30. Juni 2015 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Flüchtlingspolitik in Hamburg
Rund 33.000 Flüchtlinge halten sich aktuell in Hamburg auf. Von Januar bis Ende April 2015 kamen 4.318 Flüchtlinge in die Hansestadt, im Vergleichszeitraum 2014 nur 1.593. Die Behörden müssen ständig neue Unterkünfte erschließen und Planungen überarbeiten. Der wachsende Flüchtlingsstrom stellt als die Verwaltung der Stadt, die politischen Entscheider und ihre BürgerInnen vor immer größere, vor allem organisatorische Probleme.
Der Senat erwartet in diesem Jahr 10.000 AsylbewerberInnen, laut einer aktuellen Pressemeldung sogar 11.500, die in einer öffentlichen Einrichtung untergebracht werden müssen. Im letzten Jahr kamen 13.042 Flüchtlinge nach Hamburg, von denen 6.970, nämlich 6.638 Asylsuchende und 332 Duldungsantragsteller, in Hamburg geblieben sind.
Nicht berücksichtigt sind dabei die Menschen, die in Hamburg einen Asylantrag stellen und zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht werden. Ende Mai 2015 gab es dort 4.598 belegte Plätze. (DKS 21/681, S. 4). Hinzu gerechnet werden müssen zudem die 1.032 Ende Mai im Rahmen der Jugendhilfe betreuten minderjährigen und unbegleitet eingereisten Flüchtlinge plus 582unbegleitet und minderjährig eingereiste, inzwischen aber volljährige Flüchtlinge, die Hilfen für junge Volljährige erhalten. Es geht also bis Ende dieses Jahres insgesamt um mindestens 28.000 Menschen (inkl. Wohnungslose), die in Erst- und Folgeeinrichtungen untergebracht werden müssen.
Ende Mai gab es in Hamburg 32.624 (offiziell registrierte) Flüchtlinge. Etwa 15.000 hatten eine Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, 7.250 eine Niederlassungserlaubnis, 5.700 eine Aufenthaltsgestattung und 4.700 eine Duldung.
Um die Flüchtlinge, aber auch die wachsende Zahl an Obdachlosen, unterbringen zu können, muss die Zahl der in öffentlichen Einrichtungen vorhandenen Plätze von 12.000 Ende 2014 auf 22.000 Ende dieses Jahre steigen. Deshalb macht der Senat jetzt Druck auf die Bezirke. Weil noch Standorte für die Unterbringung von 3.300 Menschen fehlen, sind die Bezirksamtsleiter nun aufgefordert, öffentliche Parkplätze sowie Fest- und Zirkusflächen an die Sozialbehörde zu melden. Dabei sollten sie sowieso schon jede geeignete Fläche anbieten. Mit dieser Maßnahme soll das Vorhaben, in diesem Jahr 10.000 Plätze zu schaffen, offenbar beschleunigt werden. Bislang können laut Sozialbehörde nur 6.700 Plätze »realisiert werden«.
Wie groß das soziale Problem ist, zeigt sich an folgenden Zahlen: Vor fünf Jahren lag die Zahl der in der Stadt untergebrachten Zuwanderer (ohne Erstaufnahme und unbegleitete Flüchtlinge) bei 7.811, also bei einem guten Drittel dessen, was in diesem Jahr erwartet wird. Noch 2012 hat sich die Sozialbehörde darauf eingerichtet, 1.000 zusätzliche Unterbringungsplätze zu schaffen. Das Ziel für dieses Jahr sind jetzt 10.000 Plätze.
Natürlich ist die Aufnahme von so vielen Menschen, die in Hamburg Zuflucht suchen, für die Stadt auch eine große finanzielle Herausforderung. Aber die ist unter den aktuellen ökonomischen Rahmenbedingungen durchaus zu bewältigen. So hat Hamburg in 2014 etwa 300 Mio. Euro für die Flüchtlingshilfe aufgebracht (eine endgültige Abrechnung liegt noch nicht vor). Das war doppelt so viel wie geplant. Für die laufenden Kosten für die Unterbringung (inkl. zusätzlichem Personal), gesetzliche Leistungen, Schule und flankierende Leistungen wurden etwa 200 Mio. Euro, für notwendige Investitionen zur Schaffung von Kapazitäten in der öffentlichen Unterbringung (inkl. Wohnungslose) 100 Mio. Euro ausgegeben.
Finanzieren konnte der Senat die Mehrausgaben aus den im Etat 2013/2014 noch vorhandenen Reservemitteln. So wurden 100 Mio. Euro aus gegenüber der Planung niedrigeren Zinsausgaben zur Finanzierung verwendet. Daneben wurde auf die Titel »Rückstellung für noch zu konkretisierende Investitionsmaßnahmen« und »Globale Mehrausgaben für Haushaltsrisiken und Budgetaufstockungen« zurückgegriffen.
