6. September 2016 Peter Stahn
Flughafen Frankfurt: Weiter maximale Kapazität, bei weniger Lärm?
Der Flughafenbetreiber Fraport macht wieder einmal Stimmung gegen die politische Planung einer Lärmobergrenze und damit gegen einen möglichen Schutz der Bevölkerung vor exzessivem Fluglärm. Gleichzeitig pocht er auf sein Recht auf maximale Kapazitätsauslastung der Start- und Landebahnen. Der Betreiber will die ohnehin verzagte schwarz-grüne Landesregierung als größtem Anteilseigner am Flughafen weiter einschüchtern.
Fakt ist: im Jahr 2011 wurde die neue Nordwest-Landebahn trotz langjähriger Proteste im südlichen Teil von Frankfurt und trotz mehrerer Gutachten, die voraussagten, dass der Ausbau des Großflughafens wegen seiner erheblichen Lärmbelastung einseitig zu Lasten des Schutzes der Anwohner gehen wird eröffnet. Die jüngste im Oktober 2015 veröffentlichte »Norah«-Studie (steht für Noise-Related Annoyance, Cognition, and Health) belegt erneut, dass bei einem Lärmpegel von 60 Dezibel und höher sich insbesondere das Risiko von Herzinsuffizienz und Depression erhöhe und Kinder langsamer lesen lernen.
Die Bewohner im weiten vom Lärm betroffenen Umfeld des Frankfurter Flughafens haben sich entgegen mancher Erwartung nicht an die neuen und größeren Belastungen seit Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest gewöhnt. Zwar blieb das im höchstrichterlich bestätigten Planfeststellungsverfahren prognostizierte Wachstum an Flugbewegungen (mit bis zu 700.000 in 2020) aus, doch die neue Bahn wird voll auf Kosten der Gesundheit der Anwohner genutzt. In den Jahren seit Eröffnung der neuen Nordwest-Landebahn gab es keinen nennenswerten Zuwachs an Flugbewegungen. Sie blieben stets unter 500.000, im letzten Jahr waren es 468.000 Flugbewegungen. Zur Begründung für den Bau der neuen Bahn im Rahmen des Planfeststellungsverfahren dienten größenwahnsinnige Konzepte, die den Flughafen vor allem als auszubauenden Hub in Konkurrenz zu London-Heathrow, Paris-Charles de Gaulle und Istanbul sahen sowie unrealistische Wachstumsannahmen.
Der Betreiber Fraport will keine Zweifel aufkommen lassen, dass er das erweiterte Bahnsystem wie im Planfeststellungsverfahren 2007 prognostiziert auslasten können darf: »Mit jeder weiteren Einschränkung unserer Kapazitäten gefährden wir nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit unseres Frankfurter Flughafens, sondern den Luftverkehrsstandort Deutschland insgesamt«, sagt Fraport-Vorstand Anke Giesen. Ihre Warnung bei einer Gesprächsrunde mit Journalisten Anfang Juli fällt genau in die Zeit, in der der hessische Verkehrs- und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) an einer Lärmobergrenze für den Flughafen zu arbeiten beginnt.
Im Mediationsverfahren zur Begrenzung der zu erwartenden Gesundheitsbelastungen durch den künftigen Flugbetrieb wurde seinerzeit eine Lärmobergrenze empfohlen, die es bis heute zwar nicht gibt aber in den Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung in 2014 als Ziel mit aufgenommen wurde: »Entsprechend der Empfehlungen der Mediation wird vereinbart, eine Lärmobergrenze für den Flughafen Frankfurt einzuführen. Ziel ist es, eine deutliche Lärmreduzierung gegenüber den im Planfeststellungsbeschluss prognostizierten Werten zu erreichen.«
Der Konflikt ist klar: Fraport will an der einmal eingeräumten Kapazität nicht rütteln lassen, auch nicht durch eine Lärmobergrenze. Es gebe schon sehr starke Einschränkungen, sagt Giesen, etwa das Nachtflugverbot. Eine Lärmobergrenze müsse - ausgehend von heute - rechnerisch Platz für den Lärm von 233.000 weiteren Bewegungen lassen.
Weiter maximale Kapazität, bei weniger Lärm? Die schwarz-grüne Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, diese Gleichung lösen zu wollen. Der grüne Minister Al-Wazir mahnt angesichts seiner Aufgabe und dem Ziel »eine deutliche Lärmreduzierung gegenüber den im Planfeststellungsbeschluss prognostizierten Werten« erreichen zu wollen, dass ohne eine Obergrenze die Belastung in der Region in den nächsten Jahren noch dramatisch steigen könne. Gleichwohl eignet sich das bisher erprobte Modell »Lärmpausen« nicht als Vorbild für Lärmobergrenzen. Die Absprache, frühmorgens und spätabends den Verkehr auf den Bahnen unterschiedlich zu konzentrieren und somit Lärmpausen für die drangsalierte Bevölkerung zu erreichen, hat nur nach Ansicht Al-Wazirs und seines Ministeriums funktioniert, den befragten Anwohnern ihre Empfindens nach jedoch keinerlei Entlastung gebracht. Die Lärmpausen dienen Politik und Wirtschaft lediglich als Feigenblatt für die Fortsetzung des profitablen Flughafengeschäfts auf Kosten der Gesundheit der Bürger.
Hin zu einer Lärmobergrenze werden nun unterschiedliche Modelle vorgeschlagen von abgestuften Alarmsystemen, der stärkeren Berücksichtigung von Einzelschallergebnissen sowie »Verpflichtungen« der Fluggesellschaften nur noch solche Maschinen einzusetzen, die leiser sind und technisch in der Lage sind, dicht besiedelte Gebiete mit Hilfe von flexibleren Leitsystemen umfliegen können. Ob die vorgeschlagenen Maßnahmen politisch durchgesetzt werden, zeitnah technisch realisiert und tatsächlich eine Entlastung für die Betroffenen bringen und somit eine gesellschaftliche Akzeptanz finden können, ist sehr fraglich. Es ist zu befürchten, dass nach Erreichen des Ziels, die Stärkung des »Wirtschaftsmotors Flughafen und Lärmreduzierung in Einklang« zu bringen – so der Frankfurter Oberbürgermeister Feldmann in Übereinstimmung mit Al-Wazir - die Interessen und die Gesundheit der Anwohner erneut auf der Strecke geblieben sind.