15. Januar 2014 Joachim Bischoff
Die Hamburg SPD und die Klobürste
Die Hansestadt Hamburg, die große Mehrheit ihrer BürgerInnen, aber auch der wirtschaftlichen und politischen Elite sind stolz auf die Weltoffenheit und Liberalität. Die Elbmetropole hat es in den letzten Wochen zu einer breiten Berichterstattung in den überregionalen Medien gebracht, freilich mit dem Tenor, dass es mit Liberalität und Rechtsstaatlichkeit doch wohl nicht so weit her ist. Als auch die Botschaft der USA eine Reisewarnung herausgab, drohte Hamburg sein Image als liberale Hansestadt zu verlieren.
Seit langem verfügt die Hamburger Polizei über das Instrument der Festsetzung eines Gefahrengebietes. Ein Gefahrengebiet mitten in Hamburg heißt: Die Polizei darf ohne besonderen Anlass BürgerInnen kontrollieren, die ihnen verdächtig vorkommen. In der Folge von gewaltsamen Auseinandersetzungen um die Flüchtlingspolitik und die Gentrifizierung (»Rote Flora«) hatte die Polizeiführung ein großes Areal der Innenstadt zum weiteren Gefahrengebiet erklärt. Die Polizei sprach von einer unvermeidlichen Reaktion auf die Eskalation gegenüber den Staatsorganen. SPD-Innensenator Michael Neumann, der oberste Chef der Hamburger Polizei, unterstützte das Vorgehen. Sowohl in der Stadt als auch überregional rief dieses Handeln auch Irritationen und Widerstand hervor. Seit dem 4. Januar überprüfen Polizisten ohne Anlass Hunderte Personen – weder ein Richter noch ein Parlament müssen den Gefahrenzonen zustimmen.
Der liberale Publizist Prantl wünschte sich ein stärkeres rechtsstaatliches Bewusstsein: »Das Hamburger gehört zu den besonders scharfen Polizeirechten in Deutschland: Es bietet unter anderem die Möglichkeit, ›in einem bestimmten Gebiet‹ jede Person überall und jederzeit anzuhalten und zu durchsuchen. Die Polizei darf also dort, wo sie das für notwendig hält, den kleinen Ausnahmezustand ausrufen, ohne dass ein Richter das genehmigen müsste. Das Hamburger Gesetz ermächtigt die Polizei zur Selbstermächtigung. Es stammt aus dem Jahr 2005, also aus der Zeit der Alleinregierung der CDU in Hamburg. Details regelt das Gesetz nicht. Für die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes spricht daher wenig.«
Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat den harten Kurs in Sachen innerer Sicherheit verteidigt. »Das Instrument hat sich bewährt und wird sich weiter bewähren«, sagte Scholz zu den heftig kritisierten Gefahrengebieten, die Hamburgs Polizei in der Stadt ausgerufen hat. »Die Kontrollen haben die Maßnahme bestätigt«, sagte Scholz im einem Interview . Schließlich habe die Polizei dabei Schlagwerkzeuge und Feuerwerkskörper gefunden. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Polizeigesetzes teilt Scholz nicht. Damit werde »sehr flexibel, souverän und wenig aufgeregt umgegangen«.
Bei den Untersuchungen wurde auch eine Toilettenbürste gefunden und beschlagnahmt. Dieses Haushaltsinstrument wurde in kurzer Frist zum Symbol der zivilgesellschaftlichen Widerstandes in Hamburg aufgewertet. Die Polizeiführung und Stadtregierung knickte angesichts des sich ausbreitenden Spottes ein und hob das neue Gefahrengebiet auf, zwei ältere Anordnungen bestehen freilich weiter.
Hamburgs linke Szene kann sich als Gewinnerin der Konfrontation und des Ausnahmezustands sehen. Nach den Ausschreitungen bei der Demonstration zum Erhalt der besetzten »Roten Flora« war der Unmut der Bevölkerung gegen den Ausbruch der Gewalt nicht zu übersehen. Als dann das Gefahrengebiet dekretiert wurde, schlug die Stimmung um. Der Tenor in vielen Kommentaren ist nach der Beendigung der Eskalation: Hamburg ist um Jahre zurückgeworfen. Denn die Proteste um das besetzte Kulturzentrum »Rote Flora« im Schanzenviertel nahe der City sowie die Flüchtlings- und Wohnungspolitik sind nur die aktuelle Ausdrucksform eines seit Jahren schwärenden Konfliktes.
Die reichste Metropole der Eurozone ist eben eine Mischung aus prägenden Millionärsvierteln und drastischen Armutsquartieren. Der Stadtstaat hat – wie Bremen und Berlin – massive Segregationsprobleme und ist angesichts einer dominierenden Sparpolitik, darauf angewiesen, dass die politische Führung sich um eine Stärkung und Respektierung der Zivilgesellschaft und eines republikanischen Geistes bemüht. Eine Verminderung der Konfliktpotenziale bedarf großer finanzieller Ressourcen und politischer Klugheit, über die die Stadtkultur zur Zeit nur begrenzt verfügen kann.
