Der rechte Rand

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2. August 2019 Joachim Bischoff / Bernhard Müller

Die öffentlichen Schulden steigen weiter im Hamburger Steuerparadies

Noch Anfang des Jahres tönte Finanzsenator Dressel, dass Hamburg wie Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung (einschließlich aller Extrahaushalte) insgesamt im Jahr 2018 seine Schulden habe reduzieren können.

Die Informationspolitik der rot-grünen Landesregierung ist wirklich schamlos: Im Juni hätten die Länder fällige Altschulden des HSH Finanzfonds in Höhe von 900 Mio. Euro jeweils zur Hälfte aus ihren Landeshaushalten getilgt, teilte die Hamburger Finanzbehörde  mit. »Eine stolze Leistung und trotzdem schmerzhaft«, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). In der Tat wurden im vergangenen Jahr im Kernhaushalt Altschulden in Höhe von 903 Mio. Euro getilgt. Damit sei der der hohe Wert aus dem Jahr davor noch einmal deutlich übertroffen – 2017 wurden bereits 640 Mio. Euro Altschulden abgebaut. Für das Jahr 2018 waren im Haushaltsplan ursprünglich 219 Mio. Euro für die Schuldentilgung vorgesehen.

Allerdings hat die Stadt gleichwohl mit 1,53 Mrd. Euro dennoch so viele neue Schulden machen müssen wie nie zuvor. Denn im Zuge des Verkaufs der HSH Nordbank an US-Investoren mussten die Alteigentümer Hamburg und Schleswig-Holstein jeweils Garantien über 2,44 Mrd. Euro einlösen, mit denen sie für Verbindlichkeiten ihrer Bank gehaftet hatten. Anders formuliert: Statt für das HSH-Drama fast 2,5 Mrd. Euro neue Kredite aufnehmen zu müssen, konnte der rot-grüne Senat diese Belastung durch hohe Überschüsse im Haushalt auf 1,5 Mrd. Euro drücken. Der Schuldenstand im Kernhaushalt (also ohne öffentliche Unternehmen) stieg dadurch auf 23,9 Mrd. Euro.


 
Nimmt man noch die Schulden der Sondervermögen Schulimmobilien Hamburg und Stadt und Hafen dazu, hat der Schuldenstand Ende 2018 bei knapp 26,0 Mrd. Euro gelegen.
Aber selbst diese Zahlen enthüllen nur die halbe Wahrheit. Denn trotz des Jubels über die Haushaltskonsolidierung, der inzwischen etwas verhaltener klingt, rutscht Hamburg immer tiefer in die roten Zahlen. So sind nach einer aktuellen Auswertung des Statistischen Bundesamts zur Verschuldung die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden gesunken. Der Schuldenstand der Länder nahm um 2,7% beziehungsweise 15,9 Mrd. Euro auf 570,5 Mrd. Euro ab. Alle Bundesländer konnten dabei ihre Schulden abbauen – bis auf Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Für Schleswig-Holstein betrug der Anstieg 5,8%, für Hamburg 5,5% und für Bremen 3,3%. Wesentlicher Grund für die Anstiege in Schleswig-Holstein und Hamburg waren Schuldenaufnahmen im Zusammenhang mit dem Verkauf der HSH Nordbank, da der HSH Finanzfonds die Rückgarantie der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2009 in Anspruch genommen hat. Den höchsten Schuldenrückgang hatte Bayern mit -13,9%, gefolgt von Sachsen (-9,4%) und Thüringen (-7,7%).


 
Hamburg und Schleswig Holstein
waren damit die einzigen Länder in Deutschland, deren Verschuldung 2016, 2017 und auch 2018 nennenswert anstieg. 2018 hatte die Hansestadt 34,4 Mrd. Euro Schulden. Sie setzen sich zusammen aus den 23,9 Mrd. Euro Schulden des Kernhaushalts und den 10,5 Mrd. Euro Schulden der Extrahaushalte. Nimmt man noch die Schulden von dem öffentlichen Bereich zuzurechnenden Sonstigen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen in Höhe von 5,1 Mrd. Euro hinzu, kommt man auf eine Gesamtverschuldung von 39,5 Mrd. Euro in 2018. Die Pro-Kopf-Verschuldung betrug (ohne Sonstige Fonds etc.) 18.734 Euro. Und: Die Schulden der Stadt sind seit 2010 um 9,2 Mrd. Euro gestiegen, die Pro-Kopf-Verschuldung um 4.615 Euro.


