10. Juni 2016 Joachim Bischoff / Norbert Weber: Die Zombie-Bank legt Jahresabschluss vor
HSH Nordbank: Aufräumarbeiten nehmen zu
Man hätte das HSH Nordbank-Desaster kommen sehen können: Es ist eine monetäre Lawine von den politisch Verantwortlichen losgetreten worden, die die beiden Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein überrollen wird. Und das trotz aller Warnungen und bei durchaus vorhandenen Alternativlösungen!
Bei der HSH Nordbank – aber auch bei der Bremer Landesbank – geht es um enorme Aufräumarbeiten, die letztlich nur gelingen, weil öffentliche Finanzen als Sanierungsmittel herangezogen werden. Für die Bank, die sich vor Monaten mit der Europäischen Union über Details der Sanierung geeinigt hat, geht es jetzt um die Alternative: Privatisierung oder Abwicklung. Fakt ist: Trotz des nach Außen verkündeten Durchbruchs in die Gewinnzone wird es extrem unwahrscheinlich, dass sich ein Käufer für das marode Institut findet.
Inzwischen hat die HSH Nordbank endlich ihren Jahresabschluss 2015 veröffentlicht – mit drei Monaten Verspätung, aufgeregtem Gezerre und hektischem Treiben sowohl in Hamburg, Kiel und in Brüssel. Die Überschrift der bankeigenen Pressemitteilung zum vorgelegten Abschluss lässt nichts Gutes vermuten: »HSH Nordbank steigert 2015 Gewinn – EU-Entscheidung prägt Zahlenwerk«. Dann wird in Folge aufgezählt:
- Konzerngewinn vor Steuern 450 (Vorjahr 278) Mio. Euro, davon 90% in der Kernbank
- Neugeschäft mit 8,8 (9,5) Mrd. Euro auf hohem Niveau leicht rückläufig – ausgewogenes Risiko-Ertrags-Profil im Fokus
- Harte Kernkapitalquote steigt auf solide 12,3%
- Strukturmaßnahmen wirken in Summe positiv
- Verbleibendes Altportfolio belastet weiter.
Die bankeigene Situationsbeschreibung soll wohl suggerieren, dass die Krise nun überstanden ist und es aufwärts geht. Was für eine dreiste Beschönigung! In den fast 500 Seiten Geschäfts- und Finanzbericht wird nicht ein einziges Wort über den massiven Verlust der öffentlichen Mittel verloren. Der von der Bank selbst angerichtete Mist infolge beständiger Beschönigung der wirtschaftlichen Lage wird von den Steuerzahlern der beiden Bundesländer in den nächsten Jahren entsorgt werden müssen. Sowohl der Geschäfts- als auch Finanzbericht ist tituliert mit dem Slogan »Mit Blick nach Vorn – Aufbruch in eine erfolgreiche Zukunft«. Die Bankvorstände bleiben ihrer Politik der Schönrednerei bis zuletzt treu.
Im Herbst 2015 gab es nach langem Hin- und Her einen Zusagen-Katalog der beiden Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein, was man alles bereit ist zu übernehmen, zu tun und zu verzichten, um offiziell ein Ende in das mittlerweile zweite Beihilfeverfahren vor der EU-Kommission beendet zu bekommen. Die Länder erklärten sich bereit, wertlose Schrott-Assets der Bank in einer Größenordnung von 6,2 Mrd. Euro in ihre eigenen Bücher zu übernehmen, zusätzlich darf die Bank weitere 2 Mrd. Euro an Schrott am Markt »verkaufen«.
Die Differenz zwischen den viel zu hohen Buchwerten der Bank und den zu erzielenden Erlösen tragen ebenfalls die beiden Bundesländer, die ländereigene HSH Finanzfonds AöR ist extra dafür mit einer weiteren Kreditlinie über 10 Mrd. Euro ausgestattet worden. Garantiegebühren, die bisher die Bank hätte zahlen müssen hat nun offiziell die neu zu gründende Holding-Gesellschaft (HoldCo) zu tragen und damit die Länder selbst.(1)
Die neue OpCo (bisherige HSH Nordbank einschließlich weltweiter Töchter) hat lediglich 2,2% auf den nicht in Anspruch genommenen Teil der Garantie zu tragen. Die Bank spricht in dem Zusammenhang in ihrem Bericht an mehreren Stellen von »Totalausfall« zu Lasten der Länder. Da wird also nicht viel von der Bank selbst zu tragen sein. Ausführlich hatten wir uns damit bereits in unserer letzten Abhandlungen zum „Finanz-Zombie: Drama HSH Nordbank“ auseinandergesetzt. (2)
»Neu« im eigentlichen Sinne ist aufgrund des nunmehr vorliegenden Jahresabschlusses, dass diese Transaktionen zu Lasten der Länder bei weitem nicht ausreichen werden, um die Bank privatisierungsfähig zu machen. Selbst die Bank sprach sofort nach der Einigung davon, dass man mindestens 20 Mrd. Euro an Schrott hätte auslagern wollen und müssen.
