6. Mai 2021 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Die Pandemie verschärft die Strukturschwäche des Hamburger Arbeitsmarktes
In der Hamburger Wirtschaft werden die Auswirkungen der Corona-Krise rigoros aufgedeckt: Hamburgs Wirtschaft ist stark geschädigt. Nach vorläufigen Berechnungen für das Jahr 2020 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP; Wert aller erzeugten Güter und Dienstleistungen) in Hamburg gegenüber 2019 nominal (in jeweiligen Preisen) um 4,4% gesunken.
Unter Berücksichtigung der Preisveränderungen ergab sich eine reale Minderung der Wirtschaftsleistung um 5,8%. In absoluten Zahlen schrumpfte das BIP in Hamburg um 5,5 Mrd. Euro. Mit diesem Ergebnis gehört Hamburg zu den Schlusslichtern unter den Bundesländern. Nur in Bremen (-7,0%) und dem Saarland (-6,7%) gab es einen noch stärkeren Wirtschaftseinbruch. In Deutschland insgesamt sank das Bruttoinlandsprodukt nominal um 3,4% und real um 4,9%.
Damit steht Hamburg mit starken wirtschaftlichen Schwerpunkten bei (Flugzeug-) Industrie, Hafenwirtschaft, aber eben auch Tourismus und Dienstleistungen deutlich schlechter da als die Republik insgesamt. Die Corona-Beschränkungen haben Gastronomie und Hotellerie besonders stark getroffen, weil der touristische Fremdenverkehr mit den Corona-Lockdowns praktisch zum Erliegen gekommen ist.
Auch das Hamburger Verarbeitende Gewerbe zeigt 2020 gegenüber 2019 einen starken Rückgang um nominal 13,0% und real 13,8%. Die Einbußen fallen damit stärker als auf Bundesebene aus, wo sich Rückgänge im Verarbeitenden Gewerbe um nominal 9,9% und real um 10,5% zeigen. In allen drei für Hamburg bedeutsamen Bereichen Maschinenbau, »Sonstiger Fahrzeugbau« und »Reparatur und Installation von Maschinen und Ausrüstungen« kam es teils zu starken Einbußen im Vergleich zum Vorjahr.
Die Dienstleistungsbereiche insgesamt zeigen in Hamburg einen Rückgang um nominal 2,7% und real 4,9%. Auch in diesem Bereich fallen die Einbußen im Vergleich zur Bundesebene stärker aus (nominal minus 1,9% und real minus 4,3%). Hervorzuheben sind hier die sehr deutlichen Einbußen im Gastgewerbe. Der Einzelhandel konnte sich hingegen vergleichsweise gut behaupten.
Arbeitsmarkt Hamburg »mächtig ins Schwanken geraten«
Die Lage auf dem Hamburger Arbeitsmarkt ist entsprechend trostlos. »Wir können es drehen und wenden wie wir wollen, der Hamburger Arbeits- und auch Ausbildungsmarkt ist trotz Kurzarbeit und flankierenden Wirtschaftshilfen mächtig ins Wanken geraten. Die Gesamtbeschäftigung liegt nach wie vor bei über eine Million Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber die Corona-bedingte Steigerung der Sockelarbeitslosigkeit ist – je nach Betrachtung – binnen eines Jahres um über 20.000 angestiegen«, so der Chef der Hamburger Arbeitsagentur, Fock.
Von dieser Entwicklung sind praktisch alle Zielgruppen des Arbeitsmarktes berührt. Jüngere unter 25 Jahre sind, entgegen mancher Aussagen, weniger, die Gruppe der Langzeitarbeitslose dagegen stärker betroffen. »Auch wenn die Wirtschaftsprognosen mit der zunehmender Impfquote positiver ausfallen, die gemeldeten Stellenangebote Hamburger Unternehmen bleiben weit unter dem Niveau des Jahres 2019. Auch auf dem Ausbildungsmarkt verspüren wir Zurückhaltung und Verunsicherung, in einigen Branchen stehen derzeit deutlich weniger Stellen zur Verfügung.«
Entwicklung der Arbeitslosigkeit
Von Januar bis März 2020 reduzierte sich die Arbeitslosigkeit in der üblichen Frühjahrsbelebung auf 66.533 Arbeitslose, die Arbeitslosenquote betrug 6,3%. Als die Corona-Pandemie Hamburg erfasste, entwickelte sich das Kurzarbeitergeld zum Rettungsanker für Betriebe und deren Beschäftigte. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 77.500 im April, 84.400 im Mai und im Juli mit 91.140 auf einen Höchstwert. Danach verblieb die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau. Aktuell sind 85.780 Hamburger*innen arbeitslos gemeldet, damit erhöhte sich die Sockelarbeitslosigkeit aufgrund der Pandemie um fast 20.000 im Vergleich zum März 2020 und nunmehr um 8.262 oder 10,7% zum Vorjahresmonat April 2020. Die Arbeitslosenquote liegt bei 8,0%.