 
Quelle: Statistisches Bundesamt

In keinem anderen Bundesland haben sich die öffentlichen Finanzen im letzten Jahr so schlecht entwickelt wie in Hamburg. Hamburg hat die größte Neuverschuldung zu verzeichnen. Die Hansestadt hat ihre Verbindlichkeiten 2018 um 5,5% ausgeweitet und damit so stark wie – bis auf Schleswig Holstein – kein anderes Bundesland. Diese Tendenz gilt auch für die nächsten Jahren, wenn weitere Belastungen aus dem Verkauf der HSH Nordbank den öffentlichen Haushalt belasten werden. Immerhin wissen wir seit der Vorlage des Doppelhaushalts 2019/2020, dass der Schuldendienst für die Kredite in Sachen HSH Nordbank den Haushalt schon jetzt mit jährlich 50 Mio. Euro an Zinsen belastet. Die rot-grünen Finanzpolitiker reden beständig über ihre »Erfolge«, aber dass das große Finanzdesaster der HSH Nordbank weiterhin eine große Belastung bleibt, wird nicht betont. Es gibt auch nicht den kleinsten Ansatz zu einer politischen Aufarbeitung dieses Skandals.

Unangemessene Selbstfälligkeit im Paradies für Steuerhinterzieher

Finanzsenator Dressel sieht in der Altschuldentilgung einen Beweis der nachhaltigen Finanzpolitik. »Erfreulich ist auch, dass wir die Auswirkungen der HSH Nordbank auf den Schuldenstand der Stadt begrenzen konnten – das minimiert Belastungen in der Zukunft. Unsere konkret am Wachstum der Stadt ausgerichtete, stringente Ausgabenpolitik sowie sehr hohe Steuereinnahmen und ein niedriges Zinsniveau haben zu diesem gegenüber dem ursprünglichen Plan erfolgreichen Ergebnis beigetragen. Wir gehen den erfolgreichen Pfad von Investieren und Konsolidieren für den Hamburger Haushalt konsequent weiter. Das nächste Ziel ist der doppische Budgetausgleich im Jahre 2024.«

Das »Minimieren von Belastungen« in der Zukunft wird angesichts weiter steigender Schuldenstände ebenso ein frommer Wunsch bleiben wie der doppische Budgetausgleich 2024. Zudem stellt sich die Frage, ob die Altschuldentilgung angesichts der großen Herausforderungen, vor der die Stadt steht, und dazu gehört auch die deutliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, eine kluge politische Entscheidung ist.

Der rot-grüne Senat hat im letzten Jahr seinen in der Vergangenheit begangenen Weg »Pfad von Investieren und Konsolidieren« modifiziert, weil die Politik der strengen Haushaltskonsolidierung die städtischen Defizite immer deutlicher hat zutage treten lassen. Begründet wurde das mit dem Wachstum der Stadt und den sich daraus ergebenden größeren Anforderungen an die öffentliche Infrastruktur. Und in der Tat: Allein der Bevölkerungszuwachs hat anfangen vom Wohnen, über die Bildung bis hin zu Gesundheit und Alter die bisherige Konzeption der Politik der Haushaltskonsolidierung durchlöchert und deren negativen Folgen für die Entwicklung der Stadt noch deutlicher zutage treten lassen: Verfall der öffentlichen Infrastruktur, dramatischer Mangel an preiswertem Wohnraum, Verfestigung der sozialen Spaltung und wachsender Schuldenberg.

