21. Juni 2020 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Der Hamburger Hafen als Krisenfaktor
Kaum im Amt, fallen dem rot-grünen Senat die verdrängten Probleme der voran gegangenen Periode vor die Füße: das Management der Strukturschwächen der Hamburger Wirtschaft. Neben den Massenentlassungen bei Karstadt und Airbus rücken jetzt erneut der Niedergang des Hafens und die Probleme der Hafenwirtschaft in das Zentrum des öffentlichen Interesses.
Aktuell unterstreichen die Ergebnisse einer Prognose über das Umschlagspotential des Hamburger Hafens bis 2035, dass es neben den enormen Auswirkungen der Corona-Krise auf den Hamburger Arbeits- und Ausbildungssektor auch Verschiebungen in der städtischen Wertschöpfung gibt. Die Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) hatte bei den Forschungsunternehmen Economic Trends Research (ETR) des ehemaligen HWWI-Professors Michael Bräuninger und der Rostocker Competence in Ports and Logistics (CPL) bereits 2018 eine Untersuchung über die Perspektiven des Hamburger Hafens in Auftrag gegeben. Jetzt – nach der Bürgerschaftswahl – wurden die Ergebnisse Teilen der Hafenwirtschaft in einer Telefonkonferenz vorgestellt. Demnach wird der Containerumschlag nur sehr moderat wachsen, bis auf etwa 13,2 Mio. Standardcontainer (TEU) im Jahr 2035. Dass wären in 15 Jahren also gerade einmal vier Mio. Container mehr als heute. 2019 zählte der Hafen 9,3 Mio. TEU.
Die Auswirkungen der Corona-Krise, durch die der Welthandel eingebrochen ist und wovon sich die Hafenwirtschaft nicht so schnell erholen wird, sind in dem Gutachten nicht berücksichtigt. Zudem gibt es zahlreiche Wettbewerbsfaktoren – das Gutachten nennt neun –, die den Containerumschlag positiv oder negativ beeinflussen können. Kämen alle positiven zum Tragen, wäre sogar ein Anstieg auf 14,8 Mio. TEU denkbar. Läuft die Entwicklung aber gegen den Hamburger Hafen werden es nicht viel mehr als elf Mio. TEU sein.
Durch die neue Prognose werden alle bisherigen Voraussagen für die Hafenwirtschaft kräftig nach unten korrigiert. Der aktuelle, aber längst veraltete Hafenentwicklungsplan fußt auf einer Prognose aus dem Jahr 2010. Demnach könnte der Hamburger Hafen im Jahr 2025 mehr als 25 Mio. Standardcontainer umschlagen. Die neue Berechnung sieht bis 2035 gerade einmal die Hälfte dessen vor.
Die Wirtschaftsbehörde will die Prognose im Moment nicht veröffentlichen, da die derzeitigen Basis-Auswirkungen der Corona-Krise nicht hinreichend abzuschätzen seien. Allerdings wird sie intern die Diskussion über die Fortführung des bisherigen Geschäftsmodells des Hamburger Hafens weiter anheizen. So gehen die Gutachter davon aus, dass die Elbvertiefung, deren Wirkung sich erst 2022 voll entfaltet, maximal 800 zusätzliche Container pro Schiffsanlauf nach Hamburg bringt. Bisher war man von 1.000 zusätzlichen Boxen ausgegangen. Der Tiefwasserhafen Jadeweserport in Wilhelmshaven wird Hamburg potenzielle Ladung abnehmen.
Als weitere Faktoren, die den Umschlag in Hamburg negativ beeinflussen, werden in dem Gutachten aufgeführt: die im Rahmen des Seidenstraßenprojekts entwickelte Bahnverbindung von China nach Westeuropa (etwa 1,8 Mio. TEU bis 2035), der massive Ausbau der Häfen im Mittelmeer, über die Ost- und Mitteleuropa viel schneller mit Waren versorgt werden können, als wenn die Schiffe wie bisher noch extra die Nordsee hinauffahren, und der Ausbau der Ostseehäfen wie Göteborg oder Gdansk, durch den Hamburg seiner Stellung als Umladehafen auf kleinere Schiffe verlustig geht.
