Der rechte Rand

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Das IfS. Faschist*innen
des 21. Jahrhunderts

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ISBN 978-3-89965-578-0

26. Januar 2016 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Hamburger SPD im Abwärtstrend

Die Alternative für Deutschland (AfD) steigt in Umfragen zur drittstärksten politischen Kraft hinter CDU und SPD auf. Die etablierten Parteien zeigen immer deutlicher ihre Unsicherheit oder gar Unfähigkeit mit dieser Veränderung umzugehen. Im Zentrum dieser Umgruppierung der politischen Kräfteverhältnisse steht die Herausforderung des Anstiegs der Flüchtlingsbewegung nach Europa und Deutschland. Auch in der Hansestadt zeigt sich dieser Zusammenhang.

Hamburg hat im vergangenen Jahr 22.299 neue Flüchtlinge aufgenommen, insgesamt kamen nach den bisher vorliegenden Zahlen 61.600 AsylbewerberInnen in der Stadt. Vergleicht man dies mit den Zahlen Vorjahres wird die Herausforderung deutlich: 2014 hatten sich lediglich 13.042 neue Flüchtlinge  in Hamburg gemeldet, von denen 6.970 in der Stadt blieben.

Im Dezember 2015 ist die Zahl der Schutzsuchenden im Vergleich zu den Vormonaten deutlich gesunken und hat jetzt etwa das Niveau vom August (6.676). Im November waren in Hamburg noch 9.588 Erstmeldungen gezählt worden, im September und Oktober waren es jeweils mehr als 10.000.

Nicht alle Schutzsuchenden bleiben in Hamburg. Ein erheblicher Anteil wird auf andere Bundesländer verteilt, da in Hamburg mehr Flüchtlinge ankommen, als die Hansestadt nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel aufzunehmen hat. Demnach muss Hamburg von allen in Deutschland ankommenden Flüchtlingen 2,5% aufnehmen.

Trotz Kälte und Feuchtigkeit müssen derzeit noch etwa 700 Flüchtlinge in Hamburg in Zelten wohnen. Die meisten von ihnen leben allerdings in Bundeswehr-Zelten vom Typ Hindukusch, die winterfest, doppelwandig und beheizbar sind. Der Mangel an winterfesten Unterbringungsräumen ist also offenkundig. Erschwert wird die Bereitstellung von Quartieren für die Flüchtlingsunterbringung durch etliche Gerichtsentscheidungen zugunsten von Anwohner-Klagen gegen geplante Unterkünfte. Seit 2013 habe es 19 abgeschlossene und sieben laufende Gerichtsverfahren gegeben, teilte der Senat mit. Von den abgeschlossenen Verfahren seien drei zulasten der Stadt ausgefallen, in zwei weiteren Fällen sei dies teilweise der Fall gewesen.

Bürgermeister Scholz geht davon aus, »dass wir bis Jahresende etwa 80.000 Flüchtlinge in Hamburg untergebracht haben müssen. Viele weitere, die in Hamburg ankommen, werden auf die anderen Bundesländer verteilt. Wir haben bei uns bereits rund 40.000 Unterbringungsplätze geschaffen. Wir haben also noch eine große Aufgabe vor uns.«

Bei der Integration der Zufluchtsuchenden stehen die städtischen Behörden ganz am Anfang. Knapp 6.000 Flüchtlingskinder und -jugendliche sind zurzeit in Hamburg in insgesamt 435 besonderen Klassen untergebracht. 470 zusätzliche Lehrkräfte kümmern sich dabei um die Schülerinnen und Schüler. Um jedoch auch künftig den Unterricht gewährleisten zu können, sucht die Hamburger Schulbehörde noch 175 Lehrerinnen und Lehrer.

Die Jugendlichen haben es vergleichsweis gut. In Hamburg werden die Kinder und Jugendlichen bereits in den Zentralen Erstaufnahmen unterrichtet: »Kinder und Jugendliche dürfen nicht monatelang ohne Sinn und Aufgabe in den Unterkünften allein gelassen werden. Deshalb warten wir mit den Einstellungen zusätzlicher Lehrkräfte nicht bis zu den turnusgemäß nächsten Einstellungsterminen im Sommer, sondern handeln jetzt.«

Neben neuem Personal wolle man laut Bildungssenator Rabe aber auch auf bereits pensionierte Kräfte setzen: »Die Zahl der Flüchtlinge hat sich in den letzten Monaten so stark erhöht, dass wir neue Anstrengungen unternehmen wollen, um allen Kindern und Jugendlichen eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Zusätzlich wollen wir weitere pensionierte Lehrkräfte für den Unterricht gewinnen.«
Für die Erwachsenen sieht das Angebot an Sprachkursen bescheidener aus. Gegenwärtig machen in Hamburg 6.000 AsylbewerberInnen noch während ihres Asylverfahrens einen Sprachkurs mit 320 Stunden. Damit können aber nur erste Sprachkenntnisse erworben werden. Denn diese Unterstützung gibt es nur,  wenn sie als Flüchtlinge anerkannt sind oder Asyl bekommen.Diese Entscheidungen trifft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.Das Amt muss aber bundesweit 660.000 Anträge abarbeiten.

