Der rechte Rand

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7. Februar 2014 Joachim Bischoff/Klaus Bullan/ Bernhard Müller

Kinderarmut in Hamburg – ein Randproblem?

»Die Kinder-Armut in Hamburg ist riesig. In vielen Stadtteilen ist fast jedes zweite Kind auf Sozialleistungen angewiesen.« (2) Dies ist die Einschätzung von Susann Grünwald, Gründerin der »Stiftung Mittagskinder« in Hamburg. »Es wäre schön, wenn unsere Stiftung überflüssig wäre«, sagt sie. »Der Bedarf ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden.« Auch die Einführung von Ganztagsschulen habe die Situation nicht verändert. Den Kindern fehlt es häufig an den wichtigsten Dingen, weiß Grünwald aus ihren langjährigen Erfahrungen. Die Sozialbehörde sieht diese Stimme aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich als übertriebene Verallgemeinerung von Einzelfällen an.

Gegen diese Abwertung eines gesellschaftlichen Problems kämpfen nicht nur in Hamburg die »Stiftung Mittagskinder«, sondern bundesweit das Kinderhilfswerk. Kinder, die mit knurrendem Magen in die Schule gehen. Viert- oder Fünftklässler, die nur mit Müh und Not lesen und schreiben können. Oder Mädchen und Jungen, für die ein Besuch in der Schwimmhalle zu teuer ist – die Kinderarmut in Deutschland hat viele Gesichter. In der Bevölkerung ist das bekannt. Nach einer Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerks (DKHW) sehen fast zwei Drittel der Befragten Kinderarmut als Problem. Seit Jahren wird auch öffentlich darüber diskutiert, doch eine dauerhaft erfolgreiche Strategie hat die Politik nicht gefunden. Und wenn die Verdrängung anhält, wird sich wenig ändern. Denn aus Sicht von Praktikern und Experten wird Kinderarmut schlicht verdrängt. Hamburg ist eine herausragendes Beispiel für diese Verdrängungspolitik.

UN-Kinderrechtsexperten haben von der Bundesregierung mehr Engagement gegen Kinderarmut gefordert. So müssten die materiellen Zuwendungen an ökonomisch benachteiligte Familien erhöht werden, um Kindern einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Das geht aus den Empfehlungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes hervor, die kürzlich vorgestellt wurden.

Die UN-Experten kritisierten zudem die ungleichen Bildungschancen in Deutschland sowie die Behandlung minderjähriger Asylbewerber. Die Bundesregierung hatte bei der Präsentation ihres Berichts vor dem Ausschuss Fortschritte bei der Umsetzung der Kinderrechtskonvention hervorgehoben, zugleich aber weitere Diskussionen angekündigt. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes überprüft regelmäßig die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention.

Hamburg im Bundesvergleich

Werfen wir einen Blick auf die Datenlage. Wie sieht die Kinderarmut in der reichsten Region Europas aus? Statt zu sagen, das jedes fünfte Kind in Armut lebt, rechnet Sozialsenator Scheele vor, dass 83% der Eltern über mittlere bis hohe Einkommen verfügen. Beschäftigen wir uns entgegen dieser Verniedlichung doch mit dem Fünftel der armen Kinder.

Armut wird im internationalen Vergleich und in der Bundesrepublik allgemein als relative Größe im Vergleich zum mittleren oder auch zum Medianeinkommen gemessen. Als armutsgefährdet gilt demnach, wer weniger als 60% des pro Kopf Nettoeinkommens zur Verfügung hat. Die »Armutsgefährdungsschwelle« in Hamburg liegt bei 928 Euro (2012) für einen Einpersonenhaushalt. Bei einer Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern liegt sie bei 1.948 Euro verfügbaren Einkommens.

Für die Kinder heißt dies: In der Bundesrepublik leben 18,9% aller Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren unterhalb der Armutsgrenze. Im Westen sind es jedoch nur 17,4%, während im Osten ganze 26,3% als arm gelten. Insgesamt haben sich die Werte der Kinderarmut in Deutschland zwischen Ost und West allerdings seit 2005 angenähert. Trotz der besseren Werte im Westen, gibt es aber auch hier noch einige Problemgebiete. So ist das westliche Bremen Spitzenreiter in einer Studie der Böckler-Stiftung und auch Teile von Nordrhein-Westfalen weisen überdurchschnittlich hohe Quoten auf, teilweise mit steigender Tendenz.