Veraltetes Geschäftsmodell
Die Geheimniskrämerei der Wirtschaftsbehörde ist absurd, da der Bedeutungsverlust der Hafenwirtschaft für Wertschöpfung und Beschäftigung nicht erst seit Kurzem Teile der Öffentlichkeit beunruhigt. So kann man in einer im Mai veröffentlichten Studie , die die Naturschutzverbände WWF, Nabu und BUND beim Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) in Auftrag gegeben haben, nachlesen, dass der Hafenumschlag kaum mehr wachsen wird. Das HWWI sieht für das Containerwachstum im Hafen eine Obergrenze von 11 Mio. Standardcontainer (TEU). Im vergangenen Jahr wurden 9,2 Mio. TEU umgeschlagen.
In der Hochphase der Globalisierung, die vor allem durch die Integration großer Schwellenländer wie vor allem China in die Weltwirtschaft und deren Wachstumsprozesse gekennzeichnet war, sei es, so die HWWI Studie, zu einem starken Anstieg des Welthandels gekommen. Er wuchs über viele Jahre sogar mehr als doppelt so schnell wie die Weltwirtschaft selbst, was sich vor allem in einen entsprechenden Anstieg des Container-Verkehrs niederschlug. »Dieser Effekt war im Wesentlichen durch einen Aufholprozess der Schwellenländer begründet und insoweit ein temporärer Effekt. Auf dieser Grundlage wurden Extrapolationen bis weit in die Zukunft erstellt, obwohl aus vergangenen Wachstumsprozessen bekannt ist, dass sich diese über die Zeit abschwächen.«
Auch für Hamburg wurden auf Basis dieser überoptimistischen Annahme Umschlagsprojektionen für den Hafen erstellt. So wurde für das Jahr 2025 ein Umschlag von 25 Mio. TEU prognostiziert. Auf dieser Grundlage wurde ein Hafenentwicklungsplan erstellt, der sich auf die für das prognostizierte Umschlagvolumen notwendige Infrastruktur und Flächenbedarf bezieht. Infolge der Weltwirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 ging das globale Wachstum zurück. Seitdem stagniert der Umschlag in Hamburg bei rund neun bis zehn Mio. TEU, also deutlich unter dem prognostizierten Pfad.
In der Zwischenzeit hat sich der Hafenwettbewerb verschärft. Immer größere Containerschiffe, die sich u.a. durch die langanhaltende Schifffahrtskrise und die Konsolidierung des Marktes durch setzte, erforderten größere Hafenanlagen und eine tidenunabhängige Anfahrt. Vor diesem Hintergrund wurde eine weitere Fahrrinnenanpassung der Elbe beschlossen und seit dem Jahr 2019 umgesetzt, um den Nachteil des Hamburger Hafens, kein Tiefwasserhafen zu sein, abzumildern.
Trotz aller Anstrengungen werde der Hafen, so das HWWI, in dem reinen Container-Wachstum absehbar weit unter der ursprünglichen Prognose von 25 Mio. TEU für das Jahr 2025 bleiben. In den Jahren 2000 bis 2018 betrug das Wachstum des Welthandels knapp 4% pro Jahr, während das Weltinlandsprodukt im gleichen Zeitraum durchschnittlich um rund 2,8% pro Jahr gewachsen ist. Weltinlandsprodukt und Welthandel seien seit dem Jahr 2011 deutlich langsamer gewachsen als im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2018. »Vor diesem Hintergrund und unter den oben genannten dämpfenden Effekten auf den Handel dürfte bis zum Jahr 2025 der Containerumschlag im Hamburger Hafen mit hoher Wahrscheinlichkeit unter elf Millionen TEU bleiben. Selbst dieser Umschlag müsste angesichts des verschärften Hafenwettbewerbs mit relativ hohen Kosten erkämpft werden.«
Berücksichtigt werden müssen bei diesem Szenario zudem die dramatischen Folgen der Corona-Pandemie. Es wird nur eine langsame Erholung von der schwersten globalen Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg geben. Absatzmärkte und Lieferketten werden länger von den Folgen der Corona-Krise massiv betroffen sein. Eine mögliche Re-Nationalisierung von Wertschöpfungsketten und verstärkte Autarkie-Bestrebungen vieler Länder könnten die Tendenz zur De-Globalisierung verstärken. In der Folge wird auch der Umschlag in den Häfen nicht mehr zulegen.