Da hat der Senat der Bürgerschaft wohl nicht die Wahrheit gesagt, denn die Risiken sind immens und deutlich höher als bisher vom Senat zugegeben. Möglicherweise wusste der Senat es selbst nicht, nachdem er seine Entscheidungen an Beratungsfirmen wie Bain & Company übertragen hat, die ehemalige HSHler beschäftigt und sich für diese Beratung mehrere Millionen Euro hat überweisen lassen.
Aber man muss sich wirklich fragen, was von einem unwissenden und ratlosen Senat zu halten ist, der seinen BürgerInnen Risiken in riesigen Dimensionen aufbürdet, ohne die Größe zu kennen. Zum Beispiel die eigenartige Beschreibung über die Zukunft und die Höhe der 10 Mrd. Euro Garantie zu Lasten der Länder im aktuellen Geschäftsbericht der Bank.
Dabei hat der Senat mehrfach vor der Bürgerschaftsabstimmung eindeutig behauptet, dass die Garantie sukzessive mit der Inanspruchnahme erlöschen soll. Rein rechnerisch und nach den Beschreibungen im Geschäfts- und Finanzbericht kann das nicht stimmen, vermutlich wird die Garantie fortbestehen trotz bisher bestehender Entlastungswirkung bzw. bilanzielle Sicherungswirkung über 8,101 Mrd. Euro (Quelle: Seite 82 FB).
So hat die Bank nach wie vor RWAs (Risk Weighted Assets) von etwa 57 Mrd. Euro in ihren Büchern, davon im Forbearance-Portfolio (leistungsgestörte Engagements) über 17,4 Mrd. Euro sowie im NPL-Portfolio (Non Performing Loans – Totalausfall, Schrott) über 16,3 Mrd. Euro. Und das, nachdem die Transaktion zu Lasten der Länder über 6,2 Mrd. Euro laut Beschreibung bereits saldiert wurde. Alles ist mit der Garantie unterlegt – 90% des Forbearance-Portfolios, 93% des NPL-Portfolios sowie als »Wirkung« auf die RWAs mit etwa 20 Mrd. Euro.
Zudem führt der Finanzbericht dazu aus (Seite 17 Lagebericht): »Das in der HSH Nordbank unter der Garantie verbleibende Portfolio wird in bewährter Weise durch den weiter bestehenden Garantierahmen abgesichert.« Auch rein rechnerisch kann die Bank gar nicht auf die Schutzwirkung des Garantieschirmes verzichten, alle Kapitalkennziffern würden zusammenbrechen.
Zudem sprüht der Finanzbericht förmlich von zusätzlicher Risikobeschreibung wie
- Säule-1 Mindestanforderungen im Planungszeitraum können möglicherweise ohne zusätzliche Maßnahmen nicht vollumfänglich eingehalten werden
- die Nichterfüllung der Mindestkapitalanforderungen könnte wesentliche Rückwirkungen auf die operative Gesellschaft haben und beispielsweise zur Abwendung eines solchen Szenarios kapitalstärkende Maßnahmen erfordern
- es besteht das Risiko, dass die Privatisierung der HSH Nordbank nicht oder nicht rechtzeitig geling und damit die HSH Nordbank das Neugeschäft einstellen und die bestehenden Portfolios abbauen müsste
- es könnte zudem zu der Anordnung von Abwicklungsmaßnahmen unter der SRM-VO durch die zuständigen Abwicklungsbehörden kommen
- bei wesentlichen unerwarteten Mittelabflüssen müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Liquiditätssituation zu stärken
- für 2016 geht die Bank aufgrund der im Geschäftsjahr 2015 wesentlichen Einmaleffekte aus der Auflösung der Garantieprämien infolge der informellen Verständigung von einem im Vorjahresvergleich deutlichen Rückgang des Ergebnisses vor Steuern auf Konzernebene aus
- für das Erreichen der Ergebnisprognose sowie künftige Ausschüttungen ab 2020 ist es erforderlich, dass die Planung der HSH Nordbank wie vorgesehen umgesetzt wird und die in diesem Lagebericht eingetretenen Risiken nicht eintreten (nebenbei: seit 2009 hat noch keine bankeigene Planung auch nur annähernd gestimmt)
- weitere Bestandteile der Planung sind die Veränderung in der Auslastung der Zweitverlustgarantie sowie die tatsächlich abgerechneten Verluste und der zu erwartende Totalverlust aus der Zweitverlustgarantie.