Hamburg Spitze beim Anstieg der Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosigkeit lag im April 2021 in den weitaus meisten Bundesländern über den Vorjahreswerten. Dabei haben sich in allen Länder die Vorjahresabstände im Vergleich zum März deutlich verringert bzw. sind negativ geworden, weil nun erstmals mit einem Monat verglichen wird, der von der Corona-Krise beeinflusst war. Den größten Zuwachs gab es weiterhin in Berlin mit 15%, danach folgt Hamburg mit einem Plus von knapp 11%. Einen nennenswerten Rückgang verzeichnete dagegen Sachsen-Anhalt mit -2%, nach +12% im März.
Unterbeschäftigung1
Von Unterbeschäftigung, die die Zahl der tatsächlich Arbeitslosen präziser erfasst, sind 110.099 Personen betroffen, 547 oder 0,5% unter dem Vormonatswert, aber ein Anstieg um 7.793 oder 7,6% Prozent zum April 2020.
- Die Gruppe der 85.780 Arbeitslosen bildet, wie im Vormonat, in der Unterbeschäftigung mit 77,9% die größte Teilmenge.
- 36.077 Hamburger*innen sind aufgrund von Kündigung oder befristetem Arbeitsverhältnis zwar noch beschäftigt, aber bereits als arbeitsuchend gemeldet und erhalten Jobangebote. Sie bilden die Differenz zwischen allen Arbeitsuchenden (146.175) und den Personen, die der Unterbeschäftigung zuzurechnen sind (110.099).
Dramatischer Höhenflug der Arbeitslosigkeit trotz Kurzarbeit
Die Lage am Hamburger Arbeitsmarkt ist zweifellos desaströs. Das wir bisher nicht die Schwelle von 100.000 Arbeitslosen überschritten haben, liegt vor allem an der Kurzarbeit. Rund 114.000 Hamburger*innen befinden sich in Kurzarbeit. »Seit zwölf Monaten zeigen uns Hamburger Betriebe Kurzarbeit an, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterhin in Lohn und Brot zu halten, um sie schnell wieder produktiv(er) einzusetzen, wenn die Dynamik in der Wirtschaft endlich wieder an Fahrt gewinnt«, so Fock. Es setzt darauf, dass mit der weiteren Rücknahme der Beschränkungen durch die Corona-Pandemie, die Zahl der Kurzarbeiter*innen – wie im Sommer letzten Jahres – wieder deutlich zurückgeht.
Seit März 2020 In Hamburg haben 32.527 Betriebe (oder Betriebsabteilungen) Kurzarbeit für ihre Mitarbeiter*innen angezeigt. Vorsorglich gemeldet wurden über 450.000 Beschäftigte. Die Spitze bei der tatsächlich realisierten Kurzarbeit wurde im April 2020 erreicht, als 17.235 Betriebe für 204.126 Lohnabhängige Kurzarbeit in Anspruch nahmen. Danach sank die Zahl der von Kurzarbeit betroffenen Kolleg*innen bis Oktober auf 82.311, um dann mit den erneuten Lockdown-Maßnahmen bis Januar 2021 auf 111.307 zu steigen. Auch im Februar und März dürfte sie auf diesem hohen Niveau geblieben sein.
In einem Jahr zahlte die Bundesagentur für Arbeit etwa zwei Mrd. Euro Kurzarbeitergeld an Hamburger Firmen aus.
Die Verlierer
Auch die Kurzarbeit ist mit z.T. deutlichen finanziellen Einkommenseinbußen verbunden, vor allem wenn sie nicht durch tarifliche Regelungen abgesichert ist. Besonders betroffen von den sozialen Folgen der Pandemie aber sind vor allem die Arbeitslosen. Bei ihnen ergeben sich mit Blick auf den coronabedingten Gesamtanstieg der Arbeitslosen um fast 20.000 oder 28% unterschiedlich starke Veränderungen:
- Bei den Jüngeren Lohnabhängigen unter 25 Jahren gab es einen Anstieg von 139 oder 2,1% auf 6.744 Arbeitslose.
- Die älteren Lohnabhängigen dagegen (über 50 Jahre) konnten trotz Lebens- und Berufserfahrung einen Anstieg um 3.360 oder 17,3% auf fast 25.000 nicht abwenden.
