28. Januar 2020 Redaktion nordLINKS: Hamburg vor der Bürgerschaftswahl
»Einfach machen.« So geht keine linke Alternative
In Hamburg wird in wenigen Wochen die Bürgerschaft neugewählt. Gut vier Wochen vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg konkurrieren SPD und Grüne weiterhin um Platz eins. Allerdings hat die SPD Boden gutgemacht und liegt zu diesem Zeitpunkt klar vorn. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des NDR.
Befragt man die Bürger*innen im Stadtstaat nach den wichtigsten Problemen so stehen das Wohnen bzw. die Mieten und die Verkehrsprobleme bzw. die Mobilität ganz vorne auf der gesellschaftlichen Dringlichkeitsliste. Die Hamburger SPD betont im Wahlkampf, dass sie den Wohnungsmangel seit Jahren konsequent bekämpfe. In Hamburg seien dank des »Bündnisses für Wohnen« seit 2011 mehr als 55.000 Wohnungen gebaut worden, unterstreicht der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD).
Die Mieten in Hamburg seien in den vergangenen beiden Jahren nur noch um jeweils 1,3% gestiegen und »damit langsamer als die Löhne und Gehälter«. Deshalb laute die politische Antwort der hanseatischen Sozialdemokraten auch nicht Mietendeckel oder Mietpreisbremse, sondern Wohnungsbau. Den Wohnungsmarkt auch nur sanfteren Regulierungen zu unterwerfen, komme nicht in Frage.
Für die Hamburger Mieterorganisationen drängt sich der Eindruck auf, dass eine Allianz aus Politik und Wohnungswirtschaft den Mietern Beruhigungsmittel verabreicht. Die Unternehmen sprechen dreist von einem falschen Eindruck der Mieter: »Es gibt eine gefühlte und eine tatsächliche Temperatur auf dem Mietmarkt.« Auch sie wollen keine regulatorischen Eingriffe in den Markt, sondern »verlässliche Bedingungen« für die Unternehmen der Branche.
Die vermeintliche Erfolgsstory von SPD und Wohnungswirtschaft wird damit begründet, dass im vergangenen Jahr in Hamburg der Bau von 12.715 neuen Wohnungen genehmigt worden seien, 1.500 mehr als im Jahr zuvor. Der Bürgermeister klopft sich auf die Schultern: »Keiner anderen Metropole in Deutschland gelingt es so gut wie Hamburg, das Angebot an Wohnraum zu vergrößern, viele günstige Wohnangebote zu schaffen und den Anstieg der Mieten dadurch zu stoppen.« Und Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) ergänzt, »dass in vielen Teilen der Stadt ein breites Angebot an bezahlbaren Wohnraum für Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen vorhanden ist«.
Von einem intakten Mietmarkt kann allerdings keine Rede sein. Denn die unbestrittene Erhöhung des Wohnungsangebotes muss vor dem Hintergrund folgender Entwicklungen gesehen werden:
- Es gibt einen deutlichen Bevölkerungszuwachs;
- in Hamburg fallen große Bestände von Sozialwohnungen aus der gesetzlichen Bindung heraus;
- die Mehrzahl der neuen Wohnungen sind für die Mehrheit der Wohnungssuchenden preislich eine Zumutung.
Eine Umfrage des NDR zu den Mieten bringt daher auch das wenig überraschende Ergebnis: »Im Vergleich zum monatlichen Einkommen der Befragten übersteigen die Mietkosten mehrheitlich 30% des Gesamteinkommens. Diese gelten in den Sozialwissenschaften als kritische Grenze, die – sofern überschritten – aufzeigt, dass Betroffene über ihren finanziellen Verhältnissen hausen.«
Zur Wahrheit über den Mietenwahnsinn in Hamburg gehört auch, dass die Kaltmieten für Neuvermietung in Hamburg laut einer Erhebung von Immowelt zwischen 2009 und 2019 um 42% gestiegen sind – die Inflation betrug im selben Zeitraum 14%.