Fakt ist weiter: Die Bank konnte ihre Wachstumsziele im Firmenkundengeschäft – wie auch im Gesamtgeschäft – wiederum nicht erreichen. 3,2 Milliarden Euro an Neugeschäft konnte die HSH Nordbank im vergangenen Geschäftsjahr mit Unternehmenskunden verbuchen – durch eine Neustrukturierung des Bereichs sollten eigentlich 4,9 Milliarden Euro erzielt werden. Zum Juni vergangenen Jahres hatte die Bank in dem neuen Segment »Unternehmenskunden« sowohl das klassische Firmenkundengeschäft als auch die Sparten Energy & Infrastructure und das Wealth Management zusammengefasst.
Die Bank erklärt die enttäuschende Entwicklung im Firmenkundengeschäft unter anderem mit einer »marktbedingt zurückhaltenden Kreditnachfrage«. Die gute Finanzlage der meisten Konzerne trifft alle Banken. Aber die HSH litt eigener Aussage zufolge auch unter der Unsicherheit rund um das EU-Sanierungsverfahren, das erst im Oktober vergangenen Jahres endgültig durchgewunken wurde.
Insgesamt liegt der Gesamtertrag im Segment Corporates & Markets bei 434 Millionen Euro und damit stabil auf Vorjahresniveau (431 Millionen Euro). Die Gesamtbank hingegen konnte ihren Ertrag deutlich von 908 Millionen auf knapp 1,3 Milliarden Euro steigern. Dies lag vor allem an einem nahezu verdoppelten Zinsüberschuss, der von 586 Millionen auf 1,03 Milliarden Euro anstieg.
In der Kernbank lag das Wachstum mit 46 auf 634 Millionen Euro niedriger, aber viele andere Banken mussten sogar Rückgänge im Zinsüberschuss vermelden. Der Provisionsüberschuss der gesamten Bank ging dagegen von 130 auf 114 Millionen Euro zurück.
Wichtig wäre in dem Zusammenhang – insbesondere vor dem Hintergrund »Vertrauen« in die Zukunft der Bank – ein solider und fachlich versierter Mitarbeiterstamm. Es gibt ja nach wie vor fast 2.500 Mitarbeiter, die im Schnitt etwa 100.000,-- Euro zzgl. Tantiemen über 10.000,-- Euro pro Mitarbeiter (das sind übrigens etwa 30% über Branchendurchschnitt) an Einkommen erzielen.
Doch im Bericht ist unter »Schadenfalldatenbank« zu lesen: »Im Berichtsjahr traten 49% (Vorjahr 41%) der gemeldeten operativen Schadenfälle in der Risikokategorie Mitarbeiter auf. Diese Risikokategorie beinhaltet z.B. Bearbeitungsfehler oder unautorisierte Handlungen.«
Wie bitte? Wie kann sowas bei dem angeblich bestens installierten Controlling passieren? Zudem sollen genau diese Mitarbeiter auch in Zukunft für die Bearbeitung der Schrottassets zuständig sein, nunmehr abgeladen in der ländereigenen HSH Portfolio Management AöR.
Der Senat hat auch im Hinblick auf die Haftung für die durch Gewährträgerhaftung unterlegten Mittelbeschaffungen der Bank nicht die Wahrheit gesagt. Angeblich musste die Bank zwangsläufig durch die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein gerettet werden, da die Länder sowieso dafür haften. Nun, nach der Rettungsaktion, ist im Bericht zu lesen: »Als Alteigentümer der Landesbank Schleswig-Holstein Girozentrale haftet die Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart, im Rahmen der oben dargestellten Gewährträgerhaftung für die bis zu ihrem Ausscheiden mit Wirkung vom 23. Mai 2003 vereinbarten und im Wege der Verschmelzung auf die HSH Nordbank AG übergegangenen Verbindlichkeiten sowie die Westdeutsche Landesbank, Düsseldorf, bzw. ihre Rechtsnachfolgerin für bis zum Wegfall der Gewährträgerhaftung eingegangenen Verbindlichkeiten«. Demnach hätte man die Rechnung den beiden anderen Landesbanken präsentieren können!