Logischerweise werden die Ausgaben für die Flüchtlingsbetreuung und Unterbringung in diesem und den nächsten Jahren noch einmal deutlich steigen. Diese Kosten sind im Haushaltsplan 2015/2016 trotz Steigerung gegenüber den Vorjahren deutlich zu niedrig angesetzt. So sind im Einzelplan der BASFI für 2015 und 2015 nur 14.038 Plätze für öffentliche Unterbringung (10.636 für Zuwanderer und 3.402 für Wohnungslose) vorgesehen. Tatsächlich aber werden mindestens 22.000 benötigt. Nach aktuellen Pressemeldungen rechnet der Senat denn auch in diesem Jahr mit weiteren Mehrausgaben von etwa 300 Mio. Euro gegenüber dem Haushaltsplan. Die Bürgerschaft soll darüber allerdings erst im September informiert werden und abstimmen können. Was schon bekannt ist: Der Bund hat seine Unterstützung für 2015 von 12,5 Mio. Euro auf 25 Mio. Euro verdoppelt. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagte dazu: »Ich bin überzeugt, dass es im Verlaufe des Jahres nicht nur zu kurzfristigen Lösungen für die aktuellen Herausforderungen kommen wird, sondern auch zu langfristigen strukturellen Veränderungen, damit Bund und Länder und Kommunen die Aufgabe gemeinsam schultern.«
Aber auch diese finanzielle Belastung ist für die Stadt durchaus tragbar. Denn erstens kann sie 2015 erneut mit Steuermehreinnahmen von 700-800 Mio. Euro rechnen. Zweitens hat der Senat, wie in den Haushaltsplänen zuvor, Reservepositionen für Haushaltsrisiken und Budgetaufstockungen eingestellt, auf die zurückgegriffen werden kann. Und drittens zahlt die Bundesregierung in diesem Jahr zusätzlich eine Mrd. Euro an Länder und Kommunen zur Bewältigung der Kosten der Flüchtlingsunterbringung, von denen ein entsprechender Anteil auf Hamburg entfällt.
Finanziell ist Hamburg bei der Flüchtlingshilfe nicht überfordert. Zufriedensein kann man allerdings nicht mit der der politischen Planung, der Organisation der Hilfsangebote und der Kommunikation mit den Initiativen und der Bevölkerung in den Quartieren. Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung ist umso dringlicher, als die Präsenz der Flüchtlinge durch die notwendige Verteilung über die ganze Stadt mehr und mehr im Alltagsleben vieler BürgerInnen ankommt. Eine bessere Planung, die nüchtern die voraussichtlichen Bedarfe kalkuliert und öffentlich macht, das engagierte Eintreten für eine Willkommenskultur, die Aufklärung über Standortvorhaben, die BürgerInnen rechtzeitig informiert, etc. sind unverzichtbar, um zu verhindern, dass aus Hilfe suchenden Menschen Sündenböcke für gesellschaftliche Fehlentwicklungen werden, die sie nicht zu verantworten haben.
Die CDU – angetrieben vom ideologischen Wettstreit mit der AFD – wirft dem rot-grünen Senat generelle Defizite in der Flüchtlingspolitik vor. Den Verantwortlichen fehle der Überblick, an welchen Unterbringungsstandorten es zu Überbelegungen komme. Künftig werde die CDU jeden Monat ein sogenanntes Flüchtlingsmonitoring vom Senat einfordern, um angebliche Defizite der rot-grünen Flüchtlingspolitik aufzudecken. Hintergrund der Kritik ist, dass die CDU-Fraktion wissen wollte, in welchen Flüchtlingsheimen in Hamburg wie viele Menschen leben und aus welchen Ländern sie stammen. Die Sozialbehörde teilte mit, eine solche Auflistung sei aus Zeitgründen nicht möglich. Derzeit würden insgesamt 10.400 Flüchtlinge in Hamburg öffentlich untergebracht. Die Behörde betonte, dass Hamburg so transparent wie kein anderes Bundesland über die Flüchtlingspolitik informiere. Auf der Internet-Seite der Behörde könne sich jeder über die Standorte der Flüchtlingsunterkünfte und deren Kapazität informieren.
Die CDU schielt auf die rechtspopulistische Stimmung. Auch in Hamburg gewinnen die politischen Kräfte an Einfluss, die die »Lösung« der Flüchtlingsfrage vor allem in einer weiteren Verschärfung des Asylrechts und dem repressiven Umgang mit den Flüchtlingen suchen. So fordert etwa die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Karin Prien »eine massive Beschleunigung der Verfahren« sowie die »konsequentere Rückführung von ausreisepflichtigen Flüchtlingen, auch zur Reduzierung von Migrationsanreizen«. Daneben müsse Hamburg mit den Bundesländern über eine Änderung des Verteilungsschlüssels verhandeln sowie eine Unterbringung gegen Kostenerstattung in den norddeutschen Nachbarländern. Innen- und Sozialpolitiker der Hamburger CDU haben sich auf ein gemeinsames Papier zur Flüchtlingspolitik geeinigt. Der Antrag setzt zum einen auf ein härteres Vorgehen gegen Menschen, die allein aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland eingereist sind, ohne an Leib und Leben verfolgt zu sein. Auf der anderen Seite aber fordert die CDU eine bessere Unterstützung für die aus Kriegsgebieten Geflohenen.
Abschieben ist gewiss keine Lösung des Problems. Auch in Hamburg muss man sich darauf einstellen, dass die hier schutzsuchenden Menschen länger im Land bleiben werden als jene, die Anfang der 1990er Jahre nach Deutschland kamen. Deshalb wird die Zahl der Flüchtlinge insgesamt zunehmen. Was auch keine Lösung des Problems ist: Die personelle Ausstattung der Stadt Hamburg für die Betreuung und Versorgung von Flüchtlingen hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Ein verbessertes Angebot an Sprachkursen, Bildung und Fortbildung, weitere Verbesserungen beim Gesundheitsschutz und Öffnung des Arbeitsmarktes sind die Ansätze für einen humanitären Umgang mit der wachsenden Flüchtlingsbewegung.