Langfristige strukturelle Veränderungen und Megatrends, wie das Auslaufen der Globalisierung, die zu weniger weltweiter Arbeitsteilung führen wird, oder die Digitalisierung, die regionalere Produktion und damit eine Verkürzung der Wertschöpfungsketten ermöglicht, kämen in der Diskussion über die Zukunft des Hafens zu kurz. »Stattdessen versucht die Politik mit immer größerem Aufwand und abnehmender Wertschöpfung das bisherige Geschäftsmodell des Hafens am Laufen zu halten«, so HWWI-Direktor, Henning Vöpel.
So machten die für die Hafenwirtschaft entscheidenden Entwicklungen wie steigender Flächenbedarf in zentraler Lage und somit hohe Opportunitätskosten, sinkende Wertschöpfungs- und Beschäftigungsintensität durch Automatisierung sowie steigende öffentliche Infrastrukturkosten durch größere Hafenanlagen das derzeitige Geschäftsmodell zunehmend unattraktiver. Dies bedeute »indes nicht, den Hafen als wichtigen Teil der Hamburger Wirtschaft aufzugeben. Jedoch scheint eine technologische und industrielle Transformation des Hafens unausweichlich, will er seine wirtschaftliche und identitätsstiftende Bedeutung erhalten. Dafür muss der Hafen zum Treiber und zum Kern einer umfassenderen Transformation des Standortes werden, der die Opportunitäten des Strukturwandels aktiv nutzt.«
Je früher dies im Rahmen einer Revision der mittelfristigen Umschlagprognose und eines neuen Hafenentwicklungsplans geschehe, desto größer seien die Chancen, den Strukturwandel für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Dynamik zu nutzen, insbesondere in den Bereichen der digitalen und klimafreundlichen Industrie, Wasserstoff und Windkraft wären hier in der Entwicklung neuer Antriebstechnologien und Kraftstoffe in Verkehr und Logistik eine solche Chance. »Der Hafen ließe sich in eine übergeordnete Strategie einer industriellen Transformation und Forschungsentwicklung gut integrieren, sofern man bereit ist, den Hafen – unabhängig von kurzfristigen Restriktionen und partikularen Interessen – in einer breiteren und längerfristigen Perspektive zu denken.«
Luftfahrtindustrie im Sinkflug
Der grundlegende technologische und ökonomische Strukturwandel betrifft aber nicht nur die Hafenwirtschaft, sondern den gesamten Standort Hamburg. So funkelt auch ein weiteres Glanzstück der Hamburger Industrielandschaft, die Luftfahrtindustrie, nur noch matt. Im weltweit drittgrößten Standort für Zivilluftfahrt wird die Corona-Krise deutliche Spuren hinterlassen. Vor allem bei Airbus und seinen Zulieferern sind die Boom-Zeiten vorerst vorbei.
Mehr als 41.000 Menschen arbeiten bei Airbus, Lufthansa Technik und am Hamburger Flughafen sowie einem dichten Netz von rund 300 Zulieferbetrieben, die sich darum gruppiert haben. Sie erwirtschaften einen jährlichen Umsatz von mehr als fünf Mrd. Euro. Damit ist Hamburg der weltweit drittgrößte Standort der zivilen Luftfahrtindustrie - nach Seattle mit Boeing und Toulouse mit Airbus.
Bereits Ende April hatte Guillaume Faury – Vorstandschef bei Airbus – klare Worte für die andauernde Corona-Krise gefunden. »Wir erleben einen der größten wirtschaftlichen Schocks in der Geschichte«, schrieb er per deMail an die weltweit rund 135.000 Mitarbeiter*innen. Man müsse »alle Optionen in Betracht ziehen«.
Airbus hat Mitte April die Produktionsraten für seine Flugzeugprogramme im Schnitt um etwa ein Drittel gesenkt. Im Zuge der Corona-Pandemie war der Flugverkehr weltweit nahezu zusammengebrochen. Dadurch fehlt den Airlines das Geld aus Ticketverkäufen, um liquide zu sein und neue Flugzeuge beim Hersteller abzunehmen. Denn ein Großteil des Kaufpreises wird bei der Auslieferung fällig. Im Mai wechselten zwar trotz der Krise immerhin 24 Flugzeuge vom Produzenten zum Käufer oder Leasingnehmer. Allerdings waren es im Vorjahr statistisch gesehen knapp 72 Maschinen pro Monat, also das Dreifache.
