24. Juni 2016 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Hamburg: Öffentliche Finanzen, die Zukunft der Stadt und eine ideenlose, autoritäre Führung
Der erste Bürgermeister der Stadt Olaf Scholz und Finanzsenator Tschentscher haben den Haushaltsplanentwurf 2017/2018 und die Finanzplanung bis 2020 vorgestellt. Die zentrale Botschaft: Hamburg kommt in seiner Planung schon ab 2017 ohne Neuverschuldung aus und erfüllt damit die Bedingungen der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse, die einen ausgeglichenen Haushalt ab 2020 fordert. Für 2017 plant der Senat mit 29 Mio. Euro Überschuss, für 2018 mit 220 Mio. Euro.
»Die aktuelle Haushalts- und Finanzplanung folgt konsequent dem 2011 beschlossenen Finanzkonzept des Senats zur Konsolidierung des Hamburger Haushaltes und zur Einhaltung der Schuldenbremse der Verfassung«, so das Mantra der Sprechpuppe Tschentscher. Trotz sprudelnder Steuereinnahmen gelte die von Bürgermeister Scholz schon in der vorangegangenen Legislatur festgelegte Vorgabe, dass die Ausgaben nur um maximal ein Prozent pro Jahr steigen dürfen. »Es muss zu Ende gehen mit der Politik des Schuldenmachens«, so die Kernbotschaft des Pragmatiker Scholz.
Diese Botschaft wäre vor zwei oder drei Jahren als eine erfolgreiche Politik in den Medien gelobt worden. Heute ist der Zweifel und die Unzufriedenheit unüberhörbar. Warum? Dies ist der zweite Haushaltsentwurf Hamburgs, der nach dem kaufmännischen System der Doppik erstellt wird. Schon seit 2014 kommt zumindest der Kernhaushalt der Stadt ohne neue Kredite aus. Strikte Ausgabenbegrenzung durch die SPD-Senate sowie boomende Steuern und extrem niedrige Zinsen haben eine Sanierung der öffentlichen Finanzen möglich gemacht. Mit Blick auf den Doppelhaushalt 2017/18 lassen sich Überschüsse nicht mehr als kluge, zukunftsorientierte Politik präsentieren. Angesichts ausgedünnter Personaletats und unübersehbarer Mängel in der öffentlichen Infrastruktur fehlt die Aussage, was denn für Hamburg die Zukunftsperspektive ist.
Grundlage für die Haushaltssanierung sind die (noch) günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen und die daraus resultierenden hohen Steuereinnahmen sowie die niedrigen Zinsen. Hamburg befinde sich, so Finanzsentor Tschentscher, mit einer überdurchschnittlichen Wirtschafts- und Finanzkraft im Länderfinanzausgleich wieder deutlicher auf der Seite der Zahlerländer. Schon beim Doppelhaushalt 2015/2016 konnte Hamburg deutlich über der Planung liegende Steuererträge verbuchen. Sie lagen 2016 mit einem Plus von 438 Mio. Euro sogar über den in der Haushaltsrechnung für dieses Jahr vorgenommenen Vorsichtsabschlägen von 350 Mio. Euro, die aus Rücksicht auf eine mögliche Abschwächung der Konjunktur oder für den Stadtstaat negativer Entwicklung des Steuerrechts vorgenommen worden waren. In der nach wie vor gültigen Finanzplanung für 2015/2016 ist also ein erheblicher Puffer von rund 570 Mio. Euro (2015: 220 Mio. Euro, 2016: 350 Mio. Euro) eingebaut.
