12. Juni 2016 Joachim Bischoff
Hamburg bleibt Hoffnungsstadt?
Die SPD Hamburg bestritt einen ihrer seit Jahren üblichen Landesparteitage. Die Bild-Zeitung meldete: »Bürgermeister Olaf Scholz (57) ist mit überwältigender Mehrheit als Vorsitzender der Hamburger SPD im Amt bestätigt worden. Auf dem Parteitag am Samstag im Bürgerhaus Wilhelmsburg stimmten 304 Delegierte für den 57-Jährigen, 7 votierten gegen ihn, einer enthielt sich der Stimme – 97,4 Prozent für Scholz!«
Diese Bestätigung als führender Hamburger Landespolitiker wiederholt sich seit 2009. Der zuvor unruhige, und von diversen Affären geplagte Landesverband der Sozialdemokratie sehnte sich nach Führung und hat sie mit Scholz bekommen. Zu der Machtarchitektur gehört ein Ritual der Landesparteitage: ein längeres Referat des Vorsitzenden Scholz und eine bescheidene, unkritische Aussprache. Debatte oder gar selbstkritische Überprüfung der politischen Position kann man das nicht nennen.
Angesprochen wurde der offenkundige Personalmangel in den Hamburger Kundenzentren. Die Boulevard-Zeitungen berichten ausführlich über das »Staatsversagen«: »Zum Beantragen von Personalausweisen, Reisepässen oder Ummeldungen müssen Bürger Nerven wie Drahtseile haben. Termin-Chaos, unbesetzte Stellen ... Amts-Wahnsinn 9 Stunden Warten für einen Reisepass … Termin-Chaos! Weinkrämpfe im Kundenzentrum.«
Eine Kleine Anfrage der CDU enthüllte: Tausende Hamburger müssen wochenlang Warten, um staatliche Leistungen zu beantragen. Also Geld, das ihnen zusteht und oft dringend gebraucht wird. Negativ-Spitzenreiter sind die Bezirke Bergedorf, Mitte und Eimsbüttel: Hier müssen Hamburger bis zu sechs Wochen auf ihr Elterngeld warten. Durchschnittlich 32,4 Tage dauert es, bis Eltern den Bescheid im Briefkasten haben.
Die Mängel- und Fehlerliste der Hamburger SPD-Politik ist freilich weitaus länger. Das fängt an bei den Defiziten bei der Flüchtlingsunterbringung , der eklatanten Perspektivlosigkeit beim Breiten- und Leistungssport, den Mängeln in der Umsetzung der Ganztagsbetreuung, der sich verschärfenden Wohnungsnot, aber auch der desaströsen Zwischenbilanz bei der Sanierung der HSH Nordbank, und geht hin bis zur immer deutlicher in Erscheinung tretenden Krise in der maritimen Wirtschaft. Die Hamburger Sozialdemokratie aber sieht öffentlich und innerparteilich keine Aufklärungs- und Verständigungsbedarf.
In der üblichen einstündigen Ansprache an die Delegierten würdigte Scholz die Erfolge der Hamburger SPD und machte gleichzeitig Mut für die Zukunft. Wenn er sich in Deutschland und Europa umschaue, stelle er fest, dass die Hamburger SPD »eine der erfolgreichsten sozialdemokratischen Parteien in Europa« ist. Na, denn ist ja auch nachvollziehbar, dass man sich über die Schwäche der bundesdeutschen oder europäischen Sozialdemokratie nicht den Kopf machen muss.
Scholz betonte , der Wohnungsbau sei das wichtigste soziale Thema der Stadt. »Wir werden alle unsere Kraft zusammennehmen und dafür sorgen, dass genügend Wohnungen gebaut werden«, sagte der Parteichef. Auch sonst laufe es ganz gut in der Hansestadt, meinte er mit Blick auf die Bundes-SPD rund 15 Monate vor der Bundestagswahl. »Wir entwickeln Konzepte, wie das, was in Hamburg gelungen ist, strategisch auch in Deutschland und Europa gelingen kann.« Bemerkenswert: Selbst die Ausbreitung des Rechtspopulismus in Deutschland war keine Aussprache wert und die These von Olaf Scholz, die AFD sei eine Partei der schlechten Laune, blieb unerörtert.
Die Sozialdemokraten müssen sich nach Ansicht von Scholz in ihrem Ringen um Zustimmung wieder mehr auf die Unter- und Mittelschicht konzentrieren. »Wir müssen uns darum kümmern, dass wir die Einkommenssituation und die Perspektiven der Mittelschicht und der unteren Einkommensgruppen klar im Blick haben«, sagte er. Die Sozialdemokraten seien originär dafür zuständig, dass die Menschen von ihrem Einkommen leben können und gute Perspektiven haben. Vermutlich ist dieser politische Markenkern ja in den letzten 15 Jahren gut verfolgt und umgesetzt worden.
Der Absturz der Bundes-SPD auf rund 20 Prozent bleibt also ein politisches Rätsel.
Scholz schlussfolgert: Die SPD ist die Partei der Zukunft. »Wir sorgen dafür, dass Hamburg eine Hoffnungsstadt ist und eine Hoffnungsstadt bleibt. Eine Stadt, die daran glaubt, dass die Zukunft besser wird und niemals denkt, dass die Vergangenheit schon gut war.« Die Genossen feierten Scholz für diese Worte.