10. Dezember 2014 Knut Persson
NSU-Mordserie: Offene Fragen und ein Zwischenfazit
Am 26.11.2014 tagte die Hamburger Bürgerschaft. Auf der Tagesordnung stand die Debatte über den »Bericht des Innenausschusses über die Drucksachen 20/11661 – »Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) – Ermittlung, Aufarbeitung, Konsequenzen in Hamburg und in der Zusammenarbeit der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder – Senatsmitteilung – « und eine weitere Drucksache (20/9338), eingereicht von der Fraktion DIE LINKE, die erreichen will, dass in der nächsten Wahlperiode – ab 2015 – ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird, insbesondere zum dritten Mordfall am 27.Juni 2001 in Hamburg Bahrenfeld an Süleyman Tasköprü, Obst- und Gemüsehändler.
Die Chance, dass der Untersuchungsausschuss tatsächlich eingerichtet wird, stehen schlecht. Innensenator Michael Neumann war sichtlich bemüht, die weiteren Nachforschungen und Diskussionen um die Konsequenzen aus der Öffentlichkeit fernzuhalten.
Der Tenor von Neumanns Bericht: Es ist damals Schlimmes passiert und es sind auch Fehler seitens der Behörden gemacht worden. Jetzt aber sei man auf den Weg, die Konsequenzen daraus zu ziehen und dies geschehe schon in und zwischen den Behörden auf Landes und Bundesbehörde (Stichwort: »neue Koordinierungszentren«). Warum jetzt noch einen Untersuchungsausschuss? Außerdem hätte man ja schon einen »Abschlussbericht« (Drucksache 20/11661). Die Argumentation ist identisch mit der im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern (siehe: www.svz.de/mv-uebersicht/lehren-aus-nsu-blutspur-id8405856.html). Die Innenminister haben sich verständigt: Keine Transparenz und Öffentlichkeit, dafür ausufernde nichtssagende Papiere.
Das Pikante an der Geschichte ist sicherlich: Zum Zeitpunkt des Mordes an Tasköprü am 27.6.2001 war Neumanns jetziger Chef – Olaf Scholz – zuständiger Senator und der möchte sicherlich nicht im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) unbequeme Fragen beantworten. Zumal ein weiterer mysteriöser Todesfall seine kurzen Amtszeit ziert: der Tod eines farbigen Migranten durch Brechreiz (Achidi Johns starb am 9.12.2001 aufgrund eines Brechmitteleinsatzes). Nachfolger von Olaf Scholz war dann ausgerechnet Ronald Schill, der seine Abneigung gegen MigrantInnen nie geleugnet hat. Der Bürgermeister von Scholz war damals Ortwin Runde (SPD) – der von Schill Ole von Beust (CDU). Da macht es denn Sinn, dass auf die Rede von Neumann in der Bürgerschaft bei SPD und CDU heftiger Beifall aufbrandete – assistiert von der FDP. Die Schatten der Vergangenheit wiegen schwer. Man stelle sich einmal den Auftritt von Schill im möglichen NSU-PUA vor: Schill hatte dafür gesorgt, dass unter seiner Ägide die Verbrechensbekämpfung durch dramatischen personellen Ausbau des Polizeiapparates verstärkt wurde. Im Mordfall Tasköprü wurde allerdings nichts erreicht.
Es gibt weitere Gründe für intensive Nachforschungen: Hamburg hatte zum Zeitpunkt der NSU Morde (erster Mord 2000 – zehnter Mord 2007) ein hochbrisantes Nazi- Netzwerk, das ausgestattet war mit sehr viel Kapital. Ein Netzwerk, dass über Hamburg in ganz Deutschland wirkte – und ins Ausland. Die prominenten Namen: Worch, Rieger, Wulff und Kühnen.
