Der rechte Rand

der rechte rand.
Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
Das IfS. Faschist*innen
des 21. Jahrhunderts

Einblicke in 20 Jahre
»Institut für Staatspolitik«
184 Seiten | Fotos | EUR 12.80
ISBN 978-3-96488-074-1

Friedrich Engels zum 200.

Reiner Rhefus
Friedrich Engels im Wuppertal
Auf den Spuren des Denkers, Machers und Revolutionärs im »deutschen Manchester«
184 Seiten | in Farbe | Hardcover | zahlreiche Fotos | EUR 16.80
ISBN 978-3-96488-065-9

Lebenswertes Hamburg?

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Lebenswertes Hamburg
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ISBN 978-3-89965-892-7

Karl Marx war fünf mal in Hamburg?

Jürgen Bönig
Karl Marx in Hamburg
Der Produktionsprozess des »Kapital«
184 Seiten | durchgängig farbig | Festeinband | viele bislang unveröffentlichte Fotos und historische Abbildungen | EUR 19.80
ISBN 978-3-89965-751-7

Starke Einführung

Claudia Leonhardt/Felicitas Weck
Linke Kommunalpolitik –
Eine Einführung

Für Einsteiger*innen und Fortgeschrittene
Aktualisierte Neuausgabe |
Crashkurs Kommune 12
104 Seiten | EUR 7.50
ISBN 978-3-89965-799-9

Erinnerung & Mahnung

Hans Matthaei (Hrsg.)
DenkMal Friedhof Ohlsdorf
33 Stätten der Erinnerung und Mahnung | Herausgegeben von der Willi-Bredel-Gesellschaft – Geschichtswerkstatt e.V.
160 Seiten | EUR 12.80
ISBN 978-3-89965-833-0

Das etwas andere Kochbuch

Ulrike Hinrichs und Günther Spiegel (Hrsg.)
Kleine Weltküche
Kochrezepte von Geflüchteten und Freunden
160 Seiten | Großformat | Hardcover | farbig illustriert | EUR 19.80
ISBN 978-3-89965-742-5

Kulturgeschichte im Film

Michael Töteberg
Filmstadt Hamburg
Kino-Geschichten einer Großstadt:
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368 Seiten | viele Farbfotos | Hardcover | EUR 19.80
ISBN 978-3-89965-578-0

22. April 2014 Joachim Bischoff und Bernhard Müller

Hamburg: Soziale Stadtentwicklung

Die Bürgerschaftsfraktion der Grünen hat Mitte April mit Thesen zu einer neuen Stadt(planungs)kultur eine wichtige Initiative gestartet. Im Zentrum steht die Aussage: »Hamburg braucht eine gesamtstädtische Strategie, die nicht von oben verordnet wird, sondern sich im Großen wie im Kleinen der kritischen Diskussion mit der Stadtgesellschaft öffnet.«(1)

In der Tat ist der Mangel einer in der städtischen Öffentlichkeit verankerten Stadtentwicklungskonzeption offenkundig. Die hanseatische SPD hat mit ihrer Konzeption des Pragmatismus und des »vernünftigen Regierens« darauf verzichtet eine Debatte anzustoßen, was denn an die Stelle der »wachsenden Stadt« oder eines »Wachsens mit Weitblick« treten kann2.

Das Diktat der »Schuldenbremse« (die ja auch von den Grünen befürwortet wird) verstärkt den Eindruck der Konzeptionslosigkeit gegenüber allen aktuellen und künftigen Problemen der Stadt.Ob freilich mit dem Diskussionsanstoß der Grünen der politische Mehltau aufgerissen werden kann, mit dem die städtischen Probleme und Widersprüche zugedeckt werden, ist allerdings zweifelhaft. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Grünen von dem Mangel an Zukunftsvorstellung seitens der Sozialdemokratie haben anstecken lassen.

Das aktuelle Kernproblem der Hansestadt ist unstrittig: »Der Wohnungsmarkt ist derzeit sehr angespannt und die Mieten steigen rasant.« Dass die Sozialdemokratie in der Mängelverwaltung stecken bleibt und leider auch auf eine breite BürgerInnenbeteiligung verzichtet, wird nicht nur von den Grünen zurecht kritisiert. Die Top-down-Wohnungspolitik schafft in der Mängelverwaltung zusätzliche Blockaden. Die von den Grünen erneut aufgegriffene Forderung ist richtig: »Die Stadt muss bei einer strategisch orientierten Stadtentwicklungspolitik die Instrumente, die zum Schutz der ansässigen Bevölkerung zur Verfügung stehen, nutzen, um Bodenspekulation oder Spekulation mit Wohnraum zu verhindern. Eine Reihe von Bundesprogrammen ... sollten rechtzeitig erlassen werden, um mit ›vorbereitenden Untersuchungen‹ und ›Veränderungssperren‹ Bodenspekulation zu verhindern. … Für die Anpassung von gesetzlichen Instrumenten zur Optimierung der Wertabschöpfung setzen wir uns ein. Eine besondere Aufgabe kommt der Stadt zu, wenn Sie eigene Grundstücke verkauft. Rund ein Drittel der Flächen in Hamburg gehören der Stadt. Eine grüne Flächenpolitik orientiert sich an dem Gemeinwohl und nicht am Höchstpreis.«

