21. Januar 2019 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Gerechtes Zusammenleben in Hamburg? Ein Armutszeugnis für die rot-grüne Sozialpolitik
Der rot-grüne Senat hat die sozialräumliche Entwicklung in der Hansestadt betrachten und beurteilen lassen. Das Selbstlob folgte auf dem Fuß: Begeisterung über die sehr stabile Entwicklung. »Nach wie vor sind keine zunehmenden Polarisierungstendenzen erkennbar. Unser Ziel bleibt, überall in der Stadt die Lebensbedingungen zu verbessern.
Gleichwohl gibt es Daten zur sozialen Lage in bestimmten Teilen der Stadt, die unsere unbedingte Aufmerksamkeit brauchen. Wir fördern die Stadtteile, die vor großen Herausforderungen stehen und die unsere besondere Unterstützung brauchen mit dem Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung. Dies ist wichtig, um ein gerechtes Zusammenleben in unserer Stadt zu fördern.«
Im Sozialmonitoring-Bericht 2018 werden erneut Quartiere verglichen. Insgesamt 848 stadtteilähnliche »Sozialräume« mit mindestens 300 Einwohner*innen werden unter dem Blickwinkel von sozialen Faktoren wie Wohlstand, Bildung, Beschäftigungsgrad, Anteile der Empfänger*innen sozialer Leistungen und Anteil der Alleinerziehenden untersucht. Ziel ist es, soziale Brennpunkte auszumachen und potenziell unterstützungsbedürftige Quartiere zu identifizieren.
Unterschieden wird dabei auf Basis der Sozialindikatoren zwischen Gebieten mit hohem, mittlerem niedrigem und sehr niedrigem Status. Danach wiesen 542 Statistische Gebiete und damit knapp zwei Drittel aller Statistischen Gebiete in Hamburg einen mittleren Status auf (64%). 151 Statistischen Gebieten hatten einen hohen Status dar (18%). Demgegenüber weisen jeweils rund 18% aller Statistischen Gebiete einen niedrigen oder sehr niedrigen Status auf. In diesen städtischen Quartieren leben besonders viele Arbeitslose, Sozialleistungsempfänger*innen und Menschen mit Migrationshintergrund. In diesen Gebieten lebten im Jahr 2017 laut Sozialmonotoring-Bericht insgesamt 371.700 Personen und somit rund 20% der Einwohner*innen.(1)
Da sich im Vergleich zum Vorjahr beim Status der städtischen Gebiete nur geringfügige Veränderungen zeigen, lautet die frohe Botschaft der Senatorin Dorothee Stapelfeld: »Auch für 2018 zeigen die Ergebnisse des Sozialmonitorings eine sehr stabile sozialräumliche Entwicklung in unserer Stadt. Nach wie vor sind keine zunehmenden Polarisierungstendenzen erkennbar.
Wie immer, wenn es um die soziale Spaltung in der Stadt geht, demonstriert Rot-Grün die übliche Ignoranz. Man beruhigt sich damit, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist, und rechtfertigt damit das eigene Nichtstun. So als ob die verfestigte soziale Spaltung in der Stadt, der hohe Anteil von Hartz IV Empfänger*innen, von Kindern in der Mindestsicherung, von Alleinerziehenden unterhalb der Armutsgrenze, von Menschen mit Migrationshintergrund, bei denen sich die sozialen Problemlagen bündeln, oder auch die steigende Zahl von armen Rentner*innen die städtische Gesellschaft nicht vor große Herausforderungen stellen, die sich dann in bestimmten Quartieren bündeln.
Was sind die drückendsten Probleme in den benachteiligten Quartieren? Es gibt mehr Menschen mit Sprachproblemen, mehr Alleinerziehende. Die sozial-kulturellen Angebote sind bescheiden, gleichermaßen könnte die Verkehrsanbindung optimiert werden. Und: Immer mehr Mietpreisbindungen fallen weg. Die Sorge daher: Demnächst könnten sich viele Bürger*innen die Mieten vielleicht nicht mehr leisten. So heißt es in einem Bericht über den Osdorfer Born: »Schon jetzt merkt man in der Elternschule, dass andere Klientel kommt.« Demnächst könnten sich viele »Ur-Borner« die Mieten vielleicht nicht mehr leisten.
