13. Oktober 2017 Joachim Bischoff / Bernhard Müller
Das Gift der sozialen Spaltung - Hamburg: Armut im Wohlstand – die Einkommensschere öffnet sich weiter
Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Immer mehr Menschen müssen um ihre Existenz kämpfen und gleichzeitig nimmt der Reichtum einiger Weniger unvorstellbare Ausmaße an. Genaue Zahlen über die Reichen – Vermögen und Einkommen – in Hamburg gibt es nicht.
Die Auskünfte über die Entwicklung des Reichtums sind in Deutschland insgesamt bescheiden und ungenau. In den amtlichen statistischen Erhebungen und Befragungen werden die Höchstverdiener mit Verweis auf das Persönlichkeitsrecht ausgeklammert. Fest steht, dass der Anteil der reichen und sehr reichen Personen seit Beginn der 1990er Jahre deutlich gestiegen ist.
In keiner deutschen Stadt ist die Millionärsdichte so hoch wie in Hamburg – 42.000 Millionäre (also Vermögen und Einkommen) leben in der Hansestadt. Doch auch die Armut ist in Nachbarquartieren zu Hause. Die Kluft zwischen Arm und Reich in Hamburg ist räumlich eng präsent. Und der Reichtum wird immer schamloser und die Armut immer sichtbarer.
Die Zahl der BürgerInnen, die über ein zu versteuerndes Einkommen von mehr als einer Million Euro verfügen, wächst deutlich. Betrachtet man die Durchschnittseinkommen in der Verteilung auf die Statteile in Hamburg erhält man das bekannte Bild:
Nach aktuellen Daten gab es 2013 in Hamburg 943.570 Lohn- und Einkommensteuerpflichtige (1) , die einen Gesamtbetrag der Einkünfte (2) (im Folgenden »Einkommen«) in Höhe von 36,85 Mrd. Euro erzielten. Rein rechnerisch ergibt sich damit für jede Steuerpflichtige bzw. jeden Steuerpflichtigen ein Einkommen in Höhe von 39.054 Euro. Da einige Steuerpflichtige sehr hohe Einkommen haben – so leben in der Hansestadt beispielsweise 867 »Einkommensmillionäre« –, liegen die Werte von immerhin 69% der Steuerpflichtigen unterhalb des Hamburger Durchschnitts. Der gegenüber Extremwerten robustere Median (3) zeigt, dass die Hälfte aller Steuerpflichtigen 2013 ein Einkommen von höchstens 25.449 Euro hatte.
Im Vergleich zu 2010 nahm die Zahl der Steuerpflichtigen um 27.900 (plus 3,0%) zu und das Einkommen um 4,28 Mrd. Euro (plus 13,1%). Das durchschnittliche Einkommen je Steuerpflichtigen ist dadurch ebenfalls gestiegen, und zwar um 3.487 Euro bzw. 9,8%.
2010 war es zu einem Rückgang des durchschnittlichen Einkommens gekommen. Darin reflektierten sich zum einen u.a. die Verluste bei den Kapitaleinkommen infolge der Wirtschaftskrise 2008/2009, die seitdem wieder mehr als wettgemacht wurden. (4) Dies zeigt sich auch darin, dass nach einem Rückgang in 2010 die Zahl der Einkommensmillionäre wieder deutlich (um 135 auf jetzt 867) zugenommen hat. Gleichwohl sind sowohl die Kapitaleinkommen wie auch die Zahl der Millionäre auch heute noch unterzeichnet (5), weil durch die Einführung einer Abgeltungssteuer auf Vermögenseinkommen von 25% durch die frühere schwarz-roten Bundesregierung die Kapitaleinkünfte ab 2010 nicht mehr in vollem Umfang in der Statistik nachgewiesen werden. Die Erfassung des Reichtums in Deutschland und Hamburg ist durch diese politische Maßnahme noch schwieriger geworden.
