7. März 2012 Bernhard Sander: Es geht um mehr als Loveparade
Für einen Dialog mit den Duis-Bürgern!
Duisburg hat den Oberbürgermeister Adolf Sauerland abgewählt. 2009 stimmten nur 21,5% aller Wahlberechtigten für den OB-Kandidaten der CDU, also rund 76.000 Wähler_innen. Das Ergebnis der Abwahl war deutlicher: 129.000 Tausend Stimmen gegen die restliche Amtszeit des OB und nur 21.000 dafür – bei einer Wahlbeteiligung (41%), die fast so hoch lag wie die letzte Kommunalwahl.
Dass dies juristisch möglich war, verdankt sich einer Gesetzesinitiative der LINKEN im Landtag NRW. Es wird nun auch wieder eine Stichwahl bei der demokratischen Ermittlung des künftigen OB geben. Dass die Abwahl politisch möglich war, hat allerdings eher mit der menschlich eher gruseligen Art zu tun, mit der Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) mit der Loveparade-Katastrophe umgegangen ist.
Die alte Sozialdemokratie hatte davon noch ein Verständnis, als Ex-Oberbürgermeister Krings angesichts der Loveparade-Katastrophe formulierte: »Verantwortung – die übernimmt man nicht, die hat man.« Solange ihm kein Fehlverhalten im Genehmigungs- und Organisationsverfahren nachgewiesen werden könne, zeigte Sauerland sich entschlossen, am Amt festzuhalten, auch wenn das erstmal ein 400.000 Euro teures Rechtsgutachten kostete.
Die Bevölkerung der Stadt hat allerdings die Nase voll von einer Politik, die wirtschaftliche Interessen über das Sicherheitsinteresse stellte. Man ist sauer auf eine Politik, einen Staat und eine Polizei, die Bürger_innen nicht zu schützen in der Lage waren. Die moralischen Vorwürfe gegen den OB Sauerland speisen sich zu einem guten Teil auch aus der allgemeinen Krise der Repräsentanz. Für die NRW-LINKE sind diese Themen Lerngelegenheiten direkt am Hochofen der Demokratie.
Lichtgestalten
Sauerland wollte die Loveparade unbedingt in die Stadt holen, um sich und der Stadt nach dem Montan- und dem Schimanski-Image des industriellen Niedergangs nun die Modernität in die Flyer zu holen. Das Vorhaben war ein Element der Stadtentwicklung insgesamt, für deren städtebaulichen Masterplan der Architekt Norman Foster ein Millionen-Honorar einstreichen konnte – bei einer mit ca. 15% doppelt so hohen Arbeitslosigkeit wie im Rest der Republik.
Insofern stellen sich in Duisburg einige exemplarische Fragen. Die »Metropolen-Region« fokussierte sich um das Projekt »Kulturhauptstadt«, von der die Loveparade ein Teil war, der Attraktivität einer sich zur Dienstleistungsgesellschaft wandelnden Region gerade für junge Leute symbolisieren sollte. Wie immer bei Leuchttürmen liegt ein Großteil im Schatten.
Die Beteiligung der LINKEN an einer haushaltstragenden Kommunalkoalition in Duisburg zusammen mit SPD und Grünen (die in der ersten Amtszeit Sauerlands ein schwarz-grünes Bündnis trugen) ist für manchen an sich schon der Sündenfall. Dementsprechend werden Gelegenheiten gesucht, die Protagonisten, wie z.B. den Fraktionsvorsitzenden Hermann Dierkes zu Fall zu bringen. Vergleichsweise harmlos ist dabei noch der Konflikt um den Verzicht der Stadtratsfraktion, eine (ausgewiesen linksradikale Wunsch-) Kandidatin der Partei für das Stadtentwicklungsdezernat zu präsentieren und stattdessen jemanden mit SPD-Parteibuch vorzuschlagen.
NRW-Innenminister Ralf Jäger, als SPD-Unterbezirksvorsitzender immer noch der starke Mann in Duisburg, will bei seiner Suche nach einem geeigneten OB-Kandidaten keine moralischen Bedenkenträger, auch wenn er auf die Unterstützung der Grünen und der Linken angewiesen ist. Mit der Bemerkung »Lebensnah und lebenswirklich ist, dass wir jemanden suchen, der … der Verwaltung und Politik kann« setzt Jäger Maßstäbe. Er sucht »jemand, der mit großer Leidenschaft und Hingabe sowohl 70 Millionen im Jahr spart, die Verwaltung führt, repräsentiert, die Gräben zuschüttet«.