Fakt ist weiter: 2014 und 2015 hat die rigorose Sparpolitik bei positiven Steuereinnahmen dazu geführt, dass ein Haushaltsüberschuss von 420 Mio. Euro und 200 Mio. Euro erwirtschaftet werden konnte. Auch im laufenden Jahr 2016 wird es einen Haushaltsüberschuss geben. Im Klartext: Die Hansestadt hält im Unterschied zu einigen anderen Bundesländern den sogenannten Konsolidierungspfad ein und entspricht seit 2014 den Anforderungen der Schuldenbremse, die ab 2020 nur noch eine Kreditaufnahme in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässt. Für den Doppelhaushalt 2017/2018 geht die Planung bereits davon aus, dass keine neuen Kredite mehr aufgenommen werden. 29 Mio. Euro Plus sieht die Finanzplanung des Senats für 2017 vor, 2018 sollen es dann schon 220 Mio. Euro sein. Das Ziel, die in den Verfassungen vorgegebene Sanierung der öffentlichen Finanzen einzuhalten, wird von Hamburg mithin übererfüllt.
Abgesehen von den Steuereinnahmen kommt Hamburg beim Sanierungsprozess ein weiterer Umstand zu Hilfe: Die Fluchtbewegung ist – dank verschärfter Asylregelungen, verbesserter Finanzierung der Flüchtlingsmaßnahmen der UNHCR und einigen repressiven Grenzregimen in Europa – deutlich zurückgegangen. Statt, wie geplant, Unterkünfte, Versorgungsleistungen und Integrationsmaßnahmen für 40.000 neue Zufluchtsuchende bereitzuhalten, wird jetzt mit 14.500 geplant. Selbst diese Zahl dürfte noch zu hoch sein. Außerdem erhält Hamburg höhere Zuschüsse für diese Leistungen vom Bund. Die Veranschlagung der Ausgaben für Flüchtlinge, zuletzt immerhin gut 600 Mio. Euro im Jahr, kann also reduziert werden. Angesichts der sinkenden Flüchtlingszahlen wird der Ansatz deutlich niedriger sein.
Trotz dieser komfortablen Situation halten Scholz und Tschentscher immer unter Verweis auf die Schuldenbremse an ihrem Konsolidierungskurs fest. Eine Debatte über eine Verbesserung der Finanzausstattung für die städtischen Aufgaben lehnen sie entschieden ab. Die Steuereinnahmen seien zwar höher als erwartet und Hamburg habe in den letzten Jahren Haushaltsüberschüsse erreicht, aber dennoch gäbe es keinen Spielraum für eine Verbesserung öffentlicher Leistungen.
Obwohl Hamburg bereits seit 2014 im Kernhaushalt keine neuen Schulden mehr macht, soll es auch im Doppelhaushalt 2017/2018 bei der Linie bleiben, die Ausgaben nur um maximal 1% zu erhöhen. Scholz und Tschentscher werden wie bisher rigoros verfahren und den Behörden für Flüchtlingsausgaben nur einen gewissen Grundstock zur Verfügung stellen. Für eventuelle Mehrbedarfe soll zentral in der Finanzbehörde ein Topf zur Verfügung stehen – aus dem gibt es aber nur Geld, wenn die Behörden exakt den Bedarf nachweisen können. Dem Vernehmen nach hätten Innen- und vor allem Sozialbehörde das gern anders geregelt und gleich mehr Geld bekommen, sind jedoch abgeblitzt.
Um der Notwendigkeit der Fortsetzung der Sparpolitik trotz der gewonnenen finanzpolitischen Spielräume Nachdruck zu verleihen, geben Scholz und Tschentscher das Ziel aus, dass Hamburg bis 2024 auch das in der doppischen Ergebnisrechnung, die Abschreibungen und Pensionsrückstellungen berücksichtigt, ausgewiesene Defizit (2015: -1,65 Mrd. Euro) ausgleicht. Das aber ist keine Vorgabe der Schuldenbremse, sondern eine in die Landeshaushaltordnung implementierte Selbstverpflichtung des Senats. Im Prinzip ist es natürlich wünschenswert, dass auch Abschreibungen und Pensionsrückstellungen aus den laufenden Haushaltserträgen erwirtschaftet werden, macht aber keinen Sinn, wenn dadurch die Stadt nur mehr in der Lage ist, ihre Aufgaben immer schlechter zu erfüllen.