Bürgermeister Olaf Scholz, im eigenen Lager als Politsprechautomat und autoritärer Fürst verschrieen, hat nach längerer Übergangszeit seine gering ausgebildete Liberalität dekuvriert. Die Kritik der Medien wie vieler Einwohner an der massiven Polizeipräsenz weist er barsch zurück: »Ganz viele Bewohner sagen das Gegenteil. Sie fühlen sich sicherer.« Es sei Aufgabe der SPD, für Recht und Ordnung zu stehen. »Leute, die das nicht mögen, finden es eben nicht gut.« Scholz wiederholt auch seinen Satz aus früheren Jahren: »Ich bin liberal, aber nicht doof.« Das Problem ist nur, dass es gerade potenzielle SPD-WählerInnen nicht unbedingt für schlau halten, wenn die Partei so wenig liberal auftritt. Sie erwarten von Sozialdemokraten keine Law-and-Order-Rhetorik, sondern eine Politik des liberalen Konfliktmanagements.
Abgesehen von den massiven Defiziten in der politischen Kommunikation gab es in den letzten Monaten reichlich Probleme:
- Flüchtlingsnot und wachsende Obdachlosigkeit;
- trotz Mietenpreisbremse weiter wachsende Wohnungsnot und Verdrängung;
- bei der kommunalen Reorganisation der Energienetze;
- viele Investitionsruinen wie Elbphilharmonie und Internationale Gartenschau;
- unzureichende Handhabung bei der Eindämmung der Kinderarmut.
Die Liste ließe sich verlängern. Fakt ist: Die hanseatische Sozialdemokratie hat bei den WählerInnen ihre absolute Mehrheit aktuell verloren. Ein gutes Jahr vor der nächsten Bürgerschaftswahl ist die Hamburger SPD in der Wählergunst deutlich zurückgefallen. Nach einer demoskopischen Umfrage im Auftrag des NDR, bei der auch die jüngsten Entwicklungen eingefangen wurden, sind nur noch 42% der Hamburger WählerInnen Anhänger der SPD-Politik . In der NDR Umfrage im Januar 2012 waren es noch 51%. Der Verlust von 9% spricht für sich, könnte allerdings wett gemacht werden, denn die Bürgerschaftswahl steht erst im Frühjahr 2015 an.
Fast alle anderen Parteien im Hamburger Rathaus freuen sich daher über zum Teil deutliche Zuwächse freuen: Die CDU liegt aktuell bei 25% (+5), die Grünen bei 13% (-1), die Linke bei 9% (+5) und die FDP bei 5%. Die Linkspartei bejubelt, vielleicht ein wenig überzogen, den Niedergang der Sozialdemokratie als Ergebnis ihrer Politik: »Die gestiegene Zustimmung in der Stadt zeigt, dass unsere Fraktion und unsere Fraktionsvorsitzende ausgezeichnete Oppositionsarbeit machen«, erklärt dazu Bela Rogalla, Landessprecher der Partei DIE LINKE. »Der klare Kurs der LINKEN für mehr soziale Gerechtigkeit und die Verwirklichung der Grund- und Menschenrechte, gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung durch Armut und die Verdrängung von Menschen aus ihren Stadtteilen findet bei den Wählerinnen und Wählern immer mehr Zustimmung.«
Fakt ist : Obwohl die Sozialdemokraten deutlich an Zustimmung verlieren, sind die HamburgerInnen mit der Arbeit des SPD-Senats weiterhin zufrieden: Die Zustimmung liegt bei 58%. Bürgermeister Scholz hat zwar an Zustimmung eingebüßt, ist aber weiterhin ein populärer Politiker. Wenn man den Ersten Bürgermeister aktuell direkt wählen könnte, bekäme Scholz 69% der Wählerstimmen.
Zur politischen Wahrheit gehört auch: Die Mehrheit der Hamburger unterstützt das so genannte Gefahrengebiet, das die Polizei kürzlich aufgehoben hat. 58% der Hamburger WählerInnen halten die Maßnahme für »angemessen«. 40% finden sie »übertrieben«. Je nach politischer Ausrichtung der Befragten fällt die Bewertung sehr unterschiedlich aus.
Dass die Hamburger Sozialdemokratie nach ihrem beeindruckenden Wahlergebnis im Jahr 2011 zügig in ihren alten politischen Trott und ihre Filzstrukturen zurückfallen würden, hatten viele Beobachter prognostiziert. Jetzt ist mit diesem charakteristischen Politmanagement und Politikstil das Image der Stadt angekratzt. Gleichwohl: Die politischen Alternativen bleiben weitgehend konturenlos. Es bedarf energischerer Anstrengungen, um für die sozial und politisch gespaltene Stadt zu einer alternativen Entwicklungsrichtung zu kommen.