21. Mai 2015 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Kürzungspolitik um jeden Preis

Die Hansestadt Hamburgs kann erneut mit höheren Steuereinnahmen rechnen. Das ist das Ergebnis der aktuellen Mai-Steuerschätzung. Die anhaltend gute Konjunktur und der stabile Arbeitsmarkt sorgen für zusätzliche Einnahmen in diesem und in den Folgejahren. Angesichts des Regimes der Schuldenbremse, mit einem rigorosen Konsolidierungskurs, wird durch höhere Steuereinnahmen der Handlungsspielraum für die regierende rot-grüne Regierungskoalition deutlich erweitert.

Angesichts offenkundiger Investitionsdefizite bei der öffentlichen Infrastruktur, einem anhaltenden Personalabbau sowie völlig unzureichenden Etatanpassungen bei den Trägern der sozialen Dienstleistungen könnte dies deutliche Erleichterungen bewirken. Doch die Koalition will trotzdem an ihrem Sparkurs festhalten.

Für 2015 werden der Stadt vorrausichtlich Steuereinnahmen von 9,907 Mrd.  Euro zufließen – 158 Mio. mehr, als noch im November prognostiziert wurden und sogar 327 Mio. mehr, als im Haushalt eingeplant sind. Das liegt an den »Vorsichtsabschlägen«, die der damalige SPD-Senat schon 2011 eingeführt hatte. 2016 sollen die Einnahmen bei 10,159 Mrd. Euro liegen und damit 129 Mio. Euro über der Novemberschätzung und 414 Millionen über der Etatplanung. Für die Jahre 2017 bis 2019 werden weitere Mehreinnahmen von insgesamt 412 Mio. Euro, gegenüber dem fortgeschriebenen Haushaltsplan von sogar 1,3 Mrd. Euro erwartet.

Die Hamburg verbleibenden Steuern stellen sich wie folgt dar:



Finanzsenator Tschentscher gibt sich gleichwohl, wie stets in den letzten Jahren, zugeknöpft. Angesichts erheblicher Risiken, »von steigenden Zinsen über die HSH Nordbank bis zu den explodierenden Ausgaben für die Flüchtlingsunterbringung« sieht er seine Aufgabe darin, »Begehrlichkeiten« abzuwehren. »Über das, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, gibt es keine zusätzlichen Spielräume für neue Wünsche«, betonte Tschentscher. Es geht allerdings nicht um »neue Wünsche«, sondern darum, dass im politischen Alltag seit Jahren eine Mängelverwaltung angesagt ist. Das soll auch so bleiben. Fällt am Ende des Haushaltsjahres 2015 ein Überschuss an – so wie 2014 –, wird der garantiert erneut komplett zur Schuldentilgung eingesetzt. Das Nachsehen dieser Politik haben die BürgerInnen der Stadt und die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes.

Auch im Haushalt 2015 ist noch eine Kreditaufnahme von 231 Mio. Euro eingeplant. Tschentscher sagte, es wäre »natürlich erfreulich«, wenn er die nicht brauchen und stattdessen wieder einen Überschuss erzielen würde. Schließlich wolle der Senat »so früh wie möglich« die ab 2019 geltende Schuldenbremse einhalten. Darauf, dass die Stadt ohne neue Kredite auskommt, wollte er sich aber nicht festlegen.
Wenig überraschend, dass die rot-grünen Koalitionäre ins gleiche Horn blasen. Für den finanzpolitischen Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion ergibt die neue Prognose »kein grundlegend neues Bild und ist daher kein Anlass, die bestehende Finanzplanung zu ändern.« Anjes Tjarks, Fraktionsvorsitzender der Grünen, toppt das noch mit dem Hinweis, dass trotz Mehreinnahmen »keine großen Luftsprünge« möglich sein. Wenig überraschend ist auch, dass die bürgerliche Opposition aus CDU und FDP in diesem Jahr einen »Etat ohne Kredit« und damit eine Verschärfung des Sparkurses fordert.

Trostlos an dieser Allparteienkoalition mit Ausnahme der LINKEN ist, dass so getan wird, als ob es in der Stadt keinen dringenden Handlungsbedarf in Sachen städtischer Infrastruktur, Arbeitsmarktpolitik und Armutsbekämpfung gibt, für den der – trotz des Regimes der Schuldenbremse – gewonnene finanzpolitische Spielraum genutzt werden könnte.

Schon die Verwendung des Haushaltsüberschusses in 2014 von gut 420 Mio. Euro zur Schuldentilgung war vor dem Hintergrund des niedrigen Zinsniveaus kaum nachvollziehbar. Jetzt zeichnen sich weitere Spielräume für das Jahr 2015 ab, die erneut nicht genutzt werden sollen. Selbst wenn man von den gegenüber der Haushaltsplanung 2015/2016 prognostizierten Mehreinnahmen von 741 Mio. Euro für 2016 noch einen Vorsichtsabschlag von 350 Mio. Euro (für 2015 macht das, nachdem wir jetzt schon die erste Jahreshälfte fast hinter uns haben, wenig Sinn) vornimmt, wie im Haushaltsplan vorgesehen, bleibt ein Spielraum von etwa 400 Mio. Euro, der für dringend notwendige Investitionen und Korrekturen der Sparpolitik genutzt werden könnte. Berücksichtigt sind dabei nicht einmal die Reservepositionen, die sich der Senat mit dem Haushaltsplan für »außergewöhnliche Belastungen« hat reservieren lassen.

Es geht weder um »neue Wünsche«, »Begehrlichkeiten« oder um »Luftsprünge«,

  • wenn angesichts der steigenden Zahl von AsylbewerberInnen zusätzliche Ausgaben für die Flüchtlingshilfe (der Senat hat hier im Haushaltsplan schon aufgestockt, aber das wird nicht reichen) eingeplant werden;
  • wenn wegen der auf hohem Niveau stagnierenden Zahl der Langzeitarbeitslosen Geld für einen »sozialen Arbeitsmarkt« zur Verfügung gestellt wird;
  • wenn wegen der fehlenden preiswerten Wohnungen in der Stadt der Etat für den sozialen Wohnungsbau aufgestockt wird;
  • wenn wegen des anhalten Verschleißes der öffentlichen Infrastruktur (Straßen, Radwege, Grünanlagen, Schulen) mehr öffentlichen Investitionen getätigt werden;
  • wenn wegen der hohen und noch wachsenden Kinder- und Altersarmut mindestens mehr Geld für die entsprechende soziale Infrastruktur und eine Verbesserung des Sozialabos für den HVV bereit gestellt wird;
  • wenn wegen der Verschlechterung der öffentlichen Dienstleistungen und des wachsenden Druck auf die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf geplante Einsparungen etwa bei den Bezirken verzichtet wird.

Der rot-grüne Senat hat angesichts der gewachsenen finanzpolitischen Spielräume die Möglichkeit die Arbeits- und Lebensbedingungen vieler BürgerInnen mindestens ein wenig zu verbessern. Es sieht allerdings nicht danach aus, dass er sie auch nutzt. Die Ausrede der »Schuldenbremse« hat er dafür gegenwärtig allerdings nicht.

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