Im Klartext heißt dies: Die Kapitaleinkommen sind in der Lohn- und Einkommenssteuerstatistik unterzeichnet. Gleichwohl zeichnet sie ein eindrückliches Bild von der sozialen Spaltung in der Stadt. Und: Im Prinzip ändert sich – räumlich betrachtet – die Verteilung der reichen und armen Haushalte (6) – nicht. In den Elbvororten Nienstedten, Blankenese, Othmarschen sowie in Harvestehude und Wohldorf-Ohlstedt hat ein Steuerpflichtiger ein durchschnittliches Einkommen von mindestens 93.310 Euro. Dagegen kommen Steuerpflichtige auf der Veddel, in Hammerbrook, Rothenburgsort oder auf dem Kleinen Grasbrook/Steinwerder durchschnittlich auf weniger als 21.200 Euro Einkommen.
Die soziale Kluft in der Stadt wird immer größer und die Koexistenz von Reichtum und Armut zum politischen Problem. Ein Zentrum des Reichtums ist der Stadtteil Nienstedten, wo BürgerInnen mit etwa 120.000 Euro Jahreseinkommen zu Hause sind. Auf der Elbinsel Veddel leben die EinwohnerInnen im Durchschnitt mit knapp 16.000 Euro pro Jahr und etliche sind gewiss auf Leistungen der »Tafeln« angewiesen.
Nach neuesten Daten lag die Armutsquote in Hamburg 2016 bei 14,9%. Das bedeutet, dass knapp 15% der HamburgerInnen mit einem Einkommen leben müssen, das weniger als 60% des Durchschnittseinkommens (Median des Äquivalenzeinkommens) der Bevölkerung in Privathaushalten beträgt. Nimmt man als Bezugspunkt nicht das Durchschnitts- (Median-) Einkommen in Deutschland, sondern das in Hamburg, was die regionalen Lebensverhältnisse (Miete etc.) deutlich realistischer wiedergibt, war Hamburg mit einer Armutsquote von 18,3% sogar Spitzenreiter beim Anteil der von Armut betroffenen BürgerInnen.
Dass der Gegensatz von Armut und Reichtum in einer der reichsten Regionen Europas besonders stark ausgeprägt ist, zeigt die Einkommensreichtumsquote, die den Anteil der Personen mit einem Äquivalenzeinkommen von mehr als 200% des Median misst. Hier ist Hamburg sowohl bezogen auf den Bundesmedian (12,6%) als auch auf den Landesmedian (10,4%) einsame Spitze.
Diese Einkommenspolarisierung in Hamburg drückt sich, wie in anderen Metropolen auch, in einer räumlichen Polarisierung der Stadt aus. Es kommt zu einer immer stärkeren räumlichen Konzentration vieler mit sozialen Problemen beladener Haushalte. Es haben sich Quartiere herausgebildet, denen das Stigma der Armenviertel anhängt. In Wilhelmsburg, Rothenburgsort/Billbrock und Billstedt sind 20-30% der EinwohnerInnen auf Transferleistungen angewiesen. Knapp ein Fünftel aller Hamburger Stadtteile weist EmpfängerInnenquoten von 18% und mehr auf. In diesen Quartieren finden wir viele von Armut besonders betroffene Erwerbslose (Armutsgefährdungsquote 2016: 45,6%), Alleinerziehende mit ihren Kindern (41,0%) sowie BürgerInnen mit Migrationshintergrund (30,0%). Diese soziale Spaltung spiegelt sich in den großen Unterschieden im Lohn- und Einkommensteueraufkommen in den Hamburger Bezirken und Stadtteilen.
