9. Juni 2013 Joachim Bischoff: Das Niveau Hamburger Politik
»Jahrhundertfehler« HafenCity, U4, Elphi ... – keiner wills gewesen sein
Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister Henning Voscherau beklagt schwere Versäumnisse bei der Konzeption der HafenCity. Zwei Punkte machen dem SPD-Politiker zu schaffen, deshalb sind harsche Worte angesagt: Zum einen sei die Anbindung der HafenCity an die Innenstadt durch eine U-Bahn ein »Jahrhundertfehler« gewesen.
Statt einer aufgeständerten Hochbahntrasse sei eine Untergrundbahn gebaut worden, was aus touristischer Sicht ein unglaublicher Verlust für die Stadt sei; überhaupt hält er die U4 in HafenCity für »grundfalsch«.
Zugleich warnt der Altbürgermeister in einem Interview mit der Zeitschrift »Quartier – Magazin für HafenCity, Speicherstadt und Katharinenviertel« vor einem Kahlschlag in Hamburgs Kultur wegen der hohen Betriebskosten der Elbphilharmonie. Die Kulturszene ruft er auf, sich im Kampf um mehr Geld zusammenzutun.
Dies ist nun eine typische Figur in der Politik: Der eigentliche maßgebliche Täter für eine massive Fehlentwicklung in der Stadtgestaltung versucht, seinen gewiss nicht überzeugenden Nachfolgern die gesamte Verantwortung für Jahrhundertfehler zuzuschieben.
Zur Erinnerung: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde seit 1991 unter jenem Ersten Bürgermeister Voscherau (SPD) der Plan für die HafenCity entwickelt. Mit deren Realisierung wurde eine privatrechtliche Gesellschaft beauftragt, eine 100%ige Tochter der Freien und Hansestadt Hamburg, die gleichwohl wie ein Unternehmen agiert. Um die finanziellen Grundlagen für die Entwicklung der HafenCity zu schaffen, wurde auf gesetzlichem Wege 1997 das Sondervermögen »Stadt und Hafen« geschaffen, in das die städtischen Grundstücke kostenfrei eingebracht wurden.
Ein Großteil der öffentlichen Aufwendungen für die Entwicklung des Megaprojekts wird über die Kreditaufnahme dieses Sondervermögens zu kommunalkreditähnlichen Konditionen vorfinanziert. Diese Kredite sollen über die Einnahmen aus Grundstücksverkäufen getilgt werden. Die Aufwendungen des Sondervermögens umfassen Betriebsverlagerungen, Flächenfreimachung, öffentlichen Hochwasserschutz, Hauptverkehrs- und Erschließungsstraßen, Brücken, Kaimauern, Promenaden, Parks, Planung sowie Kommunikation und Marketing.
Ende 2011 kam die absurde Rechnung auf den Tisch. Das Sondervermögen hatte einen Schuldenberg von über 400 Millionen Euro aufgehäuft. Noch vor Abschluss des Projektes steht fest: Der öffentliche Haushalt musste eine Umschuldung zulasten der Steuerzahler vornehmen. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde mit dem Doppelhaushalt 2013/14 das von Voscherau angerichtete Desaster in einer ersten Stufe bereinigt: Dem Sondervermögen sind im Haushaltsjahr 2011 207 Mio. Euro und im Haushaltsjahr 2012 weitere 200 Mio. zugewiesen worden. Die Mittel wurden zur Entschuldung und auch zur Finanzierung der Verlängerung der U4 eingesetzt.
Warum muss die verkehrspolitisch völlig unsinnige U4 verlängert werden? Die im Masterplan vorgesehenen Entwicklung der östlichen HafenCity steht seit geraumer Zeit vor einem großen Scherbenhaufen. Das als »Herzstück« des neuen Stadtteils geplante Areal mit Büros, Restaurants und Geschäften liegt weiter brach, obwohl seit 2010 hier das Leben toben sollte. Seit 2013 versucht die städtische HafenCity GmbH einen Neustart – und plant ein völlig neues Konzept mit neuer Architektur, neuen Nutzungen und einem zusätzlichen neuen Investor für den Einkaufsbereich. Ob daraus etwas wird, ist völlig offen.