Tabelle A 1.1.06 Hamburg:
Armutsgefährdungsquote
1) nach soziodemografischen Merkmalen
in % gemessen am Bundesmedian



Die Armutsquote lag 2012 in Hamburg mit 14,8% deutlich über der Quote der Hamburger Haushalte von 12,4%, die Leistungen aus dem SGB II erhielten. Das Ausmaß der Armut wird also unterschätzt, wenn der Sozialleistungsbezug zur Grundlage genommen wird. Trotz dieser Unterzeichnung halten wir uns nachfolgend an den Sozialleistungsbezug, weil hier aktuellere Daten vorliegen.

»Am Jahresende 2012 lebten 224.486 Hamburgerinnen und Hamburger ganz oder teilweise von staatlichen Sozialleistungen zur Sicherstellung der laufenden Lebensführung. Damit erhielten 12,4 Prozent der Einwohnerschaft Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach SGB II (›Hartz IV‹), Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung, laufende Sozialhilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen oder Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Im Vergleich zum Vorjahr haben sich die Zahl der Unterstützten sowie der Anteil der Hilfebezieherinnen und -bezieher an der Bevölkerung praktisch nicht verändert.« (Statistikamt für Hamburg und Schleswig Holstein, Sozialleistungen in den Hamburger Stadtteilen 2012) Insgesamt ist in längerer Betrachtung eine leichter Rückgang beim Bezug von Sozialleistungstransfers festzuhalten, der sicher auf eine Ausweitung der Beschäftigung zurückzuführen ist. Auch die Hilfsquote für Kinder geht seit 2008 zurück, liegt allerdings aber immer noch bei über 20%.



Die Quote der Kinder unter 15 Jahren,
die mit ihren Eltern Leistungen zur Grundsicherung erhalten, lag mit 21,1% in 2012 fast doppelt so hoch wie die der LeistungsbezieherInnen insgesamt (12,4%). Armut ist auch in Hamburg in erster Linie ein Problem für Haushalte mit Kindern.

»Der vorliegende Lebenslagenbericht zeigt: Im Januar 2013 lebten in Hamburg ca. 48.000 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren, die auf SGB II-Leistungen angewiesen waren. 23.950 von ihnen waren unter sieben Jahre alt. Damit sind 21% aller Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren auf diese Leistungen angewiesen. Weitere ca. 850 Kinder erhielten Leistungen zum Lebensunterhalt im Rahmen des SGB XII. Rund 2.000 Kinder und Jugendliche erhielten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, dessen Leistungsniveau bis zum 1. September 2012 um ein Viertel niedriger lag als in der Sozialhilfe und beim Arbeitslosengeld II.« (3)

Noch ungünstiger stellt sich die Lage für die Kinder bis sieben Jahren in Hamburg dar. Von ihnen lebt mit 22,0% mehr als jedes fünfte Kind in Armut. Bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 8-18 Jahren nimmt die Hilfebedürftigkeit bei einer Quote von 20,8% in 2012 nur unwesentlich ab.


Kinder Alleinerziehender und Kinder mit Migrationshintergrund sind besonders von Armut betroffen

Drei Gruppen von Kindern bzw. Haushalten, in denen sie leben, sind besonders von Armut betroffen:

  • Haushalte mit drei und mehr Kindern,
  • Alleinerziehendenhaushalte,
  • Haushalte mit Migrationshintergrund.

Familien mit drei oder mehr Kindern waren 2011 zu 25,3% Leistungsbezieher nach SGBII. Alleinerziehende sind im Durchschnitt zu mehr als 40% von Grundsicherungsleistungen abhängig, bei zwei und mehr Kindern steigt diese Quote auf 49,5%.