Während sich das Abwahlbündnis offenbar gespalten hat, präsentiert die Presse den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, der als Unternehmer auch den Segen einflussreicher Kreise der Moscheen zu haben scheint, als überparteilichen OB-Kandidaten.
Die Diskussion um den neuen Oberbürgermeister könnte zu einem spannenden Wahlkampf um die Ausrichtung der Stadt werden, um das Verständnis der Mechanismen der Finanzmärkte, über die Kriterien für Lebensqualität, und letztlich um die realistische Bewertung der kommunalpolitischen Spielräume linker Realpolitik oder sozialistischer Kommune-Träume. Stadtentwicklung ist keine sachneutrale Angelegenheit sondern Ausdruck politischer Willensverhältnisse und Entscheidungen.
Hände über der Stadt
Durch netto-Abwanderung sinkt in Duisburg – wie in fast allen vom »Strukturwandel« betroffenen Städten des Ruhrgebiet und des bergischen Landes – die Bevölkerungszahl. Zurück bleiben Alte, »Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen«, Menschen ohne Vermögen (oder solche mit wertgemindertem Wohneigentum), eine perspektivlose Jugend, aber auch eine sozial gespaltene migrantische Bevölkerung.
Die Stadtplanung reagiert darauf mit Abriss ganzer Wohnviertel (Zinkhüttenplatz 400 Wohneinheiten, Bruckhausen 200 Einheiten). Der Flächenausverkauf spielt sich vor dem Hintergrund der kommunalen Finanznot ab. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft braucht einen Zuschuss von 11,5 Mio. Euro aus den Rücklagen des kommunalen Unternehmensverbundes, der aus dem Teilverkauf der Energiesparte der Stadtwerke gebildet wurde.
Der noch schwelende Konflikt um den Abriss der Zinkhüttensiedlung zugunsten eines OutletCenters spitzte sich während und nach der Abwahl-Kampagne zu. Im letzten Jahr hatte eine Kreismitgliederversammlung die Pläne für das Center gebilligt. Eine nicht repräsentative Mitgliederversammlung der LINKEN solidarisierte sich mit der Mieterinitiative, der Kreisvorstand wandte sich gegen die Förderung von prekarisierter Beschäftigung in diesem Einzelhandelsobjekt. Die Fraktion, der auch der verdi-Geschäftsführer angehört, argumentiert mit den dringend benötigten Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen. Der Ex-NRW-Wohnungsbauminister Christoph Zöpel (SPD) gehört zu den Promis auf Seiten der Mieter. Auch die lokalen DMB-Mietervereine haben sich deutlich hinter die Mieter gestellt.
Die Kritiker des OutletCenters glauben die Moral auf ihrer Seite: »Sobald Linke an der ›Macht‹ – und sei es auch nur der Abwicklungs-Macht einer bankrotten Stadt – beteiligt sind, gilt das Menschenrecht auf Wohnen, gilt das Gemeineigentum usw. offensichtlich gar nix mehr? Was ist in den Hermann Dierkes (Vorsitzender der Linksfraktion) gefahren, das ist ja nicht irgendein Streamliner, wenn ich mich recht entsinne? Hab ich mit dem nicht schon Geld für und mit Haus- und Landbesetzern in Brasilien gesammelt, und jetzt findet er nichts dabei, wenn seine Ex-Kollegen von Thyssen aus ihren Werkssiedlungen verdrängt werden? Wie kann man so tief sinken? Hab ich irgendwas verpasst? Ist der nur wegen der Haushaltskoalition im Duisburger Rat nach – ich denke – mehr als 40 Jahren auf der richtigen Seite zum Verräter geworden?«
Dass selbst professionelle Mietervertreter auf diesem Niveau argumentieren, hat etwas damit zu tun, dass DIE LINKE das Thema Stadtentwicklung bisher einigen argwöhnisch beäugten Spezialisten überlässt, »während die wirklich wichtigen Fragen der makroökonomischen marxistischen Theorie woanders liegen« (David Harvey, Die urbanen Wurzeln der Finanzmarktkrise, in: Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Februar 2012, S. 8) Die traditionalistische Verkürzung des Kapitalismus-Begriffs auf die Ausbeutung in der Fabrik, wie ihn offenbar die linken Stadtverordneten vertreten, wird den epochalen Veränderungen hin zu einem Finanzmarkt getriebenen Kapitalismus nicht gerecht.