Wie aber kann dieser Sichtweise endlich zum Durchbruch verholfen werden? Wird die Sozialdemokratie die neuen Möglichkeiten einer Mietenbremse und einer Verbesserung des Mieterschutzes umfassend nutzen? Sind die Grünen entschlossen zusammen mit den Quartieren und Bezirken für mehr gesellschaftlichen Druck zu sorgen oder ist dies nur das wohlfeile politische Versprechen in einer künftigen rot-grünen Koalition für etwas mehr grüne BürgerInnenbeteiligung zu sorgen?

Neben dem drückenden Problem von Mietensteigerung und Wohnungsmangel geht es auch um die Berücksichtigung von Inklusion. »Stadtentwicklungspolitik der Zukunft ist inklusiv. Stadteile und Quartiere sollen so gestaltet werden, dass eine Vielfalt an Menschen – unabhängig von ihren sozialen, gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen – selbstverständlich dazu gehören und keiner ausgeschlossen wird. Das gilt insbesondere für den öffentlichen Raum, dessen Gebrauch ein Recht für alle ist. Er darf nicht zur Mangelware werden, die Stadt braucht genügend Platz für gemeinschaftliche, nichtkommerzielle Nutzungen.« Und es geht um die Weiterentwicklung einer ökologischen Stadtpolitik: »Elbe und Alster; Parks, Grünanlagen und Bäume – sie machen die Lebensqualität in Hamburg aus.«

Zu dieser Skizze einer zukunftsorientierten Stadtpolitik gehört auch eine umfassende öffentliche Debatte um Mobilität in der Stadt und welche Rolle und Gestalt der öffentliche Verkehr annehmen soll. Dies sind gewiss unverzichtbare Themen einer Stadtpolitik, aber ohne die Berücksichtigung des Sozialen bleibt eine solche Diskussion einseitig.

Schon jetzt verstärkt die Ausblendung des Sozialen im praktischen Regieren der Sozialdemokratie die vorhandene Mängelsituation:

  • Die Stadt hat ein eklatantes Flüchtlingsproblem: In der Hansestadt gibt es immer mehr Flüchtlinge. Die Behörde plant weitere Containerdörfer und Schlafplätze, damit die AsylbewerberInnen nicht mehr in Zelten und Schlafsälen hausen müssen. 2013 kamen insgesamt 3.619 AsylbewerberInnen nach Hamburg – das waren schon gut 50 Prozent mehr als 2012. Nach einer Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wird ihre Zahl 2014 noch einmal um 28 Prozent steigen. Neben Flüchtlingen und Asylsuchenden gibt es mehr Obdachlose und größere Anforderungen an Armutsmigration.
  • Auch die Hamburger Tafeln, die Essen an Bedürftige ausgeben, erleben großen Andrang: Mehr als 30.000 Menschen versorgen sich mit den kostenlosen Lebensmitteln der Tafeln. Die Zahl steigt jedes Jahr. Wer Kunde bei der Tafel sein will, muss nachweisen, dass er deren Hilfe wirklich nötig hat.
  • Von Armut betroffen sind vor allem HamburgerInnen mit Migrationshintergrund. 28 Prozent der Armen, immerhin 114.000 Menschen, haben Eltern, die aus dem Ausland stammen.
  • Wegen der Absenkung des Renteniveaus und der Ausbreitung nicht die Existenz sichernder Beschäftigungsverhältnisse wird Altersarmut auch in Hamburg ein immer drängenderes Problem. Der SPD-Senat leugnet oder ignoriert dies hartnäckig. – siehe Sozialbericht und Demografiekonzept Hamburg 2030. Dabei ist Hamburg beim Anteil der BezieherInnen von Grundsicherungsleistungen im Alter schon heute »Hauptstadt der Altersarmut«. 6,2% der BürgerInnen, die älter 64 Jahren sind, waren in Hamburg 2012 auf diese Sozialleistung angewiesen. Der Bundesdurchschnitt lag demgegenüber bei 2,7%.

Die Grünen verfolgten mit ihrem Leitbild »Wachsen mit Weitsicht, die Weiterentwicklung Hamburgs als gerechte und lebenswerte Stadt« eine Stadtentwicklungskonzeption, die sich mit dem Ende der schwarz-grünen Koalition erledigt hatte. Angesichts des steigenden Mangels an Wohnraum, nicht ausreichenden Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, der Zunahme von Einkommensarmut und der wachsenden Anzahl derer, die in Altersarmut leben, ist eine neue Konzeption überfällig, mit der die soziale Spaltung und die damit zusammenhängenden sozialräumlichen Probleme bekämpft werden können.

