31. März 2016 Carola Ensslen
Der Erfolg der AfD – braucht DIE LINKE eine neue Strategie?
Der Europaabgeordnete Fabio de Masi fordert in einem am 17. März 2016 in der Zeitung »Junge Welt« sowie auf den NachDenkSeiten (Langfassung) veröffentlichten Artikel angesichts der schlechten Wahlergebnisse der LINKEN vom Parteivorstand eine Debatte über eine neue Strategie unter dem Motto »Angriff ist die beste Verteidigung«.
Er kritisiert die Parteivorsitzende Katja Kipping dafür, dass sie den Kurs der LINKEN fortsetzen wolle, obwohl dieser – wie sie selbst einräumt – Stimmen gekostet habe. Im Kern der Kritik und der Forderung einer neuen Strategie geht es um die Flüchtlingspolitik.
Fabio de Masi kritisiert folgende Haltung: »DIE LINKE hat sich bisher gegen die Residenzpflicht und für legale Fluchtrouten (auch etwa über vorgelagerte Asylverfahren in Botschaften) ausgesprochen. Wenn Flüchtlinge Deutschland endlich sicher erreichen und ihren Wohnort frei wählen können, werden viele zu Recht dort hingehen, wo sie soziale Beziehungen, Jobchancen und eine soziale Infrastruktur vermuten.« Er sieht »reale Probleme und Überforderung« in der Bewältigung und meint, genau das habe Sahra Wagenknecht ausgesprochen. Sie habe eine Selbstverständlichkeit formuliert: »Dass alle Flüchtlinge, die nach Europa kommen, in Deutschland bleiben, ist weder sinnvoll noch realistisch.«
Zu den Schlussfolgerungen aus dem Ausgang der Landtagswahlen am
13. März 2016
Kurs halten in der Flüchtlingspolitik und eine Offenlegung und Kritik des Programms der AfD schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Beides wurde im Wahlkampf gemacht. Die Kritik an der AfD hat aber kaum Gehör gefunden, weil die Motive der AfD-WählerInnen überwiegend nicht von Programmatik geleitet waren, sondern von Wut, Protest und Unzufriedenheit, von der Annahme, dass allein die AfD Druck auf die sogenannten etablierten Parteien, zu denen inzwischen auch DIE LINKE jedenfalls im Osten gezählt wird, ausüben kann. Die WählerInnen waren in erster Linie geleitet von den Themen »Flüchtlingspolitik« und »soziale Gerechtigkeit«.
Letzteres mag angesichts des AfD-Programmentwurfs kurios erscheinen, erklärt sich aber in einem gewissen Maß aus dem auch von Fabio de Masi geschilderten Konkurrenzempfinden in der Geldverteilung gegenüber Flüchtlingen. Hinzu kommen Ängste vor allem in der unteren und mittleren Mittelschicht vor dem sozialen Abstieg und vor einer Verschlechterung der Bildungsangebote für die eigenen Kinder.
Die Antwort der LINKEN darauf darf aber nicht in der Aufweichung ihrer flüchtlingspolitischen Kernforderungen liegen. Sie ist vielmehr darin zu sehen, dass ihre Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit für ALLE verstärkt zur Umsetzung kommen. Der Schlüssel zum Erfolg beginnt hier in der Kommunal- und Landespolitik. In dem Maß, in dem sich DIE LINKE die Lösungskompetenz (zurück)erobert, wird sie auch WählerInnen (wieder)gewinnen.
Zu den flüchtlingspolitischen Kritikpunkten von Fabio de Masi im Einzelnen
Die linke Forderung nach einer konsequenten Aufhebung der Residenzpflicht darf nicht zur Disposition stehen. Sie missachtet das Recht auf Freizügigkeit, erschwert die Aufnahme von Kontakten zu Bekannten und Verwandten, ist Ausfluss einer Haltung des Misstrauens gegenüber Flüchtlingen und grenzt sie aus. Es gibt eine Residenzpflicht sonst nirgends in der EU.
Mit der Forderung nach sicheren und legalen Einreisewegen befindet sich DIE LINKE zum Beispiel an der Seite des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon. Angesichts der kriminellen Machenschaften von Schlepperbanden und des Todes unzähliger Flüchtlinge im Mittelmeer sind sichere Fluchtrouten ein Gebot der Menschlichkeit. Wir dürfen nicht durch Abschottung das Menschenrecht auf Asyl jenseits der EU-Grenzen enden lassen. Mit einer »Festung Europa« werden wir Migration nicht bewältigen. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass Fluchtbewegungen auf der ganzen Welt stattfinden. Dringend erforderlich sind deshalb ausreichende finanzielle Hilfen in den Nachbarländern von Krisenregionen, die Schaffung von Perspektiven für Flüchtlinge in der Region sowie ernsthafte Bemühungen um Frieden, eine bessere Verteilung des Wohlstandes auf der Welt und Maßnahmen des Klima- und Umweltschutzes.
