16. November 2015 Joachim Bischoff
Hamburgs Hafenwirtschaft – nur Rhythmusstörungen ?
Hamburgs rot-grüne Regierungskoalition zeigt zwar hektisches Engagement in der Frage der Olympia-Bewerbung, ruht sich aber ansonsten in Sachen Wirtschaft auf dem vermeintlich guten Gang der gesellschaftlichen Entwicklung aus. Neuerdings sind aber auch Schlechtwetterfronten in Sicht.
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz überrascht mit der Bemerkung, dass das Herz der Hamburger Wirtschaft, der Hafen, mindestens Rhythmusstörungen zeigt. Deshalb müsse man als Handelsstadt auch auf Situationen vorbereitet sein, »in der es wirtschaftlich etwas weniger voran geht«. Hamburgs politische Klasse kalkuliere allerdings damit, dass sich der weltweite Güterumschlag in den nächsten fünf bis zehn Jahren etwa verdoppelt, wovon auch der Hafen in Hamburg profitiere.
Die Prognosen über den Container-Umschlag sind allerdings deutlich korrigiert worden. Gingen die Prognosen und Entwicklungspläne vor einigen Jahren noch von einem Containerumschlag von 20 oder gar 25 Mio. TEU bis 2025 aus, so werden jetzt die bremsenden Einflüsse immer deutlicher. Der Welthandel und der Containerverkehr wachsen nicht mehr mit den hohen Zuwachsraten früherer Jahre. Bis zum Ende des Jahrzehnts könnten 15 Mio. TEU erreicht werden – unter der Voraussetzung, dass die wirtschaftliche Entwicklung auf der Welt nicht durch unvorhersehbare Schocks wie 2008 ganz anders als erwartet verläuft.15 Mio. TEU wären immerhin 50 Prozent mehr als heute. Die Marke von 10 Mio. TEU wird der Hafen in diesem Jahr wiederum verpassen.
Die Hanseaten stehen seit einiger Zeit im Container-Bereich unter Druck. Wegen der wirtschaftlichen Probleme in Russland ist der Warenverkehr mit dem Land eingebrochen. Auch in China boomt die Konjunktur nicht mehr so stark, was sich auf den Handel und damit den Containerumschlag auswirkt. Dieser ging in den ersten drei Quartalen an den Terminals in Hamburg und Odessa deutlich zurück. Der Hamburger Hafen hat in den ersten sechs Monaten dieses Jahres einen Einbruch beim Containerumschlag erlitten. Mit 4,5 Mio. Standardcontainern gingen 6,8% weniger Boxen über die Kaikanten als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Ursachen waren starke Rückgänge im Handel mit China (minus 10,9%) und Russland (minus 35,9%). In dem Wettbewerb mit den anderen nordeuropäischen Häfen verliert Hamburg zurzeit Marktanteile. Während die Hansestadt Einbußen hinnehmen muss, legen die Konkurrenten Rotterdam und Antwerpen zu.
»Die anhaltend schwierigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, denen die Hamburger Hafen und Logistik AG gegenübersteht, machen sich mittlerweile deutlich bemerkbar«, erklärte HHLA-Vorstandsvorsitzende Klaus-Dieter Peters. »Dem daraus resultierenden Rückgang unseres wasserseitigen Containerumschlags steht ein weiterhin erfreulicher Anstieg der Containertransporte im Hinterland gegenüber. Jedoch konnten die Zuwächse, die wir im Geschäftsfeld Intermodal erzielten, den Rückgang des Containerumschlags an unseren Terminals in Hamburg und Odessa nicht mehr vollständig kompensieren.«
Die Kreuzfahrtindustrie in der Hansestadt wird mit dem Bau eines dritten Kreuzfahrtterminals weiter gestärkt, aber ob dadurch die Abwärtstendenzen in der Schifffahrts- und Logistikindustrie ausgeglichen werden können ist doch sehr fraglich. Aktuell sind Hapag-Lloyd, und die HHLA sowie die Finanzierung der Schifffahrt eher Bereiche, denn keine große Entwicklungsperspektiven zugeschrieben werden.
Betrachtet man die Entwicklung des Wirtschaftswachstums genauer, zeigt sich allerdings, dass Hamburg seit der Wirtschaftskrise 2009 der Bundesentwicklung hinterherhinkt. Der Einbruch in 2009 war in Hamburg mit -3,8% weniger scharf als im Bund (-5,2%), aber der Wirtschaftsaufschwung in den Folgejahren auch weniger dynamisch als im Bundesdurchschnitt. Das leichte Plus 2012/2013 gegenüber dem Bund hat diese Lücke bislang nicht schließen können. Für 2014 errechnete sich ein Wirtschaftswachstum (reale Veränderung der Wirtschaftsleistung) von plus 1,6%. Mit diesem Ergebnis lag die Wirtschaftsentwicklung in Hamburg in gleicher Höhe wie im Durchschnitt aller Bundesländer. Allerdings sieht es im ersten Halbjahr 2015 deutlich besser aus. In Hamburg ist das Bruttoinlandsprodukt (der Wert aller erzeugten Güter und Dienstleistungen; BIP) im ersten Halbjahr gegenüber dem ersten Halbjahr 2014 real um plus 2,0% gestiegen. Mit diesem Ergebnis liegt Hamburg deutlich über dem Bundesergebnis von real plus 1,4%.