Unter dem Druck der Verhältnisse hat der rot-grüne Senat deshalb seine bisherige Politik der Haushaltskonsolidierung (teilweise) korrigiert und nutzt die relativ guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die damit einhergehenden Steuermehreinnahmen, um mit dem Nachtragshaushalt 2018 und dem Doppelhaushalt 2019/2020 mit einer deutlichen Steigerung der Ausgaben einige Fehlentwicklungen in der Stadt zu korrigieren. Dies ist gut so, reicht aber nicht aus. Vor allem fehlt dahinter ein Plan für Hamburgs Zukunft. Das bloße Reagieren auf sich auf städtische Notlagen führt nur zu einer Mangelwirtschaft in Permanenz. Zudem muss bezweifelt, ob schon allein die aus den jährlich 20.000 neuen Bewohner*innen sich zusätzlich ergebenden Anforderungen an die öffentliche Infrastruktur (vor allem Verkehr, Wohnen) und die staatlichen Dienstleistungen mit diesen Ausgabesteigerungen bewältigt werden können – geschweige denn die Beseitigung der sich über lange Jahre aufgebauten strukturellen Defizite. Beispiel Wohnungsbau. Wenn jedes Jahr 20.000 Menschen zusätzlich in die Stadt kommen, reichen die projektierten 3.000 neuen preiswerten Wohnungen nicht einmal aus, um diese Neuankömmlinge unterzubringen. Am Fehlbestand von 80.000 preiswerten Wohnungen ändert sich nichts, im Gegenteil wird er durch Wohnungen, die aus der Preisbindung fallen, nur noch größer.

Die über den Wachstumsfaktor mobilisierten Finanzmittel reichen deshalb nicht aus, um auch nur die Folgen des Bevölkerungszuwachses aufzufangen. Die städtischen Defizite werden vielmehr trotz Mehrausgaben größer. Beispiel Wohnungspolitik: Wenn im Doppelhaushalt 2019/2020 an der Linie festgehalten wird, 3.000 preiswerte Wohnungen im Jahr zu bauen, reicht das nicht einmal, um die Neuankömmlinge unterzubringen, geschweige denn das Problem der strukturell fehlenden 80.000 preiswerten Wohnungen in der Stadt (und jährlich kommen die aus der Sozialbindung fallenden Wohnungen hinzu) anzugehen. Das Gleiche ließe sich für die Bereiche Schulen, Kindergärten oder öffentlicher Nahverkehr sagen. Die hierfür trotz deutlicher Ausgabensteigerung vorgesehenen Mittel sind alles andere als »auskömmlich«. Hinzu kommen die großen Probleme in der Wirtschaftsstruktur Hamburgs. Denn trotz aller Positivmeldungen über Wirtschaftswachstum, hohen Beschäftigungsstand und Rekordeinnahmen bei den Steuern, darf nicht vergessen werden, dass vor allem die Hamburger Hafenwirtschaft immense Probleme hat.

Der rot-grüne Senat hätte deshalb besser daran getan, angesichts des immer noch niedrigen Zinsniveaus die zur Schuldentilgung genutzten Mittel mindestens teilweise für die Investitionen in die großen städtischen Defizite zu nutzen und auch mehr gegen die soziale Spaltung in der Stadt, etwa zur Bekämpfung von Obdach- und Wohnungslosigkeit, zu tun. Das wäre auch angesichts der sich abschwächenden Konjunktur ein wirkungsvoller Beitrag zur Stabilisierung der regionalen Wirtschaft.

Eine weitere Stellschraube, die nicht genutzt wird, sind die Steuerprüfungen. Trotz aller Versprechungen hat sich an den seit Jahrzehnten bekannten Fehlentwicklungen in der Steuerbehörde nichts geändert. Skandalös bezogen auf die kritische Haushaltssituation, aber auch in Sachen Steuergerechtigkeit ist es deshalb, wenn Finanzsenator Dressel in einem Brief an die Bürgerschaft jetzt einräumen muss, dass es zu wenig Finanzbeamte für Betriebsprüfungen gibt. »Ich habe der Bitte der Steuerverwaltung entsprochen, in dieser Phase äußerster Anspannung der Kräfte bei der parallel zu bewältigenden Stärkung der Betriebsprüfung gewissermaßen eine Atempause einzulegen«, schrieb Dressel. Statt wie geplant mehr Betriebe zu prüfen, sollen die Finanzbeamten jetzt die normalen Steuererklärungen schneller bearbeiten. Speziell geprüft werden sollen dann in der Regel nur noch größere Unternehmen.

Die Mahnung des früheren ersten Bürgermeisters der Stadt, Scholz, »Die fetten Jahre sind vorbei« muss auch für die Landespolitik sehr ernst genommen werden. In diesem Sinne sollte eigentlich auch die »fetten Jahre« z.B. für die bisher nur miserabel geprüften Millionäre der Stadt vorbei sein.

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