Kritik an den Antworten von Fabio de Masi, Sahra Wagenknecht und
Oskar Lafontaine
Natürlich ist es eine Herausforderung, eine große Zahl von Flüchtlingen in kurzer Zeit aufzunehmen. Die Antwort der LINKEN kann und darf es jedoch nicht sein, vor Problemen zu kapitulieren und ein Gefühl von Überforderung zu bekräftigen. Aufgabe der LINKEN ist es vielmehr, auf die ungebrochen enorme Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung hinzuweisen. Flüchtlingshilfe ist zum Teil sicher sehr kräftezehrend. Es sind jedoch nicht die Aktiven, die aus einer Überforderung heraus eine starke Begrenzung des Flüchtlingsstroms fordern. Vielmehr kommt diese Forderung kurioserweise von denen, die nichts für Flüchtlinge geben oder tun.
DIE LINKE muss außerdem darauf aufmerksam machen, dass auftretende Probleme »hausgemacht« sind. Nicht die Flüchtlinge haben etwa die Wohnungsnot in Ballungsgebieten verursacht, sondern sie richten verstärkt das Augenmerk auf jahrelange Versäumnisse in der Wohnungspolitik. Die Antwort der LINKEN muss die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum für ALLE bleiben. Denn Aufgabe der LINKEN ist es, sich für Menschen unabhängig von Nationalität, Religionszugehörigkeit, Geschlecht etc. einzusetzen.
Die Formulierung der »Selbstverständlichkeit«, dass es nicht sinnvoll und realistisch sei, dass alle Flüchtlinge nach Deutschland kommen, ist keine adäquate Antwort. Wenn »Selbstverständlichkeiten« (»Man wird ja wohl noch mal sagen dürfen«...) ausgesprochen werden, haben sie immer einen über die reine Sachaussage hinausgehenden Aussagewert. Der kann im Zusammenhang mit Problemen und Überforderung nur sein, dass der Flüchtlingsstrom nach Deutschland begrenzt werden soll.
Damit befinden sich Sahra Wagenknecht und auch Fabio de Masi, der sich dies zu Eigen macht, auf der Ebene der Rhetorik »Deutschland kann nicht alles Elend der Welt aufnehmen« und »Das Boot ist voll«. Bestärkt wird dieser Eindruck von einem zeitgleichen Beitrag von Oskar Lafontaine auf den NachDenkSeiten, in dem er fordert: »Und wir brauchen auch eine ehrliche Strategiedebatte in der LINKEN. … Immer häufiger werde ich gefragt: Kennt DIE LINKE … auch bei der Flüchtlingsaufnahme eine Ausgaben-Obergrenze? Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Und auch die Millionärssteuer können wir nicht mehrfach ausgeben...«
Zwar geben alle drei keine deutliche Antwort darauf, wie eine Begrenzung erreicht werden soll. Sie behaupten, keine Obergrenze zu fordern, weil sie keine Zahlen nennen. Oskar Lafontaine bringt aber eine Ausgaben-Obergrenze ins Spiel, die nichts anderes als eine Flüchtlingsobergrenze bedeutet. Und auch Sahra Wagenknechts ausgesprochene und von Fabio de Masi übernommene »Selbstverständlichkeit« läuft auf eine Obergrenze hinaus.
Alle drei verlassen mit einer solchen Rhetorik den unverhandelbaren Grundsatz, dass das Asylrecht keine Obergrenze kennt, sowie das programmatische Grundverständnis linker Politik und nähern sich rechtspopulistischen Argumentationsmustern an. Das ist Wasser auf die Mühlen der AfD. Ergänzt wird dies von einer Tendenz zur Verharmlosung, die etwa in der Aussage von Sahra Wagenknecht zum Ausdruck kommt, dass wir die AfD nicht dämonisieren dürfen.
Die Antwort lautet: Nein, eine solche neue Strategie, die aus einem Rechtsruck besteht, braucht DIE LINKE nicht, sie schadet. Solche Überlegungen überhaupt innerhalb der LINKEN anzustellen, verdient nur eine Antwort: scharfe Kritik. DIE LINKE darf nicht von ihren Positionen für Weltoffenheit, Toleranz und Solidarität abrücken, auch wenn dies Stimmen kostet. Sie muss alles dafür tun, eine starke soziale Grundlage für unsere Demokratie zu schaffen. Darüber, wie DIE LINKE in Zeiten großer Verunsicherung das, wofür sie programmatisch steht, mehr als bislang verwirklicht, bedarf es in der Tat einer breiten innerparteilichen Debatte.