Der rechte Rand

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Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
Das IfS. Faschist*innen
des 21. Jahrhunderts

Einblicke in 20 Jahre
»Institut für Staatspolitik«
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Friedrich Engels zum 200.

Reiner Rhefus
Friedrich Engels im Wuppertal
Auf den Spuren des Denkers, Machers und Revolutionärs im »deutschen Manchester«
184 Seiten | in Farbe | Hardcover | zahlreiche Fotos | EUR 16.80
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Lebenswertes Hamburg
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Karl Marx war fünf mal in Hamburg?

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Karl Marx in Hamburg
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Linke Kommunalpolitik –
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Für Einsteiger*innen und Fortgeschrittene
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Crashkurs Kommune 12
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ISBN 978-3-89965-799-9

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DenkMal Friedhof Ohlsdorf
33 Stätten der Erinnerung und Mahnung | Herausgegeben von der Willi-Bredel-Gesellschaft – Geschichtswerkstatt e.V.
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Kleine Weltküche
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Kulturgeschichte im Film

Michael Töteberg
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Stars, Studios, Schauplätze
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ISBN 978-3-89965-578-0

21. Juli 2016 Bernhard Sander

Flimmern in der Herzkammer der Sozialdemokratie

Ein Jahr vor der Bundestagswahl ist die SPD in NRW in den Umfragen vom 39,1% (Ergebnis letzte Landtagswahl) auf 31% gesunken und liegt gleich auf mit der CDU. Für die regierende Koalition sprechen sich nur noch 41% aus.

Der Landesmutter wird Amtsmüdigkeit nachgesagt. Doch warum fehlt die Dynamik in der Partei, die dem Verantwortung tragenden Personal über eine solche Schwächeperiode hinweg helfen könnte?

Der Essener Unterbezirk fasst im Brennglas die Probleme in der eigenen sozialen Basis zusammen: Was ist das für eine Partei, die den Eindruck vermittelt, man könne nur mit Abitur und Hochschulstudium Parteikarriere machen?! Die Bundestagsabgeordnete Petra Hinz hat offenbar ihren Lebenslauf gefälscht, um diesen vorgeblichen Makel zu verbergen. Noch vor einer Generation war es Qualifikationsausweis für höhere Parteiämter oder Mandate, wenn man Betriebsrat, Mietervereinsvorstand und AWO-Mitglied war.

Der Stadtverordnete, der den Protest mehrerer Ortsvereine (Basisgliederung der SPD) gegen die Ansiedlung weiterer Notunterkünfte für Geflüchtete im Essener Norden angeführt hatte, während der vornehme Süden mit der hohen Wahlbeteiligung und den hohen Stimmanteilen für die Grünen keine solchen Standorte aus weist, ist von diesem vornehmster SPD-Adel: In der dritten Generation Bergmann, von Beruf Steiger bei Prosper-Haniel, dem letzten Bergwerk des Ruhrgebiets. Er erhielt 22%, als er für das Amt des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden kandidierte. Der Streit in der Essener SPD um die Flüchtlingspolitik und um angeblich zu viele »Berufspolitiker« in leitenden Parteifunktionen beherrschte den letzten Parteitag über weite Strecken. Gewählt wurde u.a. die Bundestagsabgeordnete Petra Hinz (84,8%), die schon bislang Parteivize war, und jetzt durch den gefälschten Lebenslauf auffiel.

Die bisherige Vorsitzende Britta Altenkamp, scheiterte bei dem Versuch, den Unterbezirk zu befrieden. Die Richtung bestimmt heute in der SPD in Essen ein alerter Justizminister, der mehr durch seine wechselnden Barttrachten auffällt und durch die kühne Bemerkung auf dem Parteitag zum Thema SPD-Klientel – »den klassischen Arbeiter gibt es kaum noch«. Der Steiger trat zur AfD über.

Der Unterbezirk ist, was selbst der früher parteinahen Presse auffällt, tief gespalten. »Hinter all dem steht ein latenter Konflikt, nicht nur in der Essener Sozialdemokratie: Da ist zum einen die eher linke SPD der Lehr- und Sozialberufe, der Verwaltungseliten und der Sozialwissenschaftler, von denen manche die Politik zum Beruf machen. In der Flüchtlingsfrage sind sie offen, privat zuhause meist im kaum problembelasteten Essener Süden.