Der OB-Wahlkampf in Duisburg könnte eine Gelegenheit werden, deutlich zu machen dass Boden nicht beliebig vermehrbar und damit keine Ware im üblichen Sinne ist. »Er ist eine fiktive Form des Kapitals, die sich aus den Erwartungen auf zukünftige Miet- und Pachteinnahmen ableitet. Die Maximierung dieser Gewinne hat in den letzten Jahren Haushalte mit niedrigem oder sogar mit mittlerem Einkommen aus (der) Innenstadt vertrieben, was sich in katastrophaler Weise auf die soziale Ungleichheit zwischen den Klassen und das Wohlergehen unterprivilegierter Bevölkerungsschichten ausgewirkt hat.« (Ebd., S. 2)
Die Vertreibung der Mittelschichten mündet in der Zersiedlung der Stadtränder und die Vertreibung der Armen fördert die Ghettobildung. In der Regel haben die FactoryOutlets und vergleichbare Großanlagen für internationale Filialisten wie H&M, Douglas, Telekom nicht nur ästhetisch das Bild der Städte planiert, sondern auch den umliegenden eigentümergeführten Einzelhandel ruiniert, wenn sich die Stadträte den »So und nicht anders«-Ansiedlungsplänen gebeugt haben.
Es gehört zu den unästhetischen Raffinessen der Auseinandersetzung, dass trotz der Beteiligung der LINKEN nicht der Dialog mit den Mietern gesucht wurde, so dass die Mieter letztlich aus der Presse von den Planungen erfuhren und dass sich auf Mehrheiten in den zuständigen Gremien berufen wird.
Schatten über der Stadt
Duisburg ist faktisch pleite. Da kommt es gelegen, wenn öffentlicher Boden verkauft werden kann und die marode Stadthalle in Hamborn und das »nicht mehr zu finanzierende« Stadtteilschwimmbad gleich mit unter die Abrissbirne kommt. Damit ist das zweite große Thema in Duisburg und in NRW angesprochen.
Die Landesregierung reagiert auf die kommunale Finanznot mit dem Gesetz über den so genannten Stärkungspakt für überschuldete Kommunen. Der Begriff akzeptiert schon, dass die Städte gezwungen wurden, Eröffnungsbilanzen vorzulegen, als seien es stinknormale Unternehmen. Es sei daran erinnert, dass die kommunalen Kassenkredite im letzten Jahr von 40 auf 44 Mrd. Euro anstiegen, über 21 Mrd. davon entfallen auf Kommunen in NRW.
Die Gemeindeordnung sah bisher die völlige Kontrolle durch die beim Innenminister angesiedelte Kommunalaufsicht vor, wenn dauerhaft der städtische Haushalt nicht ausgeglichen werden konnte. Konnte eine Stadt dieser Verpflichtung nicht nachkommen, musste sie sich jede Stellenneubesetzung und jede Gebäudesanierung genehmigen lassen, selbst wenn es sich dem Grunde nach um eine gesetzlich festgeschriebene Pflichtaufgabe handelt.
Es kam zu so perversen Situationen, dass eine Stadt nicht mehr ausbilden durfte oder sich nicht mit dem vorgeschriebenen Eigenanteil an Bundesprogrammen wie »Soziale Stadt« zur Verbesserung des sozialen Umfeldes (also nicht nur Investitionen in Steine) beteiligen durfte.
Mit dem so genannten Stärkungspakt stellt die Grünen-SPD-Landesregierung bis 2016 jährlich rd. 350 Millionen Euro für insgesamt 34 überschuldete Städte zur Verfügung – mit der Auflage, bis zu diesem Zeitpunkt den Haushaltsausgleich herzustellen und bis 2021 zu gewährleisten. Neben den zusätzlichen Landesmitteln von 72 Mio. Euro soll eine Stadt wie z.B. Wuppertal 41,5 Mio. Euro kürzen, eine kleine Stadt wie Waltrop im Ruhrgebiet bekommt 3 Mio., muss aber 10,5 Mio. Euro laufender Ausgaben kürzen.