- Menschen mit Behinderung mussten einen Zuwachs von knapp 10% (9,8%) oder 327 auf 3.677 hinnehmen, dies ist ein Anteil von 4,3% an der Gesamtarbeitslosigkeit.
- Lohnabhängige ohne deutschen Pass haben einen Anteil von 35,1% an der Gesamtarbeitslosigkeit in Hamburg. Über 30.000 (30.067) suchen derzeit eine Arbeit, dies sind 3.298 oder 12,3% mehr als vor einem Jahr.
- Besonders für Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, die mit fast 49.000 (48.958) einen Anteil von 57,1% ausmachen, hat Corona für zusätzlichen Druck gesorgt. Ohne berufliche Qualifikation ist eine längerfristige Arbeitsaufnahme in der aktuellen Arbeitsmarktlage besonders schwierig. Im März 2020 waren noch 38.000 Hamburger Un- und Angelernte arbeitslos gemeldet, 13 Monat später sind es 11.000 oder fast 30% (28,9%) mehr. Im Jahresvergleich stieg ihr Bestand um 4.772 oder 10,8%.
Dramatischer Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit
Mit Beginn der Pandemie im März 2020 ist die Arbeitskräftenachfrage Hamburger Unternehmen völlig zum Stillstand gekommen. Arbeitslose Menschen sahen sich einem verschlossenen Arbeitsmarkt gegenüber, der mit Kurzarbeit, einbrechenden Umsätzen, Lockdowns und gesundheitlichen Problemen umgehen musste. Vorstellungstermine, Probearbeiten oder befristete Jobs waren ein seltenes Gut geworden. Damit stieg die Dauer der individuellen Arbeitslosigkeit, bis hin zur Langzeitarbeitslosigkeit, die bei 12 Monaten eintritt.
Mit insgesamt 29.212 ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen innerhalb eine Jahres besonders stark angestiegen, ein Plus von 11.440 oder 64,4%. Besonders ist, dass der Übergang in die Langzeitarbeitslosigkeit jede und jeden treffen kann. Betrug der Anteil der Langzeitarbeitslosen im März 2020 noch 25%, so macht der aktuelle Anteil über ein Drittel (34,1%) an der Gesamtarbeitslosigkeit aus.
Langzeitarbeitslosigkeit betrifft alle Arbeitsmarktgruppe, die jeweiligen Anteile fallen allerdings unterschiedlich aus und spiegeln die Risiken einer anhaltenden Arbeitslosigkeit wider. Der Anteil an Langzeitarbeitslosen ist bei den An- und Ungelernten mit 18.127 oder 62,1% an allen Langzeitarbeitslosen (29.212) besonders hoch. Ein Drittel aller Langzeitarbeitslosen sind Migrant*innen ohne deutschen Pass, der Anteil langzeitarbeitsloser Akademiker*innen fällt mit 9,7% gering aus.
Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung immer noch auf hohem Niveau
Trotz Corona-Pandemie ist der Beschäftigungsstand in Hamburg insgesamt auf hohem Niveau geblieben. Beschäftigungszuwächse auf der seine Seite, wurden durch konkreten Arbeitsplatzverluste in anderen Wirtschaftsbereichen wettgemacht. So gab es im Februar 2021 insgesamt 1.003.400 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in Hamburger Unternehmen, ein Rückgang von 11.200 im Vergleich zum Februar 2020. Besonders die Dienstleistungsbereiche weisen fast 10.000 (9.800) weniger Jobs aus, der Verlust im sekundären Sektor liegt bei 1.300 oder 0,8%.
Besonders hohe Verluste verzeichnet das Gastgewerbe mit einem Minus von 5.600 oder 13,9%. Damit arbeiten in der Hotellerie und Gastronomie aktuell noch 34.700 im Vergleich zum Februar 2020 mit 40.300 Personen. Ähnlich hohe Einbußen weist die Arbeitnehmerüberlassung mit minus 13,3% (-3.300 Beschäftigten) aus, so dass dort derzeit noch 21.800 Arbeitsplätze besetzt sind. Bei den wirtschaftlichen, technischen, wissenschaftlichen und sonstigen Dienstleistungen beziffert sich der Jobabbau auf insgesamt 6.500.
Zusätzliche Beschäftigung entstanden in der Pandemiephase in den Bereichen Gesundheits-wesen (+ 2.500 oder 3,6 Prozent), Erziehung und Unterricht (+1.600 / 4,1%), öffentliche Verwaltung (+1.600 / 3,4%), Information und Kommunikation (+1.600 / 2,4%) und dem Baugewerbe mit einem Plus von 800 oder 2,2%.
