Der rechte Rand

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15. März 2012 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Hamburg: Tarifpolitik unter dem Diktat der »Schuldenbremse« und die möglichen Alternativen

In der Tarifrunde im öffentlichen Dienst wird es eine zweite Warnstreikwelle geben. »Mit ihrer Weigerung, in den Tarifverhandlungen ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen, provozieren die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes eine Antwort aus den Betrieben«, erklärte Frank Bsirske, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Nach dem Arbeitgeberangebot sollten die Beschäftigen einmalig 200 Euro mehr erhalten, ab Mai dann eine Gehaltssteigerung von 2,1%, ab März 2013 noch einmal 1,2% mehr Lohn.

Unterm Strich läuft dieses Angebot allenfalls auf eine Erhöhung um 1,77% im Monatsdurchschnitt hinaus. Dies bleibt damit deutlich unter der Preissteigerungsrate. Bsirske: »Nach zehn Jahren Sparen werden so weitere Reallohnverluste programmiert.« Die Gewerkschaften fordern stattdessen eine Gehaltssteigerung von 6,5%, zumindest aber ein Plus von 200 Euro im Monat. Sie wollen so vor allem die unteren Einkommensgruppen besser stellen.

Die Arbeitgeber führen zur Begründung des niedrigen Angebots die Verschuldung der öffentlichen Haushalte ins Feld: Die Gemeinden stehen mit 128 Mrd. Euro in der Kreide – beim Bund sind es 1,3 Bio. Euro. Das Bundesinnenministerium rechnet vor, dass eine Realisierung der Gewerkschaftsforderungen allein beim Bund mit Mehrausgaben von zwei Mrd. Euro pro Jahr zu Buche schlagen würde – vorausgesetzt, man würde das Tarifergebnis auch auf die 350.000 Beamten des Bundes übertragen, was in der Regel auch geschieht. Das zweite in diesem Zusammenhang ins Feld geführte Killer -Argument: die grundgesetzlich festgeschriebene »Schuldenbremse«.

Für Hamburg hat Finanzsenator Tschentscher bereits angekündigt, dass der SPD-Senat, sollte die für Hamburg festgelegte Begrenzung der Steigerung der jährlichen Ausgaben auf unter 1% durch Tariferhöhungen für die im öffentlichen Dienst Beschäftigten gefährdet werden, über die geplante Streichung von 250 Stellen jährlich hinaus, weitere Arbeitsplätze abbauen werde.
Der Senat steht mit seiner massiven Sparpolitik auf Kosten der Beschäftigten auch unter dem Druck der bürgerlichen Opposition in Hamburg, die einen sehr viel massiveren Personalabbau von zusätzlich weiteren 700 Stellen fordert. Zur Begründung verweisen die vereinten Anhänger der neuen Schuldenregelung nicht nur auf die Tarifsteigerungen für die Beschäftigten, sondern auch auf die in den nächsten Jahren weiter wachsenden Versorgungsausgaben. Waren es 2011 noch gut 1,1 Mrd. Euro, die Hamburg für pensionierte Beamte und Angestellte zahlen musste, werden es in diesem Jahr rund 40 Mio. Euro mehr sein. Bereits im Jahr 2020 wird die Summe auf 1,35 Milliarden Euro wachsen und 2030 mehr als 1,54 Milliarden Euro betragen.
Die Gründe für dieses Phänomen liegen nahe: Die Zahl der Versorgungsberechtigten steigt. Hinzu kommt, dass sie immer älter werden und damit immer länger Pensionszahlungen erhalten. 2002 gab es 56.950 pensionierte städtische Angestellte und Beamte. 2010 wuchs die Zahl auf 60.431. Im selben Zeitraum stieg die durchschnittliche Bezugsdauer der Versorgungsbezüge um mehr als zwei Jahre auf 20,61 Jahre. Parallel dazu erhöhte sich das durchschnittliche Sterbealter der Versorgungsempfänger von gut 79 auf rund 81 Jahre.