Insbesondere in Haushalten mit Migrationshintergrund ist Kinderarmut weit verbreitet. Ende 2011 waren 28% aller MigrantInnen ohne deutschen Pass auf Sozialleistungen angewiesen, gegenüber 13% in der Gesamtbevölkerung. Und in 2012 waren 28,9% der Hamburger BürgerInnen mit Migrationshintergrund arm (Gesamtbevölkerung: 14,8%).

Abbildung: Armutsrisikoquote (4)


Kinderarmut ist selbstverständlich zunächst ein Armutsproblem der Eltern. Es zeigt sich aber bei genauerem Hinsehen, dass das Risiko, armutsgefährdet zu sein, mit der Kinderanzahl, die in einem Haushalt lebt, deutlich steigt. Haushalte mit drei und mehr Kindern fallen häufig unter die Armutsgrenze, auch wenn sie voll erwerbstätig sind. Da die Kinderzahl in Haushalten mit Migrationshintergrund (noch) deutlich höher liegt, gilt dies hier besonders. Auch von Arbeitslosigkeit sind Haushalte mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich betroffen – ebenso wie Alleinerziehendenhaushalte mit Kindern. Da Arbeitslosigkeit und Armut in sehr engem Bezug zueinander stehen, sind diese Personengruppen ganz besonders von Armut betroffen.

Verteilung der Kinderarmut auf Stadtteile

Nicht einmal in jedem fünften Haushalt in Hamburg leben im Jahr 2009 Kinder, ein Drittel dieser Haushalte mit Kindern sind Haushalte von Alleinerziehenden (meist Frauen). Die Haushalte verteilen sich ganz unterschiedlich auf das Stadtgebiet: In einem Radius von fünf Kilometern um die Alster leben besonders wenig Haushalte mit Kindern, ebenso in den Zentren Bergedorfs und Harburgs. Dagegen ist in den Randbereichen der Stadt die Quote der Haushalte mit Kindern deutlich höher. Berücksichtigt man darüber hinaus die Dichte der Besiedlung in den Stadtteilen, dann zeigt sich, dass eine besonders hohe Anzahl von Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahren in Stadtteilen wie Rahlstedt, Billstedt und Wilhelmsburg lebt.



Quelle: Institut für Bildungsmonitoring (IfBM), Bildungsbericht Hamburg 2009, S. 36

Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund betrug 2012 in Hamburg ca. 30% – mit deutlichen Verschiebungen nach Alter. Ihr Anteil ist in den jüngeren Altersgruppen deutlich höher als in den älteren. Nur 15% der Männer und 12% der Frauen über 65 Jahren haben einen Migrationshintergrund, aber 45% der unter 15-Jährigen. Nur 19% der Kinder unter 15 Jahren mit Migrationshintergrund haben nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Unter den Personen mit Migrationshintergrund im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) haben hingegen fast 54% keinen deutschen Pass. Bei den über 65-Jährigen ist der Ausländeranteil an der Bevölkerung mit Migrationshintergrund mit 51% wiederum etwas geringer.

Knapp 123.000 Kinder und Jugendliche in Hamburg haben einen Migrationshintergrund. Sie verteilen sich wie die MigrantInnen insgesamt ganz unterschiedlich auf das Stadtgebiet. Ein Viertel aller Hamburger Einwohner mit Migrationshintergrund lebt im Bezirk Hamburg-Mitte. Im Vergleich der sieben Hamburger Bezirke findet sich hier mit fast 45 Prozent auch der höchste Anteil von Personen mit Migrationshintergrund. In den Bezirken Hamburg-Nord und Eimsbüttel sind es hingegen nur 22 bzw. 23%. Doch auch innerhalb der Bezirke gibt es zwischen den rund 100 Hamburger Stadtteilen große Unterschiede.