Und gerade das System der doppischen Haushaltsführung diente denn auch bei der Präsentation des Doppelhaushalts 2017/2018 zu einem Verwirrspiel mit der Öffentlichkeit. Wegen einer (erneuten) Neuberechnung der Pensionsrückstellungen [1] seien die präsentierten Zahlen mit den Vorjahren nicht vergleichbar. Serviert wurde so ein völlig intransparentes Zahlenwerk über den doppischen Produkthaushalt der Stadt Hamburg für die kommenden beiden Jahre. Nachvollziehbare Übersichten über Einnahmen und Ausgaben der Stadt im Doppelhaushalt auch im Vergleich zur 2015/2016: Fehlanzeige. Nachfragen über Prioritätensetzungen, über »Gewinner und Verlierer«, wurden vom Finanzsenator abgebügelt: »Es gibt weder das eine noch das andere. Es gibt für jeden das, was erforderlich ist.«
Wer gehofft hatte, zumindest die mitgelieferte Aufstellung über Kosten und Auszahlungen für Investitionen für die einzelnen Fachbehörden in den Jahren 2016-2018 liefere Erkenntnisse über die Schwerpunktsetzung der Senatspolitik, musste sich von Finanzsenator Tschentscher belehren lassen, dass die Zahlen nicht aussagekräftig seien, weil sie Rückstellungen für künftig zu zahlende Pensionen erhielten. Das wirke sich bei Behörden mit hohem Personalanteil besonders stark aus und mache den Vergleich mit den Vorjahren schwierig.
Das Abendblatt vermutet hinter der mit einem autoritärem Gehabe verweigerten Transparenz der öffentlichen Haushaltsführung zu Recht politische Konzeptionslosigkeit. »Rot-Grün macht keine neuen Schulden – aber präsentiert auch keine neuen Ideen« trifft den Kern der Politik der politischen Führung der Stadt. Die Konsolidierungspolitik wird zur einfallslosen Selbstverpflichtung. »Die von der SPD beziehungsweise jetzt von Rot-Grün aufgestellten Etats kommen seltsam unpolitisch daher. Die letzte große, im Haushalt sichtbare Weichenstellung, den Zugang zu Kitas, Universitäten und die Nachmittagsbetreuung an Schulen kostenlos anzubieten, liegt Jahre zurück. Im neuen Zahlenwerk sind inhaltliche Schwerpunkte, so es sie denn gibt, für Außenstehende kaum zu dechiffrieren, und auf Nachfrage erklären Bürgermeister und Finanzsenator nur, jede Behörde bekomme so viel, wie sie benötige. Das ist weder transparent noch ambitioniert. Die Chance, mit dem Haushalt ein politisches Statement abzugeben, hat der Senat jedenfalls verpasst.«
Zu den von der politischen Führung gepflegten Mythen (Scholz: »Es muss zu Ende gehen mit der Politik des Schuldenmachens«) gehört dabei auch der eines Abbaus der Schulden. Denn tatsächlich weist die Stadt einen anwachsenden Schuldenstand auf. Nach dem »Monotoring Schuldenbremse Hamburg 2015« des Rechnungshofs betrugen die Schulden des öffentlichen Bereichs zum 31.12.2014 insgesamt 38,6 Mrd. Euro. Davon entfielen 23,2 Mrd. Euro (2015: 24,5 Mrd. Euro) auf den Kernhaushalt, sieben Mrd. Euro auf die Extrahaushalte und 8,3 Mrd. Euro auf sonstige Fonds, Einrichtungen und Unternehmen (FEU).
