Der rechte Rand

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21. November 2014 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Hamburg: Verfestigung der sozialen Spaltung

Die hanseatische Sozialdemokratie geht selbstsicher in den Wahlkampf zu den Bürgerschaftswahlen. Die Wirtschaft wächst, wenn auch nur mehr mäßig, der Arbeitsmarkt ist relativ stabil, es werden mehr Wohnungen gebaut – und Hamburg hält schon 2014 die Schuldenbremse ein. Auch im Ranking der Armutsquoten bei den älteren BürgerInnen (65 Jahre und älter) schneidet die Hansestadt unter den Bundesländern gut ab.

 

Die schöne Hamburg-Welt bejubelt Sozialsenator Detlef Scheele: »Weite Teile der Hamburger Bevölkerung können an Bildung und Arbeit teilhaben und sind ökonomisch abgesichert. Dies betrifft sowohl die untersuchte Gesamtbevölkerung als auch die besonders in den Blick genommenen Familien und die ältere Generation. Der anhaltende Beschäftigungszuwachs und die trotz der Banken- und Schuldenkrise robuste Realwirtschaft waren hierfür die Basis. Die Bevölkerung wie auch der Lebensstandard in Hamburg wachsen; immer mehr Menschen haben Zugang zu höherwertiger Bildung gefunden und damit die Voraussetzungen für eine nachhaltige Teilhabe an Arbeit und Wohlstand erhalten. Soziale Notlagen und Armutsgefährdung lassen sich relativ eindeutig an bestimmten Lebenslagen identifizieren. Dazu zählen die Alleinerziehenden, Personen in atypischer Beschäftigung sowie kinderreiche Familien mit mangelnder beruflicher Qualifikation der Eltern.«

Soziale Spaltung in Hamburg ein Randproblem? Von einer Kluft von reichen und armen Wohnquartieren könne in der reichsten Region keine Rede sein. Und selbst wenn wir den Blick von den weiten Teilen der Bevölkerung auf die bestimmten Lebenslagen richten, können wir beruhigt sein, denn die frohe Botschaft von Scheele lautet: »Trotz zunehmender Ungleichverteilung ist die Armutsgefährdung in Hamburg rückläufig.«

Aber das mit Blick auf die wahlpolitische Leistungsbilanz entworfene Bild ist falsch. Schauen wir uns die neuesten Daten an. Wie sieht es mit der Armutsquote in Deutschland aus und wie ordnen sich die Verhältnisse in Hamburg ein?

In Deutschland wird nicht massenhaft gehungert. In Deutschland ist die Kinderarmut durch die Bankenkrise nicht gestiegen wie in Griechenland oder den USA. Aber auch im reichen Deutschland existiert eine relative Armutsbevölkerung. 15,5%, also rund 13 Mio. Menschen, leben bei uns unterhalb der Armutsrisiko-Grenze. Das sind bei Alleinlebenden 892 Euro im Monat für Miete, Lebensmittel und alles andere, was der Mensch braucht. Die Quote von 15,5% hat sich gegenüber den Vorjahren nach oben bewegt.

Vor allem immer mehr ältere Menschen sind in Deutschland von Armut bedroht. Der Anteil armutsgefährdeter Rentner ist im Osten etwas niedriger als im Westen, wo er sogar leicht über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt. 2013 waren in den neuen Bundesländern (einschließlich Berlin) 12,5% der Menschen ab 65 Jahren von Armut bedroht. In den alten Bundesländern betrug diese Quote 14,8%. Im Vergleich zu 2011 ist der Anteil sowohl in West als auch in Ost um 1,1 Prozentpunkte gestiegen.

Die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten über Armutsgefährdung in 2013 ermöglichen auch eine Bewertung der Entwicklungstendenzen. In Hamburg ist die Armutsquote (gemessen am Bundesmedian) 2013 von 14,8% in 2012 auf 16,9% gestiegen. Das bedeutet, dass knapp 17% der HamburgerInnen mit einem Einkommen leben müssen, das weniger als 60% des Durchschnittseinkommens (Median des Äquivalenzeinkommens) der Bevölkerung in Privathaushalten beträgt. Die Schwelle, bis zu der ein Einpersonenhausalt dabei als arm gilt, lag im Jahr 2013 bei 934 Euro, für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern bei 1.961 Euro.

Längere Zeit war die Hamburger Armutsquote unter dem Bundesdurchschnitt, dies ist jetzt offensichtlich vorbei. Die Armutsquote ist zwar auch im Bund von 15,0% (2012) auf 15,5% im Jahr 2013 angestiegen – aber Hamburg hat mit einem Plus von 2,1% den stärksten Zuwachs aller Bundesländer zu verzeichnen.