So gibt es bei Jugendlichen unter 20 Jahren mit Migrationshintergrund mit einem Anteil von 42% (2006) an ihrer Alterskohorte und bei den migrantischen Kindern unter drei Jahren mit einem Anteil 45,3% (2009) deutliche Schwerpunkte in einzelnen Stadtteilen: »Während in Kirchwerder nur 17,5% der Kleinkinder einen Migrationshintergrund haben, liegt der Anteil im Stadtteil Veddel mit 92,2% um mehr als das Fünffache höher. Weitere bevölkerungsreiche Stadtteile mit einem sehr hohen Anteil von Kleinkindern mit Migrationshintergrund sind Wilhelmsburg und Rothenburgsort. Beispiele für Stadtteile mit einem geringen Anteil an Kleinkindern mit Migrationshintergrund sind unter anderem die Stadtteile Kirchwerder, Duvenstedt, Sasel und Wellingsbüttel.« (Institut für Bildungsmonitoring, Bildungsbericht 2011,S. 54)

Kinder haben in Hamburg ein deutlich höheres Risiko, von staatlichen Sozialleistungen zur laufenden Lebensführung abhängig zu sein. Mehr als jedes fünfte Kind in Hamburg erhielt 2012 staatliche Unterstützung (gegenüber 12,4% der Gesamtbevölkerung). Auch hier gibt es keine Gleichverteilung in den Stadtteilen.

In Billstedt, Dulsberg, Veddel und Jenfeld liegt die Abhängigkeit bei über 50%, in Wilhelmsburg und Rothenburgsort nur knapp darunter. Dagegen ist die Hilfsquote in den Elbvororten, im Alstertal und den Walddörfern deutlich unterdurchschnittlich.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Hamburg in vielfältiger Hinsicht eine gespaltene Stadt ist. Neben Stadtteilen, in denen kaum Kinder aufwachsen, gibt es Stadtteile, in denen sich die Zahl dort lebender Kinder, Armut und Sozialhilfebezug, schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit und haushalte mit Migrationshintergrund konzentrieren.


Quelle: Statistikamt Nord: Sozialleistungen in den Hamburger Stadtteilen 2012

Unsere Kritik richtet sich an die politische Konzeptionslosigkeit der Stadtregierung. Auch mit dem Instrumentarium der Stadtstaaten könnte die räumliche Zusammenballung der sozialen Probleme gelindert werden. Weitergehende Maßnahmen unterstellen allerdings bundesweite Eingriffe in die Sozialtransfers. Vor allem mit einer Bündelung von Maßnahmen zur sozialen Stadtentwicklung könnte die Verdichtung der Problemlagen in einigen Armutsquartieren zurückgedrängt werden.

Hamburger Quartiere in Not

Folge der Einkommensarmut: Bildungsbenachteiligung

Das hat wiederum massive Auswirkungen auf die Bildungsbedingungen und -chancen in diesen Quartieren, die wiederum in ihren Konsequenzen Armut und Kinderarmut befördern.

Das beginnt beim Sprachförderbedarf der 4-Jährigen. Differenziert nach einfacher bzw. ausgeprägter Förderbedürftigkeit ist festzustellen, dass jedes vierte Kind in Hamburg einen Förderbedarf hat. Kinder mit Migrationshintergrund haben einen deutlich höheren Sprachförderbedarf: Während ihr Anteil an allen untersuchten Viereinhalbjährigen 45% beträgt, liegt ihr Anteil an allen Sprachförderbedürftigen bei 73%, bei denen mit ausgeprägtem Förderbedarf sogar bei 85%.

Aber Sprachförderbedarf ist nicht so sehr ein Problem von Kindern mit Migrationshintergrund, sondern vor allem ein soziales Problem, das sich in bestimmten Stadtteilen mit besonderer Problemlage konzentriert. In Jenfeld, Billstedt, Horn, Rothenburgsort, Veddel, Wilhelmsburg, Cranz, Harburg und Heimfeld liegt der Förderbedarf bei 43-57%, in vielen anderen Stadtteilen nur zwischen 2% und 16%.

Folge der Armut: Exklusion

Kinderarmut ist nicht nur, aber auch, ein Problem materieller Armut. Nicht ohne Grund sind heute Forderungen nach kostenlosem Frühstück und Mittagessen an Kitas und Schulen weit verbreitet. Die Erfahrung, dass Kinder ohne hochwertiges, nahrhaftes und gesundes Essen massive Nachteile auch beim schulischen Lernerfolg haben, wird an vielen Schulen täglich gemacht. Dies ist oft nicht in erster Linie eine Frage der kulturellen Gestaltung des Lebens in der Familie, sondern schlicht materielle Not.