Die maritime Wirtschaft in Hamburg gerät mehr und mehr in eine Abwärtsspirale. Größter Verlustträger ist die HSH Nordbank, die nun in die Abwicklungsphase einschwenkt. Die HSH Nordbank, eine im Jahr 2003 aus der Fusion der Hamburgischen Landesbank und der Landesbank Schleswig-Holstein entstandene Aktiengesellschaft, ist die fünftgrößte deutsche Landesbank. Im Jahr 2009 war die Insolvenz dieses Geldhauses offenkundig. Trotz massiver Hilfen – ihr wurde eine Reihe von Rettungsmaßnahmen gewährt: (1) eine Rekapitalisierung von drei Mrd. Euro durch die Ausgabe von Aktien der HSH Nordbank (die vollständig von ihrem Mehrheitsaktionär, dem HSH Finanzfonds, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, gezeichnet wurden) und (2) eine Risikoabschirmung von 10 Mrd. Euro durch die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein – kam die Bank nicht auf die Beine. Jetzt werden die Bundesländer erneut für 6,2 Mrd. Euro Schrottpapiere von der Bank übernehmen mit dem Ziel, die Bank verkaufen zu können oder abwickeln zu müssen.
Auch die Traditionsreederei Hapag-Lloyd musste sinkende Gewinne bekannt geben. Gleichwohl hat die Reederei mit Hängen und Würgen im dritten Anlauf ihren Börsengang geschafft. Der Ausgabepreis lag weit unter den ursprünglichen Erwartungen. Vor allem die Stadt Hamburg zahlt für die bevorstehende Emission der Anteile einen hohen Preis. 2008 und 2012 hatte die städtische Beteiligungsfirma HGV in zwei Schritten für insgesamt rund 915 Mio. Euro einen Anteil von zeitweise mehr als einem Drittel an der Reederei gekauft. Ihre zweite Tranche der Hapag-Lloyd-Aktien hatte die Stadt 2012 zu 41,22 Euro je Aktie erworben und insgesamt 420 Mio. Euro bezahlt. Auch die früher erworbenen Anteile sind inzwischen auf diesen Betrag abgewertet.
Nach der Fusion mit der Containersparte der chilenischen Reederei CSAV Ende 2014 hält die Stadt Hamburg derzeit noch 23,23% der Anteile an Hapag-Lloyd. Im Zuge des Börsengangs wird dieser Wert weiter sinken. Zu den Kaufpreisen kommen die bisherigen Kreditzinsen hinzu. Insgesamt steht die Finanzlast für Hapag-Lloyd bei der HGV derzeit mit 1,15 Mrd. Euro in den Büchern. Dividende hat die Reederei seit 2008 an die Stadt nicht gezahlt. Rund 24 Mio. Aktien der Traditionsreederei hat die Stadt gekauft. Kauf und Finanzierung haben Hamburg bislang rund 1,3 Mrd. Euro gekostet. Der Vermögensverlust beträgt nach dem Niveau des Börsenkurses ca. 500 Mio. Euro.
Hapag-Lloyd ist nach der Fusion mit der chilenischen Reederei CSAV mit 188 Schiffen die viertgrößte Container-Reederei der Welt. In der ersten Hälfte dieses Jahres verdiente der Konzern 157 Mio. Euro, bei einem Umsatz von rund 4,7 Mrd. Euro. Das war das beste Ergebnis seit längerer Zeit. Allerdings sind die weiteren Aussichten durchaus trüb.
Auch das zweite maritime Schwergewicht der Stadt, die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), meldet wegen der Schifffahrtskrise und dem schwächelnden Welthandel schwache Zahlen. Der Hafenlogistikkonzern sackte nach den schlechten Zahlen im Börsenhandel auf neue Tiefststände ab. Auch dies bedeutet unter dem Strich einen weiteren Vermögensverlust für die Hansestadt.
Die Strukturprobleme werden sich verschärfen. Das Wachstum im Containertransport zwischen China und Europa wird weiter zurückgehen. Dazu kommen die Rückgänge von teils mehr als 40% im Russlandhandel. Russland leidet als wichtiges Förderland derzeit stark am internationalen Verfall der Rohölpreise. Zudem wirken mittlerweile die Wirtschaftssanktionen, die der Westen gegen Russland nach dessen militärischer Intervention in der Ostukraine verhängt hat. Zu den globalen Tendenzen kommen regionale Faktoren hinzu. Die Einschränkungen beim Anlauf Hamburgs mit Großcontainerschiffen nehmen weiter zu und führen zu Marktverschiebungen in der Nordrange.Perspektivisch muss Hamburg jetzt zwingend die richtigen Weichen stellen, um im Wettbewerb nicht dauerhaft ins Hintertreffen zu geraten.
Für Selbstzufriedenheit und Passivität der Landesregierung gibt es keine Begründung. Der Senat sollte sich mit der Frage beschäftigen, wie kann die regionale Wertschöpfung zukunftsfähig gemacht werden. Dies umso mehr als Hamburg seit einiger Zeit auch bei der Arbeitsmarktentwicklung deutlich Schwächen zeigt.