Christian Worch (geb.1956 in Hamburg-Hamm) wird in diversen Publikationen beschrieben als »Multifunktionär der militanten Neonazi-Szene in Deutschland«. Er verfügt über Geld und Beziehungen. Mitgliedschaften und Teilnahme an »Wiking Jugend«, »Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS)«, »Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP)«, »Nationalen Liste (NL)«, »NSDAP-Aufbauorganisation«, »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF)«, »Freien Kameradschaften«, »NPD und DVU«. Im Juni 2012 wurde er Gründungsvorsitzender der neuen Partei »Die Rechte«. Worch kennt sich aus im rechten Spektrum. Sein Hauptarbeitsgebiet ist Hamburg. »Seine Fäden spinnt Worch von seiner Privatwohnung aus; er lebt in einem unscheinbaren Mehrfamilienhaus in Hamburg-Barmbek, das er geerbt hat, ebenso wie ein Haus im vornehmeren Stadtteil Eppendorf, zudem ausreichend Kapital, um unabhängig zu sein.« (Zitat aus Die Zeit, 03/1995: »Die Braune Armee Fraktion«). Worch sitzt in etlichen Gerichtsverfahren und drei Jahre im Gefängnis. Das edelt ihn im rechten Milieu.
Sein Verteidiger in den Prozessen: Jürgen Rieger (1946-2009) war in Hamburg Strafverteidiger zahlreicher Rechtsextremisten. Ebenso wie Worch verfügte er über Geld und Beziehungen in der rechten Szene. Rieger war Holocaust-Leugner, vertrat die Rassenlehre der Nazis, war Vorsitzender der völkisch-neuheidnischen Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung, Hauptorganisator des Rudolf-Heß-Gedenkmarsches. »Rieger verfügte über ein beträchtliches Vermögen, das er aus Erbschaften von verstorbenen Gesinnungsgenossen und aus Aktien und Immobiliengeschäften gewinnen konnte.« (Wikipedia vom 8.12.14). Er erbte ein beträchtliches Vermögen ehemaliger Nazis, die wollten, dass er »die Bewegung« weiter vertrat. Und das tat Rieger nach Leibeskräften. Er war cholerisch und gewalttätig. Er kannte sich im Gerichtssaal aus – auf beiden Seiten: als Verteidiger für Rechtsradikale und Angeklagter. Seine Aktivitäten: »Hamburger Republikanischen Studentenbunds Deutschlands/ Republikanischer Schülerbund« (RSD), Mitbegründer eines CSU-Freundeskreises (außerhalb Bayerns). Hamburger NPD-Mitglied, in deren Reihen er 2009 verschied ohne ein Testament gemacht zu haben – zum Leidwesen der NPD. Die Familie erbte. Weiter: Funktionär bei der »Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP)« – wo Worch ebenfalls wirkte. Als Immobilienspekulant kaufte er Gebäude für Veranstaltungen und Schulungen für die rechte Szene.
Rieger vertrat u.a. wegen Volksverhetzung den Neonazi Thomas Wulff (geb.1963).
Als Landesvorsitzender der Hamburger NPD sagt Wulff 2014, er sei Nationalsozialist. Sein Szenename ist »Steiner« (nach dem Obergruppenführer der Waffen-SS Felix Steiner). Auch er war Mitglied und aktiv bei ANS, GdNF und den Freien Kameradschaften, Chef der verbotenen Hamburger Neonazi-Partei »Nationale Liste« etc.. Seine tatkräftige Aussage bei der NPD (»Ich bin Nationalsozialist«) brachte ihm ein Ausschlussverfahren aus der NPD ein – welches aber im Mai 2014 niedergeschlagen wurde. Wie Rieger ist Wulff strammer Holocaust-Lügner. 2001 kauften Wulff und der Neonazi Michael Grewe für 300.000 Mark das Gutshaus Amholz für Schulungszwecke. Wulff verfügt über Geld. Es gibt diverse Strafverfahren und Verurteilungen mit Geld- und Haftstrafen.