Auch der  Landesrechnungshof will den öffentlichen Dienst stärker beschnitten sehen. Er kommt zu dem Befund, dass die Personalausgaben der Stadt selbst bei Berücksichtung der Streichung von jährlich 250 Stellen im Jahr 2020 um etwa eine Mrd. Euro (absolut: 5,3 Mrd.) über denen im Jahr 2010 liegen werden. Beim aktiven Personal sollen im Jahr 2020 3,5 Mrd. Euro statt 2,9 Mrd. Euro, im Versorgungsbereich 1,4 Mrd. Euro statt 1,1 Mrd. Euro und im Bereich der Beihilfen 363 Mio. Euro statt 233 Mio. Euro in 2010 ausgegeben werden müssen. Seine Schlussfolgerung: »Der Vergleich der Zielsetzung des Senats aus der Finanzplanung mit der Modellrechnung des Rechnungshofs macht den Handlungsdruck deutlich: Gegenüber der Fortschreibung der Modellrechnung müsste der Senat danach (über das ›250-Ziel‹ hinaus) eine jährliche Einsparung von 0,77 % der Personalausgaben realisieren. Zwischen dem Modell des Rechnungshofs und der Finanzplanung des Senats liegt rechnerisch ein zusätzlicher Konsolidierungsbedarf von rund 35 Mio. Euro (vergleichbar etwa 700 VZÄ) jährlich.«

Nun lässt sich über die Annahmen, von denen der Rechnungshof in seiner Prognose ausgeht, sicherlich streiten, genau so wie über die Frage, ob die in der Vermögensbilanz der Stadt ausgewiesenen Rückstellungen für die zukünftige Altersversorgung angemessen sind. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Die Schlüsselfrage ist vielmehr: Welche Qualität öffentlicher Dienstleistungen wollen wir? Wieviel Personal ist dafür erforderlich und zu welche Arbeitsbedingungen und -einkommen soll dieses Personal beschäftigt werden? Schließlich: Wie finanzieren wir einen auf das Gemeinwohl verpflichteten Öffentlichen Dienst? In der politischen Debatte geht es allerdings wiederum nicht um die Qualität der öffentlichen Leistungen und angemessene Arbeits- und Leistungsbedingungen für die Beschäftigten, sondern – wie selbstverständlich – soll der öffentliche Bereich zu einem Sonderbeitrag bei der Sanierung der öffentlichen Finanzen herangezogen werden.

Beschäftigungsabbau ist seit längerem der Joker der Politik. Seit Anfang der 1990er Jahren ist die Zahl der im Öffentlichen Dienst Beschäftigten in Hamburg um 30% (oder ca. 29.000) zurückgegangen – teil durch Privatisierung, teils durch Auslagerung in öffentlich-rechtliche Ausgliederungen, teils durch Stellenabbau. Privatisierung und Übergang in Ausgliederungen bedeutete für die ehemals im Öffentlichen Dienst Beschäftigten deutlich verschlechterte Arbeits- und Einkommensbedingungen. Zudem verbleiben bei Privatisierungen wie etwa des Landesbetriebs Krankenhäuser die Pensionslasten bei der Stadt.
 
Bei den im Öffentlichen Dienst verbleibenden Beschäftigten haben  sich die Arbeits- und Einkommensbedingungen im gleichen Zeitraum verschlechtert. Seit den 1990er Jahre jagd eine »Reform« zur Effektivierung der Arbeit die andere. Hinzu kommen bei weniger Personal oft noch mehr Aufgaben, die nur durch eine massive Intensivierung der Arbeit und Überarbeit zu bewältigen sind. Insgesamt gibt es – will man nur die bestehende Qualität öffentlicher Dienstleistungen erhalten – in den meisten Bereichen keine Effektivitätsreserven mehr, die einen Personalabbau rechtfertigen könnten. Und auch der Nachholbedarf bei den Einkommen, wie er jetzt von den Gewerkschaften im Tarifstreit eingefordert wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Seit über einem Jahrzehnt hat es keine angemessenen Lohnerhöhungen für die Staatsbeschäftigten mehr gegeben.

