Der rechte Rand

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Das antifaschistische Magazin (Hrsg.)
Das IfS. Faschist*innen
des 21. Jahrhunderts

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Linke Kommunalpolitik –
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33 Stätten der Erinnerung und Mahnung | Herausgegeben von der Willi-Bredel-Gesellschaft – Geschichtswerkstatt e.V.
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ISBN 978-3-89965-578-0

28. September 2012 Björn Radke

Bad Segeberg: Not und Elend einer Kommune

„Die 16 000 Einwohner zählende Kreisstadt nördlich von Hamburg könnte als erste Kommune in Schleswig-Holstein zahlungsunfähig werden. Ändert sich nichts, kann die Stadt in zwei Jahren die Gehälter ihrer Mitarbeiter nicht mehr zahlen, “ Solche Meldungen in den Medien häufen sich.Wie es dem Staat finanziell geht, kann man zuerst in den Städten und Gemeinden sehen. Der Zustand von Kindergärten, Schulen, Bibliotheken, Spielplätzen, Parkanlagen, Straßen oder Schwimmbädern hinterlässt einen bleibenden Eindruck von den Finanzproblemen unserer Kommunen.

Doch nicht nur der Zustand der Einrichtungen lässt Zweifel aufkommen, ob die kommunalen Einnahmen ausreichen um die Vielfalt der Aufgaben zu erfüllen. Mit der Schließung von Einrichtungen, der Kürzungen der Öffnungszeiten oder der Streichung von Zuschüssen zur Vereinsarbeit versuchen kommunale Finanzpolitiker  mit der katastrophalen Lage der öffentlichen Kassen umzugehen. Die Kommunen sind aufgrund der eigenen Situation nicht mehr in der Lage, eine Konsolidierung ihrer Finanzen umzusetzen. Durch den Eingriff in den kommunalen Finanzausgleich ist ihnen die Möglichkeit genommen worden, sich für wirtschaftliche Notlagen zu rüsten. Sie suchen nach Auswegen aus der Schuldenfalle.

Manche dieser Lösungsansätze haben sich als Irrwege erwiesen: Privatisierungen, Veräußerungen von öffentlichem Eigentum und Vermögen sowie Cross-Border-Leasing und Spekulationsgeschäfte spülten zwar kurzzeitig mehr Geld in die öffentlichen Kassen, hatten aber verheerende Folgen für Städte und Gemeinden. Die kleine Stadt Bad Segeberg steht dafür beispielhaft:

Das Beispiel Bad Segeberg

Bad Segeberg zählt zu den 16 ärmsten Kommunen in Schleswig-Holstein und gilt beim Innenministerium nach dem „Kommunalhaushaltskonsolidierungsgesetz“ als „Konsolidierungsgemeinde“. Nach diesem Gesetz werden Konsolidierungshilfen unter der Bedingung gewährt, dass die betroffenen Kommunen ihre eigenen Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung mit dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts deutlich intensivieren. Im Klartext: Die Kommunen sollen vor Ort noch weiter einsparen und Leistungen zurückfahren. In Bad Segeberg bekommt dieses Gesetz zur Anwendung, auch wenn der Mitte September vorgestellte neue Entwurf des Haushaltskonsolidierungsgesetzes von SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW).den betroffenen Kommunen die Wahl erlaubt zwischen sogenannten Fehlbedarfszuweisungen des Landes zum akuten Ausgleich des Haushalts und deutlich höheren Konsolidierungshilfen, um langfristig das Sparziel erreichen zu können. Die betonte Wahlfreiheit hat aber ihre Grenzen: „Trotzdem gilt weiterhin der Grundsatz: Wer aus der Solidargemeinschaft gefördert werden will, muss sich verbindlich zur Haushaltskonsolidierung bekennen“, so Innenminister Breitner (SPD).

Noch unter der schwarzgelben Landesregierung hat das Innenministerium der Kommune Bad Segeberg beim Antrag auf Fehlbedarfszuweisungen für 2011 mitgeteilt, dass sie Konsolidierungsgemeinde sei und ab 2012 dazu ein Sparprogramm durchzuführen habe. Dazu stellt ein Bericht aus dem Innenministerium vom 22. Mai 2012 fest: „Die bereinigten Einnahmen der schleswig-holsteinischen Kommunen betrug im Jahre 2011 2.378 Euro je Einwohner, die bereinigten Ausgaben betrug 2.418 Euro je Einwohner, d.h. die Ausgaben lagen knapp über den Einahmen. Ab 2012 sieht der Bericht allerdings eine Entspannung der Finanzlage der Kommunen aufgrund der zu erwartenden erheblichen Zuwächse bei den Einnahmen der Kommunen aus Finanzausgleich und Steuern, und der schrittweisen Übernahme der Ausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund bis 2014.“