Der nächste Schritt nach Wohnung, Anerkennung des Asyls, Sprachkursen ist die berufliche Qualifikation. Zunächst geht es bei den Flüchtlingen um eine Bestimmung des beruflichen Status. Die Erstberatung ist bei W.I.R – work and integration for refugees, der zentralen Anlaufstelle für Flüchtlinge, oder an den 16 Standorten des Jobcenters möglich und dauert in der Regel nicht länger als 90 Minuten. Dabei geht es um die Aufnahme der Lebenslage und die Feststellung der berufsbezogenen Kompetenzen.
Nach ersten Erkenntnissen des Job-Centers hat ein Großteil der Flüchtlinge, die bei uns schon Leistungen beziehen, keine klassische Berufsausbildung. Allerdings haben viele Flüchtlinge Abitur, und gerade jüngere Flüchtlinge stellen ein Potenzial für Ausbildung und Studium dar. Darüber hinaus hätten viele bereits praktische Berufserfahrungen. Das Arbeitsamt registriert, dass viele eine hohe Motivation mitbringen, die eine hoffentlich erfolgreiche Integration erleichtert.

Von der Zahl der neu entstehenden Jobs bietet Hamburg dafür gute Voraussetzungen. 2015 stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Hansestadt um 2,6% auf 931.000. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten MigrantInnen nahm um sieben Prozent zu. Sie profitierten damit sogar überdurchschnittlich vom Stellenzuwachs.

Die Arbeit mit den Zuwanderern soll die Vermittlungstätigkeit mit den sonstigen Arbeitsuchenden nicht beeinträchtigen. Denn immerhin suchen 95.600 HamburgerInnen, die vom Jobcenter betreut werden, eine Arbeit. Gegenwärtig sind 87.000 BürgerInnen im Langzeitleistungsbezug.

Auch in Hamburg ist die Willkommenskultur nicht unumstritten. Die AFD kann – wenig überraschend – ihre Zustimmung ausbauen. Eine Reaktion auf die politische Konstellation in Hamburg ist dies nicht. Bei Themen wie Migration und der Rolle und Bedeutung von Flüchtlingen spielen die konkreten regionalen Bedingungen und Verhältnisse nur eine marginale Rolle. Rechtspopulistische Parteien bieten ihre einfachen Lösungen an, und dass ihre simplen Parolen dann Zustimmung finden, ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung. Wenn an diesem Sonntag Bundestagswahl wäre, dann käme die Alternative für Deutschland, kurz AfD, auf zehn Prozent der Stimmen, wäre demnach die drittstärkste Kraft in Berlin. Das ergibt der Emnid-Sonntagstrend, eine Umfrage, die wöchentlich für die »Bild am Sonntag« erstellt wird.



Anders als 2001 die Schill-Partei (19,4% der Stimmen) hat die AfD derzeit in Hamburg keine charismatische Identifikationsfigur. Sie besetzt auch kaum Themen. Insofern sind die Zweifel über die Dauer des AFD-Aufstiegs durchaus berechtigt; auf der andern Seite steht auch fest, dass die Fluchtbewegung die politischen Verhältnisse noch Jahre prägen wird und die etablierten Parteien keine überzeugenden Antworten auf den »Kontrollverlust des Staates« sowie auf den Umgang mit dem Rechtspopulismus haben.

In der Hansestadt bliebe zwar die mit den Grünen regierende SPD r mit Abstand stärkste Partei, müsste jedoch massive Verluste hinnehmen. So kämen die Sozialdemokraten unter Bürgermeister Olaf Scholz nur noch auf 37%  – 8,6 Punkte weniger als bei der Bürgerschaftswahl vor knapp einem Jahr.
Die Verluste der SPD sind vor dem Hintergrund der Auswechselung im Führungskader und den wachsenden Problemen in der Stadt (Hafen, Wohnungsbau, öffentliche Infrastruktur) nicht wirklich überraschend. Eine transparente gesellschaftliche Kommunikation über die Entwicklungsperspektiven Hamburgs gibt es auch nach der Niederlage in Sachen Olympia-Bewerbung nicht.

Auch der politischen Auseinandersetzung mit den einfachen Lösungen von der AFD weicht die SPD aus. Bürgermeister Scholz grenzt sich zwar ab: »Schlechte Laune ist noch kein Konzept, Politik ist etwas ganz, ganz anderes.« Wenn Europa zusammenhalte, wären ein oder zwei Millionen Flüchtlinge bei 500 Millionen Europäern kein Problem. Aber auch die Begrenzung des Zuzugs sei notwendig, so Fraktionschef Dressel. »Wir müssen alles für tun, die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, besser zu steuern und auch zu reduzieren.« Gerade in den Stadtstaaten wie Hamburg seien die Möglichkeiten bei der Unterbringung begrenzt. Wer Integration verweigere oder Straftaten begehe, habe sein Aufenthaltsrecht verwirkt, betonten die führenden SPD-Politiker.

