19. August 2014 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Ende der Rotstiftpolitik in Hamburg?
In der kommenden Woche beginnt die Hamburgische Bürgerschaft mit den Beratungen zum neuen Doppelhaushalt 2015/2016, dessen Entwurf jetzt den Fraktionen zugeleitet worden ist. Im Vorfeld dieser Debatte sorgt Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) für eine positive Überraschung: Die finanzielle Situation der Stadt habe sich vor allem wegen sprudelnder Steuereinnahmen im ersten Halbjahr ein wenig aufgehellt.
Dies ist das Ergebnis der vorläufigen Haushaltsabrechnung zum 30. Juni dieses Jahres. »Die Chancen sind gut, dass wir 2017 mit der Kredittilgung beginnen können, bei anhaltend guter Konjunktur vielleicht sogar noch früher«, sagt Tschentscher. Als Indiz für die gute wirtschaftliche Lage der Stadt verwies er auf die Einnahmen im ersten Halbjahr: »Da sind uns mehr als fünf Milliarden Euro Steuern zugeflossen. Das sind gut 300 Millionen Euro mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum.«
Hamburgs Staatskasse weist per 30.Juni einen »Überschuss« im Haushalt von 572 Mio. Euro aus. Erwartet worden waren bei der Haushaltsplanung für das gesamte Jahr 2014 eigentlich ein Defizit von 360 Mio. Euro und eine Nettokreditaufnahme von 300 Mio. Euro.
Das positive Ergebnis geht vor allem zurück auf die überplanmäßig hohen Steuereinnahmen. Mit 5,156 Mrd. Euro hat die Stadt schon zur Halbzeit 54,5% der fürs Gesamtjahr eingeplanten Steuereinnahmen von 9,456 Mrd. verbucht. Verantwortlich dafür sind vor allem die Lohnsteuer und die Körperschaftssteuer; letztere hat mit 344 Mio. Euro schon 122% des für das ganze Jahr erwarteten Wertes in die Kasse gespült. Auch die Lohnsteuer trägt wegen der guten Beschäftigung zu der gut gefüllten Staatskasse bei.
Daneben haben aber u.a. auch die niedrigen Zinsen zum guten Zwischenabschluss beigetragen. »Trotz der überproportionalen Fälligkeiten im ersten Quartal belaufen sich die Zinsausgaben nur auf 38,8% der Planwerte und liegen 63,7 Mio. Euro unter dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Gründe sind das anhaltend niedrige Zinsniveau sowie die ersparten Zinsen in Folge der in den letzten Jahren hinter den Planwerten zurückliegenden Nettoneuverschuldung.«
Setzte sich diese Entwicklung fort, könnte schon in diesem Jahr in kameralistischer Betrachtung ein ausgeglichener Haushalt erreicht werden. Die Finanzbehörde gibt sich gleichwohl zurückhaltend, weil es erstens deutlich erhöhte konjunkturelle Risiken gibt, deren Wirkungen auf die Steuereinnahmen schwer einzuschätzen sind.
Zweitens kann aus dem Haushaltsverlauf des ersten Halbjahres nicht einfach auf das ganze Jahr hochgerechnet werden, »weil sich die Einnahmen und Ausgaben der Stadt nicht gleichmäßig über das Jahr verteilen.« Fakt ist: Hamburger Firmen blicken skeptischer in die Zukunft. Selbst wenn aktuell mehr als 40% der Hamburger Industrieunternehmen ihre Geschäftslage als gut und nur etwa 7% als schlecht bezeichnen, sind doch die Erwartungen auch wegen der Ukraine-Krise für die kommenden zwölf Monate im Vergleich zum Vorquartal stark eingebrochen.
Die deutsche Industrie hat im Juni den stärksten Auftragseinbruch seit fast drei Jahren hinnehmen müssen. Vor allem die Nachfrage aus dem Euro-Raum ging deutlich zurück. Ökonomen erwarten, dass sich die Produktion in den kommenden Monaten eher schwach entwickeln wird. »Es ist daher zu erwarten, dass sich die Industriekonjunktur in den kommenden Monaten eher moderat entwickeln wird.«
Drittens aber ändern die positiven Zahlen nichts an den strukturellen Problemen der Stadt, die gerade im Haushaltsentwurf 2015/2016 deutlich aufgezeigt werden. In der bisher praktizierten kameralistischen Haushaltsplanung und -abrechnung waren weder die notwendigen Rückstellungen etwa für die Beamtenpensionen berücksichtigt, noch wurde der Wertverlust oder Erneuerungsbedarf der öffentlichen Infrastruktur einigermaßen realistisch abgebildet.
Unter dem Druck der knappen Kassen und einer selbstverordneten Schuldenbremse konnte man in der Vergangenheit Ausgaben oder mindestens Rückstellungen in der Gegenwart unterlassen und lebte mit der Hoffnung, dass in den künftigen Jahren diese Verschiebungen aufgeholt werden können. Eine doppische Betrachtung des Haushaltsverlaufs 2014 musste deshalb zeigen, dass die Stadt von einem Haushaltsausgleich meilenweit entfernt ist und der Vermögensverzehr, und damit das negative Eigenkapital der Stadt, vor allem wegen der viel zu geringen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur (typisch dafür ist, dass im 1. Halbjahr 2014 nur 39,3% der eh schon sehr niedrigen Ansätze für Investitionen auch tatsächlich ausgegeben wurden) auch in diesem Jahr weiter fortgeschritten ist.
Gerade deshalb können wir der apodiktischen Forderung der bürgerlichen Oppositionsparteien in der Hamburger Bürgerschaft, jetzt endlich den Haushaltsausgleich zu vollziehen, nichts abgewinnen. Ganze vorne dabei der Fraktionschef der Grünen Jens Kerstan, der mit seiner Aussage, dass er »eine Sparanstrengung des Senats … aus diesen Zahlen nicht ablesen« könne, wenig haushaltspolitischen Sachverstand erkennen lässt. Denn sowohl der Haushalt 2014 wie auch der Doppelhaushalt 2015/2016 stehen ganz im Zeichen der von den Grünen heftig unterstützten Schuldenbremse – zulasten der Beschäftigten und der BürgerInnen der Stadt.
Der SPD-Senat wäre klug beraten, wenn er den überraschenden finanzpolitischen Spielraum mindestens teilweise (etwa zur Hälfte, das wären 250 Mio. Euro) dazu nutzt, um erstens in die öffentliche Infrastruktur zu investieren (z.B. in die Ausweitung der Förderung des Baus von preiswerten Wohnungen), um damit auch weiteren Vermögensschwund zu verhindern, und zweitens einige dringende soziale Notlagen zu beheben.
Dazu gehört der Bau von Unterkünften für Flüchtlingen, aber auch Maßnahmen zur Qualifikation von Langzeitarbeitslosen. Schließlich aber sollte der SPD-Senat bei aller Freude über Steuermehreinnahmen nicht vergessen, dass wir nach wie vor eine massive Unterfinanzierung bei den öffentlichen Ausgaben haben.
Die »Schuldenbremse« wird nur dann zu einem wirklichen Haushaltsausgleich führen, wenn eine auskömmliche Finanzierung der öffentlichen Angelegenheiten durch eine entsprechende Steuerpolitik sichergestellt wird. Allerdings stellen sich der SPD-Senat wie auch die bürgerlichen Oppositionsparteien in einer unheiligen Großen Koalition in dieser Frage taub.