4. Mai 2012 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Die Verrohung des Arbeitsmarktes in Hamburg
IG-Metall-Chef Berthold Huber prangerte auf der 1. Mai-Kundgebung in Hamburg »die Verrohung des Arbeitsmarktes« an. Diese treffe jungen Kollegen besonders hart. »Immer mehr landen in der Leiharbeit. So darf der Start in das Berufsleben nicht aussehen.« Entgegen den Parolen von einem sich abzeichnenden Fachkräftemangel ist gerade im regionalen Beschäftigungsbereich die Luft raus.
Eine Frühjahrsbelebung auf dem Hamburger Arbeitsmarkt hat es nicht gegeben: Im April waren 71.639 Menschen arbeitslos und damit 366 weniger als im März. Aber das sollte niemanden beunruhigen, sagt Hans-Martin Rump, stellvertretender Geschäftsführer der Hamburger Arbeitsagentur. Denn schon seit Jahren entwickelten sich die Zahlen bei Frühlingsanfang eher verhalten. In Hamburg finde die Arbeitsmarktbelebung traditionell im Spätsommer und Herbst statt.
Gegenüber dem Vorjahresmonat waren 4.074 weniger Menschen arbeitslos gemeldet, so Rump. Die Arbeitslosenquote liegt aktuell bei 7,7%, nach 7,8% im März und 8,1% im April 2011. Hamburg verzeichnet den Angaben zufolge derzeit eine starke Nachfrage nach Mitarbeitern in der Gesundheitswirtschaft, im Handel oder der Gastronomie.
Auch Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur Hamburg, gibt sich optimistisch: »Es gibt keinen Grund für Pessimismus. Zwar liegt das Wachstum bei den sozialversicherungspflichtigen Stellen bundesweit derzeit bei 2,6% gegenüber 2,4% in Hamburg. Doch die derzeit 850.000 Arbeitsplätze sind ein Spitzenwert für die Hansestadt. Die Zahl der Arbeitslosen wird -– abgesehen von saisonalen Schwankungen – weiter sinken. Im Oktober oder im November werden wir unter die Marke von 65.000 Arbeitslosen kommen.«
Dieser Optimismus ist wenig begründet. Die einschlägigen wirtschaftlichen Indikatoren zeigen, dass auch Deutschland und damit Hamburg vor einem Wirtschaftsrückgang steht – mit entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt. Zudem hat die Hamburger Wirtschaft Strukturprobleme, die sie der Entwicklung in anderen Bundesländern hinterhinken lässt. Darauf hat erst kürzlich das HWWI hingewiesen.
Mit einem Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts von lediglich 1,4% fiel Hamburg in 2011 deutlich hinter den Bundesdurchschnitt zurück und lag damit sogar hinter den wirtschaftlich von Tourismus und Landwirtschaft stark geprägten Ländern Mecklenburg-Vorpommern (1,5%) und Schleswig-Holstein (2,2%). »Aus unserer Sicht zeichnen der geringe Anteil wachstumsorientierter Industrien und der breite Dienstleistungssektor in Hamburg für diese Entwicklung verantwortlich« , erläuterte Prof. Michael Bräuninger vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Der konjunkturelle Aufschwung ist hier deutlich schwächer. »Die geringe Konjunkturabhängigkeit des Dienstleistungssektors hat in der Krise stabilisierend gewirkt, erweist sich in Phasen des Aufschwungs aber als Hemmschuh«, so Prof. Bräuninger weiter. »Dieser Effekt und das schwache Wachstum im Verarbeitenden Gewerbe in Hamburg konnten durch die starke Stellung des Hafens und der Hafenwirtschaft nicht ausgeglichen werden«, resümiert der Wissenschaftler. Und selbst bei der vermeintlichen Dynamik der maritimen Wirtschaft tauchen mehr und mehr Zweifel auf.