Unter dieser Maßgabe verabschiedete die Bad Segeberger Stadtvertretung das Konzept zur Konsolidierung der städtischen Finanzen, das ursprünglich bis zum 15. Oktober dem Innenminister liegen sollte, jetzt aber auf Anfang Dezember verschoben wird. Seit 19 Jahren kann die Stadt ihren Haushalt nicht mehr ausgleichen.

  • Mit insgesamt 59,8 Millionen sind Stadt und städtische Unternehmen im Minus, die Kreditrahmen ausgeschöpft, weitere Kredite werden nicht genehmigt. Seit 1999 wurden nach Rechnung des Bürgermeisters rund 15 Millionen Euro Verlust eingefahren, weil die Stadt auf Einnahmen verzichtet hat: keine Parkgebühren, keine Fremdenverkehrsabgaben, keine Zweitwohnungssteuer, niedrige Grundsteuern.
  • 1,1 Millionen Euro für neue gewünschte Schulklassen der Gemeinschaftsschule am Seminarweg sind nicht vorhanden
  • 1,3 Millionen Euro für das Schulzentrum und eine Mensa der Theodore-Storm-Schule können ebenfalls nicht beschafft werden.
  • Katastrophal ist, dass die Stadt ihren Kassenkreditrahmen von 25 Millionen Euro für Gehälter und andere laufende Kosten fast ausgereizt hat. Mit 18 Millionen Euro steht die Stadt hier in der Kreide. Die restlichen sieben Millionen werden, so schätzt Kämmerin Christiane Ostwald, bis Mitte 2014 ausgeschöpft sein. Bürgermeister Schönfeld: „Bei den gegenwärtigen Fehlbeträgen ist die Stadt dann zahlungsunfähig. Es darf nicht dazu führen, dass wir nicht mehr die Gehälter zahlen können.“
  • Die Stadt schreibt jährlich 700 000 Euro Verlust aus dem Betrieb eines stadteigenen Pflegeheims. Für das 70-Betten-Haus „Eichenhof Christiansfelde“, das vor wenigen Jahren aufwendig renoviert wurde, soll jetzt verkauft werden. Es steht zu befürchten, dass über diesen Weg der Privatisierung zwar die öffentlichen Kosten gesenkt werden, die alten, pflegebedürftigen Menschen aber die Zeche zu zahlen haben. Der Zwang zur Haushaltskonsolidierung geht zu Lasten des öffentlichen Auftrages zur Daseinsvorsorge.
  • Weitere Einspareffekte will die Stadt unter anderem erzielen durch Auflösung der  Stadtmarketing, Einstellen die Soleförderung, Einführung eine Fremdenverkehrsabgabe, Anhebung der Grundsteuern und Erhöhung der Parkgebühren. Bei gleichzeitig verschlankter Verwaltung und dem Verkauf städtischer Grundstücke sollen damit jährlich 400 000 Euro zusätzlich eingenommen werden.
  • Geplant ist nun die Grundsteuer B für Hauseigentümer bis 2014 um 40 Punkte zu erhöhen.

Mit Genehmigung der Kommunalaufsichtsbehörde hat die Stadt im Januar 2012 eine Haushaltssatzung erlassen, nach der strukturelle Fehlbetrag bis 2013 um 1 Million Euro von 5,4 auf 4,4, Millionen gesenkt werden soll. Mit den jetzt beschlossenen Maßnahmen wird lediglich der öffentliche Auftrag eingeschränkt. Zwei Millionen Euro müsste die Stadt für Schulerweiterungen ausgeben, was am nicht vorhandenen Geld scheitert. Die Finanzaufsichtsbehörden genehmigen keine neuen Investitionskredite.  

Das FehMare-Desaster

Die Stadtverordneten hatten 2007 zugestimmt, dass die Mittelzentrumsholding Bad Segeberg/Wahlstedt das Spaßbad FehMare auf der 80 Kilometer entfernten Insel Fehmarn übernahmen. 2006 hatte Fehmarn der Holding ein Gutachten vorgelegt, in dem jährliche Gewinne von durchschnittlich 75 000 Euro in Aussicht gestellt wurden. Der Bund der Steuerzahler berichtete in seinem Jahresbericht 2011 „von den Eskapaden der Mittelzentrumsholding Bad Segeberg/Wahlstedt.