Vom wachsenden Wohlstand aber profitieren nicht alle Quartiere gleichermaßen. Das Plus bei den Einkommen ist in den Bezirken und Stadtteile am stärksten, die schon bisher auf der Sonnenseite standen, oder aber in den Quartiere, die durch die Gentrifizierung eine soziale Umwälzung erleben. Schon auf der bezirklichen Ebene wird die krasse Einkommensspreizung sichtbar. Während in Altona die durchschnittlichen Einkommen bei 48.600 Euro liegen, sind es im Bezirk Mitte nur wenig mehr als die Hälfte, nämlich 26.000 Euro. Bei etwa gleicher Anzahl von Steuerpflichtigen belaufen sich die Gesamteinkünfte im Altona auf 6,3 Mrd. Euro, in Mitte auf knapp 3,5 Mrd. Euro. Auch in Harburg und Bergedorf liegen die durchschnittlichen Einkommen mit 30.000 Euro bzw. 33.100 Euro deutlich unter dem Durchschnitt.
Noch deutlicher tritt die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung auf der Stadtteilebene zu Tage. So liegen die Einkünfte in Nienstedten, Othmarschen und Blankenese um das Fünf- bis Sechsfache über den Einkommen etwa in Billstedt oder Wilhelmsburg.
Auf der Stadtteilebene reicht die Spanne von knapp 13.800 Euro Euro bis knapp 121.000 Euro je Steuerpflichtigen. Die sechs Stadtteile mit den höchsten Werten haben jeweils ein durchschnittliches Einkommen von mindestens 93.000 Euro. Dies sind die drei Elbvororte Nienstedten (120.716 Euro), Blankenese (117.139 Euro) und Othmarschen (108.258 Euro) sowie Harvestehude (111.088 Euro), Wohldorf-Ohlstedt (94.234 Euro) und die Hafencity (93.206 Euro).
In zehn Stadtteilen liegt das Einkommen unter 23.000 Euro, das sind weniger als 60% des Durchschnittseinkommens von 39.000 Euro (bzw. (60 bis 70% des Medianeinkommens von 25.449 Euro). Sieben dieser Stadtteile gehören zum Bezirk Mitte: Kleiner Grasbrook/Steinwerder mit 13.800 Euro, Veddel (18.800 Euro), Hammerbrok (19.500 Euro) Rothenburgsort (20.500 Euro) Horn (21.700 Euro), Wilhelmsburg (21.900 Euro) und Billbrokk (22.600 Euro). Hinzu kommen im Bezirk Nord der Stadtteil Dulsberg (21.200 Euro), im Bezirk Wandsbek Steilshoop (22.700 Euro) und im Bezirk Harburg der Stadtteil Harburg (20.800 Euro).
In den von Armut besonders betroffenen Quartieren ist – dies spiegelt ja gerade die Lohnsteuer- und Einkommensstatistik – auch die Arbeitslosigkeit besonders hoch. Verstärkt wurden diese Tendenzen durch die von den diversen Senaten der letzten 20 Jahre unterstützte und geförderte Aufwertung von bestimmten Quartieren (z.B. Ottensen oder St. Georg – ein Prozess, der als Gentrifizierung bezeichnet wird), die vor allem über den Mechanismus der Mietsteigerung zu einer Vertreibung vieler BürgerInnen in die schon bestehenden sozialen Brennpunkte geführt hat. Diese Auswirkungen von Aufwertungsprozessen in den vergangenen Jahren lassen sich gut an den Stadtteilen St. Georg und Ottensen erkennen. Beide Quartiere zeichnen sich aus durch eine signifikante Veränderung der Einwohnerstruktur aus, und in beiden Stadtteilen stieg das durchschnittliche Jahreseinkommen pro Steuerpflichtigen 2013 ggb. 2010 um knapp 5.000 Euro (+12%) bzw. 4.100 Euro (+11%).
Die Grenze, ab der Einkommensunterschiede unser Zusammenleben gefährden, ist in Hamburg sichtbar und überschritten. Kirchen, Sozialverbände, Gewerkschaften und Nicht-Regierungsorganisationen mühen sich um Problembewusstsein. Doch bei SPD und Grünen spielen Programme zur Veränderung dieser sozialen Kluft kaum eine Rolle. Wollte man hier etwas tun, müssten etwa die Mittel für die integrierte Statteilentwicklung, aber auch für Arbeitsmarktpolitik und soziale Infrastruktur deutlich aufgestockt werden. Zur Bekämpfung der sozialen Spaltung gehört auch, den Steuervollzug deutlich zu verbessern und auf Bundesebene etwa für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer zu streiten. Auch dafür gibt es von der rot-grünen Koalition im Hamburger Rathaus kaum Impulse.