Richtig ist allerdings, dass auch die Stadt Hamburg in den zurückliegenden Jahrzehnten zu geringe Rückstellungen  für die Altersversorgung getroffen hat. Die Bestände der Sondervermögen für die Altersversorgung betrugen Ende 2010 413 Mio. Euro. »Stellt man die prognostizierten künftigen Versorgungsausgaben den bis 2020 wahrscheinlich erreichbaren Beständen der Sondervermögen gegenüber, ergibt sich keine spürbare Entlastung. Danach werden im Jahr 2020 auf Basis der getroffenen Annahmen jährliche Ausgaben von rund 1,4 Mrd. Euro einem Bestand der drei Sondervermögen von rund 963,3 Mio. Euro zur ›kontinuierlichen Entlastung‹ gegenüberstehen. Dies macht deutlich, dass die Sondervermögen zwar zu einer Entlastung des Haushalts beitragen werden, der Aufbau der Sondervermögen in der bisherigen Form das eigentliche Problem der (steigenden) Versorgungsausgaben aber nicht löst, sondern die Zuwächse nur in sehr begrenztem Umfang auffangen wird.« (Rechnungshof)

Hier müsste und könnte sicherlich mehr getan werden. Für die finanzielle Situation der Stadt viel schlimmer als diese mangelhafte Vorsorge ist allerdings die Fahrlässigkeit, mit der die politisch Verantwortlichen einen Teil der für die Altersversorgung der ehemals städtischen Bediensteten gedachten Mittel im Hamburgischen Versorgungsfonds für spekulative Finanzmarkttransaktionen verschleudert haben. Die HVF ist wegen seiner Ausstattung mit Aktien der HSH Nordbank faktisch Pleite und die Versorgungsaufwendungen für diese RuheständlerInnen müssen komplett aus dem Haushalt finanziert werden.
Die mit der »Schuldenbremse« begründete Eindämmung bzw. Senkung der staatlichen Personalkosten löst keine Probleme. Der Abbau von staatlicher Beschäftigung, die Senkung der Einkommen und Ruhestandsbezügen der städtischen Beschäftigten und der Abbau bzw. die Minderung der Qualität öffentlicher Dienstleistungen führen vielmehr volkswirtschaftlich zu sinkender privater Nachfrage und einer deutlichen Verschlechterung der Versorgungsqualität der BürgerInnen der Stadt. Das Ziel der »Schuldenbremse« wird so durch die eingesetzten Mittel konterkariert.

»Der öffentliche Dienst kann nicht aus den Geldbörsen seiner Beschäftigten saniert werden.« Es gibt allerdings eine Alternative: Das ist die deutliche Verbesserung der Einnahmensituation von Bund, Länder und Kommunen. Allein durch eine Erhöhung der Vermögenssteuer ließen sich jährliche Steuermehreinnahmen von 1-2 Mrd. Euro generieren – bei vom Rechnungshof für 2020 vorhergesagten Mehrausgaben fürs Personal von einer Mrd. Euro.

Für eine deutliche Verbesserung der öffentlichen Finanzen durch höhere Einnahmen gibt es aber keine politische Mehrheiten. Dies beweist erneut die aktuelle Debatte um die Erhöhung des Personals im Steuervollzug, die z.T. groteske Züge annimmt. Immerhin handelt es sich beim Steuervollzug um einen Bereich, wo auf Landesebene über die Verwirklichung der Gleichheit vor dem Gesetz eine Verbesserung der öffentlichen Finanzen eingeleitet werden könnte. Immer wieder wird eine Reform des Steuervollzugs auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben.

Offensichtlich verärgert der SPD-Senat lieber die Beschäftigten des Öffentlichen Diensts mit Mehrarbeit und drohendem Arbeitsplatzabbau und die Bürgerinnen der Stadt mit weniger und schlechteren Dienstleistungen als ernstzunehmende Anstrengungen zu unternehmen, durch eine stärkere Belastung der Wohlhabenden die Einnahmen zu verbessern. Solange sich an dieser Haltung nichts ändert, wird es weder zu einer Verbesserung der Qualität der öffentlichen Dienstleistungen kommen, noch wird es Fortschritte bei der Sanierung der öffentlichen Finanzen geben.

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