In Hamburg gibt es Stadtteile, in denen überdurchschnittliche Anteile von Menschen leben, bei denen sich soziale Risiken bündeln. Die Quartiere sind in der Gefahr, von der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung abgekoppelt zu werden. Diese benachteiligten Stadtteile sind durch eine hohe Konzentration sozialer Probleme und durch multiple Problemlagen gekennzeichnet. Als Reaktion auf diese Tendenz der sozialen Spaltung war 2007 das Programm »Lebenswerte Stadt« aufgelegt worden; die GAL hatte in den damaligen Koalitionsverhandlungen mit der CDU eine quantitative Ausweitung und eine Erweiterung des Handlungsansatzes durchgesetzt.Es gibt in Hamburg eine langjährige Tradition, den aufgezeigten sozialen Desintegrations- und Marginalisierungsprozessen entgegenzusteuern, nicht nur seitens der Stadt, die – auch mit ihren Wohnungsbaugesellschaften – seit vielen Jahren eine aktive soziale Stadtteilentwicklung und eine umfangreiche soziale Infrastruktur betreibt, sondern auch seitens einer Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen, namentlich der Kirchen, Kammern und Gewerkschaften, vieler Vereine und ehrenamtlicher Akteure, der Wohnungswirtschaft und vieler anderer, die sich um die Integration benachteiligter Menschen und Gruppen bemühen. Hamburg betreibt seit vielen Jahren mit Hilfe verschiedener Förderprogramme des Bundes und der EU – darunter insbesondere die Programme der Städtebauförderung – die Verbesserung der Lebensbedingungen in benachteiligten Gebieten. Es gilt an diese Tradition wieder anzuknüpfen.

Sonderlich erfolgreich waren diese Programme in der Vergangenheit jedoch nicht. Dies liegt zum einen an der mangelnden finanziellen Ausstattung, zum anderen aber auch daran, dass den kumulativen Problemlagen unzureichend Rechnung getragen wurde. Ein aus unserer Sicht wichtiges Beispiel dafür ist Wilhelmsburg. Jahrzehnte ist dieser Stadtteil mit seinen vielfältigen städtebaulichen, sozialen und kulturellen Problemen sich selbst überlassen worden. Der seit 2003 gesetzte Schwerpunkt »Sprung über die Elbe« wird aber nicht als Kurswechsel, sondern von größeren Teilen der Bevölkerung als Ansatz zur Verdrängung wahrgenommen. Der vermeintliche Sprung über die Elbe realisiert sich – zusammen mit den HafenCity-Planungen – als weiteres Leuchtturmprojekt, das für die Bevölkerung vor allem mit neuen Verkehrsbelastungen und Mieterhöhungen einhergeht, statt deren Lage zu verbessern.

Ausgangspunkt für die Konzeption einer integrierten Stadtteilentwicklung ist, dass es in bestimmten Stadtteilen »auf Grund kumulativer sozialer Problemlagen zu einer zunehmenden Desintegration und Marginalisierung von großen Teilen der Bewohnerschaft« gekommen ist Eine neue Konzeption, die das Ergebnis einer breiten öffentlichen Diskussion sein kann, muss darauf antworten, inwieweit es

a) die festgestellten »sozialen Entmischungsprozesse« (Segregation) aufhalten kann,

b) die Situation der benachteiligten Quartiere und speziell die Lebenslage der dort wohnenden Menschen konkret und nachhaltig verbessern kann, und

c) die Möglichkeiten der Transparenz von Prozessen sowie die reale Beteiligung von betroffenen BürgerInnen verbessert.

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1 Bei der starken Akzentsetzung auf BürgerInnenbeteiligung und »kritischer Diskussion mit der Stadtöffentlichkeit« kann man allerdings nur hoffen, dass die Grünen aus ihren Erfahrung in der schwarz-grünen Koalition gelernt haben, wo sie allzu oft den BürgerInnenwillen bei Bürgerentscheiden etc. einfach ignoriert haben.

2 Die im neuen Hamburg-Teil der »Zeit« veröffentlichten Beiträge von Klaus von Dohnanyi und Ole von Beust und das im »Abendblatt« veröffentlichte »Streit«gespräch der ehemaligen bzw. aktuellen Bürgermeister der Stadt haben zu dieser Debatte über die Zukunft Hamburgs außer vielen Banalitäten und Gemeinplätzen wenig beitragen können. Bis auf den Vorschlag, dass Hamburg dringend »Excellenz«-Universitäten braucht, ist den politisch Verantwortlichen nichts eingefallen. Vor allem: Über die aktuellen und zukünftigen Probleme der Stadt (Wirtschaftsstruktur, soziale Spaltung, öffentliche Finanzen etc.) wurde kaum ein Wort verloren. Müsste man von der Einfallslosigkeit der politischen Elite auf die zukünftige Entwicklung der Stadt schließen, sähe es für Hamburg wirklich trostlos aus.‹

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