21. Februar 2014 Joachim Bischoff und Bernhard Müller
Hamburg: Schuldenbremse in der Praxis
Hamburgs Finanzsenator Tschentscher stellte Mitte Februar die Abrechnung der Haushaltsjahres 2013 vor. Es war zugleich der Bericht über die Umsetzung der in Grundgesetz und Hamburger Verfassung niedergeschriebenen Schuldenbremse. Der Finanzsenator war sichtlich zufrieden, weil er der Öffentlichkeit das vermelden konnte, was Finanzverantwortliche gerne verkündet: Plan leicht übererfüllt. Hamburg ist bei der Haushaltskonsolidierung ein ordentliches Stück vorangekommen. Allerdings: Die Schuldenregelung hat einen leicht chaotischen Bremsweg genommen.
Dazu beigetragen hat erstens, dass die Einnahmen infolge der guten wirtschaftlichen Lage mit 11,183 Mrd. Euro um 111 Mio. Euro über (dem allerdings mehrfach veränderten) Plan lagen. Und dies obwohl Hamburg 117 Mio. Euro aufgrund der Bevölkerungszählung für die Jahre 2011 und 2012 in den Länderfinanzausgleich nachzahlen muss (»Zensus-Effekt«). Tschentscher erklärte, dass er diese Rechnung bewusst nicht durch neue Schulden, sondern durch einen Griff in die mit 750 Mio. Euro gut gefüllte Rücklage beglichen habe, da die Rücklage in den betreffenden Jahren ja entsprechend geschont worden sei.
Zweitens hat Hamburg 2013 insgesamt weniger Geld ausgegeben als im (auch hier mehrfach geänderten) Wirtschaftsplan vorgesehen. Mit 11,652 Mrd. Euro lagen die Ausgaben um 132 Mio. Euro oder 1,12% unter dem Haushaltsplan. Gegenüber dem Vorjahr (11,694 Mrd. Euro) sind die Ausgaben der Stadt sogar (erstmals seit langer Zeit) um 42 Mio. Euro oder 0,4% Prozent zurückgegangen.
Mehr Einnahmen und weniger Ausgaben haben unterm Strich logischerweise dazu geführt, dass das Defizit, also die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben, und die Nettokreditaufnahme niedriger waren als vorgesehen. Bis 2019 soll diese Lücke ganz geschlossen werden. Auszugleichen waren 2013 470 Mio. Euro (Plan: 714 Mio. Euro; Ursprungsplan: 597,6 Mio. Euro), nach 592 Mio. Euro im Vorjahr. Statt 450 Mio. Euro mussten nur 197,9 Mio. Euro an neuen Krediten aufgenommen werden.
Allerdings räumt der Finanzsenator ein, dass die positiven Zahlen »nicht aktiv ersteuert«, d.h. nicht auf gute Pläne und deren Umsetzung, sondern im Wesentlichen auf Sondereffekte zurückzuführen seien:
- die leicht überplanmäßigen Einnahmen;
- die niedrigen Zinszahlungen (sie lagen um 173 Mio. Euro unter dem Haushaltsansatz);
- und geringe Zahlungen für die Elbphilharmonie. Durch die langfristige Neuordnung des Projekts würden auch die Zahlungen an den Baukonzern Hochtief gestreckt, sodass 2013 statt 210 Mio. Euro nur 33 Mio. Euro ausgezahlt werden mussten. »Das ist also keine Einsparung, sondern nur eine Verschiebung der Auszahlungen auf Folgejahre«, betonte der Finanzsenator.
Außerdem wurde bei den Ausgaben von der im ursprünglichen Haushaltsplan vorgesehenen üppigen Reserve »Globale Mehr-/Minderausgaben« in Höhe von 388,2 Mio. Euro auch reichlich Gebrauch gemacht. Sie wurde (z.T. auch wegen schlechter Planung) genutzt um u.a. folgende Mehrkosten zu decken:
- Bei der Sozialhilfe ergeben sich insgesamt rechnerisch Mehrausgaben gegenüber den Ansätzen von 7,9 Mio. Euro. Die Steigerung zum Vorjahr ergibt sich im Wesentlichen aus gestiegenen Empfängerzahlen bei der »Eingliederungshilfe für Behinderte«, »Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung« und »Asylbewerberleistungsgesetz« sowie aus höheren Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Folge des BVerfG-Urteils vom 18.07.2012.
- Die Kindertagesbetreuung schloss mit 46,2 Mio. Euro über den Ansätzen ab – vor allem wegen wachsender Kosten für die Hortbetreuung.