Die Einordnung der AFD-Politik als Ausdruck einer »schlechten Laune« ist entlarvend. Scholz wie der Großteil des Führungspersonals haben den Konsolidierungsprozess des Rechtspopulismus völlig unterschätzt. Schon die Entstehung der AFD und die heftige internen Strömungskämpfe wurden verniedlicht. Das Aufkommen der Alternative für Deutschland, hervorgerufen durch die Euro(pa)-Krise, dann verstärkt durch die Flüchtlingskrise, wird als Tendenz der Normalisierung verarbeitet. Wieso sollte das größte Land im Herzen Mitteleuropas vom Aufstieg des Rechtspopulismus  verschont bleiben? Grund zu einer selbstkritischen Überprüfung der eigenen Politik – Verschlankung des öffentlichen Sektors, Schuldenbremse bei gleichzeitiger Verschärfung der Kluft von Reich und Arm – ist nicht im Ansatz erkennbar.

SPD-Chef Scholz nimmt den Rechtspopulismus als Ausdruck einer »schlechten Laune« – immerhin ist dies gegenüber der parteioffiziellen Beschimpfung der rechtspopulistische Partei und ihre WählerInnen als »Pack« schon eine differenzierte Haltung. Dennoch: Etablierte Kräfte müssen WählerInnen von ihrer Politik überzeugen. Ob dies gelingt, hängt von ihnen ab, nicht von ihren Widersachern.

Auch in Hamburgs SPD regiert unter diesem Blickwinkel die Hilflosigkeit. Es geht nicht um schlechte oder gute Laune. Die Bewegung der Schutzsuchenden hat wesentlich zum Auftrieb der AFD beigetragen. Selbst wenn die Zahl der Schutzsuchenden in den nächsten Monaten zurückgehen sollte, was sich gegenwärtig abzeichnet, wird die Integration der Schutzsuchenden in die Gesellschaft ein Dauerthema in Deutschland und Europa bleiben. Dass sie zur Projektionsfläche für Ängste und Ressentiments werden können, hat mit viel tiefer liegenden ökonomisch-sozialen Problemlagen zu tun, die politisch nicht bearbeitet und in der Öffentlichkeit debattiert werden.

Die Erosion der gesellschaftlichen Mitte und die daraus resultierenden Abstiegsängste ist in vielen Studien nachgewiesen. So wird in einem aktuellen WSI-Report »Trotz Aufschwung: Einkommensungleichheit geht nicht zurück« auf die drastisch gesunkene Einkommensmobilität hingewiesen. »Eine Verfestigung der Verteilung zementiert Ungleichheitsstrukturen und beschneidet Chancengleichheit in einem erheblichen Maß. Genau das aber ist der große Trend, der sich in Deutschland seit einigen Jahrzehnten abzeichnet.« Solange diese Trends nicht politisch bearbeitet werden und das Vertrauen in das politische System weiter sinkt, wird der Rechtspopulismus seinen Nährboden finden.

Ein für Hamburg wichtiges Beispiel: Der Mieterverein warnt vor einer Verschärfung der Verteilungskämpfe. Er fürchtet aufgrund der vielen Flüchtlinge deutliche Mieterhöhungen. Wenn der Senat nicht sofort noch mehr Wohnungen baue, könnten die Mieten bis zu sieben Prozent steigen. Die 6.000 Wohnungen, die in Hamburg jährlich gebaut würden, seien zu wenig. »Der Wohnungsnotstand wird größer, wenn wir nicht extreme Anstrengungen im Wohnungsbau unternehmen werden«, so der Vorsitzende Chychla. Schon jetzt fehlten 30.000 Wohnungen. Der Mangel treibe die Mieten hoch. Eine Untersuchung habe ergeben, dass bei einer Million Flüchtlingen in Deutschland Hamburgs Mieten zusätzlich um drei Prozent anstiegen.

Der SPD-Senat unterschätzt nicht nur die Probleme der Flüchtlingsbewegung, er geht die damit verbundenen Probleme nicht offensiv und in Kooperation mit Zivilgesellschaft und Wohlfahrtsverbänden an. So stellt die anhaltend hohe Zahl von Schutzsuchenden Hamburg nicht nur vor enorme organisatorische Probleme, sondern ist zweifellos auch in finanzieller Hinsicht eine Herausforderung. Das Geld dafür ist allerdings vorhanden. Nachdem Hamburg schon 2014 einen Haushaltsüberschuss von mehr als 400 Mio. Euro erzielt hat, wird am Jahresende 2015 auf jeden Fall wieder ein Überschuss im dreistelligen Millionenbereich stehen.


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