Aufgrund der Produktionskürzungen ist mehr als die Hälfte der rund 15.000 Mitarbeiter*innen auf Finkenwerder derzeit in Kurzarbeit. Seit Wochen gibt es zudem Spekulationen, dass es zu einem Job Abbau beim europäischen Flugzeugbauer kommt. Von 10.000 Stellen ist die Rede, offiziell ist bisher aber nichts – zumindest für die Stammbelegschaft. Bei Leih- und Zeitarbeiter*innen hat es schon jetzt erste, harte Konsequenzen gegeben. So wurden bis Mitte Juni 600 Leiharbeiter*innen in Hamburg entlassen. Und: Die befristeten Verträge mit einer Laufzeit von drei bis zu 24 Monaten wurden nicht verlängert. Bisher davon betroffen sind mehrere hundert Beschäftigte.
Auch die Lufthansa-Werft am Hamburger Flughafen hat bereits Kurzarbeit angemeldet für 12.000 Beschäftigte in Deutschland, davon 8.000 in Hamburg. Gegenwärtig bauen die Hamburger Techniker*innen Passagiermaschinen zeitweise zu Frachtflugzeugen um, was relativ anspruchsvoll ist. Wenn nach der Krise weniger Flugzeuge in der Luft sind, benötigen sie auch weniger Wartung, Reparatur und Überholung. Auch die die Zulieferer sind in der misslichen Lage, dass sie sich eng an Airbus gebunden und mit der Zusicherung auf langfristige Geschäftsbeziehungen Produktionskapazitäten und Personal ausgebaut haben. Einige Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet, alle blicken voller Sorge auf Airbus.
Hamburg-Tourismus und Gastronomie in der Corona-Krise
Die Hamburger Tourismusbranche ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Hamburgs. Die Branche bietet Beschäftigung für rund 90.000 Menschen unterschiedlichster Qualifikation und Herkunft. Der Bruttoumsatz der Branche betrug 2013 ca. sechs Mrd. Euro. Mit rund 14,5 Mio. Übernachtungen im Jahr 2018 zählt Hamburg zu den beliebtesten Städtedestinationen Deutschlands nach Berlin und München. Der Anteil der ausländischen Gäste in Hamburg liegt bei 25% Prozent, steigt kontinuierlich und sorgt für ein anhaltendes Wachstum der Übernachtungszahlen insgesamt. 3,6 Mio. Übernachtungen durch ausländische Gäste zählte Hamburg 2018. Hauptquellmärkte sind Dänemark, die Schweiz und Großbritannien.
Zur unmittelbaren Tourismuswirtschaft zählen Unternehmen, die ihren Umsatz nahezu vollständig aus dem Tourismus generieren, beispielsweise Hotels, Reisebüros, Reiseveranstalter, Gästeführer und Freizeiteinrichtungen. Zur mittelbaren Tourismuswirtschaft gehören Unternehmen, die in ihrer Wertschöpfung stark vom Tourismus profitieren, aber einen geringen direkten Tourismusbezug haben wie beispielsweise die Gastronomie, Taxenunternehmer oder Einzelhändler.
Hamburg ist bei Tourist*innen also eine beliebte Stadt: Jedes Jahr locken die Nähe zum Wasser, das Kulturangebot, der Hafen und die Elbphilharmonie zehntausende Menschen an. Doch seit Beginn der Corona-Krise ist alles anders. Hotels haben kaum noch Gäste, Hafenbarkassen bleiben leer und an beliebten Sehenswürdigkeiten wie den Landungsbrücken sieht man vor allem Einheimische.