- Für Hilfen zur Erziehung mussten mit 314,8 Mio. Euro (2012: 295,5 Mio. Euro) 31,1 Mio. Euro mehr aufgebracht werden als geplant.
- Für die Förderung der ganztägigen Angebote an Schulen fielen 37,9 Mio. Euro an.
Mussten in 2012 noch 218 Mio. Euro zur Rekapitalisierung des hamburgischen Versorgungsfonds (2013: 35 Mio. Euro) und 200 Mio. Euro zur Entschuldung des Sondervermögens Stadt und Hafen geleistet werden, »haben sich die Bemühungen zur Sanierung finanzieller Altlasten im Jahr 2013 auf andere Positionen verlagert«. So wurde unter anderem das Niveau der Mieten, die allgemeinbildende und berufliche Schulen an Schulbau Hamburg (SBH) zahlen, strukturell um 47,8 Mio. Euro angehoben, »um SBH zu einer nachhaltigen Erfüllung seiner Instandhaltungs-, Sanierungs- und Neubauaufgaben im Schulbau zu befähigen«. Weiterhin wurden einmalig 15,1 Mio. Euro verausgabt, um eine langjährige Auseinandersetzung mit der HSH Nordbank um die Erstattung von Steuerzahlungen durch Vergleich beizulegen. Zudem war das Defizit der internationalen Gartenschau hamburg in Höhe von 34 Mio. Euro zu decken.
»Schwerpunkt bei der Sanierung finanzieller Altlasten war jedoch das Projekt ›Elbphilharmonie‹, für das 2013 Mittel in Höhe von bis zu 210 Mio. Euro bereit gestellt wurden, die jedoch nicht den übrigen Sach- und Fachausgaben, sondern den Investitionen zuzuordnen sind. Diese Umschichtung trägt zum Rückgang der übrigen Sach- und Fachausgaben gegenüber dem Vorjahr bei.«
Addiert man nur die genannten Positionen kommt man auf einen Betrag von 430 Mio. Euro (auch wenn das Geld für die Elbphilharmonie erst später fließt). Damit ist die Krisenkasse »Globale Mehr/Minderausgaben« schon mehr als erschöpft. Dabei sind wichtige Ausgabenpositionen (Abschreibungen bei der HSH Nordbank, fehlende Dividende bei Hapag Lloyd etc.) noch gar nicht »eingepreist«. Also: Das Ziel, weniger Ausgaben für öffentliche Aufgaben, wurde erreicht, aber die Kürzungspolitik klappte nur in der Endabrechnung – logischerweise ist das durch das Parlament festgelegte Budget in vielen Punkten durchbrochen worden.
In seiner Aufzählung der Faktoren, die zum guten Ergebnis des Haushaltsabschlusses 2013 beigetragen haben, »vergisst« der Finanzsenator allerdings einen wesentlichen Posten, der die Arbeitssituation der städtischen Beschäftigten und die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen nachhaltig tangiert: die trotz Tarif- und Besoldungserhöhung nur marginal gestiegenen Personalkosten. Mit 3,778 Mrd. Euro lagen sie nur um 17,4 Mio. Euro über den im Haushalt veranschlagten Ausgaben. Das lag vor allem daran, dass der Senat – wie angekündigt – den Personalbestand der Stadt gesenkt hat. Er ist im vergangenen Jahr um 165 auf 59.450 Vollzeitkräfte (VZÄ) zurückgegangen.
Dazu beigetragen hat vor allem der angekündigte Abbau von 250 Stellen in der sogenannten Kernverwaltung – dazu zählen die Senatskanzlei, die zehn Fachbehörden und die sieben Bezirksämter. So sank die Zahl der Vollzeitkräfte in den Bezirksämtern trotz wachsender Aufgaben um 20 auf nun 6.140 zurück. Allein der Bezirk Mitte weist mit 1.219 Stellen 20 weniger aus als im Vorjahr. Auch Altona (minus sechs) Eimsbüttel (minus sieben) und Wandsbek (minus 13) gaben Stellen ab. Nur Nord (plus sechs) und Bergedorf sowie Harburg (je zehn) stockten auf.
Der gesamte Abbau in der Kernverwaltung betrug sogar 378 Vollzeitkräfte. Da vor allem zusätzliche LehrerInnen in großer Zahl eingestellt wurden, fiel der Personalabbau insgesamt geringer aus.
Bei der Umsetzung dieser Art der Haushaltskonsolidierung zulasten der Beschäftigten hat der Senat auf kein Druckmittel verzichtet. So mussten Behörden und Bezirke die durch Lohn- und Besoldungserhöhung entstandenen Mehrkosten durch Umschichtung oder Entlassung überwiegend selbst aufbringen.