Nimmt man als Bezugspunkt nicht das Durchschnitts- (Median-) Einkommen in Deutschland, sondern in Hamburg, was die regionalen Lebensverhältnisse (Miete etc.) deutlich realistischer wiedergibt, war Hamburg mit einer Armutsquote von 18,7% (zusammen mit Bremen) sogar Spitzenreiter beim Anteil der von Armut betroffenen BürgerInnen.

Dass der Gegensatz von Armut und Reichtum in einer der reichsten Regionen Europas besonders stark ausgeprägt ist, zeigt die Einkommensreichtumsquote, die den Anteil der Personen mit einem Äquivalenzeinkommen von mehr als 200% des Medians misst. Hier ist Hamburg sowohl bezogen auf den Bundesmedian (11,3%) als auch auf den Landesmedian (9,9%) einsame Spitze.

Zutreffend ist auch, dass der Anteil der Bevölkerung mit Armutsrisiko über 65 Jahren in Hamburg 11,7% bezogen auf den Bundesmedian beträgt. Das Hamburger Abendblatt schließt am 19.11.2014 aus dem relativ guten Ranking der Hansestadt, dass die These von der Hauptstadt der Altersarmut realtitätsfremd sei: »Ältere Menschen in Hamburg sind im bundesweiten Vergleich nur selten von Armut bedroht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Wiesbaden) vom Mittwoch lag die Armutsquote 2013 für Hamburger ab 65 Jahren bei 11,7%. Im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) lag sie dagegen bei 14,8%, in den neuen Bundesländern bei 12,5%. Der Sozialverband Deutschland hatte Anfang der Woche Hamburg noch als ›Hauptstadt der Altersarmut‹ bezeichnet. Andere Altersgruppen sind in Hamburg wesentlich armutsgefährdeter: So lag die Quote für alle Altersgruppen bei 16,9% und damit 5,2 Prozentpunkte über dem Wert für Senioren. Allerdings hat die Altersarmut zugenommen: So lag die Quote der Armutsgefährdung 2011 noch bei 9,6%und damit 2,1 Prozentpunkte unter dem Wert von 2013.«


Auffällig ist, dass die weitere Öffnung der sozialen Schere besonders die bisher schon von Armut betroffenen BürgerInnen bzw. Haushalte trifft. Dies sind vor allem Erwerbslose (Armutsquote 2012: 50,5%; 2013: 58,8%), Alleinerziehendenhaushalte (von 35,2% auf 39,8%) und BürgerInnen ohne deutschen Pass (von 30,8 auf 35,6%) bzw. mit Migrationshintergrund (von 29,3% auf 32,7%).

In der Folge hat auch die Kinderarmut (unter 18 Jahren) wieder deutlich zugenommen und betrifft fast 25% dieser Altersgruppe. Ins Blickfeld rückt aber auch mehr und mehr Armut bei RenterInnen und PensionärInnen, die mit einer Armutsquote von 11,7% zwar immer noch unter dem Landesdurchschnitt liegen. Die Altersarmut wird aber wegen des weiter sinkenden Rentenniveaus und der Prekarisierung der Lohnarbeit in den nächsten Jahren weiter zunehmen.

 

Hamburg hat in Bezug auf die ältere Generation in den letzten Jahren schon bundesweit Schlagzeilen als »Hauptstadt der Altersarmut« gemacht. Dies bezieht sich auf den Umstand, dass nirgendwo in Deutschland prozentual so viele alte Menschen auf Grundsicherung angewiesen sind wie in Hamburg. Auch 2013 hat Hamburg wieder die unrühmliche Rolle als Spitzenreiter in Sachen Altersarmut eingenommen. So bezogen am Jahresende 2013 insgesamt 68 von 1.000 HamburgerInnen über 65 Jahre Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII »Sozialhilfe«).

Zusammengefasst: Im bundesweiten Ranking liegt die Altersarmut  bei knapp 12%, was an sich auch nicht beruhigend ist. Nimmt man die regionalen Lebenshaltungskosten als Bezugsgröße gibt es deutlich weniger Grund zur Zufriedenheit. Wirft man den Blick auf die BürgerInnen, die Grundsicherung erhalten, hat die These von der Hauptstadt der Alterarmut durchaus eine Berechtigung.


Was sind die Ursachen?

