25. Mai 2012 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Hamburg weiterhin auf Sparkurs
In diesem und in den kommenden vier Jahren kann die Stadt Hamburg mit Steuermehreinnahmen von knapp einer Milliarde Euro rechnen. Die aktuelle Mai-Steuerschätzung sagt der Stadt für die Jahre 2012 bis 2016 ein Plus von exakt 983 Millionen Euro oder gut zwei Prozent gegenüber der November-Schätzung voraus. Finanzsenator Tschentscher wehrt Überlegungen ab, den harten Austeritätskurs aufzuweichen: »Die erwarteten Mehreinnahmen sind das Ergebnis einer weiterhin guten wirtschaftlichen Entwicklung«. Dies ändere aber nichts am Konzept des Senats. Die Ausgaben dürfen um maximal ein Prozent pro Jahr steigen – dann wäre der Haushalt im Jahr 2020 ausgeglichen.
In der Tat: Die deutsche Wirtschaft steht im europäischen Vergleich immer noch relativ gut da – auch wenn sich die Konjunkturaussichten eintrüben. Die Ökonomen erwarten zwar gebremstes Wachstum, aber keine Rezession. Gegenüber dem Vorquartal stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im I. Quartal 2012 preis-, saison- und kalenderbereinigt um 0,5%, bestätigte das Statistische Bundesamt. Motor waren der Export mit plus 1,7% und der private Konsum mit plus 0,4%. Die Investitionen in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge wurden dagegen um 0,8% zurückgefahren. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist immer noch passabel (wenn man von dem hohen Anteil prekärer Beschäftigung absieht). Neue Jobs und Lohnerhöhungen, wie jetzt für den Metallbereich, stabilisieren die Binnenkonjunktur.
Logischerweise begünstigt diese Konstellation die Entwicklung des Steueraufkommens. Nach der Steuerschätzung von Anfang Mai können Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr und in den Folgejahren mit – im Vergleich zur November-Schätzung – moderaten Steuermehreinnahmen rechnen. Für 2012/2013 addiert sich dieses Steuerplus auf 9,6 Mrd. Euro – vorausgesetzt allerdings die Euro-Krise bleibt politisch beherrschbar und die Konjunktur im Rahmen der unterstellten Zuwachsraten (2012: real 0,7%; 2013: real 1,6%)
Im Einzelnen erwarten die Steuerschätzer der Stadt für das laufende Jahr Einnahmen von 9,012 Mrd. Euro – ein Plus von 182 Mio. Euro gegenüber der November-Prognose. 2013 soll das Plus bei 110 Mio. Euro liegen, 2014 bei 191 Mio., 2015 bei 234 Mio. und 2016 bei 266 Mio. Euro. Insgesamt werden Hamburg für diesen Fünfjahreszeitraum Steuereinnahmen von 48 Mrd. Euro vorausgesagt – knapp 2,1% mehr als bislang geschätzt.
Trotz der Mehreinnahmen hält der SPD-Senat aber an seiner bisherigen strikten Haushaltspolitik fest, um die Vorschriften der »Schuldenbremse« einzuhaltenl. Deshalb sollen konjunkturell bedingte Mehreinnahmen nicht genutzt werden, um die Ausgaben zu erhöhen. Stattdessen will der Senat die Neuverschuldung verringern und Rücklagen schonen. Tschentscher verwies darauf, dass selbst für den Fall, dass die günstigen Prognosen einträten, noch ein riesiges Loch im Haushalt klafft. 2012 werde es unter Einrechnung der Mehreinnahmen bei rund 800 Mio. Euro liegen, 2013 noch bei 700 Mio. Euro. Daher gebe es »keinen Spielraum für höhere Ausgaben«.
Diese Argumentation überzeugt nicht. Denn da die städtischen Einnahmen stärker wachsen als geplant, könnte mindestens von der Ausgabendeckelung von 0,88% entsprechend abgewichen werden. Dies böte die Möglichkeit z.B. auf einige schon jetzt bekannt gewordene Kürzungen im Doppelhaushalt 2013/2014, den der Senat im Juni vorlegen will, zu verzichten. So will der Senat zwei Mio. Euro bei der Rudolf-Ballin-Stiftung einsparen. Sie bekommt insgesamt 3,3 Mio. Euro von der Stadt für den Betrieb ihrer beiden Einrichtungen in Wyk auf Föhr und in Timmendorfer Strand. Unter dem Namen »Früh einsetzende entwicklungsfördernde Hilfen« (Feeh) werden dort Kinder für vier Wochen aufgenommen, die aus besonders belasteten Familien kommen und eine Auszeit von ihrem Umfeld brauchen. Rund 920 Kinder und Jugendliche besuchen die beiden Häuser in jedem Jahr. Bei einer Einsparung von zwei Millionen Euro müsste das Haus auf Föhr aufgegeben werden, heißt es von der Stiftung.