Senat hat keine Zukunftskonzeption
Keine Frage: Hamburg steht vor gewaltigen Aufgaben. Die Lage am Arbeitsmarkt wird sich mit dem Auslaufen der Pandemie sicherlich verbessern. Gleichwohl erfordern die hohe Sockelarbeitslosigkeit und die immens hohe Zahl an Langzeitarbeitslosen weitere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Der rot-grüne Senat wird diesen Anforderungen in keiner Weise gerecht. Das im Januar aufgelegte »Arbeitsmarktprogramm zur Bewältigung der Folgen der Covid-19-Pandemie« mit jeweils 10 Mio. Euro für 2021 und 2022 etwa ist viel zu gering dimensioniert. Und die jetzt vorgelegten 80 Anträge von Rot-Grün im Volumen von knapp 60 Mio. Euro für Etatänderungen in 2021 und 2022 sind im Vergleich zu den 35 Mrd. Euro, die der Senat insgesamt für die Jahre 2021 und 2022 veranschlagt, eher Nachkommastellen. Zudem geht es nicht um zusätzliche Ausgaben, sondern nur um Umschichtungen: »Wir haben alles aus bestehenden Haushaltsansätzen finanziert«, betonte Dennis Paustian-Döscher, Haushaltsexperte der Grünen.
Eine Stabilisierung am Arbeitsmarkt wird zudem nur vorankommen, wenn die Strukturprobleme der Hamburger Wirtschaft angepackt werden. Die darniederliegende Flugzeugindustrie und die Hafenwirtschaft werden selbst nach dem Ende der Pandemie Problembereiche bleiben, von denen keine nachhaltigen Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung zu erwarten sind. Und auch der Tourismus muss sich nach dem Pandemieende neu aufstellen. Für diesen dringend notwendigen sozial-ökologischen Umbau der Hamburger Wirtschaft hat der rot-grüne Senat keinen Plan. Dafür müsste zudem viel Geld für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur in die Hand genommen werden.
Ergänzend zu den laufenden und bereits abgeschlossenen Corona-Hilfsprogrammen für Unternehmen hat der Hamburger Senat zwar ein weiteres Förderpaket beschlossen. Das 30 Mio. Euro starke Programm »Hamburg Digital« richtet sich an kleine und mittelgroße Unternehmen, die ihre Digitalisierung voranbringen und die Informationssicherheit erhöhen möchten. Zusammen mit den bereits beschlossenen Maßnahmen für die Zukunftsfähigkeit der Hamburger Wirtschaft wird Hamburg damit knapp 100 Mio. Euro aus eigenen Mitteln für die Innovationsfähigkeit der Hamburger Wirtschaft ausgeben.
Der gute Wille ist erkennbar, aber die Zukunftsfähigkeit wird weiterhin mit kleiner Münze vorangebracht. Dies schlägt sich dann auch auf dem Bereich der Arbeitsmarktpolitik nieder: Wenn es um das Thema soziale Spaltung geht, die sich ja durch die Corona-Pandemie noch einmal deutlich verschärft hat, glänzt der Senat durch große Ignoranz. Den Herausforderungen durch die Pandemie, aber auch durch den notwendigen Strukturwandel der Hamburger Wirtschaft an die Arbeitsmarktpolitik wird er dadurch in keiner Weise gerecht.
Der Chef der Hamburger Arbeitsagentur, Fock, weist darauf hin, dass es »kein Zurück zum Zustand vor der Pandemie geben« wird, und völlig dahinsteht, wann in Hamburg die die Arbeitslosenzahl vor der Pandemie – also weniger als 70.000 – erreicht wird. »Ich hoffe, dass wir uns im kommenden Jahr dieser Zahl von 70.000 Arbeitslosen wieder annähern.« Die arbeitsmarktpolitische und strukturpolitische Tatenlosigkeit des rot-grünen Senats trägt sicherlich dazu bei, dass die Hoffnung sich als »frommer Wunsch« erweisen könnte.
1) In der »Unterbeschäftigung« werden zusätzlich zu den registrierten Arbeitslosen auch die Personen mitgezählt, die nicht als arbeitslos gelten, weil sie Teilnehmer*innen an einer Maßnahme der Arbeitsmarktpolitik oder sich in einem arbeitsmarktbedingten Sonderstatus befinden. Diese Personen werden statistisch als arbeitsuchend gezählt und können jederzeit eine Beschäftigung aufnehmen, wenn sie eine passende und freie Arbeitsstelle besetzen möchten.