Diese Methode des Gesund- besser Kaputtsparens wird auch bei den Trägern des unverzichtbaren sozialen Netzwerks der Stadt praktiziert. Die Zuwendungen für dieses soziale Netzwerk aus Trägern, Institutionen und freiwilligen Zusammenschlüssen sind oft eh schon so knapp bemessen, dass sie die von ihnen übernommenen Aufgaben kaum erfüllen können. Mit der Verweigerung von Aufschlägen für allfällige Lohn- und Gehaltserhöhungen stehen viele (siehe das aktuelle Beispiel der Obdachlosenhilfe) Einrichtungen schlichtweg vor dem Aus.
Zu den ungenannten Opfern der SPD-Haushaltskonsolidierungspolitik gehört schließlich auch die städtische öffentliche Infrastruktur. Das ständig sinkende Niveau öffentlicher Investitionen heißt im Klartext, dass das in Gebäuden, Strassen, Grünanlagen etc. angelegte städtische Vermögen nicht einmal in der Substanz erhalten, geschweige denn vermehrt wird.
Mit den Vorgaben der »Schuldenbremse« sowie der Verweigerung von Steuererhöhungen und der Verbesserung des Steuervollzugs, in deren Logik der SPD-Senat sein Mantra von der Deckelung der jährlichen Ausgabensteigerung von unter 1% begründet, wird sich weder an der Drangsalierung des städtischen Personals, der Ausblutung des sozialen Netzwerks der Stadt noch am Zerfall der öffentlichen Infrastruktur in den nächsten Jahren etwas ändern.
Trotz des positiven Haushaltsabschlusses 2013 gibt es also reichlich Gelegenheit für Kritik am SPD-Senat. Die bürgerlichen Oppositionsparteien in der Hamburger Bürgerschaft aber verpassen diese Chance, und verlegen sich aufs bloße Nörgeln. So etwa der CDU-Finanzexperte Heintze, wenn er dem Senat vorwirft, die Meldung einer angeblichen Ausgabensenkung von 0,36% sei »in Wahrheit reine Haushalts-PR«. Die Zahlen kann er dabei gar nicht anzweifeln. Was ihn stört ist, dass der SPD-Senat die 420 Mio. Euro, die er 2012 für den hamburgischen Versorgungsfonds und das Sondervermögen Hafen und Stadt ausgegeben hat, 2013 nicht gleich ganz eingespart hat. Aber was ist mit den ganzen Sanierungsbaustellen der schwarzen und schwarz-grünen Regierungen des letzten Jahrzehnts (HSH Nordbank, Elbphilharmonie etc.), auf die der SPD-Senat zurecht verweist, für die die Stadt noch lange Jahre zahlen muss. Soll der Senat dafür noch mehr Personal entlassen?
Nicht viel besser liest sich die Kritik des Grünen-Fraktionschefs, Jens Kerstan, der beklagt, dass die SPD »die Rücklagen auffrisst«, was ja durchaus auch bei Schwarz-Grün in Mode war. Dass er wenig von der vom SPD-Senat praktizierten Politik versteht, beweist er mit der Behauptung: »Er verweist immer nur auf Eckwerte und Planzahlen und verschiebt die eigentliche Sparrunde auf die Zeit nach der nächsten Bürgerschaftswahl.« Man kann ja Viel vom SPD-Senat behaupten, aber dass er Sparrunden verschiebt, nun wahrlich nicht. Die Grünen sind, wie jetzt auch Hessen bestätigt, Fans einer harten Konsolidierungspolitik. Offensichtlich geht ihnen das, was der sozialdemokratische Senat tut, noch nicht weit genug. In trauter Einigkeit wollen die Parteien des »bürgerlichen Lagers« zügigere und einschneidendere Kürzungen.
Bei der Bevölkerung kommt diese Art der Oppositionsarbeit nicht gut an. Die letzten Umfragen zeigen, dass die CDU im unteren 20-Prozent-Bereich hängen bleibt und die Grünen bei 11% stagnieren. Die FDP muss zurecht um den Wiedereinzug in die Bürgerschaft bangen.
Einzig DIE LINKE kann ein wenig Honig aus der durchaus vorhandenen Unzufriedenheit der HamburgerInnen mit der Politik des SPD-Senats saugen und zulegen. Allerdings gilt auch hier wohl die These des Finanzsenators: Wirklich politisch erarbeitet ist dieser Zugewinn wohl nicht.