2. Mai 2014 Joachim Bischoff und Bernhard Müller
Hamburg: Einwanderermetropole
Die meisten Ausländer je 1000 Einwohner leben mit 134,1 in Hamburg und mit 131,2 in Berlin. Migration, Einwanderung, kulturelle Vielfalt und die Erfahrung von Fremdheit im unmittelbaren Umfeld sind konstitutiv für moderne Gesellschaften. Dies gilt auch für Hamburg. Gleichwohl ist auch offenkundig, dass über die besondere Lebenslage und die vielfältigen Benachteiligungen von MigrantInnen zu wenig bekannt ist.
Information, Bildung und umfassende Integrationskonzepte bleiben weiterhin die Großbaustelle der deutschen Integrationspolitik. Gerade auch in Hamburg gibt es trotz jahrelanger Debatten darüber auf diesem Gebiet noch immer zu wenig Fortschritte. In einem Stadtstaat, der überdeutlich ökonomisch, sozial und politisch als Einwanderungsgesellschaft ausgewiesen ist, fehlt es immer noch an einem umfassendes Integrationskonzept, mit dem die sozialen Unterschiede und unterschiedliche Startchancen ausgleichen werden könnten, statt sie zu verschärfen.
Am Jahresende 2012 haben laut Statistikamt Nord in Hamburg gut 27% aller MigrantInnen ohne deutschen Pass Sozialleistungen zur laufenden Lebensführung (SGB II-Leistungen; laufende Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Regelleistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz) bezogen. Während von den EU-Staatsangehörigen fast 12% Sozialleistungen erhielten, betrug die Quote bei den anderen Nationalitäten zusammen 35%. Von den Deutschen bezogen gut 10% Hilfeleistungen, und in der Gesamtbevölkerung belief sich die Quote auf knapp 13%.
Im Vergleich zum Vorjahr sank der Anteil der UnterstützungsempfängerInnen in fast allen Bevölkerungsgruppen leicht. Lediglich bei den ausländischen EinwohnerInnen aus Nicht-EU-Staaten gab es einen geringfügigen Anstieg.
Die Zahl der unterstützten MigrantInnen ohne deutschen Pass erhöhte sich zwischen 2011 und 2012 um knapp ein Prozent. Während der Anstieg bei den Staatsangehörigen der EU-Länder rund fünf Prozent betrug, stieg die Zahl der übrigen ausländischen HilfebezieherInnen nur leicht. Bei den deutschen SozialleistungsempfängerInnen gab es eine leichte Abnahme, und die Gesamtzahl aller Unterstützten zusammen blieb nahezu unverändert.
Die besonders stark ausgeprägte Abhängigkeit der MigrantInnen von Sozialleistungen ist Teil der sozialen Spaltung der Stadt. MigrantInnen haben in allen Lebensbereichen mit besonderen Formen der Diskiminierung und Ausgrenzung zu kämpfen, sei es bei der Ausbildung oder am Arbeitsmarkt. Sie sind besonders oft arbeitslos und/oder arm.
So weist die aktuelle Arbeitsmarktstatistik für den April 2014 aus, dass in Hamburg 74.500 Menschen offiziell als arbeitslos registriert waren. Das entspricht einer Quote von 7,7%. Damit koppelt sich Hamburg erneut negativ vom Bundestrend ab. So ist die Zahl der Arbeitslosen um 4,4% gegenüber April 2013 gestiegen – während im Bundesdurchschnitt ein Rückgang um 2,5% zu verzeichnen war.
Besonders betroffen von Arbeitslosigkeit sind MigrantInnen. Ihre Arbeitslosenquote liegt mit 15,8% mehr als doppelt so hoch wie die Gesamtquote von 7,7%. Auch im Vorjahresvergleich hat sich die Arbeitslosigkeit von MigrantInnen mit 8,8% besonders markant erhöht. Zur Situation der MigrantInnen gehört zudem, dass ihre Erwerbsquote deutlich nieder ist als im Durchschnitt. So sind nur knapp 68% der zugewanderten Erwerbspersonen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, während es im Durchschnitt etwa 90% sind.
Armut, und damit Abhängigkeit von Sozialleistungen, ist bei MigrantInnen besonders stark ausgeprägt. Knapp 34% erhalten SGB-II-Leistungen. Besonders dramatisch die Situation bei Kindern: 44% der Kinder aus Migrantenfamilien beziehen Sozialgeld, sind also arm. Auch Altersarmut ist bei MigrantInnen ein aufwachsendes Problem. Während in 2011 im Durchschnitt 5,9% der über 64-Jährigen auf Grundsicherung im Alter angewiesen waren, betraf dies bei den MigrantInnen über 25%.
Hinzu kommt, dass die MigrantInnen nicht gleichmäßig verteilt über die Stadt wohnen, sondern dass sie mit ihren Wohnorten eingebunden sind in die typische sozial-räumliche Polarisierung in Hamburg. So lebt fast ein Viertel aller Hamburger EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund im Bezirk Hamburg-Mitte; ihr Anteil an der Bevölkerung dort liegt bei 45%. Ebenso wohnen in Harburg anteilig viele Menschen mit Migrationshintergrund (38%). In den Bezirken Hamburg-Nord und Eimsbüttel liegt die Quote dagegen bei unter 25%.
Auch innerhalb der Bezirke gibt es große Unterschiede zwischen den Stadtteilen. Billstedt, Wilhelmsburg und Rahlstedt sind die Stadtteile mit den absolut meisten Personen mit Migrationshintergrund. Die höchsten Anteile an der Bevölkerung finden sich mit über 70% in Billbrook und auf der Veddel sowie mit 61% in Neuallermöhe. Vergleichsweise wenige Personen mit Migrationshintergrund leben dagegen in den anderen Stadtteilen der Vier- und Marschlande, wo sie deutlich weniger als zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Gerade in diesen Stadtteilen und Quartieren aber bündeln sich die soziale Problemlagen am stärksten.
Der Hamburger Senat ignoriert die soziale Spaltung wie auch die besonderen Probleme von MigrantInnen hartnäckig. Im Sozialbericht, den Senator Scheele im Februar vorstellte, war denn auch nur von »Randgruppen« die Rede, die nicht an Bildung und Arbeit teilhaben könnten und ökonomisch nicht abgesichert seien. Daraus resultiert denn auch kein besonderer Handlungsbedarf.
Dieser skandalöse Realitätsverlust sozialdemokratischer (Sozial-) Politik in Hamburg kommt auch und gerade in der Schrumpfkur zum Ausdruck, die der Senat – immer mit Blick auf die »Schuldenbremse« – dem Programm integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) verordnet hat. Während 2010 noch 54 Mio. Euro an verfügbaren RISE-Mitteln (alle Programmteile inklusive übertragene Reste) zur Verfügung standen, sollen nach Informationen der Grünen 2015 nur noch 20 Mio. Euro und dann weiterlaufend 2016 bis 2018 nur noch 14 Mio. Euro zur Verfügung stehen. »Und das angesichts der Tatsache, dass nach derzeitigen Planungen Hamburg 11 Millionen Bundesmittel zur Verfügung stehen würden, wenn Hamburg 22 Millionen Komplementärmittel bereitstellt. Da die Planungen etwas anderes sagen, bedeutet dies, dass Hamburg auf Bundesmittel verzichtet.«
Zurecht kritisieren die Grünen, dass das »keine neu strukturierte soziale Stadtteilentwicklung (ist), das ist die Beerdigung derselbigen«.