Also entgegen der parteipolitischen Logik – die Mieter spinnen – gibt es reichlich Gründe dafür, dass die Mietenproblematik zu einem zentralen Problem in der Hansestadt aufgerückt ist. Wenig überraschend daher: Immer mehr Hamburger wollen, dass der Staat in den Wohnungsmarkt eingreift. So das Ergebnis einer Studie, die das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap im Auftrag des NDR durchgeführt hat. 69% der Hamburger stehen einem Mietendeckel positiv gegenüber – und auch unter CDU-Wählern wächst die Akzeptanz für solche Schritte.
Mietendeckel heißt: Weil die bestehende Kluft zwischen der zahlungsfähigen Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen und dem Angebot trotz hoher Neubauten absehbar nicht geschlossen werden kann, muss es ein Moratorium gegen Mietenerhöhungen geben. Dies wäre zu ergänzen durch eine gründliche Überarbeitung des zweijährlichen Mietenspiegels, der zur Zeit faktisch eine automatisierte Mieterhöhungsmaschine ist.
Die SPD dokumentiert ihre Realitätsferne, indem sie für ein Weiter-so eintritt. Die Grünen sind für »Mieten ohne Wahnsinn«, sie schwören auf ihren »11-Punkte-Plan bezahlbares Wohnen für alle«. Darin heißt es: »Die Stadt soll ihre Grundstücke nur noch in Erbpacht für gemeinwohlorientierte Projekte zur Verfügung stellen. Eine zweite städtische Wohnungsbaugesellschaft schafft mehr günstige Wohnungen. In gefragten Vierteln sollen mindestens 50 statt 30% geförderte Wohnungen entstehen und langfristig preisgebunden sein. Wir wollen faire Mieten und faire Vermieter*innen. Deshalb erheben wir bei Mietwucher Bußgeld und belohnen diejenigen, die auf Mieterhöhungen verzichten, mit einem Steuerbonus.«
Wer sich von diesem »utopischen« Programm angezogen fühlt und davon ausgeht, dass es in einer erneuten Koalition mit der Sozialdemokratie umzusetzen ist, leidet selbst an der verbreiteten Realitätsferne. Von der aktuellen Regierungskoalition Rot-Grün ist also keine Politik- und Trendwende auf dem Mietmarkt zu erwarten.
Und die Linkspartei? Ihr Wahlplakat für den Mietendeckel z.B. zeigt, dass auch sie die Wähler nicht wirklich ernst nimmt. »Einfach machen« ist eben nicht so einfach zu machen – weder bei der sozialen Gerechtigkeit, Hamburg für alle, Mindestlohn gegen Armut, Waffenexporte verbieten oder auch als Variation: einfach kostenlos machen, gegen CO2 hilft HVV. Alle diese berechtigten Schwerpunkte haben den Nachteil, dass es angesichts der gesellschaftlichen Widerstände und der politischen Kräfteverhältnisse bei diesen Konfliktthemen kein einfaches Machen geben kann. Der Bezug auf den bei vielen Bürger*innen vorhandenen Überdruss an verbalen Ankündigungen oder Versprechen ist nachvollziehbar, aber die Rhetorik des »endlich Handeln« bleibt Unterkomplex.
Die Meinungsumfragen vor dem Wahltermin signalisieren Bewegung in den politischen Kräfteverhältnissen: Anfang Januar hatten Grüne und SPD gleichauf gelegen, in der jüngsten Umfrage zeigt sich ein kleiner Vorsprung der SPD.
Zwar ist der Abwärtstrend der Sozialdemokratie keineswegs gebrochen: aber es bleibt bemerkenswert, dass die Hamburger SPD trotz des großen Verlustes gegenüber den letzten Bürgerschaftswahlen deutlich bessere Werte realisieren kann als auf Bundesebene, wo sich der Wechsel in der Parteiführung nicht positiv ausgewirkt hat und die SPD weiterhin bei Zustimmungswerten von unter 15% angekommen ist. Außerdem kann die Hamburger SPD offensichtlich im Wettbewerb mit den anderen politischen Kräften einen weiteren Niedergang vermeiden.