Zu Recht spricht daher die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Heike Sudmann, von einer problematischen Tendenz der Verfestigung von Armut. »Es ist mir ein Rätsel, wie die Senatorin über ›nicht zunehmende Polarisierungstendenzen‹ frohlocken kann. Mehrere Hunderttausend Hamburger leben in Quartieren, die seit sieben Jahren unverändert und insofern leider sehr stabil sozial benachteiligt sind.« Zu bedenken ist, dass dieser Befund vor dem Hintergrund einer langjährigen sozio-ökonomischen Prosperität zu sehen ist.
Es ist Schönrednerei, wenn Dorothee Stapelfeld die Verbesserung der Lebensbedingungen »überall in der Stadt« als Ziel des rot-grünen Senats ausgibt. Ja, es gibt etliche soziale Brennpunkte. Und ja, es gibt eine bedrückende Gleichgültigkeit und politische Passivität. Von einem gerechte Zusammenleben in unserer Stadt kann keine Rede sein. Denn nach wie vor führt die integrierte Stadtteilentwicklung im Handeln der politischen Akteure nur mehr ein kümmerliches Mauerblümchendasein. Die im Doppelhaushalt 2019/2020 vorgesehenen Mittel für RISE sind nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Quelle: Entwurf Doppelhaushalt 2019/2020, Einzelplan 6.1., S. 48
Die politische Haltung von Rot-Grün entlarvt sich letztlich als Almosenprinzip gegenüber den Armutserscheinungsformen in den Bezirken und Stadteilen. Im Entwurf des Doppelhaushaltes heißt es: »Der Quartiersfonds wird im Einzelplan 9.2 – Allgemeine Finanzwirtschaft – in der PG 283.01 im Produkt ›Zentrale Bezirksmittel‹ veranschlagt und nicht in den bezirklichen Einzelplänen 1.2 -1.8. Diese Mittel werden unterjährig per Sollübertragung in die Einzelpläne der Bezirksämter übertragen und stehen für eine zweckentsprechende Verwendung zur Verfügung. Als Maßnahme der Stadtteilarbeit können bei ausreichender Mittellage Einrichtungen, Projekte und Initiativen gefördert werden, die für den sozialen Zusammenhalt und die Weiterentwicklung der Stadtteile von erheblicher Bedeutung sind; hierzu zählen z.B. Quartiers- und Stadtteilbeiräte, Stadtteilbüros, Bürgerhäuser, Community-Center und Stadtteilkulturzentren. Der Quartiersfonds Bezirke ist auf 7 Mio. Euro erhöht worden und wird bei Bedarf im Rahmen der Bewirtschaftung um weitere 3 Mio. Euro erhöht.«
Dabei hätte Rot-Grün die sowohl für den Nachtragshaushalt 2018 wie für den Doppelhaushalt 2019/2020 deutlich gesteigerten Ausgaben auch dafür nutzen können, spezifische Maßnahmen gegen die soziale Spaltung (von einer deutlichen Steigerung der RISE Mittel über eine Verstärkung des Baus von preiswerten Wohnungen, die Ausweitung der Mittel sozialen Arbeitsmarkt bis hin zur Einführung eines Sozialtickets) auf den Weg zu bringen. Allein dafür fehlt der politische Wille. Sowohl SPD wie Grüne diskutieren auf der Bundesebene gegenwärtig über ein neues Sozialstaatskonzept. Auf der Landesebene ist davon bisher nichts angekommen.
1) Der in einer sehr bürokratischen Sprache abgefasste Sozialmonitoring-Bericht hat nur einen begrenzten Gebrauchswert. Die Grafiken sind ziemlich unübersichtlich, und die dabei verarbeiteten Daten werden nicht öffentlich gemacht. So gehen in den Index z.B. Daten über die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ein, die das Statistik-Amt Nord für die Stadteilebene seit 2015 nicht mehr veröffentlicht. Gerade auf der Statteilebene wären diese allerdings sehr hilfreich, weil damit auch erkennbar würde, welcher Bedarf etwa an spezifischen Maßnahmen für Senior*innen hier heute und verstärkt noch in der Zukunft besteht.