Die Logik, der auch dieses Sparen bei den Ärmsten der Armen folgt, ergibt sich aus den politischen Festlegungen und der Struktur der Ausgaben. So sind der Schuldendienst (Zinsen) und die gesetzlichen Ausgaben, auf die laut Rechnungshof etwa 72% des Gesamtetats entfallen, kaum zu beeinflussen. Da in diesem Bereich – etwa bei den Zinsen – die jährliche Kostensteigerungen deutlich über der 0,88%-Vorgabe liegen, muss bei den verbleibenden 28% der Ausgaben (einschließlich der Investitionen) entsprechend gekürzt werden. Hinzu kommt, dass der Senat Schonbereiche (Schule, Polizeivollzugsdienst und Feuerwehr sowie Universitäten), festgelegt hat, in denen nicht gespart werden soll. Dadurch wird der Konsolidierungsdruck auf einem sehr kleinen Teil der Ausgaben abgeladen. Der Rechnungshof warnt deshalb zurecht davor, dass bestimmte Bereiche öffentlicher Dienstleistung an »die Wand gefahren« werden.
Während der Senat so ganz kleinkarriert etwa bei den Kuren für arme Kinder spart, wird die »Schuldenbremse bei anderen politischen Entscheidungen außer Kraft gesetzt. So etwa beim Ankauf weiterer Anteile an Hapag Lloyd (400 Mio. Euro) oder dem Löcherstopfen beim Sondervermögen Hafen und Stadt. Und um wenigstens die gröbsten Mängel im Bereich der maroden öffentlichen Infrastruktur zu beseitigen, sucht er sein Heil in ÖÖP- und ÖPP-Projekten (Schulen, Hochschulen), um außerhalb des Haushalts Investitionen auf den Weg zu bringen. Dabei hat der Rechnungshof schon mehrfach angemahnt: »ÖPP-Projekte dürfen nicht zu einer Umgehung von Neuverschuldungsverboten führen.« Zudem ist mehrfach nachgewiesen, dass diese Form der indirekten Privatisierung die öffentlichen Haushalte teuerer kommt als wenn sie das in Eigenregie machen.
Mit dieser Art – auch noch inkonsequenter – Haushaltskonsolidierungspolitik steuert der Senat die Stadt in die falsche Richtung – nicht nur aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit (siehe Kinderkuren) Die nun spätestens seit dem Sieg des Sozialisten Hollande in Frankreich auf europäischer Ebene geführte Diskussion, dass Sparen allein in den Abgrund führt und mindestens um Wachstumskomponenten ergänzt werden muss, hat ihre Gültigkeit auch für Hamburg.
Im Prinzip wissen auch die Hamburger SPD und Bürgermeister Scholz, dass die Sanierung der öffentlichen Finanzen über die neue Schuldenregelung nicht zu haben ist. Das Ziel bis 2020 einen ausgeglichen Haushalt zu erreichen, geht faktisch nur um den Preis, den öffentlichen Dienst zu schrumpfen und die Beschäftigten schlechter zu bezahlen, sowie wichtige, eigentlich unverzichtbaren soziale und öffentliche Leistungen zu beschränken. Mit dem europäischen Fiskalpakt wird diese Logik noch verschärft. SPD und Hamburger Senat wären deshalb gut beraten, ihn in der vorliegenden Form abzulehnen.
Klüger wäre es, auf das (unsoziale) Sparen zu verzichten, und den Haushaltsausgleich und die Schuldentilgung über eine deutliche Erhöhung der Einnahmen zu suchen. Ein solcher Perspektivwechsel böte dann auch die Möglichkeit – vorübergehend kreditfinanzierte – Investitionen für den dringend notwendigen Umbau der Hamburger Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Die auch von der Hamburger SPD unterstützte Initiative für eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer ist da ein Schritt in die richtige Richtung. Würde der SPD-Senat dann noch seine Laissez faire-Haltung in Sachen Steuervollzug aufgeben, könnten weitere Ressourcen zu einer Verbesserung der Haushaltssituation erreicht werden.