Große Sondereffekte zeigen sich im Bereich der Risikovorsorge. In der Firmenkundenbank drehte die Risikovorsorge von minus 56 Millionen Euro auf eine positive Summe von 51 Millionen Euro, weil »Risikovorsorge bei Firmenkrediten aufgelöst werden konnte«. Für die gesamte Bank stiegen die Anforderungen an die Risikovorsorge dagegen deutlich. Die HSH Nordbank hat – vor allem mit Blick auf das alte Schifffahrtsportfolio – im vergangenen Jahr eine sehr hohe Risikovorsorge von gut drei Milliarden Euro vor Garantieeffekten gebildet. Dies wurde nötig, weil in Kürze ein Portfolio fauler Kredite im Nennwert von fünf Milliarden Euro in eine Bad Bank der öffentlichen Hand übertragen werden soll – zu entsprechend hohen Abschlägen auf den Bilanzwert.
Abschließend beschreibt der Jahresbericht die Zukunftsaussichten der Bank wie folgt: »Ferner ist es erforderlich, dass die für die erfolgreiche Umsetzung des Geschäftsmodells der HSH Nordbank AG und der Vorgaben aus der formellen Entscheidung der EU-Kommission benötigte Akzeptanz durch Marktteilnehmer und sonstige relevante Stakeholder erhalten bleibt bzw. gewonnen wird und die erwarteten Erholungen der Schifffahrtsmärkte eintreten.« Dabei ist genau das bereits fundiert in Frage zu stellen:
- Wer gibt einer Bank langfristige Mittel, die möglicherweise nur noch zwei Jahre existiert?
- Wer leiht sich bei einer Bank langfristig Mittel, wenn er weiß, dass in etwa zwei Jahren diese Bank entweder abgewickelt wird oder er in Händen von gierigen Hedgefonds landet?
- Wie kann man nur auf die kurzfristige Erholung der Schifffahrtsmärkte bauen?
Neben den spekulativen Operationen im weltweiten Casino ist vor allem die Schifffahrtskrise für das Desaster verantwortlich. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Institute haben sich seit Jahren in diesem Geschäft der Schiffsfinanzierung enorm verhauen. In blindem Expansionswahn haben Landesbanken wie die HSH Nordbank, die Nord LB und die Bremer Landesbank gewaltige Portfolien an Schiffskrediten aufgebaut. Bis zuletzt haben sie die Marktentwicklung falsch eingeschätzt.
Bereits seit 2009 bekommen sie dafür die Quittungen und lassen die öffentlichen Finanzen bluten. Wegen der hohen Wertberichtigungen auf faule Schiffskredite wird die NordLB im laufenden Jahr wieder Verlust machen. Ihre Tochtergesellschaft, die Bremer Landesbank, braucht eine Kapitalspritze. Und die skandal- und krisengeplagte HSH Nordbank muss Risiken in Milliardenhöhe auf ihre Eigner Hamburg und Schleswig-Holstein abwälzen.
Für die HSH-Nordbank, die auf Geheiß der EU-Kommission privatisiert oder abgewickelt werden muss, wird der Steuerzahler mit ca. weiteren 15 bis 20 Mrd. Euro geradestehen. Denn es ist weiterhin offen, ob die Talsohle in der Schifffahrt überhaupt schon erreicht ist. Zwar bekommen die asiatischen Großwerften im Moment kaum Aufträge für neue Schiffe. Doch die Neubauten, die 2014 und 2015 bestellt wurden, laufen erst noch vom Stapel und sorgen dafür, dass die Überkapazität in der Branche trotz zahlreicher Verschrottungen weiter wächst.
Nach unserer Einschätzung hat der aktuelle Bankenvorstand der HSH seine Einschätzung zur Zukunft klar definiert, indem er generös und medienwirksam auf mögliche Zusatzeinkünfte aus einem erfolgreichen Verkauf der Bank verzichtet hat. Er weiß also ganz genau, dass das niemals mit einem positiven Ergebnis funktionieren wird!
[1] Das hat sie auch nicht vollständig getan, stattdessen können sich die beiden Landesregierungen ihre Dienstzimmer mit von der Bank angedienten Besserungsscheinen tapezieren.
[2] www.sozialismus.de/vorherige_hefte_archiv/supplements/liste/detail/artikel/finanz-zombie-drama-hsh-nordbank/