Zur täglichen Versorgung mit Nahrungsmitteln hat das Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) Folgendes ermittelt: »Zwischen 2,82 Euro (Kleinkinder) und 4,77 Euro (Erwachsene) enthält die Regelleistung in 2013 für die tägliche Ernährung (mit Mahlzeiten außer Haus). Das ist entschieden zu wenig. Für eine Ernährung auf mittlerem Aktivitätsniveau braucht es täglich mindestens zwischen 3,03 Euro und 8,06 Euro.« (5)

Ebenso schwer wiegt, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, von viele sozialen, kulturellen und sportlichen Aktivitäten ausgeschlossen sind, weil die immer mehr Geld kosten: »Das Leben von armen Kindern ist ein Leben mit stark beschränkten Möglichkeiten. Kinder aus armen Familien können ihre Geburtstage oft nicht so wie ihre Klassenkameradinnen und -kameraden feiern, die üblichen Preise für Fahrkarten, Sportveranstaltungen, Musik, Theater, Kino oder Schwimmbad sind große Barrieren: Was das Leben schöner machen soll, kostet zu viel. Deshalb würde es für arme Kinder und ihre Eltern eine enorme Entlastung bedeuten, wenn die Regelsätze für Kinder und Erwachsene erhöht würden und sich an den tatsächlichen Bedarfen orientieren würden.

Ein häufiger polemischer Einwand an dieser Stelle lautet, das Geld komme doch bei den Kindern nicht an, besser als Regelsatzerhöhungen seien Sachleistungen. Eine Untersuchung aus 2011 unterstützt eine verbreitete lebensweltliche Erfahrung: Wenn das Geld nicht reicht, sparen Eltern bei den Kindern zuletzt. In der Untersuchung wurden 300 Familien mit geringem Einkommen und minderjährigen Kindern sowie eine Kontrollgruppe mit Familien mit höherem Einkommen befragt. Die Haushalte mit geringem Einkommen wurden u.a. gefragt, auf was sie verzichten, wenn das Geld nicht reicht. Am häufigsten wurde von den befragten Haushalten Urlaub genannt, gefolgt von Kleidung, Kino/Theater/Konzert, Zeitschriften. Auf den letzten von 14 abgefragten Positionen liegen, Ernährung, dann Körperpflege, auf dem letzten Rangplatz liegt der Bedarf der Kinder: Bei Geldmangel sparen die wenigsten Eltern am Bedarf der Kinder.

Die Möglichkeiten von in Armut lebenden Eltern, ihren Kindern förderliche Entwicklungsbedingungen zu bieten, sind beschränkt. Armut bedeutet oft wenig kindgerechtes und beengtes Wohnen, welches das Familienklima belastet. Armut verringert die Möglichkeiten für die soziale, kulturelle, bildungsbezogene Teilhabe und Gesundheit der Kinder. Kinder aus armen Familien verfügen häufig über geringere Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten in Vereinen, außerschulischen Bildungsangeboten und kindergerechten Informationsmöglichkeiten.«(6)

Eine bundesweite Untersuchung zur Kinderarmut3 kommt zu dem Ergebnis, dass sie mit einem Mangel an vielen Dingen des Alltagslebens verbunden ist. So nehmen arme Kinder in den alten Bundesländern deutlich seltener an Aktivitäten teil, die für nichtarme Kinder fast selbstverständlich sind:


Quelle: WSI-Report 11/Januar 2014: Helge Baumann und Eric Seils: Wie »relativ« ist Kinderarmut?

Ausblick: Was ist zu tun?

Das Deutsche Kinderhilfswerk hat sich dafür ausgesprochen, die Familienförderung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Letztlich geht es um die Einführung einer bedarfsorientierten Kindergrundsicherung. Diese soll proportional zum Familieneinkommen gestaffelt werden. Nötig sei Unterstützung für Familien mit Finanzproblemen und nicht für die, die über höhere Kinderfreibeträge schon seit langem von der Familienförderung profitiert hätten. Bisher laufe die Förderung an vielen Stellen in die falsche Richtung.