Gleichwohl ist die U4 für die Beschönigung der Fehlinvestition besonders dringlich. Die Kalkulation der Verkaufserlöse für dieses Gebiet beruht darauf, dass die infrastrukturelle Entwicklung den Zielen des Masterplans entspricht, insbesondere die U4 bis zu den Elbbrücken verlängert wird. Würde diese Maßnahme nicht realisiert, käme es zu erheblichen Erlöseinbußen und in der Folge zu weiteren Schulden bei dem Sondervermögen »Stadt und Hafen«. Wegen dieses durch den Bau der U4-Verlängerung erzielten wirtschaftlichen Nutzens soll die Finanzierung durch das Sondervermögen erfolgen. Allerdings hat die Hamburger Verkehrsgesellschaft mit der U4 eine Streckenführung entwickelt, die dauerhaft rote Zahlen schreiben wird.
Voscherau hat den »Mist« angerichtet und beklagt jetzt eine städtebauliche Katastrophe: »Das finde ich nach wie vor grundfalsch (...) gesamtstädtisch ein Jahrhundert-Fehler.« Man hätte die U4 nach Ansicht des früheren Regierungschefs nicht an der Elbphilharmonie vorbei, sondern direkt in das zweite Obergeschoss führen sollen. »Dann kämen die Damen trockenen Fußes vom Bahnsteig auf der Rolltreppe zur Garderobe.« In der Tat: Mit einer solchen Lösung wäre der millionenschwere Schildbürgerstreich als Geschenk für die Hamburger Reichen deutlich sichtbarer geworden.
Aber nicht genug: Zum Jahrhundertfehler gehören nicht nur die HafenCity und die U4, sondern auch die Elbphilharmonie. Nach dem letzten Stand der Dinge soll deren Bau 789 Millionen Euro kosten, etwa zehnmal mehr als ganz am Anfang geplant. Außerdem gibt es weiterhin verdeckte Kosten, so dass letztlich wohl eine Milliarde Euro für das Luxusprojekt erreicht werden könnten, denn die Gesamtabrechnung erfolgt ja erst im Jahr 2016.
Unklar ist bislang weiterhin, wie hoch die Kosten für den Unterhalt und den Betrieb des Konzerthauses sein werden. Zum Hamburger Politikstil gehört: Über diese praktische Seite ist kaum nachgedacht worden. Zu dem finanziellen Abenteuer des Baus gehört ein jährlicher Zuschussbedarf aus öffentlichen Mitteln von 3,2 Mio. Euro. Weitere 800.000 Euro soll die Stiftung Elbphilharmonie zuschießen.
Aber diese Kalkulation ist längst überholt. Der Etat der Kulturbehörde liegt in diesem Jahr bei rund 252 Millionen Euro. Das sind etwa 3% des Hamburger Gesamthaushalts. Voscherau fürchtet – und hier hat er leider Recht –, dass der jährlich Zuschussbedarf wesentlich höher ausfallen wird und dass angesichts klammer öffentlicher Kassen der Etat für bestehende Kultureinrichtungen gekürzt werden könnte, um den Betrieb der Elbphilharmonie zu ermöglichen.
Voscherau unterstreicht im erwähnten Interview, dass eine Finanzierung des Betriebes der Elbphilharmonie aus dem laufenden Kulturhaushalt nicht denkbar ist. Vielmehr müssten deren Betriebsausgaben aus dem allgemeinen Betriebshaushalt bezahlt werden. Weil aber gleichzeitig die »Schuldenbremse« in den nächsten Jahren ihre Wirkung entfaltet, werden letztlich die Beschäftigten mit geringeren Arbeitseinkommen und höheren Belastungen die Zeche bezahlen müssen. Weitere Kürzungen bei öffentlichen Leistungen, Personalabbau und geringere Einkommen für die im Öffentlichen Dienst Beschäftigten – dies ist der Preis für einen »Jahrhundertfehler« im Bereich der Stadtentwicklung, an dem natürlich immer die anderen Schuld sind.