fiscal Ponzi Games in a World Economy with Overlapping Generations«, Michael Schmid. Schmid sieht das Ponzi-System als ein »Unifying Dynamic System Approach to real Government Debt and Real Capital Formation« (übersetzt: ein einheitsstiftendes dynamisches System zu tatsächlichen Staatsschulden und Entstehung von Kapital). Ponzi war schon Anfang der 1920er Jahre überaus dynamisch – daran besteht kein Zweifel. Ein eher spekulativ eingestellter Betrachter wird diesen Aspekt mit Wohlwollen zu Kenntnis nehmen.

Während Buiter/Kletzer/Schmid durchaus positive Züge am Ponzi-System entdecken – ohne allerdings auf den historischen Ponzi einzugehen und auf Minsky/Kindleberger, sehen letztere den Aspekt als Ursache der Finanzkrise. Die historische Entwicklung gibt ihnen wohl recht. Und damit ist das Fazit formuliert. Während allerdings in den USA das Problem erkannt wurde – immerhin ist es das Geburtsland des Ponzi-Systems – wird das Ponzi-System in Deutschland in Zusammenhang mit Staatsfinanzierung schlichtweg übergangen.

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