Die 51-jährige Landtagsabgeordnete Britta Altenkamp steht prototypisch für diesen Teil der SPD. Dagegen steht das schrumpfende klassische SPD-Milieu der Facharbeiter, Rentner, kleinen Selbstständigen und Verwaltungsangestellten. Pragmatische Kümmerer mit viel Lebenserfahrung, denen Ideologie und linke Heilslehren ebenso suspekt sind wie der Versuch, unliebsame Phänomene – etwa bei der teilweise gescheiterten Integration – zu beschweigen. Sie sind es, die die SPD im Ruhrgebiet groß gemacht haben, und hie und da sind sie in den Ortsvereinen etwa des Essener Nordens noch zu finden.« (Essener SPD – eine zerrissene Partei mit zwei Lebenswelten | WAZ.de)

Nach wie vor leidet Essen unter dem nicht gelungenen Strukturwandel. Der Anteil der Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe liegt mit rd. 18 Prozent an allen sozialversicherungspflichten Arbeitsplätzen deutlich unter dem NRW-Schnitt von 29,8 Prozent. Der DAX-Konzern RWE schlägt sich im Einbruch des Gewerbesteueraufkommens um 100 Mio. Euro seit 2009 nieder. Zusätzlich belastet der Einbruch der RWE-Dividende den Haushalt mit 45 Mio. Euro Mindereinnahmen seit 2010 (Haushaltsrede von Gabriele Giesecke – Die Linke im November 2014). Heute ist der Konzern aufgeteilt und nur noch mit dem von der Überschuldung geplagten Teil in Essen ansässig.

Diejenigen aus der Kundschaft der SPD, die sich in der Demonstrationsankündigung von Essen zu Wort und anschließend aus der Partei melden, haben die Schnauze voll: Von den heruntergekommenen Geschäftsstraßen, die mal das Herz ihres Stadtteils waren. Sie sehen, dass ihre Kinder es nicht besser haben werden als sie selbst – eher schlechter. Sie liefen der von Ex-Wirtschaftsminister Clement verbreiteten Illusion hinterher, der Reichtum würde irgendwie von den kapitalstarken globalisierten städtischen Zentren nach unten durchsickern.

Aber in den mit Infrastrukturgeldern des Landes subventionierten Dienstleistern finden nur Billigarbeitsplätze statt. Nur wer das Glück hat, ein Arbeitsverhältnis an der Universität, in irgendeiner Beratungs- oder Verwahreinrichtungen der öffentlichen oder halböffentlichen Sozialbürokratie von Jobcenter bis privater Kita-Initiative zu haben, kann so etwas wie Lebensplanung aufbauen.

Die Austerität brachte eine Kürzung der Sozialleistungen, der Zahl der Arbeitsplätze und der Gehälter im öffentlichen Sektor; die Kreditkrise erdrückte die kleinen Läden, mit denen die Leute aufgewachsen waren und die nun leer standen.

Die lauten und bunten Geschäfte und Gastrobetriebe hat man hingenommen. Die nun wegen der preisgünstigen Mieten zugewiesenen MigrantInnen werden als Quelle täglicher Schwierigkeiten, Reibereien und Aushandlungsprozesse wahrgenommen, für die die Alltagsroutinen und tradierten Werte, das Bildungs- und Kulturkapital und oft schlicht die Lebensenergie fehlen.

Diejenigen, die sich bisher auf der Gewinnerseite wähnten, stellen nun fest, dass sie weiter abgehängt werden. Sie werden samt ihrer Probleme vom modernistischen Partei-Establishment in den holzgetäfelten Rathäusern, die sie seit den 1970er Jahren bezogen haben, wegdefiniert, die von den Notwendigkeiten der Globalisierung reden. Für diese prekäre Mittelschicht von Shopkeepern, ArbeiterInnen in wertgemindertem privatisierten Werkswohnungen und mit Sozialplangeldern im Stadtteil hängengebliebenen Alten waren WASG und Die Linke nie eine wirkliche Alternative, denn sie wollen keine Revolution und keine radikale Umgestaltung ihrer Lebenswelt, sondern sie wollen, dass alles so wird wie früher. Sie wählten weiter SPD und werden auch nicht für eine Partei nach links schwenken, die sie als ungebildet verachtet, Drogen legalisieren will, die traditionellen Familienwerte geringschätzt oder im Internet-Neusprech kauderwelscht.

Auch die SPD hatte schon immer in den zurückliegenden Jahrzehnten Menschen mit geschlossen rechtsradikalen Weltbild oder zumindest rechtspopulistischen Ressentiments integrieren können. Die Umfragewerte für die AfD, die bis zum Jahreswechsel noch unter 5% lagen und dann – noch vor den drei Landtagswahlen – auf Werte über 10% sprangen und dort bleiben, zeigen, dass die SPD in ihrem klassischen Milieu deutlich an Zustimmung verloren hat. Die Ressentiments bekommen wieder mehr Gewicht und wenden sich dem Rechtspopulismus zu.

Wenn also die Ministerpräsidentin sich erleichtert zeigt, dass die Grenzen wieder geschlossen wurden (was ja keine EU-Entscheidung, sondern eine Maßnahme der wirtschaftlich überforderten und allein gelassenen Republik Mazedonien war), dann ist dies Ausdruck einer völligen Orientierungslosigkeit in dieser Zwiespältigkeit der SPD. Frau Kraft will offenbar sprachlich Zugeständnisse an diejenigen machen, die ihren Mittelschichtsstatus einklagen. Wenn die Landesregierung befindet, dass das Tragen eines Kopftuches mit einem Richteramt nicht vereinbar ist, dann ist das eine symbolische Konzession an diesen zum Rechtspopulismus neigenden Teil der eigenen Wählerschaft, um die eigenen privilegierten Positionen abzusichern.


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