Sollte dieser Terraingewinn bis zum Wahltermin verteidigt werden können, kann sich Hamburg auf eine Fortführung der rot-grünen Koalition einstellen. An den für große Bevölkerungsteile drängenden Problemen – Wohnen/Mieten und Mobilität dürfte sich daher wenig verändern.
Folgt man den Umfragen, dann bleibt die CDU erneut deutlich unter 20% hängen (2015 waren es knapp 16%). Wegen der »vielen eigenen und bedeutend besseren Ideen« auf der politischen Sachebene hoffte die Partei, dieses Mal mindestens 20% der Stimmen zu bekommen – und natürlich soll damit dann in einer Regierungskonstellation mit den Christdemokraten auch ein Teil der Macht an die Partei gehen, die zuletzt im Jahr 2011 mit Christoph Ahlhaus den Bürgermeister stellte und danach kräftig abrutschte.
Geht es nach Hamburgs Altbürgermeister Ole von Beust, sollte die CDU nach den Wahlen ein Bündnis mit den Grünen und den Liberalen anstreben. Zugleich übt er harte Kritik am Auftreten der SPD im Wahlkampf und wirft ihr Hochmut vor. »Mir kommt der Hamburger Wahlkampf skurril vor. Die SPD ist auf der Hochmutsskala wieder dort angekommen, wo sie schon 2001 war, als sie abgewählt wurde. Wenn Sozialdemokraten es als unzumutbar empfinden, dass ein Mitglied der Grünen statt der SPD die Richtlinienkompetenz in der Stadt übernehmen könnte, dann frage ich mich, wo wir leben. Die Antwort heißt Demokratie, und mit der muss auch die SPD umgehen.«
Ole von Beust lässt zudem erneut durchblicken, dass die CDU in den urbanen Zentren wie Hamburg mit einer konservativen Programmatik und Strategie wegen Chancen habe. Die CDU gewinne Wahlen in Großstädten nur mit einer Offenheit und Liberalität. Allerdings müsse die Basis stimmen, weshalb die CDU zugleich Partei der inneren Sicherheit, der Industrie und Wirtschaft bleiben müsse. Nur mit einer solchen Aufstellung gäbe es auch eine Chance für eine andere Koalition im Bündnis mit Grünen und FDP.
Die Umfrageergebnisse zeigen auch einen Rückgang der Akzeptanz für DIE LINKE an. Das Ziel eines zweistelligen Ergebnisses ist in weite Ferne gerückt. Auch hier zeigt die Realitätsferne politische Folgen. Wer schon mit »einfach machen« in den Wahlkampf zieht, müsste zumindest bereit und willens sein, sich auf eine Regierungsbeteiligung einzulassen. Dass es für viele Menschen nicht gleichgültig ist, wer regiert, machen bei allen zugestandenen Schwierigkeiten Bremen, Berlin und Thüringen deutlich.
Soll ein Mietenmoratorium für einige Jahre durchgesetzt werden, was die Lage für viele Mieter*innen deutlich entlasten würde, wird das nicht mit einer bloßen Oppositionsrhetorik erreicht werden können. Die absehbare Verfehlung der selbst gesteckten Wahlziele wird vermutlich in der Linkspartei weder eine selbstkritische Diskussion noch gar ein politisches Beben auslösen. Vielleicht – und dies wäre wenigstens ein kleiner Beitrag in Richtung Rückgewinnung von Realitätsbezug – könnte von dem Wahlergebnis ein Beitrag zur Strategiediskussion ausgehen, die in Kassel kurz nach der Hamburg-Wahl zur Überwindung der Orientierungslosigkeit in der Linkspartei angesetzt worden ist.