Einer seiner vielen Spezis war Michael Kühnen (1951-1991). Kühnen war von 1974 bis 1977 Zeitsoldat bei der Bundeswehr und studierte an der Universität der Bundeswehr Hamburg. Er wurde Offizier im Rang eines Leutnants. Im Jahr 1977 wurde er wegen seiner politischen Betätigung aus der Bundeswehr entlassen. Mitglied und Aktivist bei ANS und GdNF. Mit 14 Jahren war er schon in der NPD-Jugendorganisation. Kühnen gründete außerdem die »Wehrsportgruppe Werwolf« 1990, die später verboten wurde. In der rechten Szene bekam er Schwierigkeiten, weil er homosexuell war. Er verstarb 1991 an einer HIV-Erkrankung.
Kühnen und Worch werden intensiv dargestellt im Zusammenhang mit der Wehrsportgruppe Hoffmann (WSGH) (Rainer Fromm: Die »Wehrsportgruppe Hoffmann«: Darstellung, Analyse und Einordnung. Frankfurt/Main 1998). Das Buch ist deswegen so aufschlussreich, weil es u.a. die internationale Verflechtung der WSGH in Europa und den USA darstellt. Gary Lauck wollte aus den USA die NSDAP/AO in Europa und insbesondere in Deutschland vorantreiben. Kühnen und Worch werden dutzendfach erwähnt. Das Buch erschien 1998 und musste den strafverfolgenden Behörden bekannt gewesen sein.
Halten wir fest: Das Nazi-Netzwerk wurde gründlich dargestellt und analysiert; die Hamburger Nazi-Szene war mit dabei im Netzwerk. Im Münchener NSU-Prozess versucht der Staatsanwalt den Aspekt »Nazi Netzwerk« aus dem Prozess konsequent herauszuhalten. Er vertritt eine These, die zunehmend fragwürdiger wird: Das NSU-Trio habe auf eigene Faust gehandelt. Die wenigen Helfer säßen auf der Anklagebank, mehr habe es nicht gegeben.
Tino Brandt ist der »missing link« zum NSU-Trio. Brandt kannte Kühnen von der »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front«. Beide waren dort aktiv. Brandt kannte Rieger über das »Deutsche Rechtsbüro«. Nazis brauchen Rechtshilfe. Brandt kannte Wulff: u.a. über Schlammschlachten und Schmähschriften zwischen dem Thüringer Heimatschutz und dem Aktionsbüro Norddeutschland des Thomas Wulff. Streit verbindet. Tino Brandt war V-Mann (Deckname »Otto« und »Oskar«), hochbezahlt und beredt. Tino Brandt war vernetzt mit der Hamburger Nazi-Szene. Brandt kannte das NSU-Trio bestens.
Das NSU-Trio hatte keine Kenntnisse und Erfahrungen in Hamburg. Wie gut, dass es ein funktionierendes Netzwerk in Hamburg gab und gibt, das Tipps und Hinweise geben konnte. Der Sachverhalt muss untersucht werden – in der Öffentlichkeit eines NSU-PUA, auch um den Hamburger Nazi-Sumpf trockenzulegen. Welche Tipps zum Tatort und Mord-Opfer kamen aus der Szene? Wie wurde das Trio von wem unterstützt. Welche V-Leute des Hamburger Verfassungsschutzes könnten sachdienliche Hinweise geben?
Vorläufiges Ende
Im Landesparlament von Schwerin hat Anfang Dezember 2014 einen Bericht vorgelegt; zuständig das Innenministerium unter der Leitung von Lorenz Caffier (CDU), in dem die Konsequenzen aus dem NSU-PUA-Berlin gezogen werden: Die oppositionellen Grünen kommt zum Ergebnis: Das Papier durchziehe »eine Philosophie, den Sicherheitsbehörden mehr Mittel zu geben, aber sich einer Ausweitung der Kontrollmechanismen zu verschließen«. Zur Forderung nach einem PUA aber will sich die Fraktion der Grünen nicht durchringen. Das wäre denn auch zu viel der Transparenz. Hier droht eine Niederlage für die Demokratie und den Parlamentarismus.