1. Die Lohn- und Einkommenssteuerstatistik wurde bisher nur alle drei Jahre erhoben und dann vier Jahre später veröffentlicht. Die jetzt veröffentlichten Daten für 2013 sind daher nicht aktuell, zeigen aber Entwicklungstendenzen, die sich bis heute weiter verfestigt haben. Ab dem Steuerjahr 2012 soll die Lohn- und Einkommensteuerstatistik zwar jährlich aufbereitet werden, was aber am zeitlichen Nachlauf der Auswertung nichts ändern wird. In der Statistik werden dabei zusammen veranlagte Ehepaare als ein Steuerpflichtiger gezählt.
2. Vereinfachend dargestellt wird der Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 EStG) aus der Summe der sieben Einkunftsarten der Steuerpflichtigen ermittelt, die dann v. a. um den Altersentlastungsbetrag (§ 24a EstG) und den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EstG) vermindert wird. Bei den einzelnen Einkunftsarten wird zwischen Gewinneinkünften (Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständige Arbeit) und Überschusseinkünften (nichtselbstständige Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung, sonstige Einkünfte) unterschieden.
3. Das Medianeinkommen (auch mittleres Einkommen) ist das Einkommen, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt. Würde man die Bevölkerung nach der Höhe ihres Einkommens sortieren und dann zwei gleich große Gruppen bilden, würde die Person, die genau in der Mitte dieser Verteilung steht das Medianeinkommen beziehen. Das Medianeinkommen - das ausdrücklich nicht identisch ist mit dem Durchschnittseinkommen - wird in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften benutzt, um beispielsweise Armutsberechnungen anzustellen. Es ist robuster gegenüber Ausreißern einer Stichprobe und wird daher oftmals dem arithmetischen Mittelwert (Durchschnitt) vorgezogen.
In den meisten Ländern ist die Verteilung der Einkommen geprägt durch viele Bezieher niedriger oder mittlerer Einkommen und wenige Bezieher sehr hoher Einkommen; ähnlich ist die Situation bei der Verteilung der Vermögen. Das arithmetische Mittel wird von den relativ wenigen Fällen sehr reicher Haushalte deutlich nach oben gezogen, und die große Mehrzahl der Haushalte liegt mit ihrem Einkommen oder Vermögen unterhalb dieses Durchschnittswerts. Um die Mitte der Verteilung besser zu kennzeichnen, wird bei Verteilungsanalysen der Median - zumindest ergänzend zum arithmetischen Mittel - herangezogen.
4. Heute leben in Hamburg mehr Superreiche als vor vier Jahren – 42.000 Vermögensmillionäre und 18 Milliardäre. Dazu haben insbesondere die in dieser Stadt überdurchschnittlich gestiegenen Immobilienpreise beigetragen, aber auch die Aktienkursgewinne. Dies wird sich dann auch in den Einkommens- und Vermögenssteuerstatistik 2014 ff. zeigen, die aber erst jeweils drei Jahre später vorliegen werden. Auch für die statistische Erfassung der Vermögen gibt es eine Steuerhürde: Die Stilllegung der Vermögenssteuer verhindert logischerweise auch die Erfassung der entsprechenden Vermögen.
5. Auch ohne diesen Umstand sind die Kapitaleinkommen zu niedrig erfasst, weil, wie der Ankauf der Steuer-Cds in den letzten Jahren gezeigt hat, ein Teil der Vermögenden Steuern hinterzieht.
6. Wir behaupten nicht, dass diese räumliche Verteilung auf die Quartiere nur auf die niedrigen und hohen Einkommen zurückzuführen ist. Aber das Einkommen ist aus unserer Sicht die Schlüsselkategorie.