Die weitere Verfestigung bzw. Zunahme der sozialen Spaltung auch in Hamburg in einer Zeit, in der die Wirtschaft immer noch wächst und der Arbeitsmarkt relativ stabil ist, zeigt, dass sich Wirtschafts- und Armutsentwicklung immer stärker entkoppeln. Dies ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, für die, um über Verantwortlichkeiten zu reden, nicht in erster Linie der Hamburger SPD-Senat verantwortlich gemacht werden kann.

Der wichtigste Faktor ist das, was man die durch den Finanzmarktkapitalismus bewirkte Prekarisierung der Lohnarbeit nennt. Dies bezeichnet den Umstand, dass immer mehr Lohnabhängige in atypische Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeit-, Leiharbeit, Werkverträge, Mini-Jobs) gedrängt werden, die unsicher sind und in vielen Fällen kaum die Existenz sichern. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut bei der Hans-Böckler-Stiftung hat errechnet, das im Jahr 2013 insgesamt 40,3% aller Beschäftigungsverhältnisse in Hamburg prekär waren. Eine Folge ist, dass viele prekär Beschäftigte nicht ausreichend fürs Alter vorsorgen können. Damit rutschen nicht nur mehr und mehr Menschen in die unteren Einkommenslagen, sondern auch die »gesellschaftliche Mitte« gerät stark unter Druck.

Der zweite gewichtige Faktor sind die Einschnitte bei den Sozialleistungen vor allem in Folge der Agenda 2010-Politik. So liegen die Grundsicherungsleistungen im Hartz IV-System wie auch in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung deutlich unterhalb der Armutsschwelle. Und die drastische (und immer noch nicht beendete) Absenkung des Rentenniveaus programmiert steigende Altersarmut. Hinzu kommen die massiven Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren, die die Langzeitarbeitslosen im Regen stehen lassen.

Drittens geht es um die Deregulierung des Wohnungsmarkts, insbesondere in den urbanen Zentren. Der Ausstieg aus dem sozialen Wohnungsbau und der weitgehende Verzicht auf Regulierungen des Immobilienmarkts verstärken die Tendenz zu deutlich steigenden Mieten, die auch für mittlere Einkommenslagen mehr und mehr zu einem Problem werden. BürgerInnen mit wenig Einkommen werden aus ihren angestammten Vierteln verdrängt (Gentrifizierung).

Die Sozialstruktur der Stadt ändert sich nachhaltig. Es kommt zu einer immer stärkeren räumlichen Konzentration vieler mit sozialen Problemen beladener Haushalte. In Hamburg haben sich Quartiere herausgebildet, denen das Stigma von Armenvierteln anhängt. In Wilhelmsburg, Rothenburgsort/Billbrock und Billstedt sind 26-30% der EinwohnerInnen auf Transferleistungen angewiesen. Knapp ein Fünftel aller Hamburger Stadtteile weist EmpfängerInnenquoten von 18% und mehr auf. In diesen Quartieren finden wir viele von Armut besonders betroffene Erwerbslose, Alleinerziehende mit Kindern sowie MigrantInnen.

Der SPD-Senat sucht seine Ignoranz gegenüber der zunehmenden sozialen Spaltung mit den Erfolgen seiner Politik zu überspielen. Natürlich sind der Bekämpfung von Armut auf regionaler bzw. Landesebene enge Grenzen gesetzt. Aber es gibt etliche Stellschrauben in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wohnungspolitik, die entweder nicht ausreichend eingesetzt oder vollständig ignoriert werden. Das Zurückfahren der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik, der Abbau von sozialer Infrastruktur gerade in den problembelasteten Quartieren, die Kürzung der eh schon bescheidenen Mittel für das Rahmenprogramm für integrierte Stadteilentwicklung (RISE) oder der Verzicht auf die Aufstockung der Gelder zur Unterstützung des Baus preiswerter Wohnungen zeugen nicht gerade von einer sozial gerechten Politik. In diesen Zusammenhang gehört auch die Unterlassung der Verbesserung des Steuervollzugs, um die städtische Kassenlage gerade unter dem Druck der Schuldenbremse ein wenig zu verbessern.

DIE LINKE hat, wenn sie die Fakten aufgreift, die Chance, im Wahlkampf mit dem Thema soziale Gerechtigkeit die Sozialdemokratie unter Druck zu setzen. Mit einem konkreten Reformprogramm, das auch die für Hamburg möglichen Gestaltungsmöglichkeiten betont, kann sie für einen Politikwechsel werben und sich als vertrauenswürdige politische Kraft präsentieren.

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