Auch Duisburg kann sich gegen dieses Danaer-Geschenk nicht wehren und muss für die zugewiesenen Millionen einen Betrag aus den städtischen Leistungen kürzen. Da dies naturgemäß nur freiwillige Leistungen sein dürfen, kann es sich nur um Zuschüsse für Wohlfahrtsverbände, Unterhaltung öffentlicher Büchereien, Präventionseinrichtungen, Sporteinrichtungen, städtische Bühnen usw. handeln. Ein Teil der erforderlichen Summe (41,5 Mio. Euro in Wuppertal) will der Kämmerer durch Einnahmeerhöhungen aufbringen (in Wuppertal z.B. durch Erhöhung der Parkgebühren [0,9 Mio.], des Hebesatzes der Gewerbesteuer [13,7 Mio.] und der Grundsteuer [11,4 Mio.]; letztere wird auf die Mieter übergewälzt).
Da der Haushaltssanierungsplan in Duisburg noch nicht eingebracht wurde, wären die Kandidatenfindung und der OB-Wahlkampf eine Gelegenheit zur Aufklärung über die finanzielle Ausblutung der Kommune. Die dem Stärkungspakt zugrunde liegenden wirtschaftlichen Annahmen sind mindestens optimistisch zu nennen. Das Gutachten der Landesregierung – geschrieben von Unternehmensberatern von Ernst & Young – unterstellt ein jährliches Wirtschaftswachstum von +1,5 %, obwohl es durchschnittlich im letzten Jahrzehnt nur bei 0,9% lag.
Dieser Zehnjahres-Durchschnitt ist in den letzten 40 Jahren kontinuierlich von 4,4% auf 0,9% gesunken. Unerklärlich bleibt auch, warum Städte im Strukturwandel überhaupt an diesen Wachstumsraten teilhaben könnten. Damit sind die weiteren Annahmen über die Steigerung des Steueraufkommens und das nur mäßige Wachstum der Zahl von Sozialleistungsempfängern vermutlich hinfällig.
Die Kämmerer und die Landesregierung, zu der auch der Duisburger Unterbezirksvorsitzende Jäger gehört, feiern den Stärkungspakt als Rettung der kommunalen Selbstbestimmung. Mit genehmigtem Sanierungsplan gewinne die Stadtspitze Planungssicherheit und die Stadträte könnten Aufgaben wieder priorisieren.
Die Frage, wer denn in diesen Städten ohne Schwimmbad und Stadtteilbibliothek aber mit einigen Perlen (wie z.B. in Duisburg dem Museum Küppersmühle und dem jetzt finanziell aus dem Ruder laufenden Neubau des Landesarchivs) leben will, diese Frage wird öffentlich nicht behandelt.
Da die kommunalen Finanzen allerdings in starkem Maße nicht nur durch die Steuererleichterungen für die vermögenden Schichten ausgetrocknet wurden sondern auch durch die Übertragung von Sozialleistungen vom Bund auf die Stadt (Eingliederung, Grundsicherung im Alter, Kosten der Unterkunft), die die Städte sehr ungleichmäßig treffen, sind die Kürzungsbemühungen der Stadtspitzen und die Landeszuwendungen nur eine Problemverschiebung.
Selbst Innenminister Jäger räumt ein: »Das Gutachten beschreibt, dass wir eine Lösung der kommunalen Finanzmisere ohne den Bund und seine Verpflichtung mehr zu leisten nicht hinbekommen.« Das Resultat der Operation ist lediglich, durch den Haushaltsausgleich bis 2021 die Zinszahlungen für die Altschulden (im Falle Wuppertals rd. 1,5 Mrd. Euro Kassenkredite) zu gewährleisten.
Sollte sich linke Realpolitik diesem Diktat unterwerfen, wenn auch die SPD-Fraktionen in kleineren Städten mittlerweile dagegen Sturm laufen? Allerdings ist dies noch kein breiter Bürgerprotest. Dessen Ausbleiben passt nicht zu linksradikalen Dogmen der Spontaneität und verleitet dann zur Fortsetzung des parlamentarischen Werkelalltags, um in klassisch fordistischer Betriebsratsmentalität mit entschiedenem Einsatz herauszuholen, was herauszuholen ist.
Umgekehrt mag man mit pathetischem Anti-Kapitalismus zwar kurzfristig Protestpotenzial an die Urnen holen oder eine Versammlung des Investors sprengen können (wie gerade geschehen), aber eine aufgeklärte Bürgeropposition, die sich über die Komplexität der Zusammenhänge keine Illusionen macht, ist auf Dauer stabiler gegen das Auseinanderlaufen und die Passivität.