Die Gesellschaft war ursprünglich gegründet worden, um gemeinsame Kommunalunternehmen zu tragen. Dann hatte man sich aber um den Betrieb eines Spaßbades auf der 80 Kilometer entfernten Insel Fehmarn beworben und den Zuschlag erhalten.“ Weil die Besucherzahl sank, schrieb das Bad allein 2011 einen Verlust von 780 000 Euro. Die Stadt Fehmarn hatte ihre Beteiligung daran auf 92 000 Euro gedeckelt. Zur Rettung der Holding vor der Insolvenz hätten das klamme Segeberg 3,5 und Wahlstedt 1,2 Millionen Euro aufwenden müssen.“

Der Steuerzahlerbund prangert das Desaster in seinem Schwarzbuch 2012 an. Allein fast vier Millionen Euro habe die Abwicklung des „Fehmare“ Desaster gekostet. Der Bürgermeister Schönfeld weist in der Presse darauf hin, dass allein die umfangreiche Hilfe der Juristen bei der komplizierten Materie schlägt mit Kosten von einer halben Million Euro zu Buche schlagen. Die Anwälte haben noch weiter zu tun. Auch wenn es gelungen sei, die Insolvenz der MZH durch die Vergleichsvereinbarungen abzuwehren, seien die Untersuchungen, wie es damals zu dem schädlichen Fehmare-Pachtvertrag kommen konnte, noch nicht abgeschlossen.

Eine andere Politik ist nötig

Die Kommunen stecken in der tiefsten Haushaltskrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Nothaushalte, Streichkonzerte und Sparkommissare schauen seit langem weg und im kommunalen Alltagsgeschäft wird zukünftig kaum mit nachhaltigen Staatshilfen zu rechnen sein.

Bei Einnahmen und Ausgaben sind die Kommunen in ein enges Korsett von zugewiesenen Aufgaben, Ausgaben und Verwaltungsvorschriften gezwängt. Das lässt keinen Spielraum für richtige Eigenverantwortung. Rund 60% der staatlichen Sachinvestitionen werden von Kommunen getätigt. Der wachstumspolitisch bedenkliche Rückgang der Investitionen bei gleichzeitig starkem Anstieg der Sozialausgaben zeigt stellvertretend die negativen Auswirkungen für die gesamte Volkswirtschaft. Damit droht insgesamt ein Zerfall der demokratischen Selbstverwaltung.

Hauptursache für die prekäre Lage der Kommunalfinanzen ist die fortgesetzte Steuersenkungspolitik, die von der Regierung aus SPD und Grünen vor zwölf Jahren begonnen wurde und seitdem von CDU/CSU und SPD und aktuell von CDU/CSU und FDP fortgesetzt wird. Die Folgen sind umfassend: eine gigantische Umverteilung von unten nach oben und Milliarden Euro Einnahmeverlusten für die öffentliche Hand.

Infolge des enormen Einnahmedefizits haben die Kommunen immer weniger öffentliche Mittel für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur eingesetzt. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Urbanistik beträgt der Nachholbedarf allein bis zum Jahr 2010 sagenhafte 700 Milliarden Euro. Bund und Länder haben den Kommunen in der Vergangenheit Aufgaben übertragen, ohne für eine gesicherte Finanzierung zu sorgen.

Zusätzlicher Druck auf die kommunalen Haushalte entsteht durch die sogenannte Schuldenbremsenregelung im Grundgesetz. Bund und Länder werden dadurch noch stärker als bisher Kürzungen in ihren Haushalten vornehmen müssen. Das wird auch zu Lasten der Kommunen gehen. Die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen darf nicht weiter ausgehöhlt werden.

Die Finanznotlage der Kommunen lässt sich auf lange Sicht nur durch eine grundlegende Neugestaltung der kommunalen Einnahmequellen lösen. Die Gewerbesteuer, die wichtigste kommunale Steuer, muss zu einer Gemeindewirtschaftssteuer weiterentwickelt werden. Übergangsweise müssen strukturelle Einnahmenverbesserungen und Konsolidierungshilfen von Seiten des Bundes und des Landes Schleswig Holstein deutlich erhöht werden. Eine solche Erhöhung wäre auch angesichts der bundes- und landespolitischen Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit (mangelnde Konnexität bei den Sozialausgaben, massive Steuersenkungen) angebracht, die wesentlich für die kommunale Finanzmisere verantwortlich sind .



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