19. März 2012 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Hamburg: Ein finanzpolitisches Wunder? - Das Haushaltsjahr 2011 bringt die erwartete Entspannung
Die Bürgerschaft hat im November den Doppelhaushalt 2011/2012 verabschiedet. Dieser Doppelhaushalts wurde erstmals an der neuen, im Grundgesetz festgelegten Schuldenregelung ausgerichtet, die spätestens für 2020 einen ausgeglichenen Haushalt vorschreibt, d.h. keine neuen Kredite mehr zulässt. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die durchschnittliche Rate des Ausgabenzuwachses unter der mittleren Rate des Einnahmewachstums liegen. Die Ausgabenzuwächse der kommenden Jahre sollen dementsprechend – ausgehend vom fortgeschriebenen Haushaltsplan 2010 – auf einen Wert von jährlich durchschnittlich unter einem Prozent begrenzt werden. Die Konsequenz sind massive Kürzungen bei den Einkommen bei Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, der Abbau von jährlich 250 städtischen Arbeitsplätzen und völlig unzureichende Investitionen in die öffentliche und soziale Infrastruktur sowie den Wohnungsbau.
Auf eine antizyklische Wirtschafts- und Haushaltspolitik wollte sich der SPD-Senat nicht einlassen. In der Regierungspraxis betreibt er sogar eine noch striktere Haushaltskonsolidierungspolitik als im Haushaltsplan vorgegeben ist.
Mitte März liegt der vorläufige Abschluss des Haushaltsjahres vor. Das Haushaltsjahr 2011 schließt mit einem negativen Finanzierungssaldo von -431,6 Mio. Euro (davon Betriebshaushalt +247,0 Mio. Euro und Investitionshaushalt -678,6 Mio. Euro) ab, der im Wesentlichen durch eine Entnahme aus dem Sondervermögen »Konjunkturstabilisierungs-Fonds Hamburg«, einer Entnahme aus dem Grundstock für Grunderwerb sowie einer Entnahme aus Rücklagen ausgeglichen wird. Dank robuster Steuereinnahmen konnte die Neuverschuldung massiv begrenzt werden. Entscheidend für diese positive Entwicklung war ein starker, konjunkturbedingter Anstieg der Steuereinnahmen, die den Vorjahreswert um 623 Mio. Euro und den Planwert 2011 um 380 Mio. Euro überschritten. Dagegen sind die bereinigten Gesamtausgaben, nimmt man die Tilgung der Wohnungsbausschulden beim Bund in Höhe von 205 Mio. Euro raus, lediglich um etwa 130 Mio. Euro gestiegen, dies vor allem weil man gegenüber dem Haushaltsplan beim Personal gespart hat, bei den Sach- und Fachausgaben deutlich unter den eigenen Planziffern geblieben ist und außerdem die Investitionen heruntergefahren hat.
Eigentlich war vorgesehen, die für 2011 und für die Folgejahre erwarteten höheren Steuereinnahmen zu nutzen, um ein 710-Mio.-Euro-Defizit im Hamburgischen Versorgungsfonds AöR auszugleichen, das durch die HSH-Nordbank-Krise entstanden ist. Da der Fonds erst ab 2014 auf diese Mittel angewiesen ist, erschien es dem SPD-Senat dringlicher zunächst die bilanzielle Entschuldung und angemessene Eigenkapitalausstattung des Sondervermögens Stadt und Hafen vorzunehmen. Mit einem einmaligen Zuschuss an das Sondervermögen Stadt und Hafen in Höhe von 207,0 Mio. Euro, der dazu dient, die bei diesem Sondervermögen in zurückliegenden Jahren aufgelaufene Defizite auszugleichen und Kredite zu tilgen, sowie – der Tilgung von Wohnungsbaudarlehen beim Bund in Höhe von 219,3 Mio. Euro (Vorjahr: 16,6 Mio. Euro) wurde ein deutlicher Konsolidierungsschritt erreicht. Ohne diese beiden Positionen, die der Entschuldung des Kernhaushalts und eines Nebenhaushalts dienen, aber im kameralen Haushalt als Ausgaben zu verbuchen sind, ergibt sich mit einem Finanzierungsdefizit von nur noch rd. 6 Mio. Euro ein nahezu ausgeglichener Haushalt.
Neben Steuermehreinnahmen sind also bei den Investitionen und den Personalausgaben Abstriche gemacht worden. Die Verbesserung bei den Ausgaben erklärt sich im Wesentlichen aus Ansatzunterschreitungen bei den Personalausgaben in Höhe von 86,6 Mio. Euro. Die unterplanmäßige Entwicklung ist u.a. bedingt durch Minderausgaben in den dezentralisierten Personalausgabenbudgets der Behörden und Ämter und den Versorgungsbezügen der Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richter. Finanzsenator Tschentscher hat bereits angekündigt, dass der SPD-Senat, sollte die für Hamburg festgelegte Begrenzung der Steigerung der jährlichen Ausgaben auf unter 1% durch Tariferhöhungen für die im öffentlichen Dienst Beschäftigten gefährdet werden, über die geplante Streichung von 250 Stellen jährlich hinaus, weitere Arbeitsplätze abbauen werde.