Der Präsident des Kinderhilfswerks, Krüger, kritisiert, dass durch die derzeitige Ausgestaltung des Ehegattensplittings und der steuerlichen Freibeträge Eltern mit hohen Einkommen überproportional Vorteile hätten. Auch sei es nicht akzeptabel, dass die Unterstützung für Kinder von der Durchsetzungsfähigkeit ihrer Eltern bei Behörden abhängig sei. Mehr Verteilungsgerechtigkeit könnte ferner durch die Befreiung des Kinderexistenzminimums von der Sozialbeitragspflicht für die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung erreicht werden, erklärte Krüger. Denkbar wäre auch eine Erstattung der auf dem Kinderexistenzminimum lastenden Verbrauchssteuern. »Das zusammengenommen würde sich mit dem bisherigen Kindergeld zu einer Gesamtsumme addieren, die derzeit als Höhe einer Kindergrundsicherung im Gespräch ist«, erläuterte der Präsident des Kinderhilfswerks.

Unakzeptabel ist, dass Familien und insbesondere Alleinerziehende, die den Kinderzuschlag in der bisherigen Form erhalten, finanziell erheblich schlechter gestellt sind als solche im aufstockenden Hartz IV-Bezug. Das Kinderhilfswerk schlägt weiter einen nationalen Kinderarmutsbekämpfungsplan vor, in dem verschiedene Hilfsmaßnahmen, Betreuungs- und Bildungsanstrengungen verzahnt werden. Dies müsse in den Gesundheitsbereich und den Sozialen Wohnungsbau hineingreifen. Die diversen staatlichen Hilfsleistungen machten nur dann Sinn, wenn sie eben nicht gegen den Hartz-IV-Bezug verrechnet würden, sondern ergänzend weiterentwickelt würden, »zu einer sogenannten Kindergrundsicherung, die jedem Kind zugute kommt«.

Auch die Diakonie hat eine Konzeption entwickelt, die in Teilbereichen auch ohne bundesgesetzliche Regelung im Stadtstaat auf den Weg gebracht werden könnte: einheitliche finanzielle Förderung, die die bisherigen Einzelleistungen Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschlag, Kinder – RD SGB XII und II, Kinder RS AsylBLG, 10-Euro-Päckchen aus BuT-Paket, zusammenfasst. Finanziert werden soll das durch bisherige Leistungen und die Reduktion des Ehegattensplittings auf die gemeinsame Absetzbarkeit des Existenzminimums.

Im Falle von Bedürftigkeit soll es eine bedarfsgerechte Finanzierung von schulischen Bedarfen, Klassenfahrten- und Ausflügen, Lernförderung, Fahrtkosten zur Schule, Mittagessen in Kita und Schule geben. Finanzierungsvarianten sind hier: direkte Förderung von Trägern für beitragsfreie Angebote und/oder Leistungsgewährung auf Antrag und Auszahlung an Eltern. Bei Bedarf sollte es weitere direkte Zahlungen an Eltern geben (Wohngeld, KdU, gesundheitliche Bedarfe, größere Haushaltsgegenstände, wachstums- und sportlich-kulturelle bedingte Kleiderbedarfe, Schwangerschaft, Elterngeld) – finanziert aus bisherigen Leistungen.

Schließlich geht es um ein Infrastrukturprogramm für Bildung, Betreuung und Teilhabe. Kitas und Schulen müssen finanziell unterstützt werden, um ihnen eine Gesamtfinanzierung ihrer Aktivitäten aus den Betriebskosten zu ermöglichen. Schließlich ist auch eine Änderung der Finanzbeziehungen von Bund-Länder-Kommunen (kein Kooperationsverbot) vonnöten. Finanzierung über Absetzkosten und freiwerdende Mittel des BuT-Pakets.