Diese Tendenz soll sich in diesem Jahr fortsetzen mit dem Effekt, dass Hamburg mit einem BIP-Wachstum von 0,4% erneut unter dem Bundesdurchschnitt liegen wird. »In Hamburg dürfte die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung dabei erneut – wenn auch nur noch leicht – hinter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt zurückbleiben. Der Grund ist der große Dienstleistungssektor, der von der Verbesserung des weltwirtschaftlichen Umfelds nur teilweise profitieren wird, und eine verhaltene Entwicklung in einigen Dienstleistungsbereichen. Die Hafenwirtschaft wird dagegen an Dynamik zulegen.«
Auf die Strukturschwäche der Hamburger Wirtschaft mit ihrer starken Abhängigkeit von der Hafenlastigkeit müsste mit einer entsprechenden Struktur- und Arbeitsmarktpolitik reagiert werden. Tatsächlich aber herrscht die Auffassung vor, auch in der Region könne man die Entwicklung getrost den Marktkräften überlassen.
Das ist riskant und unbedacht. Immer noch sind deutlich mehr als 100.000 Hamburger BürgerInnen »unterbeschäftigt«. Die Unterbeschäftigung (ohne Kurzarbeit) spiegelt das Ausmaß an Arbeitslosigkeit sehr viel klarer wieder als die Zahl der registrierten Arbeitslosen, weil sie vor allem TeilnehmerInnen in Maßnahmen der Arbeitsförderung oder in einem arbeitsmarktbedingten Sonderstatus einbezieht. Hier weist die Statistik mit 104.812 Betroffenen zwar im Vergleich mit dem Vorjahresmonat einen Rückgang um 7,8% aus, aber der ist ausschließlich bedingt durch die von der schwarz-gelben Bundesregierung erzwungenen Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik.
So ist die Zahl der Teilnehmerinnen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen innerhalb einer Jahres um 25% zurückgegangen, Besonders drastisch wurde bei den Arbeitsgelegenheiten gekürzt. Der tendenziell geplanten Abschaffung entspricht nun keineswegs eine Ausweitung etwa im Bereich Qualifikation. Eine untaugliche Maßnahme wird schrittweise kassiert, ohne Schlussfolgerungen zu ziehen, was der BA-Chef Fock klar ausspricht: »Ein-Euro-Jobs sind hier nicht effizient. Wir haben für 2012 die Zahl der Stellen noch einmal um 500 auf 4.400 erhöht. Damit liegen wir im oberen Bereich, der von Experten empfohlenen Größe von 1.200 bis 6.000 Ein-Euro-Jobs. Der Etat des Jobcenters wird weiter sinken. Nach 110 Millionen Euro 2012 möglicherweise auf noch 89 Millionen Euro 2013. So wird es künftig auch weniger Ein-Euro-Jobs geben.«
Dabei gehören gerade Langzeitarbeitslose, ältere Arbeitslose und Behinderte zu den Verlierern auf dem Hamburger Arbeitsmarkt. So ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen im April 2012 im Vorjahresvergleich um fast 6,4% gestiegen und bei den Arbeitssuchenden, die 55 Jahre und älter sind ist, stagniert die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau. Gerade unter den gegenwärtigen Bedingungen gäbe es gute Chancen eine deutliche Verbesserung auf dem Hamburger Arbeitsmarkt einzuleiten.
Der SPD-Senat hat sich bisher unter Verweis auf die notwendige Haushaltssanierung (»Schuldenbremse«) geweigert, die Kürzung der Mittel für Arbeitsmarktpolitik durch schwarz-gelbe Bundesregierung auch nur ansatzweise auf Hamburger Ebene zu kompensieren. Diese arbeitsmarktpolitische Tatenlosigkeit und die weitere Zusammenstreichung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen irritiert den Chef der Hamburger Arbeitsagentur keineswegs.
Das sind keine guten Aussichten für Hamburgs Beschäftigte wie Arbeitslose. Die Stadt ist schlecht aufgestellt für die Bewältigung der kommenden konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen.