28. Oktober 2013 Joachim Bischoff und Bernhard Müller
Bürgernahe Sparpolitik
Die SPD war in Klausur. Einen Tag lang diskutierten Landesvorstandsmitglieder, Abgeordnete, Senatorinnen und Senatoren, Bezirksamtsleiter und Bezirksfraktionsvorsitzende unter Leitung des Landesvorsitzenden Olaf Scholz und des Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel an Hamburgs Südspitze über aktuelle Probleme. Die frohe Botschaft: »Die Steigerungsrate der Bezirksbudgets wird über der allgemeinen Steigerungsrate des Haushalts von rund 1 Prozent liegen. Der Personalabbau wird deutlich geringer ausfallen als in der Gesamtverwaltung. Wir werden den von der Bürgerschaft geschaffenen Quartiersfonds weiterführen und damit den Bezirken ein verlässliches Förderinstrument für die soziale Infrastruktur in den Stadtteilen an die Hand geben. Unser Weg zur Einhaltung der Schuldenbremse wird auf die wichtige Rolle der Bezirke, die nah dran sind an den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort, besonders Rücksicht nehmen. Das ist eine gute Nachricht für die Bezirksversammlungen, die Bezirksämter und die Stadtteile«, so Dressel.
Bevor allerdings Jubel ausbrechen kann über die vermeintlich bürgernahe und bezirksfreundliche Politik der Sozialdemokratie, sollte man sich klar machen, dass die Bezirke erneut zusätzliche Aufgaben schultern müssen. Der Ausbau der öffentlichen Leistungen für Flüchtlinge und Asylsuchende erfordert deutliche Anstrengungen der untersten Verwaltungsebene. »Allein bei der Erstaufnahme steigern wir die Kapazitäten von 270 auf rund 1.500 Plätze, wir investieren Haushaltsmittel im dreistelligen Millionenbereich für Flüchtlinge, Unterkünfte, soziale Leistungen, Betreuung und vieles mehr – und das mit stark steigender Tendenz.« Es steht außer Frage, dass die deutlich größer ausfallende Flüchtlingsbewegung die kommunalen Haushalte mit ihren Konsolidierungsauflagen durcheinanderbringt. Bislang ist die Sozialdemokratie nicht dadurch aufgefallen, dass sie den humanitären Anforderungen wirklich entsprechen will. Die Anpassung der öffentlichen Unterbringung bleibt weit hinter den Anforderungen zurück. Ohne die Beteiligung von kirchlichen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen wären die Probleme in Hamburg weitaus dramatischer. Aber angefangen von den Notunterkünften, der Versorgung bis hin zur Betreuung dürften die jetzt getroffenen Maßnahmen nur ein Tropfen auf einem heißen Stein sein.
Der SPD-Senat zieht sich noch immer auf die Logik zurück, er habe ja die Mittel gegenüber dem früheren Senat deutlich aufgestockt: »Die bereinigten Gesamtausgaben der Bezirke haben sich deshalb gegenüber den Plänen, die der Vorgängersenat für 2011/2012 aufgestellt hatte, deutlich erhöht. Zusätzlich wurden die Bezirksämter im Haushaltsjahr 2012 von zwei Dritteln der ihnen in der 19. Wahlperiode auferlegten Konsolidierungsverpflichtungen entlastet. Daraus ergaben sich für den fortgeschriebenen Haushaltsplan 2012 für die Bezirksämter Bereinigte Gesamtausgaben in Höhe von 415,7 Millionen Euro, die im Haushaltsplan 2013 auf 453,5 Millionen Euro und im Haushaltsplan 2014 auf 457,8 Millionen Euro erhöht wurden. Der Anstieg bildet die Entscheidung des Senats ab, die Bezirke angemessen auszustatten.«
Die Angemessenheit ist nicht gegeben, weil die Probleme und Aufgaben zugenommen haben. Die ursprünglich vorgesehenen Kürzungen hätten faktisch die Existenz der Bezirke und der Bezirksämter massiv in Frage gestellt. Faktisch war über die Schließung von Kundenzentren nachgedacht worden. Umgesetzt wird die Auflösung des bezirklichen Ordnungsdienstes und die Versetzung der 88 Mitarbeiter auf drei Organisationen. Spareffekt: Den jährlichen Einnahmen von 1,1 Mio. Euro (etwa durch Bußen für Falschparken) stehen Ausgaben von fünf Mio. Euro für 88 Vollzeitstellen gegenüber. Die Gewerkschaft Ver.di hat in diesem Zusammenhang kritisiert, dass es kein fertiges Konzept gibt und die Beteiligung von Mitarbeitern und ihren Gewerkschaften an den Veränderungsprozessen offensichtlich nicht vorgesehen ist.
SPD-Fraktionschef Dressel sieht die Einhaltung der Schuldenbremse durch die »leichte Lockerung der Sparziele für die Bezirke nicht in Gefahr. "Die Bezirke bringen trotzdem ihren Anteil, was nicht leicht ist«. Was heißt das? Der Hamburger SPD-Senat hat den BürgerInnen der Stadt versprochen, durch eine »sparsame Haushaltsführung« bis 2020 einen ausgeglichen Haushalt vorzulegen und damit die »Schuldenbremse« einzuhalten. Um das mehrfach beschworene Ziel zu erreichen, dürfen die jährlichen Ausgabensteigerungen 0,88% nicht übersteigen. Dies bedeutet schon angesichts der Preissteigerungsrate praktisch, dass in vielen Bereichen jährlich Ausgabenkürzungen stattfinden müssen. So sollen pro Jahr 250 Stellen (Vollzeitäquivalente) gestrichen werden. Eine solche Politik hat natürlich gravierende Folgen für das städtische Personal und die städtischen Dienstleistungen.
Die logische Folge: Personalbabbau, Intensivierung der Arbeit der Beschäftigten und verschlechterte öffentliche Dienstleistungen. Dies trifft besonders die Bezirke. Für sie gibt es im Haushalt 2013/2014 weitere drastische Einsparungen. Allein 2013 sollen sie mehr als 23 Mio. Euro einsparen, und von 2014 bis 2017 weitere 62 Mio. Euro. Um diesen »Konsolidierungsbeitrag« zu leisten, müssen die Bezirksämter vor allem ihre Personalkosten massiv senken. Das vom Senat vorgegebene Sparziel für 2013 entspricht einem Abbau von 468 Stellen. Im Bezirk Mitte zum Beispiel fallen 2013/2014 insgesamt 75 Stellen weg, Altona muss ein Minus von 64 Stellen verkraften. Durch über dem Planansatz von 1,5% liegenden Tarifabschlüsse fallen weitere Stellen weg.
Es bleibt bei der Philosophie: Unterm Strich beiben einem Bezirk tatsächlich einige Hunderttausend Euro weniger. Auf der einen Seite bekommen die Bezirke vom Senat immer mehr Aufgaben zugewiesen, auf der anderen aber immer weniger Geld. Zurecht kritisiert die Gewerkschaft Ver.di diese Politik. Die Beschäftigten in den Bezirken leisteten hervorragende Arbeit und seien ein wichtiges Bindeglied zwischen Staat und Bürgern. Immer wieder hätten Politiker in den vergangenen Jahrzehnten von der Stärkung der Bezirke gesprochen, aber sie tatsächlich geschwächt. Die Bezirke sind an den Rand der Arbeitsfähigkeit angelangt.
Gäbe es eine Alternative? Im städtischen Haushalt gibt es sicherlich Kürzungsmöglichkeiten, die nicht direkt auf die Belange der BürgerInnen durchschlagen. Man denke etwa an die grandiose Geldverbrennung bei der Internationalen Gartenschau. Darüber hinaus steht gerade für die Stadtstaaten eine bessere Finanzausstattung durch den Bund an – Bürgermeister Scholz verhandelt im Rahmen der großen Koalition über entsprechende Regelung . Schließlich gibt es noch die Stellschraube Einnahmeverbesserungen. Der SPD-Senat ist mehr als zurückhaltend beim Steuervollzug. Weil der Senat nicht genug Steuerprüfer einstellt, geht der Stadt viel Geld verloren. Über den Daumen gepeilt, treibt jeder Prüfer eine Mio. Euro jährlich ein. Würden 100 neu eingestellt, flössen 100 Mio. Euro zusätzlich in die Kassen der Stadt. Doch davon will der Senat nichts wissen.
So bleibt es bei der Prioritätensetzung auf Ausgabenkürzung. Man braucht man nicht viel Phantasie, um sich ein über die Jahre »gesundgespartes« Hamburg 2019, wenn der Haushalt schließlich ausgeglichen sein soll, vorzustellen: ausgemagerte oder abgeschaffte öffentliche Dienstleistungen, völlig überlastetes Personal, noch marodere Infrastruktur (Schulen, Universitäten, Grünanlagen, Strassen), Bezirke zusammengeschrumpft oder abgeschafft. Und dies alles mit dem Argument, zukünftige Generationen nicht mit den Schulden von heute zu belasten – deshalb »Schuldenbremse«. Auf diese »Erbschaft« des »guten Regierens« können sich die »zukünftigen Generationen« wirklich freuen.