Anhang

Entwicklung Kinder- und Jugendarmut in Hamburg 1)



Literatur

Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) Hamburg e.V., Fehlt Ihnen etwas? Beratung kann helfen! Altersarmut. Dokumentation der Kampagne 2010, Hamburg 2010 (a).

Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) Hamburg e.V., Fehlt Ihnen etwas? Beratung kann helfen! Arme Zukunft? – Armut bei Kindern / Jugendlichen und ihren Familien. Dokumentation der Kampagne 2009, Hamburg 2010 (b).

Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg e.V., Armut in Hamburg, in: Sozialbericht der Freien und Hansestadt Hamburg, Januar 2014.

Helge Baumann und Eric Seils: Wie »relativ« ist Kinderarmut?, Armutsrisiko und Mangel im regionalen Vergleich, WSI-Report 11, Januar 2014.

Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, Sozialbericht der Freien und Hansestadt Hamburg, Januar 2014.

Bundesagentur für Arbeit, Beschäftigungsstatistik, diverse Jahrgänge.

Bundesagentur für Arbeit, Grundsicherungsstatistik, diverse Jahrgänge.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (Hrsg.), Lebenslagen in Deutschland. Der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Berlin 2013.

Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V., Zwischen Wohlstand und Verarmung: Deutschland vor der Zerreißprobe. Bericht zur regionalen Armutsentwicklung in Deutschland, Dezember 2013.

Diakonisches Werk Hamburg, Armut und Ausgrenzung. Betroffene zeigen ihre Sicht, Hamburg 2010.

Dr. Adriane Hartmann / Annett Jackisch, Hamburger Bevölkerung mit Migrationshintergrund, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig Holstein, Statistische Analysen 06, März 2013.

Institut für Bildungsmonitoring (IfBM), Bildungsbericht Hamburg 2009.

Institut für Bildungsmonitoring (IfBM), Bildungsbericht Hamburg 2011.

Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG), Lebenslagen von Familien und Senioren in Hamburg, in: Sozialbericht der Freien und Hansestadt Hamburg, Januar 2014.

Gerd Pohl / Klaus Wicher, Armes Reiches Hamburg, Metropole zwischen Wohlstand und Armut, Hamburg 2011.

Gerd Pohl / Klaus Wicher (Hrsg.), Hamburg: Gespaltene Stadt?. Soziale Entwicklungen in der Metropole, Hamburg 2013.

Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Sozialberichterstattung der amtlichen Statistik, www.amtliche-sozialberichterstattung.de (05.02.2014).

Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Soziale Mindestsicherung in Deutschland 2010, Wiesbaden 2012.

Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Hamburger Stadtteil-Profile 2012, Hamburg 2012.

Statistikamt Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein: Sozialleistungen in den Hamburger Stadtteilen 2012.

W. Völker, Kinderarmut in Hamburg, Beitrag bei der Diskussionsveranstaltung der Fraktion DIE LINKE in der Hamburger Bürgerschaft am 15.08.2013, Powerpointpräsentation

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(1) Dies ist der dritte Teil einer Folge von Beiträgen zum Thema soziale Spaltung und Armut in Hamburg. Vgl. Joachim Bischoff / Bernhard Müller, Hamburg: Verhärtung der sozialen Spaltung; Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Senator Scheele und die Altersarmut. Dies Beiträge können downgeloaded werden unter: www.vorort-links.de/nordlinks/hamburg/

(2) Vgl. dazu die Tabelle im Anhang

(3) Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg e.V., Armut in Hamburg, S. 5/6, in: Sozialbericht der Freien und Hansestadt Hamburg, Januar 2014

(4) Quelle: Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG), Lebenslagen von Familien und Senioren in Hamburg, S. 21., in: Sozialbericht der Freien und Hansestadt Hamburg, Januar 2014

(5) zitiert in: Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg e.V., Armut in Hamburg, S. 3, in: Sozialbericht der Freien und Hansestadt Hamburg, Januar 2014

(6) ebd., S. 5

(7) Helge Baumann und Eric Seils: Wie »relativ« ist Kinderarmut?, Armutsrisiko und Mangel im regionalen Vergleich, WSI-Report 11, Januar 2014

 

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