24. Juli 2012 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Kürzungspolitik und Arbeitsmarkt
Vor zwei Jahren beschloss die schwarz-gelbe Bundesregierung ein Sparprogramm. Außer den Kürzungen für Arbeitsmarktprogramme und der Einführung der Flugticketsteuer wurde fast nichts davon umgesetzt. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP fährt also seit dem Kurswechsel 2010, d.h. nachdem die große Wirtschafts- und Finanzkrise ihre größte Wucht in der Berliner Republik verloren hatte, eine rigoroses Kürzungsprogramm. Die Hauptbelastungen zur Sanierung der öffentlichen Finanzen tragen dabei die Bereiche Arbeitsmarkt und Sozialpolitik.
Durch die gute Konjunktur der letzten beiden Jahre und die daraus resultierende relativ stabile Lage am Arbeitsmarkt hielt sich der Widerstand gegen die damit verbunden Kürzungsorgien in Grenzen. Trotz Euro-Krise und Eintrübung der Konjunktur soll dieser Kurs fortgesetzt werden. Insbesondere bei den Langzeitarbeitslosen sieht die Bundesregierung immer weniger Handlungsbedarf.
So sind in dem am 21. Juni 2011 vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf des Bundeshaushalts 2013 für »Leistungen zur Eingliederung in Arbeit« gemäß SGB II (Hartz IV) nur mehr Ausgaben in Höhe von 3,3 Mrd. Euro veranschlagt. Das sind 12,3% (465 Mio. Euro) weniger als im Bundeshaushalt 2012, 28,9% (über 1,3 Mrd. Euro) weniger als im Bundeshaushalt 2011 bzw. 47,8% (drei Mrd. Euro) weniger als die im Haushaltsjahr 2010 auf die Jobcenter verteilten SGB II-Eingliederungsmittel in Höhe von etwa 6,35 Mrd. Euro. (6,2 Mrd. Euro plus die übertragenen Ausgabereste aus dem Haushaltsjahr 2009 in Höhe von 153 Mio. Euro).
Diese faktische Halbierung der Mittel zur Förderung der Langzeitarbeitslosen schlägt mehr und mehr auf die Zahl der Arbeitslosen durch. So rechnet das BA-Vorstands-Mitglied Heinrich Arlt vor: Würden den von BA und Kommunen gemeinsam betriebenen Jobcentern (ohne die 110 Jobcenter unter rein kommunaler Regie) in 2012 statt 2,6 Mrd. Euro die in 2011 veranschlagten 3,1 Mrd. Euro zur Verfügung stehen, "könnten so viele Arbeitslose in Fördermaßnahmen untergebracht werden, dass die offizielle Zahl der Arbeitslosen um 250.000 niedriger läge.« Aber statt auf Qualifizierung setzt die Bundesregierung lieber auf »die Marktkräfte«.
Für die Bundesländer hat diese Politik fatale Konsequenzen. So reduziert sich das SGB II-Eingliederungsbudget für Hamburg von 187,6 Mio. Euro in 2010 auf nur mehr 97,3 Mio. Euro in 2013. Diese Kürzung der Fördermittel für Langzeitarbeitslose um fast 50% geht weit über den Rückgang der Zahl der Langzeitarbeitslosen hinaus, so dass die Förderleistung pro erwerbsfähigem Hilfeempfänger deutlich sinkt. Mit aktiver Arbeitsmarktpolitik hat all das nichts mehr zu tun.
Der Hamburger Senator für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, Scheele, hat diese Politik der schwarz-gelben Bundesregierung zwar des Öfteren kritisiert. In einem von Agentur für Arbeit Hamburg, gemeinsamen Arbeitsprogramm 2012 der Agentur für Arbeit Hamburg, des Jobcenters team.arbeit.hamburg und der Behörde werden zwar die gute und effektive Arbeitsvermittlung, die Deckung des Fachkräftebedarfs durch Qualifizierung von Beschäftigten sowie Arbeitslosen und die Schaffung eines sozialen Arbeitsmarkts für besonders benachteiligte Arbeitslose zum Kern der »neuen Arbeitsmarktpolitik« in Hamburg erklärt, gleichzeitig aber auch eine nur ansatzweise Kompensation der von der schwarz-gelben Bundesregierung gestrichenen Bundesmittel mit Verweis auf die angespannte Haushaltssituation und »Schuldenbremse« verweigert: »Diese drastischen Kürzungen konnte und kann Hamburg nicht ausgleichen. Auch massive Budgetkürzungen der Bundesregierung machen es notwendig, in der Arbeitsmarktpolitik einen neuen Ansatzpunkt zu wählen und die arbeitsmarktpolitischen Akteure der Stadt auf eine gemeinsame strategische Zielsetzung zu verpflichten. Nur so kann mit einem begrenzten Mittelbudget die Basis für eine (…) in sich stimmige Hamburger Arbeitsmarktpolitik geschaffen werden.«
Diese Politik der Verwaltung des Mangels wird nicht ansatzweise den Herausforderungen am Arbeitsmarkt gerecht. So haben die Arbeitslosenzahlen im Juni deutlich auf das sich abzeichnende Ende des »Beschäftigungswunders« der letzten beiden Jahre hingedeutet. Die Arbeitslosigkeit ist bei 70.269 offiziell registrierten Menschen ohne Arbeit gegenüber dem Vormonat kaum noch gesunken. Erstmals seit längerer Zeit hat die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld I im Juni gegenüber dem Vorjahresmonat sogar wieder um 4,1% zugenommen. Besonders betroffen die Langzeitarbeitslosen: Ihre Zahl ist gegenüber dem Vorjahresmonat um 4,6% gestiegen.
Auch bei der Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit), von der im Juni 102.747 Frauen und Männer betroffen waren, ist der Abbau, der wesentlich auf der Streichung von arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen beruhte, fast zum Erliegen gekommen. Die Zahl der TeilnehmerInnen (Bestand) an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ist im ersten Halbjahr 2012 gegenüber dem Vorjahreszeitraum von 30.782 auf 23.319 (-24,5%) zurückgefahren worden.
Da der Senat mit seiner mit der »Schuldenbremse« begründeten Deckelung der jährlichen Steigerung der Ausgaben bei 0,88% auch die weiteren Kürzungen der Bundesmittel für Arbeitsmarktpolitik garantiert nicht kompensieren wird, ergeben sich für Beschäftigte wie Arbeitslose dieser Stadt ziemlich trübe Aussichten. Und: Ein »sozialer Arbeitsmarkt« ist nicht in Ansätzen erkennbar.