Auf die 38,3 Mrd. Euro Schulden des öffentlichen Bereichs kommen in jedem Fall noch einmal die mindestens acht Mrd. Euro für die HSH Nordbank oben drauf. Von der krisengeschüttelten Hafenwirtschaft (Hapag Lloyd, HHLA etc.) sind weitere Belastungen und Finanzierungsbedarfe zu erwarten – die durch Zinsen und Tilgung auch den Kernhaushalt belasten werden. Die konzeptionslose, extrem unsoziale Sparpolitik zulasten des Personals, der Investitionen und der Sozialleistungen wird also nach dem Willen der politischen Führung der Stadt fortgeführt. Auf dieser neuen Basis dürfen die Ausgaben weiterhin nur um maximal ein Prozent pro Jahr steigen. Für die Personalausgaben, die gut ein Drittel des Etats ausmachen, ist eine Steigerung von 1,5% eingeplant. Realistischerweise wird es höhere Tarifabschlüsse geben. Diese müssen die Ressorts, wie gehabt, selbst erwirtschaften, d.h. durch Kürzungen mit ihren zugewiesenen Finanzen auskommen. Schon bei Planung der Haushalte werden damit weitere Kürzungen programmiert.
Ein Blick auf die Tarifabschlüsse belegt, dass mit der Steigerungsrate von 1,5% die Institutionen der Stadt zu weiteren Einschränkungen ihrer Leistungen verdonnert sind. Diese Regel stellt vor allem Behörden mit viel Personal wie Innen- und Schulbehörde sowie die Bezirksämter vor große Probleme. Auch an dem Ziel, die Verwaltung pro Jahr um 250 Vollzeitkräfte zu reduzieren, wird festgehalten – wobei sich selbst Insider die Frage stellen, wie das in einer wachsenden Stadt und angesichts der Herausforderungen durch die Flüchtlingsthematik funktionieren soll. Eine Ausnahme bildet die Kulturbehörde: Ihr Etat wird um die Betriebskosten für die Elbphilharmonie, die 2017 eröffnet werden soll, um drei Mio. Euro im Jahr steigen. Hier gilt das Wort des Bürgermeisters, dass das Konzerthaus nicht zulasten anderer Kulturangebote gehen darf.
Der Aufwand aus Zinsen wurde aufgrund der bisherigen Anschlussfinanzierungen auf niedrigem Zinsniveau und der geringeren Nettokreditaufnahme gegenüber der bisherigen Mittelfristplanung leicht abgesenkt. In der Planung wird für neu aufzunehmende Kredite jedoch weiterhin ein Anstieg der Zinssätze unterstellt.
Die Haushaltsplanung für die nächsten Jahre ist also geprägt durch ein mehr als fragwürdiges und zukunftsloses »Weiter so«. Dieses sozialdemokratisch-grüne Gesamtkunstwerk ist sowohl von seiner Machart wie von der begleitenden Öffentlichkeitsarbeit ein Paradebeispiel für die Verachtung der demokratischen Öffentlichkeit. Die autoritäre, arrogante Manier, jedwedes kritisch Nachfragen mit dem Mysterium doppischer Buchführung abzufertigen, wird mehr und mehr dazu führen, die gesamte Reform, also die Umstellung auf die Doppik, zu diskreditieren. Der Übergang zur doppischen Planung der öffentlichen Haushalte war gebunden an das Versprechen, höhere Transparenz und demokratische Beteiligung zu ermöglichen. Was der Bürgermeister und sein Finanzsenator jetzt mit dem Doppelhaushalt inszeniert haben, war pure Arroganz der Macht.
Und: Die finanzpolitischen Spielräume auch jenseits der Schuldenbremse werden auch weiterhin nicht genutzt, um Maßnahmen gegen die dringlichsten Defizite in der Stadtentwicklung (Investitionen, Wohnungsbau, Ausstattung der sozialen Dienste und Armutsbekämpfung) anzugehen. Der weitere politische Vertrauensverlust ist damit programmiert.
[1] Abschreibungen und Pensionsrückstellungen wurden in den letzten Jahren mehrfach verändert, ohne dass dies in seinen Wirkungen auf die Ergebnisrechnung für die Öffentlichkeit transparent gemacht wurde. So wurde in 2015 eine Umstellung der Nutzungsdauer von Gebäuden von 80 auf 50 Jahre durchgeführt. Die entsprechend höheren laufenden Abschreibungen auf Gebäude sind in der Planung berücksichtigt.