In den nüchternen Zahlen des Statistikamts Nord schlägt sich da so nieder: Die Hamburger Beherbergungsbetriebe haben für den März 2020 deutlich weniger Gäste und Übernachtungen als im März des Vorjahres gemeldet. Die Zahl der Gäste sank um 65,0% auf 213.000 und die Anzahl der Übernachtungen um 62,3% auf 456 000. Das Übernachtungsaufkommen von Gästen aus Deutschland erreichte 371.000 Nächte (mi¬nus 61,1%). Ausländische Besucher*innen buchten 85.000 Nächte (minus 66,8%). 16,0% der Gäste kamen aus dem Ausland, die meisten von ihnen aus dem Vereinigten Königreich, Dänemark, den Niederlanden, den Vereinigten Staaten und aus der Schweiz. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste betrug 2,1 Tage.» In die Erhebung einbezogen waren 413 geöffnete Beherbergungsstätten mit 71 571 angebo¬tenen Betten. Die durchschnittliche Bettenbelegung betrug 24,4 Prozent. «
Starke Einbußen musste auch das Hamburger Gastgewerbe hinnehmen. Hier sind die Umsätze im ersten Quartal 2020 gegenüber dem ersten Quartal 2019 um 16,1% gesunken. Während sie im Bereich Gastronomie um 11,7% zurückgingen, war der Umsatzrückgang im Beherbergungsgewerbe mit minus 23,0% sogar noch stärker ausgeprägt, so das Statistikamt Nord.
Insbesondere im März gab es aufgrund der coronabedingten Geschäftsschließungen außer-ordentlich starke Einbußen: Im gesamten Hamburger Gastgewerbe sanken die Umsätze um 48,7%. Dabei waren die Auswirkungen im Beherbergungsgewerbe (minus 60,6 %) höher als in der Gastronomie (minus 40,1%). Im März sank die Zahl der Beschäftigten im gesamten Gastgewerbe gegenüber März 2019 um 5,3%, wobei für die Gastronomie ein Rückgang um 3,1% und für das Beher¬bergungsgewerbe eine Minderung um 12,1% zu verzeichnen waren. Besonders starke Rückgänge waren im Hamburger Gastgewerbe bei den Vollbeschäftigten festzustellen.
Fazit
Die Hamburger Wirtschaft steht vor immensen Herausforderungen. Schlüsselsektoren wie Hafenwirtschaft, Luftfahrtindustrie, Tourismus sowie der Handel befinden sich in einer schweren Krise. Die Schlüsselfrage, wie es in Hamburg gelingen kann, die Wertschöpfung zu rekonstruieren und darüber hinaus Wertschöpfungsketten zukunftsfähig auszurichten, wird in der politischen Öffentlichkeit weitgehend ausgeblendet. Schon aktuell registrieren wir einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Hansestadt. Im gerade vereinbarten Koalitionsvertrag des rot-grünen Senats tauchen diese Probleme des Strukturwandels nur am Rande auf. Eine »übergeordnete Strategie der industriellen Transformation«, wie sie HWWI-Chef Vöpel zurecht einfordert, ist nicht zu erkennen.
Ohne die wird die Stadt aber keine gute Zukunft haben. Die Gestaltung und Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft für die Bürger*innen der Hansestadt sollte ein zentrales Politikfeld sein. Es reicht nicht, Unternehmen in den Stadtstaat zu holen und Neugründungen zu fördern. Eine Regierung, die zukunftsorientierte Strukturpolitik machen will, muss sich zielgerichtet mit den Veränderungsprozessen in der Region auseinandersetzen. Wir brauchen neben einer gezielten Ansiedlungs- und Gründungsoffensive mit Schwerpunkt auf industrielle Bereiche vor allem effektivere Formen der Förderung von urbanen Dienstleistungen. Angesichts des deutlichen Anstiegs der Arbeitslosigkeit und der Fortsetzung des Trends des Rückgangs der Bedeutung der Hafenwirtschaft sind gleichfalls eine landesspezifische Konzeption des Umgangs mit diesem Strukturwandel unverzichtbar. Auch bei den anderen Schwerpunkten der Hamburger Wirtschaft, den so genannten Clustern, etwa für die Luftfahrt, Medizintechnik, überhaupt der Bereich Gesundheit und Pflege, Medien und Kultur oder erneuerbare Energien, sind keine Gestaltungskonzeptionen erkennbar.
Offen ist auch, wie in Zukunft mit dem großen und jetzt noch weiter wachsenden Schuldenberg umgegangen werden soll. Es ist politisch naiv auf eine Rückkehr zu den Wachstumsraten und Steuereinnahmen der Vor-Corona- Ära zu setzen. Ohne aktive Gestaltung der Wertschöpfung und der Wirtschaftsbereiche kann es kein »Herauswachsen« aus den Kreditverbindlichkeiten geben. Als Folge der sich abzeichnenden Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte werden die Investitionen der öffentlichen Hand und Sozialleistungen unter Druck geraten.