Der Senat steht mit seiner massiven Sparpolitik auf Kosten der Beschäftigten auch unter dem Druck der bürgerlichen Opposition in Hamburg, die einen sehr viel massiveren Personalabbau von zusätzlich weiteren 700 Stellen fordert. Zur Begründung verweisen die vereinten Anhänger der neuen Schuldenregelung nicht nur auf die Tarifsteigerungen für die Beschäftigten, sondern auch auf die in den nächsten Jahren weiter wachsenden Versorgungsausgaben.
Dass der Senat den gewonnen finanzpolitischen Spielraum nutzt, um im Bereich der Sondervermögen und Schattenhaushalte aufzuräumen, macht ökonomisch und politisch Sinn. Beim Sondervermögen Hafen und Stadt besteht in der Tat dringender Handlungsbedarf. Die Stadt hat viel Geld in die Hafencity investiert. Wie viel wurde aber immer im Dunkeln gelassen. Hier müsste zunächst einmal Transparenz geschaffen und Bilanz gezogen werden. Wie hoch sind die bisher entstandenen Kosten für die Stadt und was droht an weiterem Abschreibungsbedarf?
Stattdessen haben Senat und SPD-Mehrheitsfraktion ohne weitere Aufhellung und Diskussion im Doppelhaushalt 2011/2012 insgesamt 450 Mio. Euro zur Entschuldung des Sondervermögens Hafen und Stadt eingestellt. Dieses Verfahren passt ganz und gar zum dem ja einst von der SPD unter Voscherau auf den Weg gebrachten Mega-Projekt Hafencity. Vorbei an den parlamentarischen Gremien und an der Öffentlichkeit wurde hier geplant und viel Geld ausgegeben. Nun sollen die BürgerInnen möglichst nicht merken, wie viel Steuergelder für diesen »Leuchtturm«, zu dem ja auch die Elbphilharmonie gehört, tatsächlich verprasst worden sind.
Gleichwohl bleibt unterm Strich: Der vom SPD-Senat eingeschlagene Kurs der übermäßigen Haushaltskonsolidierung, der in der Praxis noch rigider ist als in der Planung, hilft Hamburg nicht. Anstatt angesichts der sich abzeichnenden Konjunkturschwäche und den Strukturproblemen der Hamburger Wirtschaft eine antizyklische Wirtschaftspolitik zu treiben, streicht der Senat in geradezu fahrlässiger Weise beim Einkommen der städtischen Beschäftigten und baut jährlich 250 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst ab. Er fährt die Investitionen runter und lässt die langzeitarbeitslosen BürgerInnen im Regen stehen. Die angekündigte Großoffensive in Sachen Wohnungsbau findet im Regierungshandeln nicht statt.
Faktisch betreibt der SPD- Senat eine Haushaltspolitik, die in doppelter Hinsicht scheitern muss. Erstens wird sie ihr Ziel der Haushaltskonsolidierung verfehlen, weil sie durch Ausgabenkürzungen letztlich die regionale Steuerbasis beschädigt. Zweitens, weil die Konsolidierungspolitik zu einer Verschlechterung öffentlicher Dienstleistungen führt. Resultat: Neuauflage eines Sparprogramms mit kurzem Zeithorizont und hohem Volumenvorgaben, das dazu führt, wichtige staatliche Leistungen zu beschädigen.
Die Alternative bestünde erstens darin, nach der Konsolidierungspolitik in 2011 den anderen Teil des durch die Steuermehreinnahmen gewonnen Spielraums (400 Mio. Euro) in 2012 für eine Strukturpolitik und die Milderung von unterfinanzierten Bereichen einzusetzen. Sie könnten vor allem für die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik sowie die Problemfelder, wie Bildung, Hochschule, ÖPNV und Wohnungsbau, genutzt werden. Zudem sollte auf die Politik der unzureichenden Arbeitseinkommen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und weitere Stellenkürzungen verzichtet werden.
Zweitens bedarf es zur Bewältigung der Herkulesaufgabe der Haushaltssanierung aber auch einer deutlichen Verbesserung der Einnahmen der Stadt. Statt sich aus der Krise der öffentlichen Haushalte heraussparen zu wollen, könnte die Erhöhung der Steuersätze ein wichtiger Beitrag zu mehr öffentlichen Investitionen (und damit mehr Wertschöpfung), zur Eindämmung der sozialen Spaltung und zur Begrenzung der öffentlichen Verschuldung leisten. Allein die Widereinführung der Vermögenssteuer könnte für Hamburg, je nach Ausgestaltung, jährlich Mehreinnahmen von 1-2 Mrd. Euro bringen.