20. November 2013 Bernhard Müller
Hamburg: »Steuerrekord« kein Grund zum Jubeln
Die neue Steuerschätzung für Hamburg hat in der Hansestadt nur gemäßigten Optimismus ausgelöst. Der Grund: Hamburg nimmt für das laufende Jahr weniger Steuern ein als zunächst erwartet. Die aktuelle Schätzung ergibt im Vergleich zur Mai-Prognose ein Minus von 36 Mio. Euro. Gegenüber der aktuellen Haushalts- und Finanzplanung fehlen sogar 173 Mio. Euro. Insgesamt fließen 9,023 Mrd. Euro in die Steuerkasse der Stadt, womit Hamburg erstmals immerhin die Neun-Milliarden-Marke übertrifft.
Finanzsenator Tschentscher begründet die negative Abweichung für 2013 mit dem sogenannten Zensus-Effekt. Der Zensus 2011 hatte für Hamburg ergeben, dass die Einwohnerzahl nur noch bei rund 1,706 Millionen Menschen liegt. Verglichen mit dem vorherigen Zensus-Wert schrumpfte die Bevölkerung damit um etwa 83.000 Menschen. Die Ergebnisse der Volkszählung wirkten sich finanziell aus: Hamburg wurde vom Nehmer- zum Geberland und bekam für den Länderfinanzausgleich rund 147 Millionen Euro nachträglich in Rechnung gestellt.
Die geschrumpfte Bevölkerung hat auch Konsequenzen für die Umsatzsteuer, die nach Köpfen verteilt wird. Dies führt dazu, dass die Stadt durch den Zensus-Effekt bei Umsatzsteuer und Länderfinanzausgleich insgesamt ein Minus von 117 Mio. Euro vorzuweisen hat. Die Abrechnungen früherer Jahre seien vorläufig gewesen. »Und jetzt, nachdem dieser Zensus bekannt gegeben wurde, müssen wir für das Jahr 2011 ein Drittel und für das Jahr 2012 zwei Drittel dieses strukturellen Effekts nachzahlen«, betonte Finanzsenator Tschentscher.
Aber Tschentscher bleibt optimistisch. Das Minus im laufenden Jahre werde aufgrund der positiven Entwicklung in den Folgejahren »mehr als ausgeglichen«. So erwarten die Steuerschätzer in 2014 Steuereinnahmen von 9,466 Mrd. Euro, 2015 dann 9,775 Mrd. Euro. 2016 soll die 10-Milliarden-Euro-Marke erreicht werden. Und für 2018 werden sogar 10,672 Mrd. prognostiziert. Sollten die Einschätzungen eintreffen, könnte Hamburg dann allein zwischen 2009 und 2018 knapp drei Mrd. Euro Mehreinnahmen verbuchen.
Vor allem mit Blick auf das für die nächsten Jahren geschätzte Steuerplus wird denn in der Öffentlichkeit auch von »sprudelnden Steuereinnahmen« gesprochen. Einmal abgesehen davon, dass bei der Redeweise von den »Rekordeinnahmen« stets die Inflationsrate und die verfehlte Steuersenkungspolitik der letzen 20 Jahre ausgeblendet werden, die entscheidend zur Unterfinanzierung des Staates beigetragen hat, müsste allerdings hinterfragt werden, ob die der Prognose zugrunde liegenden Erwartungen über Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt realistisch sind.
Der Finanzsenator selbst ist da kritischer als Medien und politische Opposition. Träten die Schätzungen ein, so Tschentscher, wäre ein früherer Haushaltsausgleich möglich als 2019 – dem Jahr vor Inkrafttreten der »Schuldenbremse«, die den Bundesländern ab 2020 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorschreibt. »Wir haben in der jetzigen Finanzplanung einen Schnittpunkt, der bei 2016 liegt.« Doch: Ändere sich die Konjunkturprognose, ändere sich sofort auch jener Schnittpunkt. Folglich gebe es »keinen Grund, die Haushaltspläne zu ändern«, sagte Tschentscher.
Der von CDU, FDP und Grünen unisono gleichwohl geforderte frühere Haushaltsausgleich ist auch deshalb unsinnig, weil dabei die finanziellen Risiken, denen der SPD-Senat Rechnung tragen muss bzw. müsste, vollständig ausgeblendet werden. »Dazu zählt das städtische Engagement bei der Traditionsreederei Hapag-Lloyd, deren Zukunft unsicher ist und die erneut ihren Aktionären keine Dividende auszahlen wird. Und die HSH Nordbank, die mehrheitlich den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gehört, bleibt ein Dauerrisiko von erheblichem, in Wahrheit nicht abschätzbarem Ausmaß. Die im Haushalt vorgesehenen, recht niedrigen Ansätze für Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst mögen eventuell den Wünschen des Senats entsprechen, nicht aber einer realistischen Erwartung.« (Peter Ulrich Meyer im Hamburger Abendblatt)
Aber abgesehen von diesen Risiken, ist die Austeriätspolitk des SPD-Senats, die mit der mantraartig vorgetragenen Leitlinie, die jährlichen Ausgabensteigerungen auf unter ein Prozent zu begrenzen, festgezurrt worden ist, selbst ein gewichtiger Negativfaktor für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung und damit die zu erwartenden Steuereinnahmen. Sie verhindert, dass ausreichend in die marode öffentliche Infrastruktur investiert wird. Sie trägt dazu bei, dass die Arbeitsbedingungen und Einkommen der bei der Stadt Beschäftigten kontinuierlich verschlechtert und die öffentlichen Dienstleistungen massiv beschnitten werden. Sie verhindert im Verein mit der offensichtlichen Konzeptionslosigkeit aber auch, dass endlich die Strukturprobleme der Hamburger Wirtschaft mit dem nicht zukunftsfähigen Übergewicht der maritimen Wirtschaft durch Strukturpolitik angegangen werden.
Vor dem Hintergrund der grundgesetzlich und zusätzlich noch in der Hamburger Verfassung festgeschriebenen »Schuldenbremse« könnte finanzieller Spielraum nur durch deutliche Steuererhöhungen (Wiedereinführung der Vermögenssteuer, höhere Einkommensteuern für Besserverdienende und Vermögensbesitzer etc.) gewonnen werden. Da ist allerdings keine Besserung in Sicht, weil die Sozialdemokratie (mit Olaf Scholz im Team) bei den Verhandlungen über eine große Koalition trotz ihrer Wahlversprechen schon vor dem »Njet« von Bundeskanzlerin Merkel und ihren christlichen Parteien kapituliert hat. Und auch auf Landesebene zeigt die SPD in Sachen Steuergerechtigkeit wenig Neigung, Unternehmen und Vermögensbesitzern tatsächlich auf den Pelz zu rücken. Sie weigert sich hartnäckig für den Steuervollzug ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen.
Alles in allem, trotz »Steuerrekordeinnahmen« trübe Aussichten für die Stadt und ihre BürgerInnen.